Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Zehntes Capitel.

Erich wanderte hinaus in die Landschaft; er glaubte, er müsse zu einem Freund, zu einem Menschen, an dessen Brust er sein schweres Haupt legen könnte.

Er wollte zu Clodwig, zum Doctor, aber sie konnten das Unabwendbare nicht ändern, und er darf seine Mutter, das Haus nicht verlassen, er darf nicht an sich selbst denken.

So wandelte er wie ein irrender Schatten durch die Nacht. Er sah den Wagen, darin die Frauen saßen, des Weges daher kommen, er verbarg sich schnell hinter einer Hecke, er begriff nicht, was das sein soll; er hatte seine Mutter, Frau Ceres und Fräulein Perini erkannt. Wohin eilen sie? Er stand lange; da kehrte der Wagen wieder um und auch er kehrte heim. Lange saß er am Wiesenweg auf einer Bank vor dem grünen Hause; er sah das Licht löschen; endlich ging er nach der Villa.

Am Fenster Manna's, wo kein Licht brannte, schien es ihm, daß Manna herausschaute und eine weiße Hand sich aus dem Fenster streckte; er ging schnell vorüber.

Mit stummer Lippe wandelte er in seinem Zimmer auf und ab; es war ihm so ungewohnt, daß er nicht noch mit Roland sprechen sollte, wie allabendlich bis jetzt.

Er wollte in einem Buche Befreiung vom eigenen Denken suchen, aber die Hand, die nach dem Buche greifen wollte, machte eine abwehrende Bewegung.

Hin und her dachte Erich, was aus ihm werden solle; er fand es nicht und tröstete sich, daß der morgende Tag schon seine Aufgabe stellen würde.

Als er erwachte, war sein erster Gedanke: wie ist Roland erwacht. Ob er wol jetzt sich zu mir sehnt, wie ich zu ihm? Jetzt nicht, jetzt faßt ihn der Strudel des Lebens; aber es werden Zeiten kommen, wo er sich nach mir wendet, und ich will bereit sein.

Er hörte die Kirchenglocken läuten und verließ das Haus; er wollte zu seiner Mutter, aber er fühlte sich nicht gefaßt genug, sie jetzt schon zu begrüßen; die Erinnerung an das, was Weidmann ihm mitgetheilt, lebte in ihm auf, als hörte er es zum ersten Mal. Seine Wangen glühten, denn er dachte: Manna, Du sollst nie wissen, was in mir. –

Er wanderte durch die Weinberge und mitten in aller Verlassenheit, allem Schmerz war es ihm plötzlich, als stünde er auf der Schwelle des Glücks, eines unnennbaren, von dem Niemand weiß, woher es kommen soll.

Zurück in jene ersten Tage, da er von Wolfsgarten kommend hier eingetreten war, gingen seine Gedanken. Wie ist es möglich, daß man Alles wieder verläßt? Er saß am Wege auf einem Marksteine, da redete ihn eine Frauenstimme an.

Er schaute verwundert auf; Fräulein Milch stand vor ihm, sie trug ein Gebetbuch in der Hand. Er grüßte sie und sagte, er habe nicht gewußt, daß sie Katholikin sei.

»Ich bin es auch nicht, aber es gibt Zeiten, wo ich nicht allein beten kann, ich muß in ein anderes Haus, in eines, das dem Höchsten erbaut ist, ich muß mit Menschen da sein, die gleich mir Trost und Ruhe im Ewigen suchen, wenn sie den Ewigen auch anders anrufen, als ich. Ich bete nicht dasselbe wie die Anderen, aber ich bete doch mit ihnen.«

Sie fragte nach der Mutter und bat, ihr zu sagen, daß sie jetzt nicht zu Besuch käme, weil sie zu stören fürchte; sie selber aber sei immer zu Hause zu finden.

»Auch Sie, Herr Hauptmann, sollten zu uns kommen, wann es Ihnen genehm; wir haben nicht viel zu bieten, aber etwas ist bei uns immer zu haben, und das ist Ruhe.«

Sie fragte, wie es Erich zu Muthe sei, da ihn Roland verlassen, und sie war die Erste, welcher Erich die ganze Sehnsucht nach dem Jüngling aussprach.

»Roland ist mir mehr geworden, als mir mein verstorbener Bruder war,« rief er aus.

Eben als er diese Worte mit bewegter Stimme aussprach, ging Manna mit Fräulein Perini vorüber. Sie grüßte die Beiden still und drückte ihr Gebetbuch fest gegen das Herz.

»Ich möchte es ihr gönnen, daß sie eine glückliche Nonne wird, aber sie wird es nie,« sagte Fräulein Milch.

»Natürlich, sie wird Frau von Prancken.«

»Frau von Prancken? Das glaube ich nie.«

»Ich begreife nicht.«

»Denken Sie daran, Herr Hauptmann, daß ich Ihnen das heute gesagt. Ich verstehe mich ein wenig auf die Menschen. Ich habe von Baron Prancken kein anderes Wort gehört, als: Wo ist der Herr Major? Mich selber sprach er nie an, ich nehme es ihm auch nicht übel, aber ich kenne ihn doch.«

Erich hatte keinen Grund, an die Vermuthung, die Fräulein Milch ausgesprochen, zu glauben, und doch glaubte er ihr.

Er begleitete Fräulein Milch nach Hause. Der Major war nicht da, er war nach der Burg gegangen, denn da gab es noch viel zu thun, um in den nächsten Tagen die festliche Einweihung des Burgfrieds vornehmen zu können.

Erich kehrte um und ging zu seiner Mutter.


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