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Auf der Fahrt nach der Residenz staunten Sonnenkamp und Prancken über die Redseligkeit und geistige Gewecktheit Rolands; er allein war frei im Worte, denn Sonnenkamp und Prancken konnten eine gewisse Bangigkeit nicht überwinden. Sie thaten zutraulich und offen gegen einander und doch fragte Sonnenkamp sich immer: Weißt Du? Und Prancken dagegen: Weißt Du, daß ich weiß? Aber sie sprachen es nicht aus. Wie sollten sie auch? Prancken wollte, wenn es zu Tage kommt, als der Unschuldige, Getäuschte erscheinen; er war der Betrogene, er und die ganze Welt, der Fürst vor Allem; der Fürst hatte ihn ja geadelt – wie sollte da Prancken dem Manne nicht vertrauen?
Sonnenkamp dagegen war unschlüssig und deßhalb erleichtert, daß Prancken Alles bestimmte; er handelte nicht mehr mit Willen; was geschieht, soll und muß nun sein.
Er schaute oft zum Wagenschlag hinaus und seine Hand zuckte, als müßte er plötzlich den Griff erfassen, hinausspringen und entfliehen. Welch ein kühnes Spiel versucht er! Er zürnte auf sich, daß er auf der Schwelle der letzten Entscheidung ein Bangen über sich kommen ließ. Er konnte nicht umhin, Prancken zu erklären, er fühle sich sehr bewegt; Prancken fand dies ganz in der Ordnung, denn die Adelserhebung ist keine geringe Sache. Und jetzt im Besprechen fand Sonnenkamp den Grund seiner Zaghaftigkeit. Diese immerwährend Geist destillirende Familie, Mutter, Tante und Sohn, hatte ein weichliches Element in seine Umgebung gebracht; es ist gut, daß man sie los wird, natürlich in höflicher Weise, aber fort müssen sie, abgethane Werkzeuge, abgelohnte Arbeiter.
In der Empfindung, etwas wegzustoßen, fand er sich selbst wieder. Er hat nicht bloß etwas mit sich geschehen zu lassen, er ist selbst wirkend; er läßt die Puppen tanzen, denn Puppen sind alle Menschen für den, der sie zu regieren weiß. Lächelnd sah er auf Prancken, auch dieser war jetzt seine Puppe. Unhörbar pfiff er vor sich hin.
Es war spät am Abend, als man in der Residenz ankam. Roland ging bald zur Ruhe, auch Prancken verabschiedete sich, da er noch einen nöthigen Besuch machen müsse.
»Vergessen Sie nicht, daß Sie Bräutigam sind,« rief ihm Sonnenkamp lachend nach.
Zum ersten Mal in seinem Leben that Prancken ein solcher Scherz weh, er that ihm weh, weil er vom Vater Manna's kam und weil Prancken in der That einen sehr ernsten, sittlich ergreifenden Gang zu machen hatte, denn er ging nach dem Hause des Domdechanten.
Das Haus lag im Garten hinter dem Dom, verborgen vor aller Welt, in einer Stille, die nichts ahnen ließ vom lärmenden Getriebe der Residenz.
Prancken klingelte, ein Diener öffnete und Prancken war erstaunt, sofort bei seinem Namen genannt zu werden. Der Diener war ein Soldat, den er kurze Zeit als Bursche gehabt. Er erhielt den Auftrag, am nächsten Morgen im Hotel Victoria Prancken persönlich die Meldung zu bringen, ob der Domdechant ihn um elf Uhr ganz allein empfangen könne.
Prancken kehrte um und lächelte, da er, der Mahnung seines Schwiegervaters gedenkend, vor einem Hause still stand. Er kannte es wol, das zierliche, verschwiegene Haus, das er einst selbst möblirt hatte; die Treppe teppichbelegt, das Geländer mit Sammet gepolstert und Alles so warm und droben die Klingel nur ein einziger Ton, das kühle Vorzimmer voll grüner Pflanzen, der Salon so wohlig, die Tapeten und die Möbel von gleichem Seidenstoff, grüner Grund, gelbe Guirlande – Prancken liebte die Landesfarben auch hier. In der Ecke steht ein alabasterner Engel, der hält täglich einen frischen Blumenstrauß in der Hand, manchmal muß der Engel aber auch einen zierlichen Frauenhut tragen, manchmal auch einen Männerhut. Und dann die Portièren . . . was lacht dahinter? Nein, er geht vorüber.
An einem Laden mit großen Scheiben stand er . . . er hatte immer, wenn er nach jenem behaglichen Häuschen ging, einen Scherz, eine überraschende Nippfigur mitgebracht . . . es sind viel neue Dinge da, er tritt ein, er kauft das Neueste.
Der junge Verkäufer sieht ihn scharf an, Prancken nickt und sagt:
»Sie können mir Alles zeigen.«
Nun werden ihm Geheimnisse gezeigt, er nimmt nichts mit, er sagt, das wolle er ein andermal kaufen, er geht mit der Nippfigur davon.
Es ist nur zum Scherz, nur ein Abschiednehmen! Er will nur Erkundigungen bei der kleinen Nelly einziehen, was man von ihm spricht; es ärgert ihn, daß er sich noch darum kümmert, aber es reizt ihn doch, es zu erfahren.
Er weiß nicht, daß er geklingelt hat, er geht die Treppe hinan, er sucht nach dem Schlüssel in seiner Tasche und hat ganz vergessen, daß er ihn nicht mehr hat.
Es wird geöffnet, das Kammermädchen sieht ihn verwundert an. Man ist nicht zu Hause. Eine Ampel von blaßrothem Krystallglas brennt im Erkerzimmer, die kleine Alabasterfigur lächelt; Prancken läßt eine Lampe bringen, er will warten. Er sieht sich in den Gemächern um, er kennt die Stühle, die Causeusen, Alles ist noch wie er es hergestellt.
In den Zimmern herrscht ein ihm fremder Parfüm, er muß jetzt Mode sein . . . man verbauert doch ganz auf dem Lande!
Es schlägt vom Dom, das Theater muß bald zu Ende sein. Auf dem Tisch liegen Photographie-Albums, Prancken mustert sie, er sucht nach seinem Bilde, es ist nicht mehr da, aber Andere, die er nicht kennt.
Auch ein Buch liegt auf dem Tisch, eine Blumenlese aus deutschen Dichtern »von Frauenhand für Frauen« ausgewählt. Prancken liest darin. Sind doch seltsame Menschen, die Poeten! Er stand am Kamin, darin glühende Kohlen schimmerten, aber es war kein Kamin und es waren keine Kohlen, denn sie verbrannten nicht und lagen immer so geschichtet; Kamin und Kohlen waren nur zierlicher Zimmerschmuck.
Es schlägt wieder auf dem Domthurm; man kommt noch immer nicht. Prancken nimmt endlich seine Karte und legt sie auf den Blumenstrauß, den die Alabasterfigur hält; er geht davon. Es ist besser so, Du bist brav, Du wolltest es sein . . . gewiß.
Er lachte über seine Tugend.
Pah! Man sollte auch einmal wieder übermüthig scherzen und lachen, dieses ewig Moralische fängt an langweilig zu werden. Aber Manna . . .
Prancken fühlte einen Stich durchs Herz, als hätte er jetzt eben Manna verwundet.
Er schüttelte den Kopf über die Zimperlichkeit, in die er verfallen war. Und doch wurde er die Empfindung nicht los, daß in dieser Stunde etwas mit Manna vorgeht; er weiß nicht was, aber er meint es zu spüren.
Er ging rasch weiter.
Im Militär-Casino war Alles noch hell erleuchtet; Prancken ging vorüber. Er kehrte in den Gasthof zurück. Mit Selbstzufriedenheit begab er sich zur Ruhe, ohne bei Sonnenkamp vorgesprochen zu haben. Er wollte noch eine Weile in dem kleinen Büchlein lesen, das durch den darin liegenden Zweig ganz von Tannenduft erfüllt war; der Zweig war kahl, aber die abgefallenen Nadeln waren wie ein Heiligthum aufbewahrt worden. Er vermochte nicht, die Zeilen dieses Buches zu ertragen; er hatte heute eine Scheu davor . . .
Während Prancken in der Stadt umher gegangen war, wurde es Sonnenkamp zuwider, allein zu sein. Er wollte fremde Menschen sehen, belebte, die ihm etwas Neues brächten. Er schickte nach dem Cabinetsrath. Glücklicherweise begegnete ihm der Bote bereits auf der Treppe.
Sonnenkamp saß wohlgemuth bei dem Manne, den er fragte, was es zu bedeuten habe, daß der Fürst ihm nicht sein Diplom schicke, sondern persönlich übergeben wolle.
Mit einer Doppelzüngigkeit, in der er seinen gnädigen Herrn lobte, ja bewunderte und dabei ironisch charakterisirte, erklärte der Cabinetsrath, daß Niemand die Maßnahmen eines Regenten vollständig beurtheilen könne, der schließlich allein regieren wolle, vor Allem in dem, was ihm noch ohne Dreinreden der Landstände verblieben war: in Ordens- und Adelsertheilungen. Mit Verwunderung hörte Sonnenkamp, wie der Fürst Alles mit »Mein« bezeichne: meine Fabrikanten, meine Universität, meine Freimaurerloge, meine Landwirthe, meine Landstände. – Der Cabinetsrath erklärte weiter: Der Fürst wolle das Gute, lebe aber in beständiger Angst vor den Demokraten, Communisten und Liberalen – alle diese Begriffe zerfließen ihm in Eins – er halte Jeden, der nicht mit der Regierung stimmt, für eine wandelnde Barricade, auf der es in der nächsten Stunde losgehen kann. Er möchte gern, daß es allen Menschen gut gehe, und habe sich dafür einen schönen Satz angewöhnt, den ihm einmal ein Kammerherr zugeritten hat. Zwei Liebhabereien habe er, das Theater und den Wohlstand der Residenz. Er will, daß viel reiche Leute nach der Residenz ziehen, damit recht viel Verdienst sei. Er hat dafür ein Großes gethan, die strengen Gesetze des Ceremoniells modificirt; Fremde, die ihrem Stande nach nicht hoffähig sind, haben, wenn sie großen Aufwand in der Stadt machen und durch ihren Gesandten vorgestellt sind, Zutritt bei Hofe. Der Fürst thue das aus reiner Gutmüthigkeit für den Wohlstand seiner Leute, denn »meine Leute« nenne er alle Residenzbewohner, die unbeugsamen Demokraten mit einbegriffen, sie haben zwar Unarten, aber es sind doch »meine Leute.«
Der Fürst hatte ein gesteigertes Interesse für Sonnenkamp, da man ihm sagte, daß dieser einen großen Palast für seinen Winteraufenthalt in der Residenz bauen wolle, den er so lege, daß er eine Zierde des Schloßparks sein wird, da die Fronte nach einer bis jetzt ins Oede führenden Allee sich stellen soll. Der Fürst freute sich, daß dadurch wieder viel Verdienst unter seine Leute kommen sollte.
Eine entschiedene Wendung, erzählte der Cabinetsrath, habe die Sache Sonnenkamps dadurch genommen, daß Graf Wolfsgarten in seinem Gutachten ausgesprochen: abgesehen von der Zweckmäßigkeit, neuen Adel zu schaffen, erscheine es ihm zweifelhaft, ob die einzelnen deutschen Souveräne noch in so ausgedehnter Weise das Recht dazu hätten. Der Fürst sei außer sich gewesen über diese Bemerkung des alten Diplomaten, den er immer für einen heimlichen Demokraten gehalten, und theilweise Clodwig zum Trotz sei die Sache Sonnenkamps rasch entschieden worden; denn der Fürst sei sonst sehr sparsam und zögernd in der Adelsertheilung.
Das Alles vernahm Sonnenkamp mit Behagen und der Cabinetsrath schärfte ihm ausdrücklich ein, daß der Fürst sehr bescheiden sei und nicht blos bescheiden spreche; er sage gern, er sei kein bevorzugter Geist, und da sei es schwer, das Rechte zu finden. Der Fürst fühle sich beleidigt, wenn man ihm widerspreche und ihn erhebe, und doch dürfe man ihm wieder in dieser Bescheidenheit nicht beistimmen. Er empfahl Sonnenkamp, möglichst wenig zu sprechen; er könne die Ergriffenheit, die er in der That habe, noch ein wenig übertreiben; Zaghaftigkeit werde von dem gnädigen Herrn sehr wohl bemerkt und er freue sich im Stillen, daß er imponire.
Sonnenkamp war wieder ganz ruhig. Als der Cabinetsrath wegging, klingelte er und ließ sich die Zeitung bringen. Er las sie ganz durch, selbst die Anzeigen; das sollte ihn auf andere Gedanken lenken. Wiederholt las er die am Kopfe der Zeitung stehenden amtlichen Nachrichten, Amtsernennungen, Militärbeförderungen, Gnadenertheilungen; das tröpfelte so das ganze Jahr fort, wenn die große Ordensvertheilung vorüber war. Er dachte sich schon, wie morgen an dieser Stelle steht: Se. Hoheit haben in Gnaden geruht, den Herrn James Heinrich Sonnenkamp und seine Familie unter dem Namen Freiherr von Lichtenburg in den erblichen Freiherrnstand zu erheben.
Stolz und aufrecht ging er lange in seinem Zimmer auf und ab. Unversehens aber wurde er wieder zaghaft, er wußte, er begab sich auf ein Gebiet, wo er sich nicht sicher fühlte. Hier hilft weder Geldmacht noch Gewalt.
Es fiel ihm ein, daß der Cabinetsrath erzählt, der Fürst liebe gewisse Ceremonien und er werde mit entblößter Hand schwören müssen. Er betrachtete seine Hand. Wie, wenn der Fürst nach dem Ring am Daumen fragt?
»Hoheit, da ist der Biß eines Affen . . . nein, besser . . . das ist ein Rheumatismusring, den trage ich seit meinem dreißigsten Jahre,« sagte Sonnenkamp laut, als ob er vor dem Fürsten stehe.
Aber wieder fragte er sich, warum er sich denn der Frage aussetzen solle. Es muß doch möglich sein, den Ring abzulösen, die Wunde kann nicht mehr sichtbar sein. Während ihm die Wangen glühten, hielt er die Hand im Wasser, aber der Ring ging nicht ab. Er klingelte und befahl Lutz, daß man ihm Eis hole. Er hielt die Hand auf das Eis, der Ring löste sich endlich vom Daumen; er ging schwer über den Knöchel, aber es gelang. Sonnenkamp betrachtete die bisher unter dem Ring verborgene Narbe. Sieht man noch, daß es eine Bißwunde war?
Er war grimmig auf sich selbst, daß er sich heute diese Erinnerung erweckte. Wozu soll das?
Er klingelte abermals, er wollte Lutz fragen, für was er die Stelle an seinem Daumen ansehe. Als aber Lutz da war, unterließ er es, denn das konnte Aufmerksamkeit erregen; er gab ihm einen Auftrag für den andern Morgen und begab sich endlich zur Ruhe. Er fand sie lange nicht, denn immer war es ihm, als ob rings um den entblößten Finger sich ein kalter Luftstrom bewegte. Wenn er die Faust ballte, war es vorüber, und so schlief er endlich mit geballter Faust ein.