Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Fünfzehntes Capitel.

Der Tag des Festes war gekommen. Roland ritt mit Prancken voraus, Sonnenkamp fuhr mit dem Banquier, Erich mit Clodwig. Der Tag war sonnig, aber nicht zu heiß. Eine bunte Gesellschaft stieg auf der Höhe aus den Wagen und wandelte den Waldweg hinab nach dem Thal.

Erich versuchte es, von der Adelserhebung Sonnenkamps zu sprechen, aber sofort fiel Clodwig ein und verwehrte ihm mit einer gewissen väterlichen Strenge, sich zu dieser Sache in Beziehung zu bringen. Zum ersten Mal war etwas in dem Blicke Clodwigs, das Erich nicht verstand. Schweigend gingen sie des Weges.

Als sie im Thale ankamen, nahm Sonnenkamp Erich bei Seite und fragte hastig, wie das Gutachten Clodwigs laute. Erich erwiderte, daß Clodwig jede Besprechung der Sache ablehne.

»Ich danke Ihnen – danke Ihnen sehr,« stieß Sonnenkamp hervor ohne ersichtlichen Grund.

Am Ufer des Waldbaches im Haus-Heilingthal hatte Joseph die Tafel geordnet, Sonnenkamp hatte nur noch einige Kleinigkeiten hinzuzufügen. Die Gesellschaft, die sich zusammengefunden, war auserlesen und von der Anordnung überrascht. Der lange Lieutenant besonders war sehr redselig, und Sonnenkamp sah ihn immer seltsam an, denn er, der doch kein Oesterreicher war, nannte ihn immer Herr von Sonnenkamp. Eine Musikbande war im Walde aufgestellt und spielte schöne lustige Weisen. Man schaute auf nach der Felsengruppe, die nach der Sage ein von Unterirdischen versteinerter Hochzeitszug sein sollte.

Bella fragte, zu Erich gewendet, woher diese Sage entstanden sein möge. Alles hörte aufmerksam zu, da dieser erklärte, daß hier eine Variation aus dem Sagenkreis des Tannhäuser gegeben sei und daß im Morgendämmer der Erkenntniß eine Rückbildung von Sagen stattfinde, die aus dem Räthsel über Entstehung unserer Erde ahnungsvoll sich ableitet.

Da ertönte plötzlich ein Waldhorn; oben bei den Felsen und unten im Thal zeigte sich ein überraschendes Schauspiel. Eine Bande von Zigeunern, phantastisch gekleidet, brach plötzlich herein, spielte wilde Weisen und vor Allem ein junger Geiger mit blauschwarzen Haaren tanzte und sprang geigend im Kreise. Alles war voll Lob gegen Sonnenkamp, der immer Ueberraschendes anzuordnen verstehe; man wußte nicht, war es Bescheidenheit oder Wahrheit, da er bekannte, er sei selber überrascht. Ein Blick zwischen ihm und Lutz zeigte, daß dies Wahrheit.

Bella ermunterte die Zigeuner zu immer wilderen Weisen, und als sie erfuhr, daß die Leute in der Nähe ihre Lagerstatt aufgeschlagen hatten, ging sie mit einigen Frauen und Männern dorthin; auch Roland mußte sie begleiten. Sie bedauerte, daß Professor Einsiedel nicht da war, der ihr gesagt hatte, daß die Sprache der Zigeuner mit dem Sanscrit zusammenhänge. Nun fragte Bella ringsumher, ob Niemand von der Gesellschaft zeichnen könne. Das magere Pferd, das an einem Heubündel fraß, den Wagen, die alten Frauen, die um ein offenes Feuer saßen, mußte sofort der lange Lieutenant für sie zu zeichnen versuchen. Ein wild dreinschauendes braunes Mädchen, das eine weite Crinoline trug und keck aus einer kurzen Pfeife rauchte, wurde schnell der Günstling Bella's. Sie fand ihre besondere Lust an diesem kecken Wesen. Sie schenkte ihm einen bunten Shawl, den sie ihm sofort als Turban aufsetzte. Manna sah nachdenklich drein; die Art, wie Bella die Menschen als Puppen behandelte, zeigte sich ihr.

Manna ging mit der Gesellschaft, aber sie lebte nur wie träumend. Im Innersten dachte sie Alles dieses bereits als Erinnerung, die sie beim Abschiede von der Welt sich vergegenwärtigen solle. Schon jetzt rückte sich's ihr in die Ferne, wie ein Vergangenes; sie stand inmitten des Lebens wie abwesend, denn sie hielt gewaltsam den Gedanken fest, daß sie diesem ganzen Treiben entsage. Dieses Jahr draußen in der Welt war ein Prüfungsjahr, und sie freute sich, daß schon Monate dieses Jahres vorüber waren.

Am Bergrande unter schattigen Tannen waren große Teppiche ausgebreitet, auf denen sich die Damen niederließen, während die Männer noch bei Tafel sitzen blieben und auf die Mahnung des langen Lieutenants, der seine Skizze vollendet hatte, nun zur Flasche zusammenrückten.

»Warum sind Sie nicht von Adel?« fragte der lange Lieutenant Herrn Sonnenkamp.

»Weil Herr Sonnenkamp ein Bürger ist,« versetzte Clodwig.

»Aus Bürgern kann man aber Adlige machen, wenn man Millionen –«

Prancken winkte unwillig dem Kameraden, so daß er plötzlich abbrach, aber der Cabinetsrath hielt es am Orte, da man das Gutachten Clodwigs zu erwarten hatte, hinzuzufügen:

»Ja, Herr Lieutenant, wenn Edelsinn, große Kraft, Wohlthätigkeit und Würde zum Adel bestimmen, so ist . . . so wird unser Herr Sonnenkamp adlig.«

Der lange Lieutenant glaubte einen guten Witz zu haben, und den kann man nicht unterdrücken, auch wenn man nicht Champagner getrunken; er rief:

»Sehr schön – deliciös! Herr Graf von Wolfsgarten, Sie sind der Gescheidteste von uns Allen; sind Sie auch der Meinung, daß eine Million geadelt werden muß? Nicht die Million, sondern der die Millionen hat.«

»Es ist mehr als liebenswürdig von Ihnen,« entgegnete Clodwig, »daß Sie Ihre Machtvollkommenheit, den Gescheidtesten zu ernennen, auf mich anwenden.«

»Danke, der Hieb sitzt,« rief der lange Lieutenant. »Aber bitte, weiter, nun auch Ihre Meinung.«

»Ich glaube,« sagte ein dicker zurückgezogener Hofmarschall, der sich rühmte, bereits sechzehn Pfund an Gewicht hier abgenommen zu haben, »ich glaube, unser edler Wirth hat das Recht, zu verlangen, daß wir diese Erörterung nicht hier und nicht jetzt führen. Nicht wahr, Excellenz?« wendete er sich an Clodwig.

Aber bevor dieser geantwortet hatte, fiel Sonnenkamp ein:

»Im Gegentheil, es würde mich freuen, wenn meine verehrten Gäste mir die Ehre angedeihen ließen, mich als zugehörig zu betrachten und die Erörterung weiter führten; ja ich möchte dies sogar als einen Beweis ansehen, daß Sie mich nicht als Fremden betrachten.«

Clodwig, der seine strenge Ordnung durchbrochen und auf vieles Zureden zwei Gläser Champagner getrunken hatte, gewann plötzlich eine schelmische Miene und rief:

»Nun denn, Herr Sonnenkamp, so sagen Sie uns zunächst Ihre eigene Meinung.«

»Ja, ja,« rief der lange Lieutenant, »wer Millionen erworben hat und ein solches Feenfest herrichten kann, der muß –«

»Bitte,« unterbrach Clodwig, »lassen Sie Herrn Sonnenkamp sprechen.«

»Meine Verehrten,« begann dieser, »ich habe alle Welttheile unserer bewohnten Erde betreten und überall gefunden, daß es eine Aristokratie gibt und geben muß.«

»Ist ja auch unter Pferden und Hunden so,« warf der lange Lieutenant ein. »Die Gräfin Dingsda aus Rußland hat zwei mausgraue Windhunde, die von der Kaiserin Katharina – wollte sagen von den Hunden der Kaiserin Katharina abstammen.«

Der von sechzehn Pfund entlastete Hofmarschall raunte dem langen Lieutenant zu, doch an sich zu halten; er exponire sich und die ganze Gesellschaft. Der lange Lieutenant fuhr sich mit der Hand über die Stirne und versprach leise, zu gehorchen.

»Erzählen Sie weiter,« bat Clodwig, und Sonnenkamp fuhr fort:

»Es ist auch für die wilden Stämme ein Glück, wenn sie Geschlechter besitzen, die in geschichtlicher Fortsetzung die Sammelpunkte und Haltpunkte für sie bilden, und neue sich durch Muth und Klugheit hervorthun, wenn man so sagen darf, eine neue Dynastie bilden.«

Der Schweiß stand Sonnenkamp auf der Stirn, Clodwig sah das und nahm das Wort:

»Man könnte sagen, daß vielleicht der Adel vorzugsweise die Berufung hatte, Bildung und Muth zu vereinen; nie sollte Eines ohne das Andere sein. Der Adel war – ich hoffe, Sie verstehen mich recht – die Tradition dessen, was in der Vorzeit einmal der hervorragenden Kraft eingeboren und von ihr erworben war und nun zu einem Erbrecht, noch mehr zu einer Erbpflicht wurde. Der Adelige war der Mensch, der Natur und Geschichte in sich vereinigt; das sich stets erneuernde Menschengeschlecht erhielt dadurch eine gewisse geniale Continuation. Der Adel hatte ein angebornes Amt. Er sollte aus seiner Natur handeln, aber dabei verpflichtet von gegebenen historischen Bedingungen.«

»Mir soll der Sect im Leibe gefrieren, wenn ich von all dem ein Wort verstehe,« sagte der lange Lieutenant zu dem Hofmarschall, der sich sehr anstrengen mußte, den curwidrigen Schlaf von sich abzuwehren. Er erwachte plötzlich und sagte:

»Ja, ja, Sie haben recht, aber bitte, halten Sie sich ruhig.«

»Sie selber,« nahm der General auf, »achten gewiß auch den rechten Ahnenstolz, den auf Tapferkeit und Tugend der Vorfahren. Wer einmal durch eine Gallerie gegangen, in der die Bilder seiner Ahnen auf ihn niederschauten und seinen Gang betrachteten, der behält sein Lebenlang eine Wirkung in der Seele; auf seinen ganzen Lebensgang begleiten ihn die Blicke seiner Ahnen.«

»Sehr wahr! sehr wahr!« riefen Viele.

»Und was wollen Sie damit?« fragte Clodwig. »Kehren Sie zu unserer Frage zurück.«

»Ja, das wollte ich. Warum soll diese historische Bedingung nicht immer wieder erneut werden?«

»Ganz recht, das ist die richtige Fragestellung,« erwiderte Clodwig. »Ist unsere Zeit eine solche, die noch eine besondere Pflicht und damit ein besonderes Recht für den Adel ermitteln kann? Wir stehen in der Rechtsgleichheit, wir haben keine Ständegliederung mehr. Es gibt nur noch zwei Classen von Menschen: Männer von Ehre und Männer ohne Ehre. Der Adel, der die Erb-Ehre sein will, ist im Zeitalter der Rechtsgleichheit abständig geworden und unwiederbringlich eine absterbende Institution. Ich habe einem berühmten Badearzt die Aufgabe gestellt, an den ihm vorkommenden Exemplaren des europäischen Adels die Lebensfähigkeit und Lebensdauer des Adels in den verschiedenen Völkern zu studiren, und ich erwarte bedeutsame Resultate davon. Wozu sind noch die Wappen? Um auf Ofenschirme, Sophakissen und Reisetaschen gestickt zu werden. Die allgemeine gleiche Wehrpflicht ist grundmäßige Aufhebung des Adels. Wissenschaft, Kunst, Gewerbe sind die Factoren unserer Zeit und zur Theilnahme an denselben ist das ganze Volk unterschiedlos gleichmäßig berechtigt und gleichmäßig verpflichtet. Der Adel ist ein Widerspruch mit der Geschichte, in der wir stehen; er hatte noch eine Bedeutung, so lange der Grundbesitz auch der Boden der Staatsmacht war; das ist vorbei, seit sich die langen Schornsteine in die Luft strecken, seit die Macht der beweglichen Habe, das ideelle Besitzthum – denn alle Staatspapiere sind nur ideelles Besitzthum – die Macht des Grundbesitzes weit überragt. Jenes flüssige Besitzthum hat das Gute, daß die todte Hand es nicht festhalten kann; auch die fideicommissarische Erb-Hand ist eine todte Hand. Ich bin durchaus nicht dagegen, daß der heutige hohe Adel seinen Namen zu Actien-Unternehmungen hergibt; das sind bessere Dinge als Titel und Orden, und es läßt sich da nicht nur gewinnen, sondern auch wirken. Ich danke es dem edlen Jacob Grimm, daß er in seiner Rede auf Schiller den Widersinn aussprach, daß man Goethe und Schiller adeln zu können glaubte. Heutigen Tages ist der Adel nur noch ein Name, eine Decoration, weiter nichts. Man geht ja sogar schon so weit, daß man Juden adelt.«

»Sie werden doch nicht,« warf der Banquier ein, »die Gleichberechtigung der Confessionen da aufheben, wo diese Gleichberechtigung an das mit Wappen verzierte Thor des Adels anklopft?«

»Gleichberechtigung!« rief Clodwig. »Lieber Freund vom alten Stamme, ist es nicht eine tolle Verkehrtheit, die Gleichberechtigung zur Aufhebung der Gleichberechtigung zu benutzen? Wenn man überhaupt adlig werden kann und es nicht geworden sein muß, so können auch die Juden adlig werden; aber sie sollen es nicht wollen, sie sollen den Verrath und die Abtrünnigkeit erkennen. Soweit ich sehe, sind die Juden – ich kümmere mich nichts um die Religion – eine ständige, lebendige Mahnung, den Menschen nicht danach zu beurtheilen, was er glaubt, sondern danach, was er in Tugend und Bildung leistet. Die Juden sind, je nachdem man es nimmt, ein Volk von Adligen – denn wer hat einen älteren, reineren Stammbaum? – oder auch, sie sind gewissermaßen stolz darauf, daß ihre Vorfahren einmal Sklaven waren. Ich verdanke einem alten Rabbinen, den ich einmal im Bade traf, einen großen Gedanken. Er erklärte mir, es läge ein großer Anreiz, um das Höchste zu erringen, im Gedanken an eine Vergangenheit, die einmal Sklaverei gewesen. Vieles, was an den Juden wunderbar erscheint, erkläre sich aus diesem Einen. Sie waren Sklaven in Egypten, das hat ihnen etwas Großes eingepflanzt, einen Stolz und eine Demuth, eine Ausdauer gegen jegliche Unterdrückung, eine Erkenntniß jeder Rechtsverkümmerung und jedes fremden Leids, und daraus ein Mitgefühl, das ohne Gleichen in der Geschichte ist.«

Clodwig machte eine Pause, dann fuhr er fort:

»Ein Jude aber mit Adelswappen, mit Helm und Schild und dem ganzen Krimskrams – schon der Anblick müßte ihn kränken; denn zur Zeit, als man Helm und Schild trug, waren seine Vorfahren Kammerknechte des Kaisers und fast vogelfrei. Ein Jude, der zum Christenthum übertritt, kann dies aus Ueberzeugung vollführen, weil er, abgesehen vom Dogma, es als einen Fortschritt anerkennt, was Jesus in der Geschichte der Bildung hervorgebracht. Viele thun es aus Leichtfertigkeit, weil es ihnen zu lästig ist und sie sich nicht verpflichtet erachten, ein fortgesetztes Martyrium zu übernehmen für sich und ihre Kinder. Das Alles mag hingehen, obgleich sich gegen Religionswechsel noch Vieles sagen ließe. Aber ein Jude, der adlig wird, ist ein so geckenhafter Anachronismus, wie er nicht schärfer gedacht werden kann. In das wachsende und werdende lebendige Bürgerthum eintreten, ist Recht der Juden und ihre Pflicht. Oder soll es auch eine Kette von jüdischen Adelsfamilien geben, die nur unter einander heiraten? Je weiter man darüber denkt, desto widersinniger wird der Wirrwarr. Nun aber, ich wollte nicht von den Juden reden und bitte um Entschuldigung, daß ich mich so verirrte.«

»Wollen wir nicht überhaupt diese Erörterung abschließen?« bat Prancken.

»Ich bin gleich zu Ende. Nur noch ein Wort, um nicht blos abzubrechen. So lassen Sie mich noch kurz sagen, daß ich jede Adelsernennung eines Bürgerlichen, um mich nicht schärfer auszudrücken, für einen historischen Widersinn halte. Wer den Bürgerstand verläßt, ist ein Ausreißer, ein Abtrünniger, ich will nicht sagen, ein Verräther und ein Aberwitziger zugleich, indem er die siegende Fahne des Bürgerthums verläßt. Ich weiß, was die Bürgerlichen wollen; sie wollen den Besitz an die Familie ketten, Fideicommisse gründen, die Söhne von Millionären wollen Junker werden; aber es gibt doch nur ein verkrüppeltes Geschlecht, Wurzelbrut, sogenannten Stockausschlag, der nicht zum Baum wird.«

Clodwig hatte nach verschiedenen Seiten hin gesprochen, er wollte seinen Standesgenossen scharf zu Gemüthe gehen, er wollte Sonnenkamp und den Banquier zu einer Wendung bringen, denn er wußte, daß man auch den Banquier anreizte, nach dem Adel zu trachten, und er wollte ihn ein für allemal bekehren. Jetzt, da er das bewegliche Antlitz seines alten Freundes sah, wendete er sich an ihn und sagte:

»Ich sehe Ihnen an, Sie wollen noch etwas hinzufügen.«

»Nur Unbedeutendes,« erwiderte der Banquier achselzuckend und hielt Clodwig und Sonnenkamp seine offene goldene Dose hin. »Unser Herr Wirth ist ja selbst ein Beispiel davon, daß es in der neuen Welt höchste Ehre ist, ein Self-made-man zu sein; Nichts ererbt und Alles erobert zu haben. Self-made-man ist, wenn man so sagen darf, sein Wappenspruch. Ihr zum Präsidenten designirter Abraham Lincoln ist ein weiteres Beispiel: Holzfäller, Schiffer gewesen zu sein und zur höchsten Ehre emporzusteigen, das ist's. Kennen Sie Lincoln persönlich?«

»Ich habe nicht die Ehre,« erwiderte Sonnenkamp.

Man stand auf. Die Männer aus der hohen Gesellschaftsschicht aller deutschen Länder starrten einander an, und wenn heut noch ein Zauber möglich wäre, sie wären versteinert, wie dort der Hochzeitszug. Der lange Lieutenant und der zur Ruhe gesetzte Hofmarschall hätten sehr groteske Steinfiguren gebildet. Wie ist es möglich, daß ein Mann von Adel, ein Graf Wolfsgarten, so spricht?

Man ging zu den Damen. Clodwig und Erich hielten sich noch etwas zurück; Erich hatte während der ganzen Erörterung kein Wort gesprochen. Jetzt sagte Clodwig, wie er sich ärgere, daß er noch so jugendlich unbesonnen sei, vor Menschen, die eigentlich nichts Ernstes hören wollen, sich ganz zu geben.

»Und ich danke Ihnen,« erwiderte Erich.

»Ja,« schloß Clodwig, »ich will mich dünken lassen, ich hätte zu Ihnen allein gesprochen.«

Er ging mit ihm nach dem Walde, wo die Damen die teppichbelegten Sitze verlassen hatten; dort setzte er sich mit Erich nieder und schaute zu, wie die junge Welt drunten auf der Wiese tanzte.

Sonnenkamp stand an eine hohe Tanne gelehnt, er stand da wie versteinert und wünschte fast, daß die ganze Gesellschaft versteinerte.

Unterdeß sagte Clodwig zu Erich:

»Sie haben heut früh nach meinem Gutachten geforscht, ich glaube, daß Sie jetzt wissen können, wie es lautet. Ich habe bündig erklärt: ich widerspreche unbedingt jeder Adelserhebung; Ihnen aber, junger Freund, kann ich sagen, daß Herr Sonnenkamp alle Aussicht hat, denn mein Gutachten ist nicht das entscheidende.«

Erich hatte Lust, zu Sonnenkamp hinabzugehen und ihm diese Eröffnung mitzutheilen, er hatte seine Zerschmetterung beachtet und wollte ihn nun aufrichten; der Mann, der Alles für seinen Sohn wollte, that ihm im Herzen leid. Aber er hielt sich zurück, er mochte an dieser Sache durch kein Wort Theil haben. Er erzählte Clodwig, daß Roland ihm am Ballabende das Geheimniß der Adelserhebung habe kundgeben wollen, daß es aber sein Vorsatz sei, mit dem Jüngling nichts davon zu sprechen, obgleich der Vater ihm nun die Eröffnung gemacht. Roland habe die Sache bis jetzt ruhig in sich getragen, und es erschien besser, sie zu übersehen, damit keinerlei Widerspruch gegen die Maßnahmen des Vaters sich in dem Sohne bilde.

Es war eine erquickliche Stunde, wie die Beiden so beisammen saßen.

Der lange Lieutenant schien das einsame Denken Sonnenkamps zerstreuen zu wollen; er sagte sehr zutraulich:

»Herr von Sonnenkamp! Haben die Neger auch musikalisches Talent?«

»Die Neger halten Vieles für Musik, was nichts als Lärm ist,« erwiderte Sonnenkamp, »und manche Weise halten das für ein Gespräch, was . . .«

Er suchte nach einem Wort, er schien keines zu finden, was ihm scharf und doch zugleich höflich genug war; endlich sagte er:

». . . was man vielleicht in der kleinen Residenz für ein Gespräch hält.«

Er begab sich zur lustigen Gesellschaft und man wanderte unter Musik heimwärts, bis zu den Wagen.

Auf dem Wege durch den Wald hatte es sich gefügt, daß Manna mit Erich ging; Beide wußten nicht, wie das geschehen war. Sie gingen eine gute Strecke still neben einander.

»Wie ich höre,« begann Manna endlich, »hat Graf Clodwig sehr scharf gegen den Adel gesprochen. Findet er auch, daß Bevorzugung durch Geburt ein Widerspruch gegen die Religion ist?«

»Nein, davon sprach er nicht.«

Wieder gingen sie wortlos weiter.

»Wo nur heute unser Freund Professor Einsiedel gewesen sein mag,« nahm Manna wieder auf. »Ich bin nun auch seine Schülerin.«

»Und es ist ein Glück,« entgegnete Erich, »diese freie, fromme Seele zu kennen.«

Sie sprachen nicht mehr, aber sie empfanden Beide, daß diese Verehrung, die sie zu einem Menschen hatten, ihnen eine Einigung eigener Art gab.

»Erich! Manna!« rief plötzlich eine Stimme und hallte wider im Wald. Sie standen wie erstarrt, ihre Namen so in Eins gerufen zu vernehmen und im Widerhall von der versteinerten Gruppe des Hochzeitszuges vervielfältigt.

Roland kam und führte Manna an der Rechten und Erich an der Linken und so gingen sie bis zu den Wagen, wo sie einstiegen.


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