Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Capitel.

»Ball« . . . »Amerikaner« . . . »Bräutigam« . . . konnte man am Morgen beim Brunnen in allen Sprachen hören, während Manna in der Stadtkirche noch lange, nachdem die Messe vorüber war, in sich zusammenschauernd vor dem Altar lag.

Sie rief um Hilfe, um Beistand gegen die Welt; sie wollte, eingedenk der Worte des Pfarrers, daß sie überall, wohin sie käme, einem Bruder, einem Vater ihr Herz aufschließen könne, auch hier beichten, aber sie unterließ es, denn Alles konnte sie doch nicht sagen. Zum ersten Mal in ihrem Leben verließ sie die Kirche mit schwer belasteter Seele.

Auf den Bergen wandelte Erich mit sich selbst kämpfend hin und her. Sonnenkamp hatte so offen mit ihm gesprochen, und doch hatte er das Eine nicht gesagt, daß Prancken mit der Verlobung wartete, bis Manna geadelt war.

Er erschrak, als er plötzlich seinen Namen rufen hörte, und doch war er von einer sehr sanften Stimme gerufen. Professor Einsiedel war es, der ihm begegnete. Er klagte, wie er gar nicht fasse, daß er nun wochenlang nichts arbeiten und nur an die Pflege seines Körpers denken solle. Er wiederholte mit kindlichem Lächeln, eine Badecur sei eine Krankheit mit Spazierengehen; er müsse sich dem fügen, denn er müßte ja auch eine Krankheit aushalten, wenn er zu Bett läge.

Bald aber fragte er Erich nach dem Fortgange seiner Studien und wie weit er mit dem Werke gediehen, das er über die Sklaverei schreiben wolle.

Bevor Erich antworten konnte, theilte ihm Professor Einsiedel mit, wie er fort und fort Notizen für ihn sammle. Am auffälligsten sei, mit welchen harten Worten Luther vom religiösen Standpunkt aus das Bestehen der Leibeigenschaft gerechtfertigt habe.

»Ich mache Luther keinen Vorwurf,« setzte er hinzu, »er sah doch auch nur mit den Augen seiner Zeit, wie Andere in anderen Zeiten ja an Dämonen und ihre Austreibung glaubten. Und wie sehr selbst die Bedeutendsten in der allgemeinen Meinung ihrer Zeit standen, zeigt Bossuet, von dem der Ausspruch ist: Der da sagt, daß es keine Sklaven geben solle, sündigt wider den heiligen Geist.«

Auf diesem Morgengange empfand Erich aber auch eine Befriedigung, wie er sie lange nicht gekannt.

Professor Einsiedel hatte sich im Walde scheu umgeschaut, als sollte Niemand das große Geheimniß vernehmen, das er kundgab, und er sagte:

»Lieber Doctor« – er nannte Erich stets Doctor – »ich habe viel über die Aufgabe gedacht, einen reichen Jüngling zu erziehen. Ich habe das Absolute nicht gefunden. Das Absolute ist ja überhaupt nur ein Gedankending. Aber einen Menschen so ausbilden, intellectuell und ethisch, daß man annähernd . . . bitte, bemerken Sie wohl, ich sage annähernd . . . daß man also annähernd sicher sein kann oder erwarten darf, daß er in jedem gegebenen Fall das Sittengesetz zu Rathe zieht, das ist das Einzige, was man thun kann. So weit ich die Welt kenne . . . und ich war ja auch einmal Hofmeister, freilich nur kurze Zeit . . . soweit ich die Welt kenne, haben die durch Geburt Vornehmen, und wahrscheinlich ist es auch bei den Reichen so, immer nur Wünsche und Verlangen. Nun ist die Aufgabe, das Wünschen und Verlangen und Erwarten zu einem Wollen, zu einer Selbstthätigkeit zu machen; dazu sind gute Ansätze in dem schönen Jüngling, er hat den Ernst des Lebens begriffen.«

Nie duftete der Wald so kräftig, nie schimmerte die Sonne so hell, nie war die Luft so erquickend, die ganze Welt so durchklärt als in diesem Augenblick, da Erich dieses Zeugniß von seinem Lehrer empfing.

Zu anderer Zeit aber rüttelte Professor Einsiedel wieder Erich auf, indem er ihm vorhielt, daß auch er in den Fehler der Reichen verfalle, die die Pflege ihres höheren Selbst vergessen.

»Das Leben mit Andern ist gut,« sagte er, »aber das Leben mit sich selbst ist besser; und ich fürchte, Sie haben nicht gut mit sich selbst gelebt.«

Wie ein Schulknabe, der sich auf Lässigkeiten ertappt und zurechtgewiesen sieht, erging es Erich; er mußte gestehen, daß er die Arbeit aus den Augen verloren. Das Gesicht des Professors schrumpfte zusammen, als ob es zu lauter Falten würde, er schwieg lange, endlich sagte er:

»Sie fügen sich und Ihrem Zögling den größten Schaden zu.«

»Mir und meinem Zögling?«

»Ja. Sie haben keine wissenschaftliche Arbeit neben Ihrem zerstreuenden täglichen Beruf, und da ist kaum möglich, die nöthige Spannkraft und Frische zum Lehren zu finden. Ich bin auch Erzieher gewesen, habe aber immer mein wissenschaftliches Heiligthum für mich gehabt. Es ist ein Gebot der richtigen Erziehung, sich dem Zögling nicht immer zur Verfügung zu stellen; er muß erkennen und wissen, daß neben ihm ein sein inneres eigenes Leben fortsetzender Mensch ist, daß Niemand einen Andern immerdar mit allen seinen Kräften zu Gebote haben darf. Sie dürfen sich nie als fertig . . . bemerken Sie wohl, ich sage fertig . . . betrachten, Sie müssen sich ständig fortbilden. Fertig sein ist der beginnende Tod. Sehen Sie das Blatt am Baum! Sobald es seine Grünungshöhe erreicht hat, geht es der Vergilbung und Welkung entgegen.«

Das, was der Mann hier auf dem stillen Waldwege laut kundgab, hatte Erich oft selber empfunden, aber sich nicht gestehen wollen.

»Non semper arcum tendit Apollo, sagt Horaz,« erwiderte er nun mit dem Lieblingsdichter seines Lehrers.

»Allerdings spannt Apollo nicht beständig den Bogen, aber er legt ihn nicht ab, er bleibt sein unveräußerliches Attribut,« entgegnete Einsiedel.

Lange gingen sie lautlos mit einander und der Professor begann wieder:

»Sie sind noch jung; das sind die Morgenstunden des Lebens, die dürfen Sie nicht versäumen. Ich mahne Sie als Lehrer und aus dem Geiste Ihres Vaters heraus. Ich habe Recht und Pflicht, das zu sagen, denn Sie sollen sich Ihren Vater als Warnung dienen lassen.«

»Als Warnung?«

»Ja. Wie gediegen und bedeutend er war, ist nicht nöthig, zu sagen, aber Ihr Vater klagte oft, daß er durch die Geltung in der Gesellschaft den Zusammenhang mit der Wissenschaft verloren hatte; er konnte nicht mehr in die Systematik hinein. Noch mehr. Er dachte, so sehr er es vermeiden wollte, doch an die Menschen, während er schrieb, und man darf nur an die Idee denken; das ist unser Gottesdienst. Verlieren wir das, sind wir die ärgsten Götzendiener, und unser Götze ist nicht einmal so fest wie irgend ein Gebilde in einem Tempel, es ist der nichtigste Götze: die wandelbare Gesellschaftsstimmung.«

Noch immer sprach Erich nichts, und der sanfte Mann fuhr fort:

»Sehen Sie, da ist wieder jener wunderbare Zusammenhang der Welt. Es ist mir gar schwer geworden, eine Badecur zu unternehmen, und mein Arzt wußte es nicht, und ich wußte es nicht, daß ich hieher geschickt bin, um Ihnen vielleicht zur Erweckung zu werden.«

»Ja, das sind Sie!« rief Erich endlich und faßte die kleine feine Hand des Lehrers. Er erklärte, daß er nur noch kurze Zeit, bis Roland in seine nächste Bestimmung eintrete, sich diesem ganz widmen wolle, dann aber der Wissenschaft allein zu dienen entschlossen sei.

Der Professor ermahnte ihn, nicht bis dahin zu warten, denn der Rapport mit der Wissenschaft dürfe nie unterbrochen werden.

»Uebrigens,« setzte er hinzu, »bin ich keineswegs dagegen, wenn Sie sich dem praktischen Leben widmen; nur sollen Sie sich entscheiden, für das Eine oder für das Andere.«

Als ein neuer in sich erweckter Mensch kehrte Erich in die Stadt zurück; er sah die Gefahr, in der er stand, durch Geltung im Leben, durch Aufbringung von Gedanken und Thatsachen, die er in festen Studien sich angeeignet, sich zu zersplittern, statt in sich fortzuschreiten. Ganz anders wie damals der Doctor, hatte ihn der Professor im innersten Wesen erfaßt.

Professor Einsiedel fand seine besondere Freude an Roland, und dieser war von einer Ehrerbietung und dienstfertigen Ergebenheit, daß Erich seine Herzerquickung hatte, wenn er die Beiden mit einander sah. Manches Wort, das der Professor sprach, drang tief in die Seele des Jünglings, und einmal sagte Roland:

»Man sollte gar nicht glauben, daß der lange Lieutenant und der Professor von demselben Menschengeschlechte sind!«

Erich ließ seinen Zögling gern mit dem Professor allein gehen und sein Auge leuchtete, da Einsiedel ihm nach wenigen Tagen wieder sagte:

»Sie haben gute Arbeit vollführt; der Jüngling hat den idealistischen Stolz, den man auch geistige Vornehmheit nennen kann. Ich glaube, er kann nicht in Laster und Niedrigkeit verfallen, weil sein schöner Stolz die Gemeinheit derselben ihm abstoßend macht. Ein bis zum Stolz gehendes Selbstbewußtsein, wenn es recht gelenkt ist, kann ein sicheres Moralprincip werden.«

Bella hatte es anfangs versucht, den Professor zur Zielscheibe ihrer Neckereien zu machen; aber er sah sie so kindlich und dabei wieder so still verweisend an, daß sie bald von dieser Tonart abließ und ihn ganz übersah.

Der scheinbar unerfahrene Mann hatte ein sicheres Urtheil über alle Begegnungen. Er erkannte Clodwig die antike Bezeichnung zu, daß er ein »schönguter« Mann sei, er war besonders erfreut von dessen classischer Bildung und sagte:

»Die classische Bildung ist die Grundmauer von Quadern, sie wird in den Boden gelegt, bleibt unsichtbar, aber sie trägt den Bau sicher und fest.«

Den Banquier fand er zu unruhig, aber er lobte an ihm eine große Dankbarkeit des Geistes, die er als einen jüdischen Charakterzug bezeichnete; Dankbarkeit für geistiges Geben sei in den Juden sehr lebendig.

Vor Sonnenkamp hatte Professor Einsiedel eine furchtsame Scheu. Er fand solche zwar ungerecht, denn der Mann hatte sich ihm ja nicht unfreundlich erwiesen, aber er konnte seine Empfindung nicht besiegen.

Er gestand einmal Erich, er habe Furcht vor Menschen, die so stark seien; er meine immer, Sonnenkamp wolle ihn wie ein kleines Kind auf den Arm nehmen und seinen Scherz mit ihm treiben. Uebrigens werde er diesen Mann nie ganz kennen lernen; es gehe bei der Wahrnehmung im Verständniß eines Charakters wie bei der Entzifferung einer aufgefundenen Steinschrift; was nicht der erste frische Blick enträthselt, das findet man durch langes und angestrengtes Betrachten nicht mehr.

Eine ganz neue Belebung zeigte sich aber, als Professor Einsiedel mit Manna vertrauter wurde.

In seinem Verhältniß zu Erich war es ihm alsbald offenbar geworden, wie er von der unsichtbaren Macht, die alles Leben einigt, zum Heil hierher geschickt worden war; bei Manna erkannte er das nicht, und doch war es hier noch weit mehr, denn Manna war suchend und hilfsbedürftig und schloß sich dem feinen, so kindlich hilflosen Manne wie eine sorgsame Tochter an.

Noch hat die Wissenschaft nicht vollkommen ergründet, wie sich die Heilquellen bilden, und Niemand kann ahnen, wie ein Mensch dem andern durch unfaßbare Vorbereitung zum Heil oder zur Umstimmung wird.

So wirkte Professor Einsiedel auf Manna in ungeahnter Weise.

Als sie ihm berichtete, daß sie ins Kloster gehen wolle, sagte er:

»Ich könnte Sie fast beneiden. Wäre ich Katholik, ich ginge in ein Kloster, aber ich möchte ein solches von lauter Männern der Wissenschaft, die nicht Zeit und Geschick haben, für die Lebensbedürfnisse zu sorgen, und doch große Arbeiten vollenden müssen.«

Manna war zaghaft, aber wie in Erinnerung an ihren alten Muth und ihre alte Sicherheit wagte sie, wenn auch nur in Form der Frage, den Professor auf die Nothwendigkeit und die alleinige Sicherheit des Glaubens hinzuweisen.

Sie war ganz erstaunt, wie der sonst so ruhige Mann da plötzlich aufflammte.

»Wir kämpfen nicht mit der Kirche,« sagte er. »Die Kirche konnte die Welt nicht gestalten, keinen Staat, keine Gesellschaft bilden; sie konnte Krankenhäuser und Waisenhäuser gründen, das ist Alles. Das Leben ist nicht ihr, sondern der classischen Bildung, der fortschreitenden Cultur. Ich habe einen Collegen in der Universität, der beständig behauptet, das Corpus juris habe für Ordnung der Welt weit mehr geleistet, als die Fragmente, die man die Bibel alten und neuen Testaments nennt. Ich stimme dem nicht bei, denn die Bibel hat auf einen andern Nerv im Organismus der Menschheit gewirkt. Und nun beachten Sie wohl: zwei große Ideen hat die Welt aus dem classischen Alterthum geerbt, diese Ideen heißen Staat und Nationalität. In diesen Beiden ging der Mensch auf. Da erschien die Religion und pflanzte die Einheit der Menschheit in die Gemüther; die Menschen sollten Brüder und die Menschheit ein Einziges sein. Das konnte nur die Religion gründen, das gelang nicht dem Römerthum, nicht dem alten und nicht dem neuen Cäsarismus. Die Religion hat ihren Beruf erfüllt, sie hat den Gedanken der Menschheit in die Welt gesetzt. Nun sammeln sich die Völker wieder in geschlossenen Staaten, in Nationalitäten; darüber darf aber die Idee der Menschen-Einheit nicht verloren sein. Aber entschuldigen Sie, ich verfalle in den Lehrton.«

»Nein, nein. Ich verstehe, bitte, weiter.«

»Nun denn, was einmal reine Idee war, ist unverloren in der Welt; nur soll es nicht verlangen, immer und ewig einziger Ausdruck der Idee sein zu wollen. Hier ist der Punkt, der uns Ungläubige, wie man uns nennt, von den Gläubigen unterscheidet. Ich will Ihnen Thatsachen aus der Gegenwart anführen – aber langweile ich Sie nicht?«

»Wie mögen Sie so gering von mir denken!«

»Ja, verzeihen Sie. Unser Jahrhundert arbeitet an zwei großen Dingen, an Aufhebung der Leibeigenschaft und Vertilgung der Sklaverei; sie werden vollzogen, aber nicht durch die Kirche, sondern durch die fortschreitende Cultur . . . . Ich will Sie nicht beirren, aber thun Sie das nicht wieder . . . thun Sie das ja nicht mehr. Ich bin ein geduldiger Mann, sehr geduldig, ich störe Niemand, aber ich muß sehr bitten, mit solchen Sachen nicht in mich eindringen zu wollen. Wie gesagt, es thut mir leid, wenn ich etwas beleidigt habe, was Ihnen hoch und heilig ist; es wird Ihnen hoffentlich bleiben, auch wenn ich es ablehne. Aber ich bitte . . . ich bitte sehr, mich nicht mehr mit Solchem anzugreifen.«

Manna ging neben dem Professor und wünschte, daß eine himmlische Macht käme, die sie hinwegtrüge von der Seite dieses Mannes.

Wohin ist sie gerathen?

Was hat sie hören müssen? Und das von einem Manne, der kein Weltling ist, der nichts will, als ruhig und arbeitsam sein Leben vollenden!

Es kam keine himmlische Macht, die sie hinwegtrug, und sie beschwichtigte sich im Innern.

Es ist gut, daß sie das auch noch gehört von einem Manne, den sie nicht verwerfen kann. Das ist die letzte Probe des Versuchers, er soll sie nicht irre machen. So gelobte sie sich und preßte die Hand aufs Herz, als ob sie sich an etwas anklammern müsse. Aber es war entschwunden, sie konnte es nicht mehr fassen. Das, wofür sie ihr Leben opfern wollte, konnten die dort nicht annehmen, denn dort, wo sie es opfern wollte, war nichts geschehen zur Tilgung des Ungeheuerlichen.

Sie wollte sich fortan von dem Professor zurückziehen, aber sie fand dies ungerecht.

Was hat er gethan, als frei und offen sich zu seiner Ueberzeugung bekannt?

Sie widmete sich ihm aus Anhänglichkeit; sie erkannte, daß dem Manne die Wahrheit, wie er sie erfaßte, über Alles ging, und daß er jeden Irrthum als das Uebel ansah.

Der Professor gestand ihr offen, daß er bereue, ihr so Fremdes mitgetheilt zu haben, und daß es ihn sehr schmerzen würde, wenn er ihr Gewissen beirrt; er bitte nur, sie solle auch an das reine Ideenleben Anderer glauben.

Beide vermieden fortan jedes Streifen ins Gebiet des Religiösen, und nur manchmal sah Manna auf und ihre Augen wurden größer, wenn der Professor Aussprüche der Heiden citirte, die Wahrheiten enthielten, welche sie für das alleinige Besitzthum der Kirche gehalten.

Vor ihrem Auge that sich ein weit gespannter Horizont auf, innerhalb dessen die verschiedenen Religionen nur wie Vorgebirge sich darstellten.

Dieser unscheinbare, zart organisirte Mann erschien als die vollkommene Individualität, die in der humanen Betrachtung alle Gegensätze in sich aufgenommen und ausgeglichen. Sie sah die Ehrerbietung Erichs gegen ihn, seine kindliche Fügsamkeit, sein treues Aufmerken, die Unterordnung, die er zu jeder Stunde zeigte. Sie beobachtete Erich immer scharf. Also dieser Mann mit dem stark betonten Selbstbewußtsein ist so bescheidener Verehrung für Andere fähig?

Professor Einsiedel ging manchmal mit einem alten eingeschrumpften Männchen von äußerst demüthiger Erscheinung; so oft er Manna begegnete und sie ansprach, zog sich der Genosse zurück, wie wenn er nicht das Recht habe, auch in die Gemeinschaft der Menschen einzudringen.

Professor Einsiedel erzählte Manna einst dessen Geschichte.

Sie waren mit einander auf der Schule gewesen, der Genosse war früh ausgetreten, weil ihm seine Eltern gestorben waren und er für Geschwister zu sorgen hatte. Er war Buchhalter in einem großen Bankgeschäft, er unterhielt seine verwittwete Schwester und deren Kinder. Unter großen Entbehrungen sparte er sich eine beträchtliche Summe, und einst, als er im Theater gewesen und heimkam, sah er, daß sein Neffe den Schreibtisch erbrochen und ihm sein ganzes Besitzthum gestohlen hatte. Er erfuhr, daß er nach Amerika entflohen sei. Ohne je ein Wort davon zu verrathen, fing er nun von Neuem an zu sparen und zu kargen, und opferte er sein Leben einem Andern.

Der Professor konnte nicht ahnen, wie diese einfache Geschichte Manna ergriff.

Er sprach auch viel von der Mutter Erichs; er setzte voraus, daß Manna in inniger Freundschaft mit ihr stehe, und konnte nicht genug Worte finden, den Edelsinn dieser Frau zu schildern.

Manna lächelte, da er sagte, er habe ehedem eine geringe Ansicht von den Fähigkeiten des weiblichen Geschlechts, vor Allem aber das Vorurtheil gehabt, daß es keine Humanität besäße. Die Professorin Dournay indeß habe ihn bekehrt und ihm gezeigt, daß alle guten Manneseigenschaften in einer Frau noch schöner seien. Auch Manna hatte Erfreuliches zu berichten; im Aussprechen gegen den Professor fand sie das Beste in den Menschen heraus.

Sonnenkamp sah indeß mit Aerger die Curzeit vorüberstreichen, ohne daß er zu einer Entscheidung in seiner nächsten Angelegenheit gelangte. Der General, der auf Villa Eden sein Gast gewesen, war angekommen, um mit dem Fürsten nach Beendigung der Brunnencur ins Seebad zu reisen. Der General war Ordenskanzler. Sonnenkamp forschte nach dem Stande seiner Angelegenheit. Der General war sehr zurückhaltend und ließ sich nur zu der Aeußerung herbei, daß nicht er, sondern Graf Wolfsgarten von Entscheidung wäre.

Sonnenkamp hatte bisher immer eine Scheu gehabt, mit Bella über seine Adelserhebung zu sprechen, er hatte das Gefühl, daß er bei ihr dadurch in eine falsche Stellung trete; jetzt überwand er das und sprach mit ihr über die nothwendige Mitwirkung Clodwigs. Sie lachte ihn zuerst aus, daß er etwas Derartiges wolle, daß er nach einem Adelsbrief strebe, der ja bald für einige tausend Gulden auf dem Trödel zu haben wäre; am hiesigen Hofe sei es allerdings noch etwas schwieriger, aber wer frage danach, wo man geadelt worden, wenn man es nur sei. Uebrigens fand sie es auch nicht angemessen von Sonnenkamp, daß er seine Ausnahmsstellung aufgebe und sich in eine Genossenschaft einreihen lasse, und sei es auch die Adelsgenossenschaft.

Es gelang Sonnenkamp nicht, das Räthsel zu lösen, ob Bella es in der That seiner nicht würdig halte, sich adeln zu lassen, oder noch ein gewisser Ahnenstolz in ihr ihn auf höfliche Weise abwendig machen wolle. Trotz sein gestellter Fallen konnte er nicht erkunden, was Bella dachte und wollte; sie merkte die Schlinge und entschlüpfte immer gewandt. Sie spielte mit ihm, bald ließ sie ihn glauben, sie halte ihn für zu hoch, um sich irgendwem gleich zu stellen, bald ließ sie ihn verstehen, er solle aus diesem Kreise wegbleiben, in welchem er doch nie heimisch werde. Wenn Sonnenkamp über dieses schillernde Spiel empört war, wußte sie ihn wieder mit einem Blick, mit einem Wort zu bezaubern.

Der Fürst, der General, Clodwig und Bella reisten in den nächsten Tagen ab; konnte Sonnenkamp nun den Fürsten nicht gewinnen, so wollte er sich doch die ganze vornehme Welt verbinden. Er bereitete ein Fest im sogenannten Haus-Heilingthal vor.


 << zurück weiter >>