Honoré de Balzac
Physiologie der Ehe
Honoré de Balzac

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Die Kunst des Nachhausekommens

Unfähig, die glühenden Aufwallungen seiner Unruhe zu bemeistern, begeht mehr als ein Ehemann den Fehler, nach Hause zu kommen und bei seiner Frau einzutreten, um über ihre Schwäche zu triumphieren, wie jene spanischen Stiere, die, durch den roten ›banderillo‹ aufgeregt, mit wütenden Hornstößen den Pferden wie den Matadoren, Pikadoren, Toreadoren und dergleichen Leuten den Bauch aufschlitzen.

O nein! Mit schüchternem und sanftem Gesicht nach Hause kommen wie Mascarille, der auf eine Tracht Prügel gefaßt ist und lustig wie ein Buchfink wird, wenn er seinen Herrn bei guter Laune findet – so macht's ein vernünftiger Mann.

»Ja, meine liebe Freundin, ich weiß ja, während meiner Abwesenheit hattest du volle Befugnis, Unheil anzustiften! Eine andere hätte vielleicht an deiner Stelle das ganze Haus zum Fenster hinausgeworfen, und du hast nur eine Scheibe zerbrochen! Gott segne dich für deine Zurückhaltung. Betrage dich immer so, und du kannst auf meine Dankbarkeit zählen.«

Solche Gedanken müssen sich in deinem Benehmen und in deinen Gesichtszügen aussprechen; aber für dich sagst du: »Vielleicht ist er dagewesen!«

Stets mit einem liebenswürdigen Gesicht die Wohnung betreten – das ist eines jener Ehegesetze, die keine Ausnahme dulden.

Aber die Kunst, nur auszugehen, um nach Hause zu kommen, wenn die Ehepolizei dir eine Verschwörung aufgedeckt hat – aber die Wissenschaft, stets im rechten Augenblick nach Hause zu kommen: ah! darüber lassen sich keine bestimmten Regeln aufstellen. Hierbei kommt alles auf Klugheit und Takt an. Die Ereignisse des Lebens sind stets mannigfaltiger, als die menschliche Phantasie sich träumen läßt. Daher wollen wir uns mit dem Versuch begnügen, dieses Buch mit einer Geschichte auszustatten, die würdig ist, in den Archiven der Abtei von Thélème aufgezeichnet zu werden. Sie wird den großen Vorzug haben, ein neues Verteidigungsmittel ausführlich zu behandeln, das schon in einem der Aphorismen des Professors leise angedeutet war, und den moralischen Inhalt dieser Betrachtung lebendig zu machen – was das einzige Mittel ist, den Leser zu belehren.

Herr von B., Ordonnanzoffizier und vorübergehend als Sekretär dem König von Holland, Louis Bonaparte, beigegeben, befand sich in Saint-Leu, wo die Königin Hortense, von allen ihren Damen umgeben, Hof hielt. Der junge Offizier war eine ziemlich angenehme Erscheinung und blond; er hatte ein geziertes Wesen, schien ein bißchen zu sehr mit sich selbst zufrieden zu sein und sich auf die Stellung des Militärs ungeheuer viel einzubilden; übrigens war er leidlich geistreich und ein großer Komplimentenmacher. Warum seine Galanterien allen Hofdamen der Königin unerträglich geworden waren, davon berichtet die Weltgeschichte nichts. Vielleicht hatte er den Fehler begangen, ihnen allen mit denselben Huldigungen zu nahen. Ja, das war's! Aber bei ihm entsprang dies Benehmen aus Schlauheit. Er betete in jenem Augenblick eine von diesen Hofdamen an, die Gräfin R. Die Gräfin wagte ihren Liebhaber nicht zu verteidigen, weil sie dadurch ihr Geheimnis preisgegeben hätte, ja – was etwas wunderlich erscheint, aber im Grunde recht erklärlich ist – die beißendsten Epigramme gegen ihn kamen von ihren schönen Lippen, während ihr Herz das saubere Bild des hübschen Offiziers beherbergte.

Es gibt Frauen von gewisser Naturanlage, bei denen besonders solche Männer Glück haben, die ein bißchen selbstbewußt sind, elegante Kleider und feines Schuhzeug tragen. Dies sind die Frauen, die gerne schön tun, viel auf einen zarten und gewählten Ton halten. Eine solche Frau war die Gräfin, abgesehen von der Schöntuerei, die bei ihr einen ganz eigenartigen Charakter von Unschuld und Wahrheit trug. Sie entstammte der Familie N., in der aus alter Überlieferung gute Manieren gepflegt werden. Ihr Mann, Graf X., war ein Sohn der alten Herzogin von L. Er hatte das Haupt vor dem Abgott des Tages gebeugt: da Napoleon ihn kürzlich zum Grafen gemacht hatte, so schmeichelte er sich mit der Hoffnung, einen Gesandtenposten zu erhalten. Einstweilen indessen begnügte er sich mit dem Kammerherrnschlüssel. Daß er seine Frau bei der Königin Hortense ließ, geschah ohne Zweifel aus ehrgeiziger Berechnung.

»Mein Sohn,« sagte eines Tages seine Mutter zu ihm; »mit deiner Frau ist etwas los. Sie liebt Herrn von B.«

»Sie scherzen, liebe Mutter! Er hat gestern hundert Napoleons von mir geliehen!«

»Wenn dir an deiner Frau ebensowenig liegt, wie an deinem Gelde, so wollen wir nicht mehr davon sprechen,« sagte die alte Dame kurz angebunden.

Der künftige Gesandte beobachtete die beiden Liebenden, und bei einer Partie Billard, die er mit der Königin, dem Offizier und seiner Frau spielte, empfing er einen jener anscheinend so unbedeutenden Beweise, die in den Augen eines Diplomaten unwiderleglich sind.

»Sie sind schon weiter miteinander gekommen, als sie selber glauben!« sagte Graf X. zu seiner Mutter.

Und er ergoß in die ebenso kluge wie welterfahrene Seele der Herzogin den tiefen Kummer, mit dem ihn diese bittere Entdeckung erfüllte. Er liebte die Gräfin, und wenn seine Frau auch nicht gerade ›Grundsätze hatte‹ – wie man zu sagen pflegt –, so war sie doch erst seit zu kurzer Zeit verheiratet, als daß sie nicht noch an ihren Pflichten hätte festhalten sollen. Die Herzogin übernahm es, ihre Schwiegertochter auf ihren Herzenszustand hin zu prüfen. Sie war der Meinung, man dürfe von dieser jungen und zarten Seele noch etwas hoffen, und versprach ihrem Sohn, Herrn von B. rettungslos unmöglich zu machen.

Eines Abends war die Gräfin zum Dienst bei der Königin; die Spielpartien waren zu Ende, und die Damen hatten eine jener Plaudereien begonnen, in denen man dem lieben Nächsten Böses nachsagt. Diese Gelegenheit benutzte die Herzogin, um der Damenversammlung das große Geheimnis mitzuteilen, daß Herr von B. ihre Schwiegertochter liebe. Allgemeiner Aufstand! Die Herzogin ließ abstimmen, und es wurde einhellig die Meinung ausgesprochen: Die Dame, die es fertig brächte, den Offizier vom Hofe zu vertreiben, leiste damit der Königin Hortense, die ihn nicht ausstehen könnte, und allen Damen, die ihn – mit gutem Grunde! – haßten, einen ausgezeichneten Dienst. Die alte Dame bat um den Beistand der schönen Verschwörerinnen, und eine jede versprach, nach Kräften mitwirken zu wollen. Binnen achtundvierzig Stunden war die schlaue Schwiegermutter die Vertraute ihrer Schwiegertochter sowohl wie des Liebhabers geworden. Drei Tage später hatte sie dem Offizier Hoffnung auf ein Stelldichein nach einem Frühstück gemacht. Es wurde beschlossen, Herr von B. solle am Morgen in aller Frühe nach Paris abreisen und heimlich wiederkommen. Die Königin hatte die Absicht ausgesprochen, an diesem Tage mit ihrer ganzen Gesellschaft eine Wildsaujagd mitzumachen, und die Gräfin sollte ein Unwohlsein vorschützen. Da der Graf vom König Louis nach Paris geschickt war, machte man sich um ihn wenig Sorge. Um die ganze Heimtücke des Planes der Herzogin zu ermessen, müssen wir die Einrichtung der von der Gräfin im Schloß benutzten kleinen Wohnung kurz beschreiben. Sie lag im ersten Stock, über den Privatgemächern der Königin, und zwar am Ende eines langen Korridors. Man betrat unmittelbar vom Gang aus ein Schlafzimmer, an welches zur Rechten wie zur Linken je ein Kabinett anstieß, nämlich rechts ein Ankleidekabinett, links ein Boudoir, das die Gräfin sich kürzlich eingerichtet hatte. Der Leser wird wissen, was ein ›Kabinett‹ auf dem Lande bedeutet: dieses hatte nichts weiter als seine vier Wände. Sein ganzer Schmuck bestand in grauen Wandbezügen, und es enthielt bis jetzt nur einen kleinen Diwan und einen Teppich, denn die Möbel sollten erst in einigen Tagen geliefert werden. Hierauf hatte die Herzogin ihre boshafte Absicht gebaut; denn so unbedeutend diese Umstände dem Anschein nach waren, so vorzüglich paßten sie ihr in den Plan. Um elf Uhr stand in dem Zimmer ein leckeres Frühstück bereit. Der Offizier war auf dem Rückweg von Paris und zerfetzte mit Sporenstößen die Flanken seines Pferdes. Endlich kommt er an, übergibt das edle Tier seinem Bedienten, klettert über die Parkmauer, eilt in das Schloß und gelangt in das Zimmer, ohne auch nur von einem Gärtner, geschweige denn von sonst jemandem gesehen worden zu sein. Die Ordonnanzoffiziere trugen damals – wie wir für Leser bemerken wollen, die sich dessen nicht mehr erinnern sollten – sehr enganschließende Hosen und einen engen hohen Tschako, ein Kostüm, das sich ebenso wunderbar an einem Paradetage macht, wie es bei einem Stelldichein unbequem ist. Die alte Dame hatte die Unbequemlichkeit der Uniform mit in ihre Berechnung gezogen. Beim Frühstück herrschte eine ausgelassene Heiterkeit. Weder die Gräfin noch die Schwiegermutter tranken Wein; aber der Offizier, der das Sprichwort kannte, hielt sich recht eifrig an den Champagner und trank so viel, wie er glaubte, daß nötig wäre, um seine Liebe und seinen Geist anzufeuern.

Als das Frühstück zu Ende war, sah der Offizier die Schwiegermutter an, die, getreu ihrer Rolle als Helfershelferin, plötzlich sagte:

»Ich glaube, ich höre einen Wagen.«

Damit geht sie. Nach drei Minuten kommt sie wieder herein und ruft:

»'s ist der Graf!«

Und damit schiebt sie die beiden Liebenden in das Boudoir, indem sie sagt:

»Seid nur ruhig!« Und zum jungen Mann gewandt, fügt sie, mit einem tadelnden Blick für seine Unvorsichtigkeit hinzu: »Nehmen Sie doch Ihren Tschako!«

Dann schob sie schnell den gedeckten Tisch in das Ankleidekabinett, und das Zimmer war wieder in allerschönster Ordnung, als ihr Sohn eintrat.

»Ist meine Frau krank?« fragte der Graf.

»Nein, mein lieber Sohn,« antwortete die Mutter, »ihr Unwohlsein ist schnell wieder vergangen; wie ich glaube, ist sie auf der Jagd.«

Hierauf macht sie ihm ein Zeichen mit dem Kopf, wie wenn sie ihm sagen wollte: »Da drinnen sind sie!«

»Aber sind Sie toll?« antwortet der Graf leise; »wie können Sie sie zusammen einschließen?« .

»Du hast nichts zu befürchten,« versetzt die Herzogin; »ich habe in seinen Wein ...«

»Was?«

»Das schnellstwirkende Abführmittel getan, das es gibt.«

In diesem Augenblick tritt der König von Holland ein. Er wollte sich beim Grafen nach dem Erfolg der ihm übertragenen Mission erkundigen. Die Herzogin versuchte durch einige jener geheimnisvollen Redewendungen, die die Frauen so geschickt anzubringen wissen, Seine Majestät zu veranlassen, den Grafen mit in die königlichen Gemächer zu nehmen.

Sobald die beiden Liebenden zusammen in dem Boudoir waren, sagte die Gräfin, die mit Entsetzen die Stimme ihres Gemahls erkannte, ganz leise zu dem verführerischen Offizier:

»Ach, mein Herr! Sie sehen, welcher Gefahr ich mich um Ihretwillen ausgesetzt habe!«

»Aber, meine teure Marie! Meine Liebe wird Sie für alle Ihre Opfer entschädigen – ich werde dir treu sein bis in den Tod.« (Beiseite: »Oh, oh! diese Schmerzen!«)

»Ach!« sagte die junge Frau händeringend, als sie ihren Mann in die Nähe der Boudoirtür kommen hörte: »Es gibt keine Liebe, die solche Ängste bezahlen könnte! ... Mein Herr, kommen Sie mir nicht zu nahe!«

»O meine Herzgeliebte, mein teuerster Schatz!« sagte er, ehrfurchtsvoll vor ihr niederkniend, »ich werde dir sein, was du nur verlangen kannst! Befiehl ... ich werde mich entfernen! Rufe mich zurück ... ich werde kommen! Ich werde der unterwürfigste Liebhaber sein, wie ich ... (Him ... Donn ........, ich habe die Kolik) ... der allerbeständigste sein will. O meine schöne Marie! ... (Ah! ich bin verloren! das ist zum Sterben!)«

Mit diesen Worten eilte der junge Offizier ans Fenster, um es zu öffnen und sich köpflings in den Garten zu stürzen; aber er bemerkte unten die Königin Hortense mit ihren Damen. Da wandte er sich zur Gräfin um, indem er mit der Hand an den wichtigsten Teil seiner Uniform fuhr, und rief in seiner Verzweiflung mit erstickter Stimme:

»Verzeihung, Madame! Aber es ist mir nicht möglich, es noch länger auszuhalten!«

»Mein Herr, sind Sie wahnsinnig?« rief die junge Frau, als sie bemerkte, daß nicht die Liebe allein sein verstörtes Antlitz verzerrte.

Der Offizier weinte vor Wut und krümmte sich eilends über den Tschako, den er in eine Ecke geworfen hatte ...

»Nun, Gräfin?« sagte die Königin Hortense, das Schlafzimmer betretend, das der Graf und der König soeben verlassen hatten; »wie geht es Ihnen? (Aber wo ist sie denn?)«

»Madame!« rief die junge Frau, aus der Tür des Boudoirs herausstürzend; »treten Sie nicht ein! Um Gottes willen, treten Sie nicht ein!«

Die Gräfin schwieg, denn sie sah alle ihre Freundinnen im Zimmer. Sie sah die Königin an. Hortense war ebenso nachsichtig wie neugierig; auf einen Wink von ihr zog ihr ganzes Gefolge sich zurück. Am selben Tage geht der Offizier zur Armee ab, begibt sich zu den Vorposten, sucht den Tod und findet ihn. Er war ein Braver, aber kein Philosoph!

Man behauptet, einer unserer berühmtesten Maler sei für die Frau eines Freundes in einer Liebe entbrannt, die erwidert worden sei, und habe die ganzen Greuel eines ähnlichen von dem Gatten aus Rache angestifteten Stelldicheins durchmachen müssen; aber wenn man der Chronik glauben darf, war in diesem Fall die häßliche Verlegenheit eine doppelte; verständiger als Herr von B., tötete sich niemand von den beiden Liebenden, die von dem gleichen Unwohlsein überrascht wurden.

Die Art, wie man sich beim Nachhausekommen zu benehmen hat, hängt auch von vielen Umständen ab.

Beispiel:

Lord Catesby besaß eine ungeheure Körperkraft. Eines Tages kam er von einer Fuchsjagd zurück, zu der er sich ohne Zweifel nur zum Schein begeben hatte, und ritt auf eine Hecke seines Parkes los, hinter welcher er, wie er sagte, ein sehr schönes Pferd bemerkte. Da er ein leidenschaftlicher Pferdeliebhaber war, so ritt er ganz nahe heran, um es besser bewundern zu können. Hierbei bemerkte er Lady Catesby und sah, daß es höchste Zeit war, ihr zu Hilfe zu kommen, wenn ihm überhaupt etwas an seiner Ehre lag. Er bekommt einen Gentleman zwischen die Finger und unterbricht die unerlaubte Unterhaltung des Paares, indem er den Herrn um den Leib packt; hierauf wirft er ihn über die Hecke hinüber in einen Straßengraben und sagt, ohne sich weiter zu ereifern:

»Merken Sie sich gefälligst, mein Herr, daß Sie künftighin sich an mich wenden müssen, wenn Sie hier irgend was wünschen!«

»Gut, Mylord,« antwortet der Gentleman; »möchten Sie wohl die Güte haben, mir auch mein Pferd herüberzuwerfen?«

Aber der phlegmatische Lord hatte schon seine Frau unter den Arm genommen und sagte ernst zu ihr:

»Ich muß dich ernstlich tadeln, mein liebes Kind, daß du mir nicht Bescheid gesagt hattest, ich müßte dich für zwei lieben. Von jetzt an werde ich dich an allen geraden Tagen für Rechnung des Herrn da lieben und an allen ungeraden für meine eigene.«

Diese Geschichte gilt in England für eines der allerschönsten Beispiele kunstvollen Nachhausekommens. Wirklich vereinigt sie mit einer seltenen Vollendung Beredsamkeit der Gebärde mit Beredsamkeit des Wortes.

Aber die Kunst des Nachhausekommens, deren Grundsätze nur Ableitungen aus dem in unsern vorhergehenden Betrachtungen empfohlenen System der Höflichkeit und der Verstellung sind – diese Kunst des Nachhausekommens ist nichts weiter, als die beständige Vorbereitung ehelicher ›Peripetien‹, mit denen wir uns jetzt beschäftigen wollen.


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