Brigitte Augusti
Mädchenlose
Brigitte Augusti

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Viertes Kapitel

Der Sturm

Den 23. Juni.

Ich habe lange nichts in mein Tagebuch geschrieben, alle unsere Gedanken, unsere Zeit, unsere Hände waren in Anspruch genommen; ich konnte Dir nur den kurzen Brief schreiben, den Du inzwischen wohl erhalten hast.

Schon an dem Tage, als ich zuletzt schrieb, wehte ein rauher Wind, und Herr Klingemann prophezeite einen vollständigen Umschlag des Wetters, das bis dahin ungewöhnlich schön und beständig war. In der Nacht erwachte ich mehrmals von dem unheimlichen Heulen des Sturmes, der sich am Morgen zu einem rasenden Orkan steigerte. Es war ein trauriger Anblick, wie er in den Kronen der alten Bäume wütete und sie zerzauste, daß bald der ganze Boden mit Blättern und abgerissenen Zweigen bedeckt war; wie er die schlanken Stämme der jungen Bäumchen bog, bis sie die Erde berührten und mit wilder Wut alle Blüten von den Gesträuchen riß. Es war, als ob die ganze Natur in heftigem Schmerze ächze und stöhne; mir wurde sehr bange ums Herz, ich konnte es allein in meiner Stube nicht aushalten und flüchtete zu Rose. Sie war ernster, als gewöhnlich; lange standen wir schweigend am Fenster und sahen dem Toben des Sturmes auf dem Hofe zu, wo die Dächer der strohgedeckten Gebäude immer ärgere Lücken zeigten und dichte Staubwolken, mit Strohbündeln und kleinen Steinen vermischt, die Luft verdunkelten.

»Gott verhüte nur in Gnaden, daß heute irgendwo Feuer ausbricht«, sagte Rose, »ich habe es einmal erlebt, daß an einem ähnlichen Sturmtage ein halber Stadtteil niederbrannte, und mein Leben lang vergesse ich nicht den furchtbaren Anblick der lodernden Flammen und das entsetzliche Geschrei der Unglücklichen, die davon betroffen waren.« Sie hatte kaum ausgesprochen, als Herr v. Rothenburg auf den Hof gejagt kam, das Pferd mit Schaum bedeckt, das Haar vom Winde zerzaust. Er band den Schimmel in einer geschützten Ecke fest und kam, so schnell er konnte, auf das Haus zu. »Es ist ein Unglück geschehen«, rief Rose und lief nach der Hausthür, um sie zu öffnen. Ich hörte, wie Rothenburg atemlos nach dem Prinzipal fragte: »es ist Feuer im Nachbardorf, wir müssen sofort Hilfe schicken.« Rose sagte ihm, Herr Klingemann sei drüben im großen Stall – im nächsten Augenblick arbeitete er sich dorthin durch. Es dauerte nicht lange, so entstand ein Laufen und Rufen auf dem Hofe; nach kurzer Zeit rasselte die Feuerspritze ab, mit vier Pferden bespannt und mit zahlreicher Mannschaft versehen; Herr v. Rothenburg und ein jüngerer Beamter folgten auf einem Bretterwagen. Zitternd vor Angst und Schrecken gingen wir zu Frau Klingemann hinüber, wir fanden den Hausherrn dort, der mit ernster Miene im Zimmer auf und ab ging. »Ich selbst kann nicht fort«, sagte er eben, »auch uns kann ein Unglück treffen; wir müssen bei solchem Orkan auf alles gefaßt sein.«

Es war ein düstrer Tag; keiner konnte etwas Rechtes vornehmen, das Heulen des Sturmes störte jede Beschäftigung; man sah nur immer voll Angst heraus, ob auch nicht etwas Unerwartetes geschehe. Niemand wagte unbefangen zu sprechen, die Kinder drängten sich nach den Stunden zusammen, wie ein Häuschen geängstigter Küchlein; wer in ein anderes Zimmer gehen mußte, nahm sich noch jemand zum Trost mit. Der arme Bruno war sehr elend und lag zu Bett; Frau Klingemann saß fast immer bei ihm. Beim Vespern schlug Fräulein Lietzner vor, wir übrigen wollten alle zusammen bleiben und uns etwas vorlesen. Wir scharten uns um sie, Rose und ich lasen abwechselnd aus den »Erinnerungen eines alten Mannes« von Kügelgen, das fesselte die Gedanken und zerstreute uns etwas. Allmählich ließ der Sturm nach, doch war es draußen trübe und düster, obgleich die Sonne noch hoch am Himmel stehen mußte.

Plötzlich hörte man einen Wagen rollen und vor dem Hause halten; alle sprangen auf und eilten an die Thür. Es war der Bretterwagen, mit dem die beiden Herren fortgefahren waren; auf Stroh gebettet lag eine leichenblasse Frau darauf, ein kleines Mädchen kauerte zu ihren Füßen – das Ganze sah unbeschreiblich traurig aus.

»Was ist geschehen?« sagte Fräulein Lietzner.

»Die Frau ist schwer verletzt«, erwiederte Herr v. Rothenburg in fliegender Eile, »ihr Haus niedergebrannt, wenig gerettet, dort konnte sie nicht bleiben, kann sie hier untergebracht werden?«

Fräulein Lietzner eilte zu kurzer Rücksprache zu Frau Klingemann; schleunigst wurde in einer unbewohnten Stube ein Bett bereitet; wir alle halfen, so gut wir konnten; alle Dienstboten wurden gerufen, um die arme Kranke auf ihr Lager zu tragen. Sie stöhnte leise, wie in großen Schmerzen, und verlor das Bewußtsein.

»Hier können wir nichts thun«, sagte Rose zu mir, »wir wollen das Kind an uns nehmen.«

Die arme Kleine war auch fast ohnmächtig; wir trugen sie in Rosens Zimmer und legten sie auf das Sofa, rieben ihr Hände und Füße und flößten ihr etwas Wein ein. Sie brach zuerst in lautes Weinen aus, beruhigte sich aber allmählich und erzählte uns, so gut sie konnte, ihr Vater sei ein Zimmermann, der auswärts arbeite und nur zum Sonntag nach Hause käme. Was würde er sagen, wenn er nun käme und nichts fände? Das Haus wäre verbrannt und die Kuh auch; Mutter hätte sie aus dem Stall ziehen wollen, aber da sei das Dach heruntergefallen, und hätte der fremde Herr sie nicht hervorgezogen, so wäre sie auch verbrannt. Schon bei den letzten Worten fielen dem Kinde die Augen zu, und wenige Minuten später lag es im tiefsten Schlaf. Wir deckten es warm zu und setzten uns flüsternd ans Fenster.

»Wie ich darauf brenne, näheres von dem Feuer zu hören!« sagte Rose. »Ich könnte darauf schwören, Rothenburg hat sich wie ein Held benommen.«

»Meinen Sie? für gewöhnlich macht er doch einen recht blasierten Eindruck.«

»O, das ist nur ein Anschein, den sich diese vornehmen jungen Herren geben, welchen das Glück von der Wiege an gelächelt hat; in der Stunde der Gefahr entwickeln sie einen Löwenmut.«

Als wir abends zu Tische kamen, war Rothenburgs Platz leer; auf die Frage, wo er sei, antwortete der Inspektor: »Er schläft, und da er den ganzen Tag übermenschlich gearbeitet hat, so mochte ich ihn nicht wecken.« Rose nickte mir verständnisvoll zu. Auf Frau Klingemanns Bitte erzählte der Beamte ungefähr folgendes: »Es war die höchste Zeit, daß wir mit unserer Spritze kamen, das Feuer raste wie toll und drohte das ganze Dorf zu verzehren; die Leute hatten ganz den Kopf verloren, jeder war nur auf sein Eigentum bedacht. Herr v. Rothenburg stellte sich gleich an die Spitze, und da er zugriff, wie der geringste Mann, und die verständigsten Anordnungen traf, so fand er bei den Dorfbewohnern allmählich Gehorsam, und seiner Umsicht gelang es, das Feuer auf einen kleinen Teil des Dorfes zu beschränken. Als wir schon glaubten, die Gefahr sei vorüber, rennt auf einmal die Frau, die wir herbrachten, auf einen brennenden Stall zu, reißt die Thür auf und will ihre jämmerlich brüllende Kuh retten. Es war die höchste Thorheit, denn das Dach stürzte im nächsten Augenblick zusammen, und wäre nicht Rothenburg zugesprungen und hätte die Frau aus den brennenden Trümmern herausgerissen, sie wäre ebenso elend verbrannt wie die Kuh. Ihm selbst war der ganze Rock versengt, auch Haare und Bart, und es war ein Wunder, daß nicht ein größeres Unglück geschah.«

Wir drückten uns heimlich die Hände, und als Frau Klingemann uns beauftragte, dafür zu sorgen, daß Herr v. Rothenburg ein gutes Abendbrot erhielte, eilten wir hocherfreut in die Speisekammer und suchten das Beste zusammen, was wir finden konnten. Rose arrangierte alles aufs zierlichste, eine Flasche Wein wurde dazu gestellt und das Theebrett ringsum mit frischen Lorbeerblättern besteckt, die wir heimlich von Tante Emmas großem Baum abpflückten.

»Sehen sie, daß ich recht hatte?« sagte Rose mit leuchtenden Augen, »daß er wirklich ein Held ist? O ich wollte, ich könnte ihm meine Verehrung, meine Dankbarkeit für seine edle That irgendwie kundgeben! Es ist so herrlich, solchen großen Menschen zu begegnen! – Wenn nur die versengten Haare seiner Schönheit keinen Abbruch thäten! Aber nein, sie können sie nur erhöhen, sind sie doch die redenden Zeugen seiner Großherzigkeit.«

Rose erschien mir höchst liebenswürdig in ihrer Begeisterung, die ich innerlich teilte, ohne ihr einen so lebhaften Ausdruck zu geben. Ich hoffe nur, es ist nicht Liebe, was sie für ihren Helden fühlt, denn ich fürchte sehr, die würde doch nicht erwidert werden.

Am nächsten Morgen kam der Doktor und erklärte die Verletzungen der Frau Neßler, so heißt die kranke Frau, zwar für sehr bedeutend, aber nicht gefährlich, bei sorgfältiger Pflege könne sie in einigen Wochen hergestellt sein, doch wäre ein abermaliger Transport bedenklich. So wurde denn beschlossen, sie und ihr Kind hier zu behalten und sie vollständig auszupflegen. Ist das nicht schön und gut? Fräulein Lietzner war noch nicht einen Augenblick vom Krankenbett gewichen, sie hatte die ganze Nacht dort gewacht. Und das alles thun die Leute hier so einfach, als ob es ganz selbstverständlich wäre; deshalb wirkt ihr Beispiel mehr, als die eindringlichste Predigt über die Barmherzigkeit. Rose zog mich auf die Seite. »Was meinen Sie, Erna, wollen wir beide nicht das kleine Lieschen adoptieren, solange sie hier im Hause ist? Ich denke, Sie haben Geld, ich habe freilich nur Lust und Liebe zur Sache, aber ich will gern arbeiten. Die Leute haben ihr Hab' und Gut verloren, Lieschen hat nur die paar Sachen, die sie auf dem Leibe trägt, wir wollen sie ausstatten und wie ein paar rechte Mütter für sie sorgen.«

»Liebe, gute Rose,« erwiderte ich tief gerührt, »das ist ein herrlicher Gedanke, und ich habe Sie doppelt und dreifach lieb dafür. Aber nun müssen wir auch wie Schwestern zu einander stehen – bitte, nenne mich du.«

Sie fiel mir um den Hals und überschüttete mich mit einer solchen Flut von Küssen, daß ich dem Ersticken nahe war. Helle Thränen standen in ihren Augen, aber ihr Mund lachte. »O ich habe dich schon lange furchtbar lieb, sagte sie; anfangs hielt ich dich für eine hochmütige kleine Prinzessin, die hier mit Verachtung auf alles herabsähe; aber so bist du gar nicht, du bist nur so unwissend wie ein neugeborenes Kind in allem, was in einem großen Landhause vorgeht, und dein Erstaunen war nur die reine kindliche Unschuld. Du bist ein liebes, süßes, kluges Mädchen, und ich bin ganz glücklich, daß du mir auch gut bist.«

Ich holte mein Geld hervor, und wir machten einen Überschlag; Rose berechnete sehr verständig, was ich selbst davon brauchen würde, »denn,« sagte sie, »du darfst nur den Überschuß verwenden und nicht mehr von deinen Eltern fordern, als sie dir für diese Zeit zugedacht hatten; es ist aber auch übergenug, und unser Kind kann sehr zufrieden sein.« Wir gingen zu Fräulein Lietzner, um ihr unsern Plan vorzutragen; sie lobte uns freundlich, ohne von unsern Edelmut viel Aufhebens zu machen, ging bereitwillig auf unsere Gedanken ein und gab uns viele gute Ratschläge.

»Bittet nur um einen Wagen nach der Stadt,« riet sie uns, »und macht eure Einkäufe selbst, schriftliche Bestellung ist lange nicht so praktisch.«

Herr Klingemann bewilligte unsere Bitte, und wir rüsteten uns eben, am Nachmittag unsere kleine Reise zu unternehmen, als Frau Klingemann uns zu sich beschied.

»Meine lieben Mädchen,« sagte sie, »ich muß eine ernstliche Sache mit euch besprechen. Herr v. Rothenburg hat dringender Geschäfte wegen gebeten, mit nach der Stadt zu fahren, es wäre schwer, ihm das abzuschlagen. Leider bin ich durch Bruno, Tante Emma durch die Kranke gefesselt; keine von uns kann als dame d'honneur mit euch fahren. Könnt ihr mir nicht versprechen, euch so zu benehmen, daß niemand Ursache hat, sich über die Zusammensetzung eurer Gesellschaft aufzuhalten, so müßt ihr zu Hause bleiben; ich kann dann allenfalls die Wirtin schicken, um eure Besorgungen zu machen.«

Rose küßte der lieben Frau die Hand. »Die Ermahnung gilt doch nur mir, denn Erna ist gesetzt und verständig für zwei. Ich werde mich ihr ganz fügen; sobald ich die Grenze des Erlaubten irgend überschreite, braucht sie mich nur am Ärmel zu zupfen, ich verspreche pünktlichen Gehorsam. Wir möchten so gern selbständig für unser Kind sorgen.«

»Gut,« versetzte Frau Klingemann, »ich vertraue euch. Gieb deiner Bewunderung für Herrn v. Rothenburgs Thaten keinen allzu lebhaften Ausdruck, mein Röschen; man muß das wahrhaft Gute nicht durch zu lautes Lob entweihen. Nun fahrt mit Gott, ihr Lieben, auf glückliches Wiedersehen!«

Unser Kavalier, der auch diesmal nicht bei Tische erschienen war, kam erst, als wir schon im Wagen saßen, begrüßte uns sehr flüchtig und drückte den breitkrämpigen Hut tief ins Gesicht. Der Anfang unserer Fahrt war sehr still. Überall sahen wir die Spuren des furchtbaren Sturmes, viele Menschen waren beschäftigt, umgebrochene Baumstämme und herabgerissene Äste zu beseitigen; die kleinen Höfe, an denen wir vorüberkamen, sahen meist jämmerlich mitgenommen aus, die Strohdächer zerzaust, die Ställe zum Teil umgeworfen, in den Gärten, auf den Feldern traurige Verwüstungen, aber überall sah man fleißige Hände geschäftig, um die Schäden auszubessern. Die Sonne schien wieder hell, die Luft war still, aber auffallend abgekühlt, im Schatten war es ordentlich kalt. Rose brach zuerst das Schweigen.

»Ist Ihnen nicht kalt, Herr v. Rothenburg? wir haben mehrere Plaids und eine Decke hier und könnten Ihnen leicht etwas abgeben.« Er dankte ziemlich kurz.

»Ich hoffe, Sie haben bei Ihrem gestrigen Rettungswerk keinen Schaden genommen?« fragte sie weiter.

»Durchaus nicht, mein Fräulein.«

»Wir haben mit warmer Teilnahme davon gehört,« fuhr sie, unbeirrt durch seine Einsilbigkeit, fort; »es wird Sie freuen, zu hören, daß es Frau Neßler verhältnismäßig gut geht.«

»Wer ist Frau Neßler?«

»Die Frau, die Sie mit so edler Aufopferung gerettet haben! sie bleibt bei uns im Hause bis zu ihrer Genesung. Ob der Mann schon von seinem Unglück unterrichtet ist?«

»Ich weiß nicht.«

»O, ich dachte, Sie würden sich für die Leute interessieren, für die Sie so Großes gethan haben.«

»Ich habe nur Herrn Klingemanns Auftrag erfüllt, bei dem Feuer an seiner Stelle nach dem Rechten zu sehen.«

Es lag eine so herbe Abwehr in seinem Ton, daß ich Rose, die schon wieder den Mund öffnete, energisch am Ärmel zupfte. Sie sah mich mit komischer Verzweiflung an, gedachte ihres Versprechens und schwieg.

In der Stadt angekommen, verabredeten wir mit unserm Begleiter, uns nach zwei Stunden an einer bestimmten Stelle zu treffen. Wir eilten an unsere Besorgungen, und wieder mußte ich Rose bewundern, die alles so umsichtig einzurichten wußte, an alles dachte und für geringes Geld ganze Berge von Sachen einkaufte. Als wir an den Platz unsres Rendezvous kamen, war Rothenburg noch nicht da; Rose beschloß daher, noch einige vergessene Kleinigkeiten zu holen; ich wartete dort, damit man uns nicht vergebens suche. Nach einigen Minuten kam unser Kavalier, der ganz verändert aussah; offenbar hatte er Haare und Bart stark verkürzen lassen, auch trug er einen andern, weniger verschattenden Hut. Ich bat ihn, die Verzögerung zu entschuldigen, Rose müsse gleich kommen.

»Ich fürchte, gnädiges Fräulein, Sie haben oft sehr unter Fräulein Grunds Zungenfertigkeit zu leiden,« sagte er, »Sie sind so viel mit ihr zusammen.«

»Sie verkennen meine Freundin, Herr v. Rothenburg,« sagte ich ernst, »sie hat ein so liebes, warmes Herz, daß man ihr niemals böse sein kann. Ich begreife, daß es Ihnen widerstrebt, von den gestrigen Erlebnissen zu sprechen, aber wenn Rose danach fragte, geschah es sicher nicht aus bloßer Neugierde, sondern aus aufrichtiger, herzlicher Teilnahme für alles Gute und Edle.«

»Aber warum zeigt sie diese Teilnahme nicht lieber durch ein beredtes Schweigen, wie – andere Leute? es ist so viel wohlthuender.«

»Sie können nicht verlangen, daß wir alle nach einer Schablone handeln sollen; sie ist eben eine lebhafte Natur, und das Herz fließt ihr über.«

»Wie schön Sie zu verteidigen wissen, gnädiges Fräulein, Sie haben mich beinahe überzeugt.«

»Nur beinah? das ist sehr wenig – doch da kommt Rose.«

Seitdem ist Herr v. Rothenburg viel zugänglicher, als früher; schon auf der Rückfahrt zeigte er sich recht liebenswürdig und erzählte sogar einiges vom Feuer. Rose benahm sich aber sehr zart dabei und hielt ihre Bewunderung zurück, so daß wir in bestem Einvernehmen zu Haus ankamen.

Nun begann eine große Thätigkeit; mit Fräulein Lietzners Hilfe schnitten wir Wäsche, zwei Kleider und einige Schürzen zu und gingen mit Eifer an die Arbeit. Nur die Nähmaschine baten wir uns aus, jede weitere Hilfe wurde abgelehnt, wir wollten ganz selbständig für Lieschen sorgen. Ich allein hätte freilich keinen Rat gewußt, aber unter Rosens Anleitung fördere ich allmählich ganz brauchbare Dinge zu Tage. Rose hat Lieschen ganz unter ihre Obhut genommen, das Kind schläft bei ihr und sitzt wohl dabei, während wir nähen, und wir haben bei unserer Arbeit oft lange Unterhaltungen mit ihr. Für ihre sechs Jahre ist sie in vielen Stücken merkwürdig klug, doch hat sie noch nichts gelernt, und ich will sie in die ersten Anfänge des Lesens und Schreibens einführen. Rose wird sie nähen und stricken lehren, damit sie von ihren »Müttern« einen bleibenden Nutzen empfängt.

Heute trat ich um 6 Uhr in Rosens Zimmer – Du siehst, wir machen frühen Tag, – Lieschen schlief noch, sie selbst aber saß schon mit der Arbeit am offenen Fenster.

»Ich habe einen Gedanken, Erna«, sagte sie, als wir uns fleißig nähend gegenüber saßen; da unser erstes Kompaniegeschäft so gut ausfällt, wollen wir noch ein zweites unternehmen. Du hast offenbar sehr viel gelernt, ich leider ziemlich wenig, kannst du mir nicht von deiner Gelehrsamkeit etwas abgeben?«

Ich war ganz entzückt von dieser Idee, und wir verabredeten, die Stunden zwischen Mittag und Vesper dem gemeinsamen Studium zu widmen. O liebe Mama, wie glücklich würde ich sein, wenn ich Rose dadurch wesentlich nützen könnte! Es wäre der erste Anfang einer wirklichen Leistung, nicht wahr?

Den 27. Juni.

Gestern, am Sonntag, kleideten wir unser Kind in seine neuen Sachen ein, in denen es auffallend niedlich aussah, und führten es im Triumph zu Frau Neßler, welche von Kissen unterstützt im Bette saß und etwas weniger blaß aussah als seither. Sie dankte den lieben Fräuleins mit einer solchen Inbrunst und so vielen Thränen, daß ich ganz beschämt war, und bewunderte Lieschen dann mit solcher Ausdauer und Überschwenglichkeit, daß Fräulein Lietzner der Sache ein Ende machte. Vormittag erschien der Mann, um die Seinen zu besuchen; er macht einen recht intelligenten Eindruck und war sehr dankbar, aber auch sehr niedergeschlagen; der Verlust des Häuschens und der Kuh ist doch ein sehr schwerer für die Familie. Wer doch auch hier noch helfen könnte! Allerlei Pläne und Gedanken schwirren mir durch den Kopf. –

Zum Nachmittag hatten wir eine Einladung auf ein Nachbargut; Fräulein Lietzner fuhr mit uns beiden und den Kindern zum Kaffee hin, Herr Klingemann und Herr v. Rothenburg folgten später. Wir fanden all die jungen Mädchen und Herren dort, die an unserer hübschen Partie nach dem Johannesplatz teilgenommen hatten, doch fühlte ich mich ziemlich fremd unter ihnen und war herzlich froh, als mich Rothenburg zu Tisch führte. Er war ungewöhnlich gut aufgelegt, und wir unterhielten uns vortrefflich; wenn er seinen etwas blasierten Ton ablegt, kann er sehr interessant sein. Er erzählte mir manches von seiner schönen Heimat und seinen Eltern, deren einziger Sohn er ist, und sprach mit Zärtlichkeit von seiner jüngeren Schwester; sie wäre ein liebes kleines Ding mit großen blauen Kinderaugen, das mit einer ganz wunderbaren Liebe an ihm hinge. Ich sagte, daß ich das gar nicht merkwürdig fände; wenn ich einen älteren Bruder hätte, würde ich ihn auch unsäglich lieben, freilich müßte er aber auch ein Musterbild jeglicher Tugend sein, groß und schön an Leib und Seele.

»Also wohl ganz anders, als ich?« fragte er.

»Er dürfte Ihnen an Unerschrockenheit und Energie bei Feuersbrünsten ähneln, aber gegen meine Freundinnen müßte er viel liebenswürdiger und toleranter sein.« Er lachte, und wir sprachen von andern Dingen.


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