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An der Thüre Manna's nannte die Professorin ihren Namen. Manna öffnete; blutlosen Antlitzes und matt reichte sie die Hand.
»Ich habe mit mir allein gerungen,« sagte sie; »ich kann den Ausweg nicht finden; Ihnen sage ich Alles.«
Nun erzählte sie, wie sie in anbetender Verehrung gegen ihren Vater aufgewachsen, oft schmerzlich beklagt habe, daß die Mutter so herb und gehässig gegen ihn sei; aber einmal – sie habe nie erfahren, was vorausgegangen – habe die Mutter im Beisein des Vaters gesagt . . .
Mit thränenerstickter Stimme sprach nun auch Manna das Wort.
Die Professorin saß da und hielt die Hände im Schooß und schloß die Augen. Manna erzählte weiter, wie sie zuerst nicht begriffen, was das sei, aber allmälig sei es ihr aufgegangen; Alles habe sie angeekelt, jede Speise, jedes Gewand . . . Von solchem Erwerbniß sich Bequemlichkeit, Lust und Glanz des Lebens verschaffen? Ein Grausen verfolgte sie überall, das Dasein ward ihr zur unerträglichen Last. Eine einzige Rettung that sich auf. Sie ging ins Kloster. Auf dem Wege dahin sei ihr immer der Gedanke nachgegangen: wie einst Iphigenie geopfert worden zur Sühne, so wollte sie sich frei und heilig opfern und alle Schuld der Ihrigen tilgen.
»Mir war es damals, als ob sich etwas in mir gespalten, als ob eine Ader in meinem Herzen gerissen wäre,« schloß Manna.
Nach einer längeren Pause fuhr sie fort, wie sie nicht begreife, was ihr Vater thue, und sie – sie selbst solle eine Adlige werden, die ebenbürtige Braut Pranckens. Sie habe Prancken geehrt und geachtet; er sei ein Weltmann, aber dabei von tief edlem, religiösem Gefühl. Laut schluchzend warf sie sich an den Hals der Professorin und rief:
»Ich kann nicht! Ich kann nicht sein Weib werden! Ach, ich bin zu schwach. Man hat es mir gesagt, ich werde schwere Kämpfe durchmachen müssen; aber das habe ich doch nie geglaubt, nie geahnt. Nein, gewiß nicht.«
»Was denn noch?« fragte die Mutter.
Manna bedeckte sich das Gesicht mit beiden Händen, dann warf sie sich der Mutter an den Hals und weinte.
Diese drängte, daß sie das Weitere bekenne, aber Manna blieb stumm; endlich sagte sie die Worte:
»Nein, das nehme ich mit mir ins Grab, das ist mein allein.«
Die Professorin sprach ihr Trost und Ruhe ein und fragte, ob sie das, was sie jetzt bekenne, nie in der Beichte bekannt habe. Manna warf sich vor der Professorin auf die Kniee und beschwor sie, Niemand zu sagen, was sie von ihrem Vater erzählt. Sie schnellte aber wie von einer Schlange gebissen empor, als die Professorin erklärte, daß sie Alles längst wisse; sie habe es schwer getragen, aber es sei die Pflicht derer, die sich schuldlos fühlen, sich demjenigen nicht zu entziehen, der eine traurige Vergangenheit tilgen wolle.
Ein Zucken ging durch die Mienen Manna's.
»Wer weiß es noch? Wer? Sagen Sie es mir!«
»Wozu das, mein Kind? Was quälst Du Deine Seele, daß sie zerknirscht, bettelnd, Verzeihung erflehend von Haus zu Haus, von Mensch zu Mensch wandert?«
»Mein Gebet, mein Opfer ist verworfen, verworfen ich, verworfen wir Alle. Es sollte in mir allein leben, in mir, in meinem zerknirschten, zerschlagenen Herzen. Ich bin frei . . frei!«
»Die Art, wie Du lächelst, macht mich bang,« sagte die Professorin, die das Mienenspiel Manna's scharf beobachtete.
»Ach, ich habe mit meinem Bruder nur Einmal über Sklaverei gesprochen,« klagte Manna, »und es ergriff mich, als wenn ich plötzlich in den Abgrund geschleudert würde, da er sagte: Geschöpfe, die man in die Kirche aufgenommen hat, sind uns gleich. Er hat Recht. Wer in die Halle der Gotteserkenntniß eintritt, ist ein freies Kind Gottes. Mich schauderte, da ich dachte: wie ist es möglich, daß man in der Kirche betet und hat neben sich, abgeschieden durch einen Zaun, Menschen, die Sklaven sind? Ist da nicht jedes Wort des Gebetes, die Andacht, das Opfer eine Lüge? Wie kann ein Geistlicher das Kind eines Mannes, wie konnte er uns in die Kirche aufnehmen, da unser Vater doch –«
Manna deutete mit der Hand auf das Herz; es preßte sie, sie konnte nicht weiter sprechen.
Die Professorin beruhigte sie.
»Mein Kind,« sagte sie, »wirf keinen Stein auf diejenigen, die nicht Alles leisten und ausgleichen, was von Sünde in der Welt ist. Das Heiligthum ist groß, wenn auch Verkehrtheit, Lässigkeit und Nachgiebigkeit sich darin eingenistet.«
Aus tiefstem Herzen suchte die Professorin dahin zu wirken, daß Manna ihren Halt in der Religion nicht verliere; sie sprach mit Begeisterung von denen, die ihr Dasein dem Höchsten widmen, rastlos wirken und schaffen, wenn es ihnen auch nicht gegeben ist, die Erde zu einer Wohnstätte der Liebe und Tugend umzugestalten.
Staunend sah Manna auf die Frau, die ihr so zuredete; sie wollte fragen: Sind Sie denn nicht eine Protestantin? Aber sie hielt die Worte zurück, denn hier, jetzt, erschienen ihr alle Unterschiede der Glaubensform verwischt; sie sah nichts als ein mildes, ein tragendes und zum Guten auslegendes Herz. Jetzt fühlte sie sich ganz und voll der edlen Frau hingegeben; sie warf sich in ihre Arme, mit Thränen in den Augen küßte sie ihr die Wangen, die Stirn und die Hände und bat, ihr die Hände aufs Haupt zu legen und sie zu halten, daß sie nicht vor Jammer vergehe.
Still an einander geschmiegt saßen die beiden Frauen, da klopfte es an die Thür.
Sonnenkamp rief, daß er seine Tochter sprechen müsse.
»Du mußt ihn sprechen,« sagte die Professorin.
Manna erhob sich und schob den Riegel an der Thür zurück.
Sonnenkamp trat ein.
»Es freut mich, daß Sie wieder wohl sind,« sagte er mit heller Stimme zur Professorin.
Er ahnte nicht, mit welchem Blicke ihn die Professorin und sein Kind ansahen.
»Ich danke Ihnen,« fuhr er fort und sagte, daß er mit Manna allein sprechen wolle.
Manna bat, der Vater möge erlauben, daß die Professorin bei der Besprechung anwesend sei; sie habe keinerlei Hehl vor der edlen Frau.
Sonnenkamp war betroffen.
Wäre es möglich? Nein, das kann nicht sein, sein eigenes Kind kann ihn nicht verrathen haben. Oder will sie einen Zeugen, einen Schutz? . . . Das Kind vor dem Vater?
Die Professorin erhob sich, um zu gehen, und Sonnenkamp sagte ihr nur noch in herzlichem Ton, er bitte sie, seiner Frau Gesellschaft zu leisten und ihr während seiner Abwesenheit alle Anleitung und Rücksicht zuzuwenden.
Die Professorin ging.
Manna sah den Vater starren, umflorten Blickes an.
Sonnenkamp schien nach dem Worte zu ringen. Er wartete, daß Manna zuerst spreche; da sie aber schwieg, sagte er, daß sie gewiß das giftige Wort, das ihre Mutter gegen ihn erfunden, längst vergessen habe; sie möge nun zur Mutter gehen, die ihr bestätigen werde, daß sie jenes Wort nur aus Bosheit hervorgestoßen.
Manna nickte schweigend, und nun sprach Sonnenkamp von der Verlobung mit Prancken, wobei er sich rühmte, daß er seinem Kinde nie einen Zwang auferlegt. Manna beschwor ihn, jetzt keine Entscheidung von ihr zu verlangen.
»Gut, so sollst Du erst bei unserer Rückkehr Dich entscheiden, aber versprich mir, freundlich gegen ihn zu sein.«
Das konnte Manna versprechen, und Sonnenkamp lächelte vor sich hin; er hält Prancken noch in der Schwebe, bis Alles abgethan ist; tritt ein Unvermeidliches ein, so ist's nicht zu ändern.
»Du bist nun ein Freifräulein,« sagte er gewaltsam lächelnd zu seinem Kinde; »Du sollst in Allem frei sein, nur heute noch laß Alles in der Schwebe. Ich kann nicht unehrlich sein.«
Er hatte eigentlich sagen wollen, daß er sich nichts daraus mache, Prancken zu betrügen, aber er setzte hinzu, daß es viel schicklicher sei, Einwilligung oder Versagung zu geben, wenn man geraume Zeit im Besitze der Standeswürde sei. Und so schied er mit freundlichen Worten von seinem Kinde.
Sonnenkamp wußte, daß sein Wagniß noch nicht gelungen ist, aber jetzt ist nicht mehr Zeit zum Innehalten. Er war überzeugt, daß Prancken Alles von ihm wußte, und wenn es zu Tage kam, vor der Welt den Getäuschten spielen wird; aber er hat gute Art genug, von Manna nicht zu lassen, die vornehme Sippschaft wird schon Alles vertuschen, und Geld wirkt überall, und Roland ist gesichert. Wenn aber doch Alles zusammenbricht, dann läßt er Frau und Kinder zurück und zieht wieder allein nach Amerika.
Sonnenkamp war in der Verfassung, in der er Alles zu beherrschen und zu klären glaubte und doch wie von einer dämonischen Gewalt fortgetrieben wurde.
Am Mittag war große Heiterkeit auf der Villa, denn der Fähnrich mit mehreren Kameraden war gekommen; sie ritten mit Roland aus, er war als guter Kamerad aufgenommen.
Auf den Wunsch Pranckens reiste man noch am Abend nach der Residenz ab.