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Zwölftes Kapitel.
Er und sein Bruder

Tat twam asi! – Das bist du!

(Indische Weisheit)

 

Den zunächst nur rätselhaften, aber in seiner absichtlichen Rätselhaftigkeit doch etwas erschreckenden Brief seines treuen Subdirektors in Händen, unterbrach er sofort seine neugierige Bildungsreise, die man auch eine Kavalierstour nennen könnte, wäre der österreichische Kavalier mit seiner schwachen Währung nicht überall zur äußersten Sparsamkeit verurteilt gewesen, und eilte ohne Übereilung auf dem kürzesten Weg nach Wien zurück. Der kürzeste Weg führte über Antwerpen, Brüssel, Lüttich den Rhein hinauf und dann über Stuttgart und München. Er nahm immerhin den Zeitverhältnissen entsprechend ungefähr drei Wochen in Anspruch, die man zum Urlaub noch hinzuschlagen konnte, denn der nächste Brief erwartete den Eilenden erst in München. Es gab allerhand zu sehen unterwegs, die schönen Bilder in den holländischen Museen und die lieblichen Landschaften den Rhein entlang, die an die österreichische Wachau in einigem Abstand erinnerten. Auch an munterer Gesellschaft und Reisegefährten, über die man sich im Tagebuch lustig machen konnte, fehlte es nicht. In Stuttgart leerte der treudeutsche Butzenscheiben-Lyriker Ludwig Uhland eine Flasche Rheinwein mit dem Sangesbruder aus Österreich, der sich über die möglichen Gründe seiner plötzlichen Rückberufung augenscheinlich nicht allzu weit von seiner ewigen Dichtersorge ablenken ließ. Wahrscheinlich, mochte der in Urlaubsüberschreitungen Bewanderte bei sich denken, ist es meinem Herrn Minister nicht recht, daß ich so lang fortbleibe. Nun, in diesem Falle würde er ihm wieder einmal unter die Nase reiben, wie zuletzt vor fünf Jahren, daß er auch die Zeit, die er nicht im Amt verbringe, bekanntermaßen dazu verwende, um Österreich Ehre zu machen. Aber diesmal handelte es sich um etwas ungleich Ernsteres, wie er aus einem zweiten Briefe Karajans in München erfuhr. Karl Grillparzer war unter Mordverdacht verhaftet worden.

Karl war von jeher das schwarze Schaf in der Familie, die dem Verewiger ihres Namens auch sonst wenig Freude machte. Sie bestand, das mußte man sagen, aus zumindest höchst ungewöhnlichen Leuten, vom Vater angefangen, der, ein despotischer Pedant und unversöhnlicher Nörgler, den achtzehnjährigen Franz, der ihm weinend die Hand küssen will, von seinem Sterbebette weist mit den unversöhnlichen Worten: »Jetzt ist es zu spät!« Seine Lieblingswendung, wenn ihm der heranwachsende Franz ein eben aus dem Ei gekrochenes Gedicht zeigte, war: »Du wirst auf dem Mist krepieren!« Denn er wollte einen Nachfolger für seine Kanzlei, aber keinen Dichter erziehen. Ein großer Charakter, aber was für ein Vater. Und die beamtenadelige, klassenbewußte, frömmelnde Mutter, die sich, wenn sie zur Kirche geht, vom Bedienten das Gebetbuch nachtragen läßt, sich durchaus als eine »Sonnleithnerische« fühlt und als Witwe Grillparzer sich neben ihrem Bette erhängt. Dann das Brüderchen Adolf, der Sängerknabe und Konviktszögling, der, nachdem er seine kindliche Gesangsstimme verloren hat, als Kaufmannszögling ins »Stellen« kommt und von Reue angefochten siebzehnjährig in die Donau geht, nicht ohne vorher einen unorthographischen Brief an die Mutter zu richten, worin er auch den großen Bruder beschwört, wenn er jemals heiraten sollte, seine Kinder besser zu erziehen. Bruder Camillo, um ein paar Jahre älter als Adolf, war zugleich Gerichtsschreiber, Komponist und Schuldenmacher; ein Rondo von ihm war von Schumann gelobt worden, was nicht hinderte, daß Grillparzer mancherlei materielle Lasten für ihn zu tragen hatte. Bruder Karl schließlich, der jetzt in Rede stand, war nur ein Jahr jünger als Franz, der erst unlängst eine Kaution für ihn aufbringen und die Kosten seiner Übersiedlung hatte zuschießen müssen. Jetzt hatte er an dem damals heiß erstrebten neuen Dienstort einen Mord begangen oder behauptete, ihn begangen zu haben, was beinahe ebenso schlimm war, denn, wenn er nicht gemordet hatte, war er wahnsinnig, und wenn er nicht wahnsinnig war, hatte er jemand ermordet. Blutsverbrecher oder Geisteskranker, das waren die beiden Möglichkeiten, die Franz auf der Fahrt von München nach Wien im rumpelnden Postwagen abwechselnd erwog, mit der Abfassung einer Denkschrift beschäftigt, die Bruder Karl herausreißen sollte.

Bruder Karl war weder ein Mörder noch ein Irrsinniger, aber er war, es ließ sich nicht leugnen, ein Grillparzer, wenn auch leider ein auf den Kopf gefallener. Eine kindliche Gehirnerschütterung machte ihn, wie die brüderliche Denkschrift es schonungsvoll ausdrückt, »zu Studien weniger geeignet«. Darum wurde er, so fährt sie fort, »dem Kaufmannsstande gewidmet«, dem er sich in Znaim, in sicherer Entfernung von Wien, als Lehrling schrittweise nähert. Die Schritte, die er unternahm, führten ihn hin und wieder auch nach Wien zurück, wenn er sich mit seinem Lehrherrn nicht vertrug und, ohne viel Worte zu machen, einfach durchging. Das tat er alsbald auch als Soldat, indem er bereits 1808 einmal desertierte, dann ohne besondere Schwierigkeiten wieder eingestellt und, von den Franzosen im unglücklichen Neunerjahr gefangengenommen, »während seines Ausseins Frankreich diente«, wie seine späteren Militärakten vermerken. Das hatte zur Folge, daß die Familie fünf volle Jahre nichts mehr von ihm hörte. In dieser Epoche seines abwechslungsreichen Lebens war er Mitglied der französischen Fremdenlegion, einer Hochschule für Abenteurer. Dann wurde er, nach Wien zurückgekehrt, in jähem Wechsel Gefällsdiener, später Aufseher bei der »Bankal-Verwaltung«, eine etwas zauberhaft klingende Benennung, die, entzaubert, nichts Geringeres, aber auch nichts Höheres als »Finanzwache« bedeutet. Ein »Finanzwächter« ist nach soldatischen Begriffen das Gegenteil eines Helden, aber der Mut, mit dem Bruder Karl mit einer sich mehrenden Familie dem Hunger trotzte, mochte, auf viele Jahre verteilt, doch auch etwas Heldenhaftes haben. Immerhin, man vertraute seinem Heldentum nicht recht, und anläßlich seiner Beförderung zum Aufseher in Großgmain bei Salzburg – eine Weltstadt im Vergleich zu seinen früheren Dienstorten – verlangte der Staat eine Kaution. Die bestritt wiederum der Bruder, der auch eine regelmäßige monatliche Unterstützung schickte. Als er nach London fuhr, schärfte er seinem Vertreter die pünktliche Absendung des Monatsbeitrags für April und Mai ein, der auch am 3. Mai abging. Aber eine Laune der österreichischen Post wollte es, daß er erst am 15. Mai in Großgmain anlangte. Und in diesen zwölf Tagen entschied sich Karls und fast auch Franzens Schicksal.

Das erste, was Bruder Karl unternahm, als die monatliche Sendung ausblieb, war, daß er nicht mehr ins Amt ging. War das grillparzerisch gehandelt? Vielleicht. Aber sicher war es in der Richtung familiärer Charakterentwicklung gelegen, daß er trotzdem tagelang vor dem Amtsgebäude auf und ab ging, von Reue darüber gequält, daß er sein Amt vernachlässigte. Der Mann hatte ein durch nichts einzuschläferndes Gewissen, das übrigens auch der kleine Ladendieb Adolf besaß, wie aus seinem Abschiedsbrief an den großen Bruder hervorging. War dieses trostlose stundenlange Aufundabgehen, das in einer kleinen Stadt kein Geheimnis bleibt, schon merkwürdig und auffallend genug, so machte es geradezu einen unheimlich pathologischen Eindruck, daß er schon im April, als er sich zu diesem Verhalten entschlossen hatte, niemand grüßte, mit niemand sprach und sichtlich auch von niemand angesprochen sein wollte. War es wirklich nur die Besorgnis, daß dem Bruder Franz »etwas zugestoßen« sein konnte, was ihn an der Einhaltung des Zahlungstermins verhinderte? Oder waren für seine offensichtliche Schwermut auch noch andere Gründe maßgebend, etwa ein Abgang in der Amtskasse, den er durch Nichtöffnen der Kasse eine Zeitlang verheimlichen zu können hoffte? Als dann aber auch der Maitermin spurlos an ihm vorüberging, verschwand er aus Großgmain, wahrscheinlich weil er seiner Frau und seiner Familie nicht mehr unter die Augen zu treten wagte. Dann sah man ihn noch drei Tage lang im benachbarten Salzburg ziellos durch die Gassen zigeunern, ein Papier in der Hand, in dem zu lesen er sich den Anschein gab. Dann machte er sich zu Fuß auf den Weg nach dem dreihundert Kilometer weit entfernten Wien. Um diese Zeit war es allerdings bereits ruchbar geworden, daß in der Amtskasse 41 Gulden und einige Kreuzer fehlten. Es war dies sein offenbar äußerst ökonomisch bemessenes Reisegeld.

Amtsveruntreuung? Der große Bruder, in seiner unterwegs konzipierten Eingabe an das Gericht, widerspricht einer derartigen Vermutung mit dramatischer Entschiedenheit. Er, Karl, sagt er, hätte sich in Salzburg an mindestens zwanzig seiner Bekannten wenden können, die ihm das Doppelte, »ja das Drei- und Vierfache« dieses Betrages als Darlehen zur Verfügung gestellt haben würden. Das Drei- bis Vierfache von 41 Gulden! Man sieht, wie vorsichtig Grillparzer die Kreditmöglichkeiten seines Bruders abschätzt. Übrigens spielten diese 41 Gulden sichtlich keine große Rolle, sei es, daß sie durch Karls Kaution gedeckt waren oder, was wahrscheinlicher, daß Franz gleich nach seiner überstürzten Rückkehr den Fehlbetrag ersetzte unter Hinweis darauf, daß er in den Sparbüchsen der Kinder seines Bruders nahezu vorhanden war, was er in seiner Eingabe unter Beweis stellt.

Blieb immerhin der Mord, dessen sich der unangenehme Bruder, bemitleidenswert wie er ansonsten war, selbst beschuldigte. Kaum in Wien warm geworden, verließ Karl eines Morgens sein Versteck, ging am Pranger vorbei über den Hohen Markt aufs Rathaus, ließ sich beim Vizebürgermeister Hollan melden, der die Kriminalabteilung der Stadt Wien leitete, und trat ihm mit den Worten entgegen: »Mein Name ist Grillparzer. Ich hab' einen Handwerksburschen im Wald erschlagen!« Er wurde sofort in Haft genommen.

Wie verhält sich der große Dramatiker zu dieser Selbstbezichtigung des mörderischen Phantasten? Er widmet ihr einen einzigen kategorischen Satz in seiner breit ausgeführten Eingabe. »Daß er den Mord, dessen er sich anklagte, nicht begangen, liegt am Tage.« Fertig. Aber gleichzeitig baut er vor, indem er die Unzurechnungsfähigkeit des Bruders mit Hinweis auf seine kindliche Gehirnerschütterung und andere spätere Erschütterungen seines bewegten Privatlebens unter Beweis stellt. Wieder erweist er sich wie im Falle Campo Vaccino als ein zu allem entschlossener und vor keinem Widerspruch zurückschreckender Verteidiger in Strafsachen, indem er einerseits die Unschuld Karls behauptet, anderseits seine Zurechnungsfähigkeit bestreitet. Was einigermaßen an das berühmte Beispiel vom zerbrochenen Topf und dem abzuweisenden Schadenersatzanspruch erinnert: Erstens hab' ich den Topf ganz zurückgegeben und zweitens war er schon zerbrochen, als ich ihn erhielt.

Kurz nach der Heimkehr des großen Dichters, der, wie Beethoven, ein Märtyrer seiner Familie war, resolvierte sich das Wiener Kriminalgericht, daß der Beschuldigte Karl Grillparzer »… auf Grund dieser Darstellung (Grillparzers Denkschrift) und des Gutachtens der Ärzte als mit melancholischem Wahnsinn behaftet von der oberennsischen Gefällen-Verwaltung mit halbem Gehalt, das ist mit 150 Gulden jährlich, quiesciert« werde. Hundertundfünfzig Gulden im Jahre sind ungefähr zwölf Gulden monatlich, nicht eben viel für den Erhalter einer Familie, aber auf fünfundzwanzig Jahre verteilt, so lange lebte Karl noch, immerhin ein Betrag von, Zinsen und Zinseszinsen eingerechnet, 6000 bis 7000 Gulden. Darf man aus dieser Summe den Schluß ziehen, daß die Unschuld Karls, zumindest was den Mord betrifft, seinem Geständnis zu Trotz tatsächlich »am Tage lag«? Der Fall scheint aber, schon als Rechtsfall, eingehender Betrachtung wert, die nur dadurch erschwert ist, daß die Akten des Kriminalgerichtes Wien, in denen er wohl aufbewahrt war, anläßlich des Brandes des Wiener Justizpalastes, Juli 1927, in Feuer aufgegangen sind.

Aber selbst wenn Karl, wie wir annehmen wollen, den Mord an einem nicht nachzuweisenden Handwerksburschen nicht begangen hat, kein Mörder, sondern nur ein phantasievoller Fremdenlegionär war, bleibt die Frage offen, warum dieses merkwürdige Familienmitglied, um seine Lage zu verbessern, sich eines Mordes so eindringlich verdächtigte, daß man ihn sofort in Gewahrsam nahm?

Nun, vielleicht hat er durch diese Selbstbezichtigung seine Lage tatsächlich verbessert. Denn abgesehen davon, daß für den Häftling, der er nun war, der Staat zu sorgen hatte, wogegen er sich andernfalls für die Dauer der Abwesenheit seines noch immer auf Reisen begriffenen Bruders selbst hätte verpflegen müssen, wozu die offenbar zu Ende gehenden 41 Gulden nicht mehr reichten, schloß er durch sein reumütiges Geständnis, wenn es eines war, noch andere Wetten mit dem Schicksal, wie sie in der Familie nun einmal üblich waren. Die eine Möglichkeit war, daß sie ihm den Handwerksburschen glaubten und ihn aufknüpften, dann war, was er tat, nur ein anderer, diesmal geglückter Selbstmord, um den sich andere bemühen mußten – ein Gedankengang, der ihm nicht fernelag, denn es wäre nicht der erste Selbstmordversuch weder in seinem Leben noch in der Familie gewesen. Oder aber sie glaubten ihm nicht, dann mußten sie ihn für verrückt erklären, und damit war, auch diesmal wieder »wie durch ein halbes Wunder«, wie Franz es ausdrücken wird, der Abgang aus der Amtskasse entschuldigt und die Ehre der Familie gerettet. Was der vermeintliche Narr Karl Grillparzer tat, war also vielleicht das Klügste, was ein besonnener Mann in seiner bedrängten Lage tun konnte, wenn es auch ein gewagter Ausweg war. Um so besser, wenn er das war. Karl war ja nicht nur ein Fremdenlegionär im Ruhestand, sondern auch der Bruder seines Bruders. Der Augenblick, in dem er dem ahnungslosen Vizebürgermeister Hollan im Magistratssaal der Stadt Wien mit der wie hingestreuten Bemerkung: »Ich hab' einen Handwerksburschen gemordet!« entgegentrat, brachte zumindest etwas theatralische Abwechslung in sein ansonsten aschgraues, ja geradezu ödes Dasein eines kleinen Staatsbeamten in Großgmain. Es war genau wie bei seinem Bruder, wenn er sich aus der Tragödie seines Lebens in eine nur geträumte Tragödie rettete.

*

»Genie und Verbrechen« ist der Titel eines berühmt gewordenen Buches des Italieners Lombroso, durch das der Beweis erbracht wird, daß die höchsten Leistungen des Menschen und seine gefährlichsten Entgleisungen oft auf dieselben halb oder ganz pathologischen Antriebe zurückzuführen sind. Wie immer sich dies verhalten mag, läßt sich nicht in Abrede stellen, daß in der Persönlichkeit und im Charakter Franz Grillparzers auch einige brüderliche Elemente enthalten sind – und umgekehrt. Aus einer gefährlichen Mischung von Phantasie und Gewissen entspringen seine Tragödien – entspringt vielleicht die Tragödie überhaupt –, und das Verhalten Karls weist in die gleiche Richtung. Schizophrenie, Bewußtseinsspaltung, nennen die Psychiater das Vergehen eines sonst anständigen Finanzwächters von erblicher Belastung, der einen Handwerksburschen erschlägt oder erschlagen haben will. Auf ein gespaltenes Bewußtsein beruft sich dann der sein Lamm verteidigende Verteidiger. Aber setzt es nicht auch eine Art Bewußtseinsspaltung voraus, wenn einer als Archivdirektor im Finanzministerium bis zwei Uhr nachmittags griesgrämig seines Amtes waltet, um dann, Streusand drauf, fünf Minuten nach zwei als Leander über den Hellespont zu schwimmen oder als Kaiser Rudolf II. auf dem Prager Hradschin die Goldmacherkunst zu betreiben?

Wo beginnt die Veruntreuung an der Amtskasse der Wahrheit, deren Bruder Karl sich zweifelsohne schuldig gemacht hat? Wo endet sie? Lügt nicht auch der wahrheitsliebende Dichter, schwindelt er uns nicht unter Umständen sogar Mordtaten vor, die er ungestraft andere begehen läßt? Wieviel Morde hat Shakespeare auf dem Gewissen, von etwas geringeren Untaten wie etwa der Entfesselung großer Kriege gar nicht zu reden? Cäsar und Macbeth waren gleichermaßen nicht sicher vor seinen Dolchen und Messern. »Verhinderte Verbrecher« nennt Arthur Schnitzler einmal in einer nur halb scherzhaft gemeinten Dialogwendung seine Kollegen in Apoll, die Dichter.

Ähnliche Gedankengänge mögen den großen österreichischen Dichter Franz Grillparzer beunruhigt haben, als er, nach erledigtem Strafakt, erfrischt von seiner Reise, wie er trotz alledem war, an die Ausarbeitung eines neuen Stückes ging, einer Komödie diesmal, eines hohen Scherzspiels um Lüge und Wahrheit, das er »Weh dem, der lügt« überschreibt.

Weh dem, der lügt! Das klingt drohend, war aber doch, wie sich herausstellen wird, mehr weltweise als drohend gemeint. Denn am Ende war es ja doch wünschenswerter gewesen, daß der gottverlassene Bruder für den bloß erlogenen Mord die halbe Pension bezog, anstatt, hätte er nicht gelogen, am Galgen zu baumeln. Die fromme Lehre, die sich daraus ungezwungen ableiten ließ, war, daß wir alle, Karl und Franz in einer Person, arme Sünder sind und als solche einen Generalpardon vom Himmel erbitten müssen.

In jedem Falle ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, daß Grillparzer seine wohlgeratene neue Komödie, deren spitzfindig moralisierende Problematik überall ins Unergründliche führt, seinem mißratenen Bruder zu danken hatte. Aber wenn sich dies so verhielt, hatte Karl dann nicht eigentlich vor Gott Anspruch auf die volle Pension? … Die Staatsbeamten, ob sie nun morden oder nicht, haben es schwer.


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