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Zweiter Band.

Jahrgang 1845.

Der Gevattersmann.

Besinnst dich hin und her, herüber und hinüber, lieber Leser, was das für ein Gevattersmann ist, der da zu dir ins Haus kommt, und was ihm ein Recht giebt, sich so zu heißen. – Es lassen sich siebenerlei Gründe dafür denken, fünf kannst du dir selber machen und zwei will ich dir sagen. Also:

6. Will ich dein Gevattersmann sein bei manchem rechtschaffenen Gedanken, den du zur Welt bringst. Wenn du das da liesest, was ich jetzt schreibe, und es geht dir etwas Gutes dabei durch den Kopf, und du spürst es in allen Gliedern, daß du ein braver Mann und ein guter Deutscher sein willst, so steht Einer in Gedanken dabei und freut sich – und das ist dein Gevattersmann.

7. Will ich auch noch einmal Gevatter sein bei dem schönsten und liebsten Kind, das hoffentlich nicht mehr zu lange auf sich warten läßt. Und weißt du wie es heißt? Die deutsche Einheit. Laß dann dem Gevattersmann die Freude, ein ganz klein Zipfelchen von seinem Kaisermantel zu halten, und ihm etwas ganz Gutes in das Kissen zu binden.

Warm muß ich werden.

Kommt einmal gegen Abend in einer Stadt in Deutschland ein Fremder mit Extrapost an, und verlangt Pferde, um weiter zu fahren. Ein baumstarker Postillon spannt an, und fährt mit dem fremden Herrn ab. Als sie in den zwei Stunden langen Wald kommen, fängt es an Nacht zu werden. Es ist als ob die Pferde selber eine besondere Unruhe verspürten; sie laufen, daß man glaubt, die Räder fliegen davon. Plötzlich werden sie aber angehalten, drei Räuber überfallen den Wagen und verlangen von dem Reisenden, er solle ihnen alles, was er habe, freiwillig geben, oder sie wollten ihn zwingen, daß er keine Einsprache mehr machen könne. Der Bedrängte ruft nun den Postillon zu Hülfe. Dieser aber sitzt ruhig auf dem Bock und schmaucht behaglich seine Pfeife, als ob ihn die ganze Geschichte nichts anginge. – Was wollte also der Fremde thun? Er steigt aus und muß zusehen, wie ihm die Räuber alles, was er an Geld und Geldeswerth hat, wegnehmen. Als nun endlich die Platte rein geputzt ist, sagt der Fremde: »Mit Verlaub, ihr Männer, ich hätte noch eine Bitte, daß ihr mir einen Dienst erweiset; ich will's nicht umsonst. In meiner Kutsche ist noch eine verborgene Kiste mit fünfhundert Thalern, die sollt ihr haben, wenn ihr mir den Schwager da oben, den Postillon, herunternehmt und tüchtig durchwalkt.«

Zu einem so ehrlichen Verdienst lassen sich die Räuber nicht zweimal auffordern. Sie reißen den Postillon herunter und trommeln tüchtig auf ihn los. Eine Weile läßt er alles mit sich machen. Endlich hebt er die Achseln und sagt: »Jetzt ist's genug!« eben gerade als seine Peiniger daran sind, ihn ganz niederzuwerfen. Nun kehrt er den Stiel um, packt den Einen hüben und den Andern drüben, und schlägt sie so aufeinander, daß ihnen das Herz im Leibe zittert und sie umfallen wie die Mucken im Herbst. Jetzt kniet mein Postillon auf sie hin, und giebt ihnen das Draufgeld sammt Zinsen wieder zurück. Als das der Fremde merkt, gewinnt er Muth, und macht es mit seiner Leibwache ebenso. Mit Hülfe herzugekommener Leute gelingt es dann, die Räuber zu binden und nach der Stadt hineinzubringen. Unterwegs sagt der Fremde zu dem Postillon: »Aber hör' einmal, du bist ein sonderbarer Heiliger. Warum bist du denn so ruhig gewesen, und hast mir nicht geholfen, und hast dich zuerst prügeln lassen?«

»Warm muß ich werden!« antwortet der Postillon, »wenn ich meine tüchtige Tracht Prügel habe, dann weiß ich erst, was ich bin, dann kann ich erst recht tapfer um mich hauen.« –

Daraus ist zu lernen: wie gar viele Menschen ruhig bleiben, so lange ihr Nachbar in der Klemme steckt, bis es endlich ihnen selber an den Kragen geht. Es ist aber auch noch etwas Anderes daraus zu lernen für das deutsche Volk.

Wer ist ein größerer Herr?

Der König Max von Bayern war seiner Zeit ein gar leutseliger Fürst; das ist besser als hochselig, denn da ist man schon gestorben, und besser als redselig, denn dabei kommt nichts heraus als eben ein Mund voll Wind. Also der König Max kommt einmal in ein Dorf und unterhält sich mit dem Schultheiß:

»Wie geht's, wie steht's?« fragt er.

»Königliche Majestät, ich bin ein größerer Herr als Sie,« antwortet der Schultheiß.

»Wie ist das zu verstehen?«

»Ja, sehen Königliche Majestät, wenn Sie etwas befehlen, so geschieht's; ich muß aber zehnmal befehlen, bis etwas geschieht, also habe ich mehr zu befehlen, und wer mehr zu befehlen hat, ist ein größerer Herr.«

König Max merkte sich das und verschaffte den Anordnungen des Schultheißen mehr Nachdruck.

Ein Flucher.

Zweierlei Tuch, das haben die Mädchen alle gern; sowohl die Dienstmagd als ihr Fräulein. – In einer Stadt, wo jeden Mittag Schlag zwölf die Parade durch die schnurgerade Straße zieht, und richtig nach neun Stunden der Zapfenstreich geboren wird, liebte also ein liebes Jungfräulein einen Offizier. Es gibt manchen braven und tüchtigen Mann unter den Offizieren, der nicht wie so viele Andere glaubt, mit dem Exerziren und Spazierenreiten sei man ein großer Mann, brauche weiter nichts, und könne auf alle anderen Menschen heruntersehen: sondern der es weiß, daß Liebe zum Vaterlande, zu Verfassung und Gesetz ihm seinen Degen festschnallen müssen; der sich allerlei nützliche Kenntnisse und ein ordnungsmäßiges gesetztes Benehmen aneignet, weil er ja dazu da ist, damit Niemand dem Lande etwas anhaben könne, damit Ordnung und Freiheit darin herrsche. Das liebe Jungfräulein war aber an den Unrechten gekommen, er sah wohl recht manierlich aus, war's aber gar nicht; besonders hatte er sich ein lästerliches Fluchen angewöhnt, und ein Hagelblitzdonnerwetter ging ihm so leicht vom Mund weg, wie einem andern ehrlichen Menschen ein Morgen- oder Abendsegen. Wenn er aber seine blaßgelben Glanzhandschuhe anhatte, und bei den Eltern und mit den Gespielen des Jungfräuleins in Gesellschaft war, da lächelte er so sanft und lispelte so zart, wie wenn gar kein rohes Wort über seine Lippen gehen könnte; er sprach von seinen Gefühlen u. dgl., was die Mädchen gar gern haben, und das Jungfräulein sah ihn immer mit strahlenden Augen an. – Einstmalen an einem Abend war der zarte Held wieder im Hause seiner Liebsten gewesen, und war bezaubernder als je: so viel weise Mäßigung, so viel edle Sanftmuth war ihr noch nie vorgekommen. Als es endlich Zeit zum Weggehen war, hatte sich das Jungfräulein weggeschlichen und harrte verstohlen an der Treppe; es wollte dem Jüngling noch eine Gutnachthand oder auch einen Kuß geben. Als der Offizier die Thüre hinter sich ins Schloß fallen hörte, fing er mit dem größten Behagen an: »Kreuzhimmelfahnenbataillonmalefizdonnerrrsacrrra –« und so weiter noch eine gute Weile; dann sagte er tief aufathmend, wie wenn eine große Last von ihm genommen wäre: »Ah! jetzt ist mir's wieder wohl, jetzt habe ich mich doch ausgeflucht; habe ich doch den ganzen Abend gemeint, ich muß platzen wie eine Bombe. Ich muß fluchen, fluchen muß ich, und vor dem Weibsgesindel muß man doch schön thun. Johann! Hundskerl, häng' mir den Mantel um.« – Das Mädchen, das dieses vernommen, schlich leise in die Stube zurück, der Officier bemerkte es noch, aber alle Mühe, die er sich später auch gab, war vergebens, sie waren von nun an geschieden, und er konnte jetzt für sich allein über sein Fluchen fluchen. – Manche Leute wollen zwar sagen, sie nehme ihn doch wieder an. Sei dem wie ihm wolle. Merke: es ist nicht gut, wenn man sich gemeine Redensarten angewöhnt, es kann zu deinem Unglück sein, auch wenn du gerade nicht verliebt bist.

Dreierlei Wünsche.

Manche Menschen sind gar zu höflich und vergeben sich dadurch ihr Ansehen. So sagte einmal ein überaus feiner Franzose zu einem Engländer: »Wenn ich nicht ein Franzose wäre, so wünschte ich ein Engländer zu seyn.« Der Engländer erwiderte trocken: »Und ich, wenn ich nicht ein Engländer wäre, so würde ich wünschen – einer zu sein.« Liegt in diesen beiden Aussprüchen nicht die oft übertriebene Artigkeit des Franzosen und das Selbstgefühl, so wie die strenge Wahrheitsliebe des Engländers ausgedrückt? Noch vor wenigen Jahren hätte ein Deutscher, der dabei gewesen wäre, gesagt: »Und ich – ich möchte ein Franzose oder ein Engländer sein.« – Das ist Gottlob jetzt anders. Jetzt haben wir einsehen gelernt, daß wir selber etwas auf uns halten müssen, wenn wir es zu etwas bringen wollen. Wer sich nicht selbst achtet, dem geschieht Recht, wenn ihn auch Andere nicht achten. Wird ein guter Sohn die Fehler seines Vaters aufdecken? Lies einmal in der Bibel die Geschichte von den Söhnen Noahs. Wenn uns Deutschen auch noch Vieles fehlt, was andere Nationen haben; wenn auch noch Vieles im Vaterlande anders werden muß, bis jeder mit gerechtem Stolz sagen darf: »Ich bin ein Deutscher!« so liegt doch in uns ein so tüchtiger Kern, daß wir es zu Großem bringen können, wenn wir nur recht wollen, und uns selber aufrecht erhalten. Und gerade, weil uns von so vielen Seiten so hart mitgespielt wird, verdienen wir um so mehr Achtung, daß wir den Kopf nach oben behalten und vorwärts dringen.

Wenn er das Sieden verträgt.

Der Herzog Karl von Württemberg, der im vergangenen Jahrhundert gelebt hat, war ein gar gestrenger Herr, und wollte Alles in der Welt, d. h. in seiner württembergischen Welt, nach seinem eigenen Kopf ummodeln. Einstmalen reitet der Herzog Karl auf einem schönen Schimmel durch das Städtchen Calw im Schwarzwalde. In dieser Stadt war ein berühmter Färber, er steht eben vor dem Hause und zieht seine Mütze ab. »Hör' er einmal,« sagt der Herzog, »kann Er mir den Schimmel da blau färben?«

»Ja, Durchlaucht, wenn er das Sieden verträgt,« antwortet der Färber.

Der Herzog ist still davon geritten.

Diese Geschichte hat aber in unseren Tagen auch noch eine Bedeutung, und zwar eine besondere. Viele möchten gern das ganze deutsche Volk und die Menschen überhaupt ganz ändern durch Allerlei, – wenn sie nur das Sieden vertragen würden. Und es geht da leicht wie bei einem einzelnen Menschen, man kann Einen zu todt doktern. Gottlob aber, das deutsche Volk ist gesund und braucht nicht so viele Verordnungspflaster, und albern ist, wer es modeln möchte, wie er's gerade gern hätte.

Der König kommt.

Ein Mann war zu Tische geladen und sagte immer: »Ich bin so voll, ich kann eigentlich gar nichts mehr essen.« Dabei hieb er indeß doch nicht faul ein. Endlich aber sagte er: »Nun ist's genug.« Da kam zuletzt noch ein schön Spanferkelchen, das glitzerte so unschuldig und rein, daß Einem die Augen glänzten, wenn man's ansah. Dem Gaste wird ein schön Stück angeboten, er nimmt's, und auch Kartoffelsalat nebst Füllsel dazu, und verzehrt's mit Lust. »Ich begreife aber gar nicht,« sagte der Hauswirth, »wie Ihr das noch essen könnt? wo findet Ihr denn Platz?« »Ja,« sagte der Gast, »das ist gerade, wie wenn der Marktplatz ganz voll ist, Kopf an Kopf, es kann kein Mensch mehr hinein; auf einmal heißts: ›der König kommt!‹ da rückt Alles zusammen, und es giebt Platz für ihn und seinen Hofstaat.«

Ein Pranger für Alle.

»Die Juden sind schlechte Kerle, sie betrügen und lügen und stehlen wenn's angeht,« sagte ein Mann zu seinem Freunde, worauf dieser erwiderte:

»Die Juden sind auch schlecht, aber im Allgemeinen nicht schlechter als die Christen auch. Wenn ein Mensch lügt und betrügt und stiehlt, so fragt er, wenn er ein Christ ist, nicht seinen christlichen, und wenn er ein Jude ist, nicht seinen jüdischen Katechismus; der eine wie der andere verbietet ihm das, er thut's aber trotzdem.«

»Die Juden sollten aber nicht schlecht sein,« sagte der Erste.

»Ich will dir 'was erzählen, erwiderte der Freund abermals: »Vor Zeiten, als man die Verbrecher noch am Pranger ausstellte, stand einmal zu Frankfurt am Main ein Jude darauf. Ein anderer Jude geht vorüber. ›Nu Mausche,‹ ruft ihm sein Nachbar Christian zu, ›gelt, da steht ein Judt!‹ ›Nu, was der Mähr?‹ sagt Mausche, ›habt Ihr den Pranger allein gepachtet?‹«

Besonderer Tisch.

Herzog Karl hat einmal im heißen Sommer in dem Städtchen Nagold zu Mittag gegessen, oder eigentlich gespeist, wie die großen Herren thun. Kommt eine Unzahl von Fliegen und speist mit, uneingeladen, und summen mit einander, und laufen hin und her, und gehören doch gar nicht an eine fürstliche Tafel. Da wird der Herzog bös und sagt zu der Wirthin: »Ins Teufels Namen, deck' Sie den Mücken besonders.«

Die Wirthin ist still, und thut wie ihr befohlen. Nach einer Weile tritt sie wieder vor den Herzog, macht einen Knicks und sagt: »Gedeckt ist, befehlen jetzt auch Eure Durchlaucht, daß sich die Mücken setzen.« – –

Hievon kannst du selber die Anwendung machen.

Ein Gespenst.

Weiß wohl, daß du nicht mehr an Gespenster glaubst, wie ich auch nicht. Es giebt aber ein Gespenst, das ich oft gesehen habe, bei Leuten, die auf harten Bänken und bei Leuten, die auf weichen Polstern sitzen. Ich habe es am hellen Tag, bei der einsamen Oellampe und beim Scheine von hundert Wachskerzen gesehen. Du kennst die Sage, daß, wenn Jemand gewaltsam umgebracht worden ist, sein Geist als Gespenst umwandle. Viele Menschen schlagen die Zeit gewaltsam todt, durch Nichtsthun, oder dadurch, daß sie etwas treiben, was nicht viel mehr als Nichtsthun ist, und da kommt dann das Gespenst der gemordeten Zeit: die Langeweile, und setzt sich den Mördern, wo sie sind, auf den Nacken; es macht kein Geräusch; es macht nur gähnen. – Willst du das Gespenst von dir bannen, mußt du immer etwas Rechtes thun oder denken.

Trost im Unglück.

Wenn ein schweres Unglück über dich kommt: es stirbt dir ein lieber Mensch, oder es betrifft dich sonst Etwas, daß du von Kummer und Schmerz ganz niedergedrückt bist, und dir gar nicht aufzuhelfen weißt, dann kommen die Freunde und sagen dir: sieh auf Diesen oder Jenen, der hat noch viel schwereres Unglück ertragen oder ein gleiches – oder dein eigener Verstand sagt dir: andere Menschen haben auch Unglück und Trübes aller Art. Du findest darin einen Trost und eine Stütze.

Nun frage ich: ist denn die Menschennatur so schlecht geartet, daß wir einen Trost darin finden, wenn wir sehen, daß wir nicht allein unglücklich, sondern daß es Andere auch sind? Steckt so ein Neidteufel in der menschlichen Seele, daß wir froh sind, wenn Andere auch Schaden haben?

Die Antwort ist: wenn wir von einem schweren Unglück betroffen werden, so meinen wir im ersten und heftigsten Schmerze, wir könnten nie mehr in Ruhe und Frieden leben, wir müßten daran zu Grunde gehen – wir verzweifeln fast. Wir glauben nicht, daß wir nach einem Jahre oder sonst nach Verfluß einer Zeit, wieder frisch und freudig sein könnten. Da betrachten wir das traurige Geschick fremder Menschen, und sagen uns, wenn auch nicht deutlich: diese und diese haben Aehnliches und noch viel Schlimmeres gehabt, und haben es doch ertragen – du mußt es auch können. Man gewinnt dadurch Vertrauen zu seiner eigenen Kraft und den rechten Glauben, daß sie ausreicht.

Wenn wir also in unserem eigenen Unglück fremdes betrachten, sind wir weit entfernt Freude an dem Schaden Anderer zu haben.

Darum wehre dich nicht dagegen, wenn man dir in deinem Unglück fremdes zum Trost vorführt.

Von kleinen Reisen.

1.

Es ist wahr und gewiß, man erlebt in unseren Tagen weit weniger auf Reisen, als vor Zeiten. Bei den guten Straßen und bei der Vorsorge für das Gefährt, kommt selten etwas Besonderes mehr vor, etwa daß ein Rad bricht, oder dergleichen. Auch sind die meisten Menschen jetzt nicht mehr so gesprächsam. Da sitzen sie stumm in ihren Winkeln und gucken einander an. Sonst, wenn einer eine Reise that, war er aufgeräumt und zog auch andere Leute auf; die Menschen wurden zusammengeschüttelt und gerüttelt, manchmal ging einem dabei auch das Herz auf, und im nächsten Wirthshaus war die ganze Gesellschaft schon Bruderander. Jetzt liegen die Leute viel zu viel auf der Straße, und sie haben nicht Lust sich immer auszuschwatzen.

Da hatte einmal ein Vetter vom Gevattersmann, er heißt Johann, einen Hauptspaß auf einer Reise von Berlin nach Potsdam. Es soll ein langweiliger Weg sein. Das war nämlich vor der Eisenbahn. Die zehn Menschen, die im Familienwagen saßen, schauten einander an, und waren gar nicht familiär, und es war alles, daß sie nicht gähnten. Da sagte der Vetter: »Meine verehrten Anwesenden. Der Mensch (Alles lachte, weil er so weitläufig anfing, er aber fuhr fort), der Mensch lebt seine 70 Jahre oder auch mehr oder weniger; davon ist die Zeit, die wir hier nach Potsdam fahren, ein erklecklich Stück. Ich meine, wir sollten es einander so heiter als möglich machen; ich schlage also vor, daß wir, bis wir in Potsdam angekommen sind, Du zu einander sagen, Sie werden sehen, wie fröhlich es wird.«

Eine Weile blieb Alles stumm, da sagte endlich eine ehrwürdig aussehende alte Frau, die in einer Ecke saß: »Du hast recht, das ist sehr gescheidt,« und nun ging's los. »Halt,« rief der Vetter Johann (er befiehlt ein bischen gern) »ein Jedes soll dem Andern sagen, für was es ihn hält, aber aufrichtig.« Nun ging's erst los, und man war so froh, daß ein Jedes bedauerte, als man in Potsdam angekommen war.

2.

Vor einiger Zeit fuhr der Gevattersmann nach einer der vielen deutschen Hauptstädte, auch Residenzen genannt. Zwei Männer saßen neben ihm, sie waren gesprächsam. Ich will nicht sagen, für was ich sie gehalten habe, es schienen im Ganzen ehrbare Menschen zu sein. Der Eine aber erzählte: »Ich komme von Wiesbaden, dort ist mir im schwarzen Adler mein Hut vertauscht, und ein alter verschabter Deckel dafür hingelegt worden. Ich habe mich aber kurz entschlossen, und habe einen Hut nach dem andern aufprobirt, bis mir zuletzt der, den ich aufhabe, paßte. Die Kellner merkten's wohl, und lachten, ich aber ging ruhig fort.«

»Ich sagte ihm: »Wie nun, wenn der, dessen Hut Sie haben, es ebenfalls so macht, und so fort, bis endlich die ganze Gesellschaft unrechte Hüte auf hat, und der alte am letzten hängen bleibt?«

Der Mann erwiderte blos: »Ich kann nichts dafür.«

Nun schien, wie gesagt, der Mann sonst recht ehrbar zu sein. Wie verträgt sich aber eine solche Handlung damit?

Diese Geschichte passirte auf der Hinreise. Auf dem Rückweg, wir fuhren im Eilwagen, wurden wir von einem tüchtigen Platzregen überrascht. Die Fenster wurden nun aufgezogen, aber eines derselben schloß nicht gut, und es spritzte durch dasselbe herein; auch von der Decke, wo die Laternen stecken, tropfte es. Der Mann, der dem Regen zunächst saß, ärgerte sich darüber, und sagte, er werde bei der Ankunft das Klagebuch, das auf jedem Postamt liegt, verlangen und diesen Uebelstand rügen, damit ihm abgeholfen werde. Einstweilen richtete er sich ein, so gut es ging, und hüllte sich in seinen Regenmantel.

Als man endlich angekommen war, meinst du nun, der Betropfte habe das Beschwerdebuch verlangt? Er reckte und streckte und schüttelte sich, und sagte endlich zu einem Packer: »Da regnet es herein, das sollte man ändern lassen.« – Dann ging er seines Weges und weiß nun nicht, oder wenigstens nicht sicher, ob dem Uebelstande abgeholfen wird.

So geht es oft: auch wo die Menschen helfen können, ist ihnen oft die kleine Mühe zu viel, und sie scheuen sich, wie der Betropfte, vor den Post- oder andern Beamten und wollen nicht von ihnen darum angesehen sein. Sie machen sich schnell aus der Traufe, so gut es geht, und lassen Andere wieder naß werden, wie sie es geworden sind.

Greif' an dein Herz, ob du auf diese Art nicht auch schon oft versäumt hast, etwas in die Reihe zu bringen, ob du das deinen Nächsten betreffende Nebel verhindert hast, so gut du konntest, und thue künftig, was dir dein Gewissen befiehlt, und scheue dich vor Niemand.

Unterthänigste Bittschrift

des Wörtleins Ich an Wir, Man und den gehorsamst Unterzeichneten.

Ich armes, verstoßenes Geschöpf weiß nicht, wo ich mein Haupt niederlegen soll; möcht' in mich selber hinein verkriechen, wenn das anginge. Weiß wohl, daß es sich nicht schickt, sogleich mit Ich anzufangen, thu' es aber doch. Da steht in der Zeitung: »Frische Stockfische habe erhalten. Johann Dreibein.« Wo bleib' denn Ich? Ich meine bei den Stockfischen könnte man ein solch kleines Ich schon unterbringen, Herr Dreibein!

Ein Kaufmann schreibt: »Ihre Zuschrift vom 2. hujux habe erhalten.« Stünde Ich nicht gescheitster da, als das hujux?

Du, ich meine dich Nachbar Kilian, machst eine Bittschrift, weil du einen Plan für einen neuen Schweinestall bei der Oberbaudirection einreichen willst, und wo ich mich sehen lassen will, kommt der Katzenbuckel »gehorsamst Unterzeichnete,« und Ich werde gar nicht angesehen, und muß mich kuschen.

Am meisten ärgert's mich, daß das landläufige »man« von dem Niemand weiß, wer und woher es ist, mich überall wegdrückt. Der Joachim steckt den Feuerstein in die Pfeife, und den brennenden Zunder in den Sack, und da sagt er: »Man ist doch oft gar zu dumm.« Donner! da gehör' Ich hin, Ich bin dumm, muß er sagen, und nicht »man.«

Und wenn ich meine, jetzt können sie mich gar nicht mehr nebenaus setzen, jetzt müssen sie mich nehmen: der Bürgermeister hat 'was zu befehlen, oder ein Zeitungsschreiber 'was zu wünschen: ich würde mir eine Ehre daraus machen, wenn Ich dabei auftreten könnt' – aber nein, da heißt es gleich: »Das Bürgermeisteramt, die Zeitungsschreiberei,« oder es kommt gar der hoffärtige Bursch, der »Wir,« und stellt sich ellenbreit hin, und Ich werde wieder heimgeschickt.

Bei den Leuten im Irrenhaus und bei den Kindern bin ich's gewohnt, daß sie nichts von mir wissen; sie verstehen noch nicht, was Ich zu bedeuten habe. Der närrische Jakob sagt immer: »Der Jakob ist todt.« Ich bin ihm ganz abhanden gekommen. Der kleine Fritz sagt: »Mutter, gieb dem Fritz ein Aepfelchen.« Die großen Leute sollten doch aber wissen, was Ich zu bedeuten habe. Freilich, vor Gericht, und wenn's sonst 'was zu läugnen giebt, da sagen sie schön: »Ich ... Ich ... weiß nichts, Ich ... Ich ...« daß ich mich schämen muß; aber wenn's was gutes giebt, kennen sie mich nicht, da thun sie oft, wie wenn Ich gar nicht da wäre. Freilich, es giebt viele Leute, die sind nicht einmal das Pünktchen auf dem i, viel weniger ein ganzes Ich, die können meinetwegen »wir« sagen, oder auch »man«; ich brauche sie nicht.

Am meisten freuen mich die Engländer, bei denen bin Ich immer groß angeschrieben, sie schreiben immer »I,« und stellen mich stolz hin.

Darum meine ich jetzt: wir Deutschen dürften wohl auch anfangen Ich zu sagen, und recht schön wäre es, wenn Ich immer groß angeschrieben wäre. Ich hoffe, daß man mir in Zukunft Recht werden läßt, und verbleibe allzeit dienstfertiges

Ich.

Gute Unterhaltung.

Nichts ist ärgerlicher, als wenn man beim Weggehen aus einer Gesellschaft sich selber Ohrfeigen geben möchte. Du gehst Abends, oder sonst an einem Feier- oder Sonntage, auf Besuch zu Leuten. Du hast ein gutes und reines Gemüth, möchtest über ordentliche Sachen sprechen, heiter oder ernst, wie's kommt. Da hat's aber oft der Teufel gesehen. Du gerathest unter Leute, die unzüchtige und schmutzige Reden führen. Du bist eine Weile still und hörst zu. Du hast den Muth nicht, die Sache in eine andere Bahn zu führen; auch ist das schwer, denn von unzüchtigen Sachen können die Dümmsten ganz geläufig sprechen. Du hörst also eine Weile zu, und – da fällt dir auch eine solche Geschichte ein. Du erzählst sie – blos den Anderen zu Gefallen – und wenn du weggehst, möchtest du dir, wie gesagt, Ohrfeigen geben.

Diese Treppenreue, wie man das nennen kann, ist sehr traurig. Nicht mehr thun, ist das Beste.

Ein Anderes geschieht oft einem gesprächsamen und mittheilenden Menschen. Er kommt wohin, es redet Niemand, er kann das nicht aushalten und redet dann für zwei; er muß sich selber Red' und Antwort geben, und noch dazu auf Dinge, die er gern für sich behalten hätte, und die nicht gerade da und dahin passen, kurzum, er ladet das Heu vor der unrechten Thür ab.

So ging's oftmals einem braven und vernünftigen Manne, der in den Abendstunden ein Nachbarhaus besuchte. Einstmals sagte er: »Ich gehe nicht mehr hin.« »Warum?« fragt seine Schwester, »du unterhältst dich ja immer so gut.« »Ja,« antwortete er, » Ich unterhalte mich

Darum wünscht dir der Gevattersmann immer einen oder einige gute und offene Menschen zur Gesellschaft, wenn du sie nöthig hast. Sei du nur selber so, und sieh dich nur recht um, dann findest du sie in jedem Dorf und in jedem Städtchen.

Der Polizeidiener in der Rattenfalle.

Warum sind die meisten Menschen, die eifrig darauf aus sind, daß das Gesetz herrsche und die Obrigkeit in Achtung stehe, ich frage: warum sind die meisten Menschen so froh, wenn der Polizei ein Schabernack gespielt wird? Sie gehört doch auch zur Obrigkeit, und wie! Macht sie sich denn nicht überall geltend, auf Schritt und Tritt, zu Pferd und zu Fuß, bei Tag und bei Nacht? – Ja, das ist's eben. Sie macht den ordentlichen und gesetzmäßigen Leuten viel mehr zu thun, als den unordentlichen. Sie giebt sich das Ansehen, als ob sie allein mündig sei, und alle Bürger unmündige Kinder; sie wird in gar vielen Orten, nicht wie sich's gebührt, von den Bürgermeistern und von den Bürgern selbst gehandhabt, sondern von Menschen, die man eben so hergesetzt hat, und die Einen ansehen, als ob sie sagen wollten: warum kann ich dich denn nicht beim Kragen nehmen? – Und wenn man sie braucht, dann sind sie gerade nicht da. Das meiste Aergerniß giebt aber, daß viele Anordnungen so aussehen, nicht als wollte man die Leute schützen, sondern als wollte man sie im Zaume halten und bisweilen noch eine Trense aufsetzen. Und endlich (um das Register voll zu machen), ein Hauptübel ist, daß die Polizeidiener ein Fanggeld oder einen Anzeigerlohn haben; da gewinnt es dann oft den Anschein, als ob die Verordnungen nur da wären, um die Leute recht strafen zu können, und nicht dazu, um Unordnungen zu verhüten.

Davon kann der Gevattersmann wieder ein Geschichtchen erzählen, das in einer Stadt geschehen ist, welche jetzt zu einer deutschen Bundesfestung gemacht wird, und die zwischen dem Rhein und der Donau liegt. Hier wohnt ein ehrsamer Schreiner und hat mehrere Gesellen. Nachts, wenn Feierabend ist, wollen die Gesellen eben auch nicht zu Haus bleiben, sondern der eine geht da-, der andere dorthin. Nun kann der Meister nicht jedem Gesellen einen besondern Hausschlüssel geben, sondern allen insgesammt nur einen. Sie machen nun unten an der Rinne einen Verschlag, und da legen sie den Schlüssel hinein: wer nach Haus kommt, nimmt ihn, schließt auf und wieder zu und legt ihn von innen wieder in den Verschlag. Nun wird aber der Meister von Polizei wegen mehrmals bestraft, weil man in der Nacht sein Haus offen gefunden hatte. (Es läßt sich eigentlich doch kein rechter Grund für ein derartiges Verbot auffinden, denn wenn Jemand nachlässig sein will, so daß er bestohlen werden kann, ist das seine Sache und geht Niemand 'was an.)

Der Meister ermahnt mehrmals seine Gesellen, doch ordentlicher zu sein, sie aber behaupten, immer geschlossen zu haben; da sagt Einer: »Ich glaube, der Polizeidiener hat das Versteck des Schlüssels entdeckt, und macht selber auf, um die Anzeigegebühren zu erschnappen; gebt Acht, ich werde auch ein Fanggeld verdienen.« Er hämmert und meißelt nun etwas in dem Verschlag, wohin gewöhnlich der Schlüssel gelegt wurde. Am Abend blieb Alles zu Hause. In der Geisterstunde, zwischen 11 und 12, hört man jämmerlich winseln. Der Meister und die Gesellen schauen zum Fenster hinaus und sehen den Polizeidiener richtig mit der linken Hand in der Rattenfalle gefangen, die ihm der pfiffige Geselle gestellt hatte. Er hatte sich fast ganz zum Boden bücken müssen, und jammerte nun erbärmlich in dieser gekrümmten Stellung. Alle Nachbarn kamen herbei, und man ließ den Gefangenen erst los, als er versprochen hatte alle empfangenen Strafgelder zu ersetzen.

Je schlimmer je besser.

So sagen viele sonst brave Menschen, wenn ein neuer Gewaltstreich in der Welt geschehen, wenn aber und abermals eine ehrliche Hoffnung zu Schanden geworden ist.

»Laßt sie nur immer drauf los machen,« sagen sie, »wenn's recht dick kommt, wird man schon einmal ausfegen, wenn gnug darauf losgeschlagen ist, wird man schon einmal den Stiel umkehren, wenn der Bogen zu hoch gespannt ist, reißt er am Ende.«

So sagen oft sonst ehrliche und brave Menschen, damit meinen sie dann, hätten sie genug gethan; sie haben eine Faust im Sack gemacht, haben beim höchsten Schiedsgericht ihres Gewissens eine Verwahrung zu Protokoll gegeben, und nun legen sie die Hände in den Schooß und lassen die Sachen gehen, wie es Gott gefällt, oder vielmehr, wie es Gott nicht gefällt.

Wenn's hoch kommt, schimpfen und spötteln dann solche sonst ehrliche und brave Menschen über ihr eigenes Volk, über das deutsche. Das ist eine wohlfeile Großthuerei. Zupf dich an deiner Nase, du bist ja auch ein Deutscher. Sei du zuerst brav und so jeder durch die Reihe, nachher wird's schon gut stehen.

Freilich, bei einem großen Siegesjubel mit thun oder gar vorn dran sein, das ist keine Kunst und kostet keine Selbstüberwindung, aber im Kleinen, Ruhmlosen sich bewähren, da zeigt sich der echte Mann.

Im gewöhnlichen Leben, in jedem bürgerlichen Gewerbe sagt man von einem Manne der verzweifelt und nichts thut: das ist ein nichtsnutziger Mensch. Wer aber verzweifelt und nichts thut für die bürgerliche Gesellschaft, wie sollte man den heißen?

Es giebt auch Viele, die alle Verbesserungen der bürgerlichen Gesellschaft der Zukunft in die Schuhe schieben, sie sagen: »Jetzt ist nichts zu machen, es wird schon einmal eine Zeit kommen, wo es anders wird!« Zeit kommen! Es kommt keine Zeit von sich allein, man muß ihr entgegengehen und muß sie holen. Auf bessere Zeit warten, das kommt gerade so heraus, als ob man an einem Strome sitzt, über den man hinüber will, und man wartet und wartet, bis das Wasser sich einmal verlauft. Da kann man lang zusehen. Man muß eine Brücke bauen, oder in einem Nachen oder sonstwie hinüber schwimmen.

Zugegeben aber auch, es kommen einmal bessere Zeiten; kann ein kommender Tag Rechtens die Jahre des Unrechts auslöschen? Könnt ihr einem unschuldig Gefangenen die Stunden und Tage und Monate wieder geben, die er in trauriger schwerer Haft zugebracht hat?

Drum frage dich selber: hast du immer gethan, was du konntest? Hast du denjenigen beigestanden, immer und unablässig beigestanden, die für das Gute wirken? Hast du denjenigen, der für die Wahrheit leidet, genugsam unterstützt? Hast du dir gesagt: er leidet für mich und ich muß ihm noch danken, wenn er etwas von mir annimmt? Oder hast du vielleicht bei dir gedacht oder auch ausgesprochen: es ist recht schön und brav, was der Mann will, aber er kann es jetzt nicht ausführen, und hast ihn dann allein waten lassen?

»Je schlimmer je besser!« Der Satz ist aber auch noch weiter nicht wahr. Das Schlechte führt nicht zum Guten. Es giebt Viele, welche sagen: die Leute haben Unrecht, wenn sie unzufrieden sind und klagen, leben wir nicht ganz gut? was fehlt uns denn? – Ihr lebt ganz gut, aber was euch fehlt? Ich weiß nicht, ob ich's sagen darf, aber wißt ihr, was ein Mann, was ein Bürger, was eine Nation zu bedeuten hat? Nun fragt euch selber weiter.

Merkst du, wie die Ueberzufriedenen durch das Schlechte schon verschlechtert sind? Man ist in unsern Tagen so gesittet und klug, daß man nicht mehr mit Kolben drein schlägt; man bindet nicht mehr an ein großes Seil, welches würgt und das man mit Einemmale abstreifen kann. Nein, man macht's gescheidter, man bindet an tausend kleine Fäden, und die Gewohnheit übt auch darin ihr Recht, daß man's nach und nach kaum mehr merkt, wie man an allen Enden und Ecken gebunden und geknebelt ist. Man sagt dann endlich: es kann auf dieser Welt nicht anders sein, und da wird man – je schlimmer es geht, um so schlimmer.

Wie es aber nicht wahr ist, so ist es auch nicht gut, wenn aus dem Unrecht endlich einmal ein Recht kommt. Das lange Unrecht macht die Menschen schlecht, es gewöhnt sie daran auf eigene Faust zu leben, und gar keine Achtung vor dem Gesetz mehr zu haben. Und wenn ja dann einmal der Stiel umgekehrt wird, so ist das immer eine böse Sache, und wenn auch alles gut geht, die Opfer sind schwer und groß.

Drum wer es gut meint mit dem Vaterlande und der Welt, der sagt nicht: je schlimmer je besser. Im Gegentheil, wo er ein Unrecht sieht, sucht er dem abzuhelfen, und bei allem was ihm vorkommt sagt er offen und frei: das ist Recht und das ist Unrecht.

Kann er auch nicht das Haus auf einmal umbauen, so schlägt er doch da und dort einen Nagel ein oder stopft ein Loch zu. Wenn nur jeder Arbeiter seinen Stein unverdrossen recht meißelt und der andere Mörtel zuträgt u. s. w., so wird das Gebäude schon fertig.

Wer nur recht schaffen will und ein gutes Gewissen und Muth hat, der kann noch immer was thun; ist es nicht viel, ist es wenig. Bleiben auch noch große Posten stehen, so kann man doch einstweilen die kleinen Klettenschulden abtragen, an die man doch später auch kommen müßte.

Wer also sagt: »Je schlimmer je besser,« der gehört nicht zu den Besseren.

Der Doktor Gscheitle,

auch Doktor Pfiffizissimus genannt, ist in Ueberdenklingen bei Witzenblitz geboren. Es ist eigentlich kein Doktor, hingegen nur ein Feldscherer, läßt sich aber doch Doktor heißen. Die Ueberdenklinger, das sind ganz absonderliche Leute. Wenn man einen Ueberdenklinger fragt: »Wo ist denn dein link' Ohr?« da hebt er die rechte Hand auf und langt über den Kopf hinüber nach seinem linken Ohr. (Mach's nur scherzhaft nach, wenn dich dein Rock nicht unterm Arm spannt.) Den linken Arm aufheben und nach dem linken Ohr greifen, das kann ja jeder Mensch, und wer von Ueberdenklingen ist, thut und sagt gern was Besonderes, was nicht jeder Mensch kann.

Drum mußt du dem Doktor Gscheitle ein bischen das Zeug visitiren, wenn er manchmal zu dem, was der Gevattersmann sagt, seinen Senf dazu giebt.

Nur ein Schneider.

Hast du schon einmal darüber nachgedacht, warum man die Schneider alsfort so bespöttelt und bewitzelt? Wenn du schon einmal darüber nachgedacht hast, ist mir's lieb, wo nicht, so können wir's jetzt mit einander thun.

Im Ganzen genommen ist jede Arbeit eine ehrbare. Nur wer faullenzt, den trifft mit Recht Schande und Spott, weil man ihm ja doch keine andere Strafe anthun kann. Die Arbeiter sind dazu da, um das Leben schön und menschlich zu machen, wer dazu mithilft, thut recht. Warum bespöttelt man die Schneider? Sind sie ja, wie der verstorbene Hausfreund gesagt hat, so große Herren, daß sie ungestraft die Hand an die Person des Königs legen und ihn mit kühnem Blick und Maß messen dürfen – es muß doch irgendwo ein Häkchen haben. Erstlich mein' ich, weil das Sprüchwort sagt: Kleider machen Leut', und die Schneider (oder wie sie jetzt nach der neuen Mode heißen, Kleidermacher), sich immer damit beschäftigen, die Leute herauszuputzen, damit sie ein rechtes Ansehen haben, so suchen viele selber das Ansehen in dem Aeußerlichen, in den Kleidern. Die Schneider gehen immer ganz absonderlich geputzt. Man sieht's aber dabei doch oft ihren Kleidern an, daß das Zeug nicht ausreichen wollte. Und wie Alles in der Welt Ursache und Wirkung ist, so suchen zweitens viele Schneider, weil ihr Stand nicht sonderlich geehrt ist, solchen zu verbergen, und machen sich dadurch doppelt lächerlich. Denn man soll nie verhehlen, was man ist. Nicht der Stand giebt dem Mann die Ehre, sondern aber umgekehrt. Der Mann, der rechte Mann aber bringt seinen Stand zu Ehren. Da meinen viele Menschen, wenn sie über ihren Stand hinausgehen, und thun wollen als ob sie höher stünden, da könnten sie größeres Ansehen erwerben. Weit gefehlt. Mit Schimpf und Spott werden solche Ausreißer heimgeschickt.

Drittens will es den Gevattersmann bedünken, als ob das Vorurtheil der Menschen gegen die Schneider daher käme, weil die Schneiderei doch eigentlich kein Männergeschäft ist. Kleidermachen gehört eigentlich den Frauen, und war auch in früheren Zeiten ihre Arbeit.

Du kannst dir einen großen, starken, kräftigen Mann nicht so recht als Schneider, mit der winzigen Nadel in der Hand, denken. In der That sind auch die meisten Schneider schmächtige, enggebaute Menschen, oder sie werden es durch ihre sitzende Lebensart. Das fordert nun manchen zum Spott heraus.

So, das wären nun die Gründe, die der Gevattersmann dafür weiß, daß man in der Regel mit Bedauern sagt: »Nur ein Schneider.« Vielleicht wüßte der Doktor Gscheitle noch einen oder zwei, er hat aber noch nie darüber gesprochen. Ehrlich gesagt, sind aber alle diese Gründe (um mit der Schneidersprache zu reden) nicht recht stichhaltig. Gefällt dir's, wenn du oft hörst: das ist ein dummer Bauer, das ist ein grober Schmied, ein schmutziger Schuster, ein betrügerischer Advokat? Sag' einmal, gefällt dir das, wenn man eine ganze Klasse Menschen über einen Kamm scheert? Du sagst gewiß: »Ich kenne Bauern, die sind gescheidter, als mancher Regierungsrath; ich kenne Schmiede, die sind höflicher, als zehn Amtsdiener zusammengenommen: ich kenne Schuster, die sind säuberlicher, als ein Dutzend Stadtjungfern; ich kenne Advocaten, die sich nie dazu hergeben, auch nur das kleinste Recht zu verdrehen, sondern im Gegentheil Jedem zu dem Seinen verhelfen.« Also – nun, also mein' ich, soll man auch jeden Schneider für sich selber beurtheilen, dazu hat jeder Mensch das Recht.

Vor alten Zeiten, wo es noch Standesrechte gegeben hat, wo die Zünfte zusammengehalten haben, da hat man so beiläufig sagen können: »die Schneider oder die Schuster haben gewöhnlich die und die Tugend, oder die und die Laster.« In unsern Tagen aber muß man Jeden für sich selber beurtheilen, und der Gevattersmann kennt manchen Schneider, den er ohne Bedenken zum Abgeordneten wählen würde, und das ist doch die höchste Ehre.

Der Fall über den Schatten.

Von Mainz führt eine Schiffbrücke nach Castel, auf der man aber auch von Castel herüber nach Mainz gehen kann. Das thaten eines Abends zwei lustige Gesellen, der dicke Peter und der Schambetist (Johann Baptist), die etwas tief ins Glas geguckt hatten, d. h. immer ins volle, bis sie auf den Grund schauten. So oft sie einen frischen Schoppen im großen gerippten Glas vor sich stehen hatten, sagte der dicke Peter: »Beiß ihm den Kopf ab.« Das geschah. Drauf wischte sich der Schambetist den Mund ab, und sagte: »Reiß ihm den Schwanz aus.« Das geschah wieder, das Unthier ward verschlungen, der große Schoppen war leer. Fröhlichen Muthes schlenderten endlich die beiden Zechbrüder dahin, denn das Trinken giebt den Menschen auch eine Brüderschaft, wenn sie auch eben nicht lange dauert. Der Mond stand am Himmel und war voll, und es war, als ob er die Vollen da drunten auslachte und ihnen einen Streich spielen wollte. Plötzlich bleibt der Schambetist stehen und ruft: »Halt, da ist ein Bord (Brett) herausgenommen, fall' nicht in den Rhein!« Er macht nun einen tüchtigen Satz und springt glücklich hinüber, der Peter bleibt still stehen, hebt bald den einen, bald den andern Fuß und hüpft endlich, so viel es sein dicker Bauch erlaubt; fällt aber nieder, und schreit: »O weh! Bruder zieh' mich heraus, ich lieg' im Rhein! Hilf!« Der Schambetist hat ein mitleidig Herz, und fängt an, den Peter aufzuwinden; der liegt aber nicht im Rhein, sondern, so dick als er ist, auf der Brücke. Als er endlich wieder auf den Beinen steht, gucken sich die Beiden an, und gucken wieder das ausgezogene Brett an. »Dunnerkeil,« sagt der Schambetist, und tritt hart auf, »das ist ja gar kein ausgezogen Bord, das ist ja der Schatten vom Laternenpfahl.« »Und ich habe mir doch meinen Fuß verstaucht,« sagt der Peter, und hinkt davon.

Daraus ist zu sehen, daß man, wenn man seine fünf Sinne nicht bei einander hat, auch über ein eingebildetes Hinderniß, wie hier über einen Schatten, straucheln und dabei sich beschädigen kann. Oder läßt sich noch etwas Anderes daraus entnehmen?

Das Glück durch die Gelbwurst.

Der alte Tuchfabrikant Keller pflegte gerne folgende Geschichte zu erzählen:

Ich war erst kurze Zeit aus der Fremde zurück, und hatte mein eigenes, kleines Geschäft angefangen. Da war die Leipziger Wollmesse. Ich reise hin und nehme einen Kreditbrief von 1000 Speciesthalern mit. Das war, wenn man alle Winkelchen zusammenkehrt, mein ganzes Vermögen; ich war aber jung und gesund, und was glaubt man da nicht mit 1000 Speciesthalern machen zu können. Ich reise also nach Leipzig, und gebe meinen Kreditbrief im Hause Frege und Compagnie ab. Der alte Frege läßt meinen Namen in sein Buch einschreiben, und wünscht mir gute Geschäfte. Ich sehe aber bald, daß sich mit 1000 Thalern nicht viel machen läßt. Was thut's? Geht nicht viel, so geht wenig; besser leiern als feiern, sagt das Sprüchwort. Ich suche mir also eine Partie Wolle aus, und gehe hin, um mein Geld zu holen. Da sagt mir der alte Frege, es sei gut, daß ich komme, er habe nicht gewußt, wo ich loschire. Ich hatte das nicht gern gesagt, da ich wieder, wie einst als Handwerksbursche, in der Herberge wohnte. »Nun,« sagte der Herr Frege: »Essen Sie morgen Mittag bei mir, Sie werden da noch große Gesellschaft finden.« Ich konnte nichts rechtes darauf erwidern, und gehe weg. Ich erkundige mich nun, was man bei einer solchen Einladung zu thun hat, und was dabei herauskommt. Man sagt mir, wie es Sitte sei, daß jedes große Handelshaus seine Empfohlenen durch eine Einladung, wie man sagt, abfüttert; daß nicht viel dabei herauskommt, als daß man das Essen theuer bezahlen muß, indem es mindestens 1½ Thaler Trinkgeld an die Bedienten kostet. Das war mir nun gar nicht lieb. Ich rechnete aus, daß mir von 1000 Thalern nur noch 998½ blieben, und für ein Mittagessen konnte ich nicht so viel aufwenden. Andern Mittags war ich kurz entschlossen. Ich kaufe mir für zwei Groschen Gelbwurst, für sechs Pfennig Brod, stecke es zu mir, und gehe hinaus vor das Thor, in das sogenannte Rosenthal. Mein Tisch war schnell gedeckt. Ich setze mich auf eine Bank, und wickele meine Sachen heraus, ich zerschneide die Gelbwurst in sechs Theile, und lege sie neben mich hin: das, sage ich, ist meine Suppe, das mein Fleisch, das mein Gemüs mit Beilage, das meine Fische, und das mein Braten und Salat. Ich glaube nicht, daß sie drinnen in der Stadt, bei Frege, mehr hatten, und daß es ihnen besser schmeckt. Ich war eben an der süßen Schüssel, sie war sehr gut zubereitet, da sehe ich einen Mann auf einem schönen Braunen daherreiten; der, denke ich, macht sich noch ein bischen Bewegung vor dem Essen, daß es ihm bester schmeckt. Ich wünschte ihm meinen gesunden Magen, ich brauchte kein Pferd müde zu reiten, um tüchtig einhauen zu können. Schneller, als ich dieß sage und denke, ist der Reiter bei mir, und zu meinem Schrecken sehe ich, es ist der Herr Frege selber. In meiner Angst fällt mir der letzte Bissen von meiner süßen Speise aus der Hand und der vorausspringende Hund schnuppert's gleich auf; ich wickle schnell mein Papier zusammen, und weiß mir gar nicht zu helfen. »Ei, Herr Keller!« sagt der Herr Frege, »was machen Sie da? Glauben Sie, Sie bekommen bei mir nicht genug zu essen?«

Was soll ich darauf sagen? Ich denke, du bleibst bei der Wahrheit. Ich sag' ihm nun, daß es sich bei mir nicht austragen will, gegen zwei Thaler Trinkgeld für ein einzig Mittagessen zu geben, und so und so, und daß ich mir vorgenommen habe, mich heute Abend oder morgen früh zu entschuldigen, weil ich nicht kommen kann. – Da lacht er ganz laut auf, und sagt: »Ja, das müssen Sie ja thun, sonst werd' ich bös; ich erwarte Sie um fünf Uhr, fehlen Sie ja nicht. Wünsche gesegnete Mahlzeit.« Und fort war er mit seinem Braunen. Ich weiß nun gar nicht, was ich machen soll; ich denke aber: nun, fressen wird er dich nicht, er muß um fünf Uhr noch genug haben von Mittag her. – Wie's also fünf Uhr gebembert hat, gehe ich hin, man weist mich in sein Kontor, und da kommt er mir entgegen, nimmt mich bei der Hand, und führt mich in das Kabinetchen, und sagt zu mir: »Lieber Herr Keller, Sie haben für 10,000 Thaler Kredit bei mir; wenn Sie aber das Doppelte brauchen, und auch noch mehr, sagen Sie mir's nur offen.« – Ich sag': »Sie irren sich, ich habe nur für 1000 Thaler.« Da sagt er mir: »Es bleibt dabei, wie ich schon gesagt habe; Sie sind ein Mann, der zu sparen weiß, und heut Abend essen Sie ganz allein bei mir in meiner Familie.« Und so ist's auch geschehen, und das hat mir noch besonders gefallen, daß er die Geschichte seiner Frau und seinen Kindern nicht erzählt hat, bis ich von Leipzig fort gewesen bin. Er hat wohl gemerkt, daß es mir leid thäte, wenn man auch in aller Güte darüber lachen würde. So ist's mir durch die Gelbwurst möglich geworden, eine der größten Tuchfabriken anzulegen, und so lange der alte Frege gelebt hat, habe ich jede Messe einmal bei ihm allein zu Nacht gegessen, und da ist immer zuletzt noch Gelbwurst aufgetragen worden.

Der gekreuzte Dukaten.

Wenn ich nur hunderttausend Gulden hätte! Das hast du vielleicht auch schon oft gedacht oder gesagt. Wenn du aus einem Thalerland bist, ist es dir nicht darauf angekommen, und hast hunderttausend Thaler daraus gemacht, obgleich das ein Erkleckliches mehr ist. Wir Deutschen werden durch das mancherlei Geld zu guten Rechenmeistern erzogen, und es ist auch deßwegen, daß wir deutlich sehen, wie in jedem Schnitzel Land etwas Anderes Geltung hat. Ich nehm' dir den Hunderttausendwunsch nicht übel, es ist keine schlimme Sache ums Reichsein: aber das Glück macht es doch nicht aus, davon kann ich eine besondere Geschichte erzählen.

Ein junger Mann hatte seine Hunderttausend geerbt, und er begnügte sich auch damit, er wollte blos sein Geld verzehren, arbeiten aber wollte er nicht; das, meinte er, sei nur etwas für unbemittelte Leute. So hatte also der Herr Adolph (er war aus der Kameradschaft des schönen Schahn, von dem ich nachher erzählen will) gar kein Geschäft als essen, trinken, schlafen, spazieren gehen oder reiten, und was ihm sonst noch einfiel. Ja, das Aus- und Anziehen war ihm viel zu viel, und er hielt sich einen Kammerdiener. Wenn er des Morgens erwachte, wußte er eigentlich gar nicht, warum er aufstehen sollte, es wartete kein Geschäft und darum keine rechte Freude auf ihn. Darum blieb er auch fein liegen, bis ihm das zu beschwerlich war. Fast ging es ihm, wie jenem Engländer, der aus purer Langeweile, um sich nicht mehr aus- und anziehen zu müssen, sich das Leben nahm.

Herr Adolph machte dann jeden Vormittag seinen Spazierweg, damit er den Nachmittag für sich frei und nichts mehr zu thun habe. Meist lag er auf dem Kanapee, gähnte und rauchte. Dabei hatte er mitunter noch seine besonderen Gedanken: »Jeder Mensch,« dachte er, »hat so eine Summe von Kraft mit auf die Welt bekommen, die für seine siebenzig Jährlein oder auch mehr ausreichen muß. Wenn ich also einen schweren Stuhl von einem Ort an den andern hebe, ist damit ein Stück von meiner Lebenskraft aufgewendet und verbraucht – drum laß ich's hübsch bleiben.« Auf solche Gedanken kann ein Nichtsthuer kommen!

Der Herr Adolph ward aber dick und oft kränklich, und mußte seinen Leib pflegen. Das war auch noch ein Geschäft.

Das Jahr durch ging dem Herrn Adolph manch schön Stück Geld durch die Hand, und dabei hatte er die besondere Liebhaberei, daß er bei jeder Goldmünze, die er ausgab, ein kleines zierliches Kreuz unter die Nase des geprägten Herrschers machte. Er dachte wenig dabei, denn er hatte ja Geld genug; ihn kümmerte überhaupt nicht, wie's anderen Menschen ging, obgleich er manchmal aus angeborner Gutmüthigkeit einem Armen etwas schenkte.

Ich will nur einmal sehen, dachte er, ob nach langer Umherwanderung in der Welt mir einmal wieder so ein Goldstück unter die Hände kommen wird. Da nun der Herr Adolph gar nichts war, so nahm er sich ernstlich vor, etwas zu werden, und er ward – ein Passagier. Das ist doch immer ein Titel, wenn man sonst weiter nichts ist. Er reiste nämlich von einer Stadt in die andere, von einem Land ins andere, und ließ sich's überall wohl sein, und wo er etwas zu bezahlen hatte, da gab er die mit seinem Ordenskreuze gezierten Goldstücke hin. Noch nie aber war es ihm vorgekommen, daß er eines wieder gesehen hätte. Endlich ward er des Herumreisens auf dem festen Lande müde, er verließ die alte Welt, und schiffte sich nach Amerika ein. Nun war der Herr Adolph noch etwas mehr als ein Passagier, er war sogar ein Auswanderer. Dießmal aber ging's gar schlecht auf der See, fünf Tage und fünf Nächte wüthete ein gewaltiger Sturm; Alles, was auf dem Schiffe war, mußte mit Hand ans Werk legen, aber vergebens, das Schiff ging unter, und nur der Beherztheit des Schiffshauptmanns gelang es, die Mannschaft und die Reisenden in einer Schaluppe zu retten. Nach zwei Tagen fürchterlichen Umherirrens und schrecklicher Hungersnoth, in welcher Viele starben, wurden die Verschlagenen von einem Kauffahrteischiffe aufgenommen, und in den Hafen zu Boston gebracht. – Arm, hülflos und verlassen irrte hier Adolph umher, und er wünschte sich oft, daß er mit den Anderen von den Wellen begraben wäre. Da sah er einen Mann eilig des Weges gehen; mit niedergeschlagenem Blick bat er ihn um eine Gabe. Der Mann griff in die Tasche, reichte ihm ein Stück Geld, und war schnell verschwunden. Als Adolph wieder seinen Blick emporhob und das Geld betrachtete, wollte er seinen Augen kaum trauen, es war ein Dukaten, der das Ordenszeichen von seiner eigenen Hand unverkennbar trug. Sei es nun, daß der Mann sich vergriffen hatte, oder daß er wirklich eine so namhafte Gabe schenken wollte, Adolph dachte nicht lange darüber nach, und er weinte helle Thränen auf das einzige Goldstück, das ihm von seinem ganzen Reichthum als Bettlergabe wieder zugekommen war. Mit Wehmuth dachte er daran, daß er es wieder weggeben und vielleicht nie mehr sehen solle. Da begegnet ihm eine große Menge von Arbeitern, die an einer Straße arbeiteten: schnell war er entschlossen, und ließ sich unter ihre Zahl einschreiben. Ein sonderbarer Gedanke tröstete ihn bei dieser ungewohnten Lebensweise: »Ich brauchte eigentlich nicht zu arbeiten,« sagte er sich in der ersten Zeit, und fühlte dann an seine Brust, wo er den Dukaten verborgen hatte, »ich habe ja Geld und könnte eine ganze Woche und länger davon leben, oder etwas Anderes damit anfangen; aber ich arbeite, weil mir's Vergnügen macht.« Dann aber machte er einen Spaß daraus, und sagte oft: »Ich arbeite bloß zu meinem Vergnügen. Ich arbeite, damit ich was zu essen habe, und das Essen macht mir dann Vergnügen, also arbeite ich zu meinem Vergnügen.« Nach und nach aber erkannte er, daß nichts Entwürdigendes, ja die Ehre und der Lebenszweck allein darin liege, für den Genuß seines Daseins und für das, was man von der Welt hat, auch etwas für sie zu thun. Früher hatte er gedacht, durch das Wegrücken eines Stuhles, ja durch jede Thätigkeit seine Lebenskraft zu schwächen, jetzt erkannte er, daß, je mehr man seine Kräfte braucht, sie um so mehr wachsen und zunehmen, daß die Lebenskraft durch Thätigkeit immer neu erzeugt wird.

So war Adolph, für den die Straßen früher nur dagewesen waren, um als vergnügungssüchtiger Reisender darauf herum zu rutschen, ein Bahnmacher und Straßenarbeiter für Andere. Mit der Zeit aber gelangte er auch zur Stelle eines Aufsehers bei dem Straßenbau, und er freute sich in dem Gedanken, daß von seinem Dasein auf der Welt noch andere Spuren hinterbleiben als die bloßen Kreuze auf dem Gelde, das ihm durch die Hand gegangen war. Lange Zeit hat er den Dukaten als Andenken aufbewahrt, bis er endlich eingesehen, daß auch dieser nicht ruhen darf in dem großen Weltverkehr, und er schenkte ihn einer Wittwe, deren Mann bei dem Straßenbau verunglückt war.

Das Schlimmste.

Weißt du, was das ist?

Der Gevattersmann kann ein Stückchen davon erzählen. Er kennt einen Mann, von dem er absichtlich nicht sagen will, zu welcher Religion er gehört, sonst könnte Der und Jener meinen, bei ihm wär' es anders. In das Dorf dieses Mannes kommt also ein neuer Pfarrer. Der Mann, der gar fromm und demüthig ist, geht zu ihm und sagt nach den ersten Begrüßungen mit niedergebeugtem Kopf und verschämt geschlossenen Augen:

»Herr Pfarrer, ich habe etwas auf dem Herzen, das kann ich nicht darauf liegen lassen.«

»Was denn? lieber Mann?«

»Ich trage jetzt diese Uhr da schon eine Zeit lang, und doch gehört sie nicht mir, ich habe sie gefunden. Mein Gewissen ist so unruhig und pickt allfort, wie die Unruhe in der Uhr. Sein Sie nun so gut, und verkünden Sie es auf der Kanzel, daß der sie wieder holt, dem sie gehört.«

»Das will ich thun, das ist brav von Euch.«

»Soll ich die Uhr jetzt da lassen, oder soll ich sie wieder mitnehmen? Besehen Sie sie genau, sie hat ein doppeltes Gehäus und die Ziffer Eins hat einen Sprung. Der Unbekannte kann sie bei mir abholen. Ich bin ihm gut dafür.«

»Ja wohl.«

Der Pfarrer verkündet nun die Sache, es meldet sich aber Niemand.

Einstmalen bekommt der Mann Händel mit seiner Frau und will gerade auf sie losfahren, da sagt sie:

»St! Sei still und ruhig, du Scheinheiliger, hast deine eigene Uhr zum Pfarrer hinauf getragen; soll ich's ihm sagen?«

Der Mann ist still und duldet viel, denn die Sache ist dorfkundig geworden, und dadurch hat's der Gevattersmann erfahren, und jetzt wird's gar noch gedruckt und alle Leute können es zur Warnung lesen.

Weißt du, was das Schlimmste ist? Die Lüge, die Heuchelei, die sich an dem Höchsten und Heiligsten vergreist, mit Einem Wort: die Religionsheuchelei.

Ein Märchen mit einer Wahrheit.

In alten fabelhaften Zeiten reiste einmal ein König, Namens Ulysses, mit vielen seiner Untergebenen übers Meer. Er wußte nun, daß sie bald an einer Insel vorbeikämen, wo verzauberte Fräulein wohnen, die allen Seefahrern den Untergang brachten. Die Meerfräulein, Sirenen genannt, sangen nämlich so wunderherrlich und lockten die Schiffsleute, daß sie an ihrer Insel landen sollten. Wenn sie das nun thaten, scheiterten sie an den geheimen Klippen unterm Wasser, oder gingen sonst zu Grunde, so daß Keiner davon kam. Der König wollte nun diese Gefahr vermeiden und ließ allen, die auf dem Schiffe zu thun hatten, die Ohren verkleben, damit sie nichts hörten; sich selber aber ließ er an den Mastbaum binden, damit er in keine Versuchung käme und doch den Gesang hören könne. Als man nun an der gefährlichen Stelle angekommen war, und die holden Fräulein so lieblich sangen, rief und schrie der König, man solle ihn losbinden und dahin fahren, aber Niemand hörte darauf; er winkte mit den Augen, knirschte mit den Zähnen, Niemand kümmerte sich darum. Sie segelten Alle fort, wie befohlen war.

Als man endlich eine weite Strecke weg war, wurde der König abgebunden und die Ohren geöffnet: »Recht so,« sagte der König, »Ihr habt brav gehandelt, als Ihr mir nicht gehorchtet, da ich, von Leidenschaft verblendet, das Gesetz wieder aufheben wollte.«

Das ist das Märchen. Und die Wahrheit? Erstlich: mache dir feste Regeln, bevor du in Versuchung kommst, und geh' dann nicht davon ab. Zweitens: ist eine Staatsverfassung dazu da, daß der Fürst, wenn er in Leidenschaft oder sonst verblendet ist, daran gebunden sei. Und denkt er rechtschaffen, wird er, wenn die Leidenschaft vorbei ist, seine Unterthanen loben, die ihm nicht darin nachgegeben, sondern ihn an das Gesetz gehalten haben.

Der falsche Sechser.

In einer Stadt am Rhein (der Name thut nichts zur Sache) saßen mehrere Männer beim Schoppen. Das Gespräch wollte nicht mehr recht fort, man hörte die Uhr an der Stadtkirche neun schlagen. Ohne bayerisches Polizeigebot schickten sich die Meisten an, als ehrbare Männer nach Hause zu gehen. Der Revisor Müller zog seinen Geldbeutel und bezahlte seinen Schoppen. »Ich bleibe doch immer bei Geld,« sagte er, »da habe ich vor ein paar Monaten einen falschen Sechser bekommen, ich weiß nicht von wem, und weiß auch nicht, was ich damit anfangen soll.« Er hob das Geldstück heraus, sein Nachbar nahm es ihm ab, ließ es auf den blanken Tisch fallen, es tönte bleiern.

»Dem hätt' ich's schon auf zehn Schritt angesehen,« sagte ein Mann, der am untern Ende des Tisches saß, »daß er nichts nutz ist, es ist ein ausgewanderter Coburger, der nicht mehr heim darf.«

»Nein, es ist ein Nassauer,« sagte der Besitzer.

»Nun, meine Herren, was soll ich damit anfangen?«

Das Geld wandelte von Hand zu Hand. »Lassen Sie ihn mir,« sagte ein Spezereikrämer, »ich nagle ihn zu den übrigen auf den Ladentisch. Ich sage Ihnen, das ist mir eine wahre Freude, wenn ich so einen Gauner festnageln kann.«

»Ich würde ihn, an Ihrer Stelle, bei einer großen Zahlung wieder verausgaben.«

»Das habe ich auch schon gethan,« sagte ein weitläufiger Vetter des Doktor Gscheitle.

»Ich betrüge aber dann auf diese Weise wissentlich.«

»Sie können sich ja auch nichts davon wissen machen, wenn Sie ihn mit anderm ehrlichen Gelde fortspediren, Sie üben dann nur Vergeltungsrecht, Sie sind ja auch betrogen worden.«

»Weil ich betrogen worden bin, entschuldigt mich das nicht, wenn ich wieder betrüge.«

»Ich würde ihn einem Bettler schenken, der bringt ihn schon wieder für gut aus,« sagte der Wirth.

»Nein, das wäre sehr übel gethan. So ein armer Teufel kommt dadurch weit mehr in Verlegenheit als wir, die wir sonst noch Geld in der Tasche haben, und den Fehler gleich wieder gut machen können; man setzt bei ihm eher voraus, daß er die Absicht zu betrügen hatte; und wie traurig, wenn er vielleicht schon den Schoppen Bier getrunken, den er zu bezahlen gedachte. Nein. Denn wenn ich das thue, so bin ich wieder die Veranlassung zur schlechten Handlung eines andern Menschen. Was sollte aus der menschlichen Gesellschaft werden, wenn wir uns nicht scheuen, die Ursachen schlechter Handlungen Anderer zu sein?«

»So müssen Sie eben den verbrecherischen Sechser eingesperrt halten, oder in den Rhein werfen.«

»Ich meine,« sagte der Mann, der das Geld auf zehn Schritte weit schätzen konnte, und seines Handwerks ein Metzger war, »ich meine: der Staat, mit dessen Stempel falsch Geld gemacht worden ist, sollte es auch einlösen.«

»Ho ho! da hätte der Staat viel zu thun, wenn er alles Schlechte auf sich nehmen wollte.«

»Ich meine aber: der Staat muß ja auch Verbrecher aufnehmen und unterbringen, und solch ein falsch Geld thut alle Tag Sünden. Der Staat muß Findelkinder versorgen, so muß er auch falsch Geld versorgen. Man kann ihm freilich nicht zumuthen, daß er falsch Geld für voll annehmen soll; aber z. B. der Sechser ist doch einen Kreuzer in Kupfer werth, dafür sollt' er ihn einlösen, da wüßte man doch, was man damit anfangen sollte. Jetzt muß man wieder damit betrügen.«

»Es ist ein besonderer Zug in der menschlichen Natur,« sagte ein Lehrer. »Unrecht erleiden, verführt so leicht zum Unrecht thun. Wenn man einen Menschen mißtrauisch gegen sich selber und seinen Nebenmenschen machen will, so muß man nur sein Vertrauen mißbrauchen. Wenn er nicht besonders fest im Guten ist, macht er's dann auch so. Wer falsch Geld für gut eingenommen hat, giebt es leicht wieder dafür aus. Das ist ein Gleichniß, oder ein Sinnbild.«

Die Männer gingen fort und sagten sich gute Nacht. Was meinst jetzt du, lieber Leser, was man mit dem Sechser anfangen soll?

Was suchst du?

War ein Mann bös mit seiner Frau, wie das ja oft vorkommt, weil sie ihm in Alles drein redete, oder sonst aus einem Grunde; kurzum, der Mann schmollt mit ihr und nimmt sich vor, eine lange Zeit auch kein Sterbenswörtlein mit ihr zu reden. Er hält das auch ein paar Tage ganz streng. Eines Abends liegt er im Bette und will schlafen, er zieht die Schlafmütze über die Ohren, und die Frau mag nun reden, was sie will, er hört's nicht. Da nimmt die Frau das Licht und leuchtet damit in alle Winkel und Ecken, sie rückt Stühle und Schränke weg und schaut was dahinter; der Mann richtet sich im Bette auf und sieht fragend umher, er meint, das Stöbern muß doch endlich und endlich einmal aufhören. Aber weit gefehlt. Die Frau macht in einem fort. Nun bricht dem Mann die Geduld und er fragt: »Was suchst du denn?« »Deinen Mund,« antwortet sie, »und den habe ich jetzt gefunden; jetzt sag', warum bist du denn bös?« – Und sie sind wieder gut mit einander geworden.

Nachschrift des Doktor Gscheitle. Diese Geschichte hat auch noch einen tiefern Sinn: die Frau ist die Zeitung, oder wie man's sonst heißt, die Presse, kurzum, die Stimme des Volkes; der Mann – die Regierung, die selber nicht erklären will, warum und weßwegen das und das geschieht, und die überhaupt nicht will, daß man ihr dreinrede, sondern bloß, daß man ihr gehorche. Nun schmollt sie und spricht gar nicht. Nun kommt die Zeitung mit ihrem Licht und leuchtet überall hin, bis die Regierung fragt: »Was suchst du denn?« Dann giebt eine Red' die andere, und es ist schön, wenn man sich dann verständigt.

Leserliche Hand.

Jeder Mensch kann seine eigene Handschrift, so verkritzelt und verschnörkelt sie auch ist, doch wacker lesen; ja, er wundert sich, daß das nicht andere Menschen auch können, da fehlt ja – so meint er – kein Pünktchen und kein Strichlein. Und wenn er auch nur ein Kreuz gemacht hat, so weiß er schon, was das zu bedeuten hat. Geht's nicht wie mit der Handschrift, auch mit manchen Handlungen, d. h. Thaten, eben so? Wenn wir etwas gethan haben, und die Leute wissen sich's nicht recht zu deuten und auszulegen, da meinen wir: ei, das ist ja Alles ganz klar, es kann Niemand übel davon denken. – Freilich, uns ist es klar, weil wir's selber gethan, aber Anderen nicht.

Merke: Richte deine Handschrift und deine Handlungen so ein, daß auch andere Menschen sie gut lesen und verstehen können.

Polizei! Hilf!

Schon wieder ein Polizeistücklein? Der Gevattersmann kann nichts dafür, es giebt eben viele. Merk' nur auf, dießmal ist nicht die Polizei, sondern aber jemand Anders der Geprellte.

In einer Haupt- und Residenzstadt unseres hieran so sehr gesegneten deutschen Vaterlandes passirte dem wirklichen, regierenden, geheimen Oberhofkonditor folgende Geschichte, die der Gevattersmann selber nicht glauben würde, wenn sie nicht wirklich in der That geschehen wäre. Der wirkliche u. s. w. Konditor hat einen schönen Laden mit großen Glasfenstern und offen stehenden Flügelthüren, daß einem Leckermaul der Gaumen wässert, wenn er vorbei geht. Es sind auch immer viele Gäste darin, die mit andächtigen Lippen die süßen Gottesgaben schlürfen, und sich freuen, daß es im Winter Schnee und Eis giebt, damit man es im Sommer essen kann; daß Gott die Erdbeeren, Himbeeren u. dgl. draußen im Walde wachsen läßt, damit sie der Mensch mit Zucker einmachen kann; daß die Bienen geschäftig von Blume zu Blume herumfliegen und in ihrem Leibe den Honig kochen, damit das witzige Menschenkind ein süß Mäulchen bekommt. Viele denken aber auch gar nicht daran, weil sie überhaupt nichts denken, und sie thun, als ob Alles so sein müßte. Besonders am heißen Sommernachmittag ist das Denken etwas beschwerlich. Das zeigte sich auch bei dem wirklichen u. s. w. Konditor. Er sitzt Nachmittags in seinem Laden, da kommt ein ganzer Schwarm ungebetener Gäste und suchen sich gleich das Beste heraus, und haben doch kein Geld im Sack.

Es war nämlich ein Schwarm Bienen, angeführt von ihrem neuen Herzog, dem Weisel. Die armen Auswanderer waren da auf ein Gebiet gekommen, das nicht für sie ist, trotzdem es da Süßigkeiten genug giebt. Der wirkliche u. s. w. war ganz verzweifelt und wollte die Eindringlinge verscheuchen, diese aber trugen scharfe Waffen bei sich und verwundeten ihn bitter; denn bis jetzt hat ihnen Keiner das Recht Waffen zu tragen nehmen können. Was thut nun der überfallene, arme Mann? Er rennt über Hals und Kopf auf die Polizei (man heißt's hier Stadtdirection) und verlangt augenblickliche Hülfe gegen die Räuber, die bei ihm eingedrungen. Der Director sagt, das ginge ihn nichts an, und er könne da nicht helfen. »Was?« ruft der wirkliche u. s. w., »wozu seid Ihr denn da, als daß Ihr einen Bürger in Allem beschützt und bewahrt? Es muß mir geholfen werden.« Zum Spaß, und weil er sich so mannhaft gezeigt, giebt ihm endlich der Director zwei Landjäger zur Hülfe mit. Die Bienen haben aber keinen Respect vor den Landjägern, und gehen nicht vom Platz. »Macht einen Schwefelgeruch herein, dann werden sie Alle fortziehen,« sagt einer der Landjäger. »Das kann ich nicht,« jammerte der wirkliche u. s. w. »Der Geruch würde mir ja alle meine Zuckerbäckereien verderben.« Rathlos stehen sie allesammt, bis endlich eine alte Magd dazu kommt und sagt: »Ich will einen Rauch machen, und dann werden sie nicht mehr bleiben.« Und so geschah's auch.

Was hieraus zu entnehmen ist? Besinn' dich: ob nicht gar viele erwachsene Menschen, wie die kleinen Kinder nach Vater und Mutter, so bei jedem Unfall nach der Polizei rufen. Polizei! Hilf! – Das ist die Schwäche und Unmännlichkeit, die, statt sich selber zu helfen und auf Mittel und Wege zu sinnen, gleich bei der Hand ist, die Staatsgewalt anzuflehen. Das ist die kindische Unselbständigkeit, die leider oft auch durch Gewohnheit gegeben und erhalten wird.

Sonderbare Zahlungsfristen.

Ein Vetter des Doktor Gscheitle, er ist ein reicher Landwirth, treibt zur Zeit des Futtermangels im Jahr 1842 seine Ochsen wieder vom Markt heim; er hat sie um den Spottpreis nicht hergeben wollen, denn sie sind unter Brüdern ihre zwanzig Karolin werth. Als er am Hofe des Hagenmaier vorübergeht, sitzt der alte vierundachtzigjährige Bauer vor seinem Hause, und verspottet den Gscheitle, weil er keinen Handel machen konnte. »Kaufet Ihr mir die Ochsen ab,« sagt der Gscheitle. »Ich brauch' sie nicht,« sagt der Hagenmaier, »aber um fünfzehn Karolin nehm' ich sie.« »Bleibt dabei,« sagt der Gscheitle, »fünfzehn zahlet Ihr gleich, und, daß ich mich nicht zu schämen habe, zahlet Ihr noch fünfzehn, wenn Ihr einmal nach Eurem Tode wiederkommt.« Der alte Hagenmaier denkt: das kann ich mir schon gefallen lassen, und kurzum, sie werden handelseins. Im ganzen Ort lacht man über den Handel. – Als nun Jahrs darauf der alte Hagenmaier gestorben ist, kommt der Gscheitle mit seiner Handschrift, und sagt, er leide nicht, daß das Erbgut getheilt werde, bis er bezahlt sei; es könnte doch sein, daß der Alte wiederkommt. Um keinen langwierigen Rechtsstreit zu haben, vergleichen sie sich, und geben ihm acht Karolin. Jetzt hat der Gscheitle gelacht, und der Doktor hat gesagt: diese Pfiff' hat er von mir.

Der beste Spion.

Von alten Zeiten liest man oft, daß ein Fürst sich verkleidet hat, und ist in die Wirthshäuser, oder wo sonst viele Leute bei einander waren, gegangen, und hat da die Ohren gespitzt, um zu hören, was man von ihm und seinen Beamten denkt und redet. Manchmal hat er dann Einem die Hosen tüchtig ausgeklopft, oder hat ihm das Halstuch fester binden lassen. Heut zu Tage kann ein Fürst sich nicht so leicht unerkannt unter die Leute mischen, denn vor alten Zeiten hatte man noch nicht so viele Abbildungen von den hohen Häuptern. Jetzt aber kann es kommen, daß ein Fürst in einem Wirthshause gerade unter sein Bild zu sitzen kommt, und man ihn leicht erkennt. Probirte es aber doch wieder einmal ein Fürst, wollte selber sehen, was die Menschen thun und treiben; ist immer und immer so viel unter den Leuten von Uniform, muß sich von ihnen Alles berichten lassen, möcht' jetzt selber dabei sein, wo die Menschen auf harten Bänken sitzen. Am liebsten wäre er in das Haus eines Holzhackers oder sonst eines Taglöhners gegangen, und hätte da gern unbemerkt gesehen, wie die Leute ihre Kartoffeln zu Nacht essen, und was sie sprechen, was sie klagen und hoffen. Er hat das noch gar nie selber gesehen und gehört, wie es in einer Bürgerfamilie zugeht, und es gelüstet ihn sehr darnach. Das geht aber nicht. Was würdest du dazu sagen, wenn Jemand in deine Stube käme, bloß um zu sehen, was du treibst und was du machst?

Der Fürst muß also dahin gehen, wo für Geld und gute Worte Jeder zu Hause ist, nämlich in ein Wirthshaus. Der Wirth, ein Pfiffikus, erkennt den Fürsten sogleich, trotz seiner Verkleidung; er läßt aber nichts merken, und holt, wie befohlen, einen Schoppen, fragt dann: woher des Weges? und spricht vom schönen Wetter u. dgl. Nach und nach kommen auch andere Gäste herzu, und man spricht von Allerlei. Der Fürst weiß unvermerkt das Gespräch auf den Regenten zu lenken, und ein Mann sagt:

»Er ist ein braver Mann, meint's gewiß gut, aber ich habe Mitleiden mit ihm, er hat keinen guten Freund.«

»Wie so das?«

»Ja sehen Sie, nur der ist ein guter Freund, und sagt Einem frisch von der Leber weg Alles ins Gesicht hinein, der Nichts nach Einem zu fragen hat. Ein Fürst aber hat lauter Menschen um sich herum, über die er befehlen kann, und die immer einen Katzenbuckel machen.«

Der Wirth machte schon lange ein pfiffiges Gesicht, und hatte schon zweimal den Mund geöffnet, um zu sprechen; jetzt endlich kam er dazu, und er sagte:

»Unser Fürst ist schlecht bedient. Es fehlt ihm der rechte Spion.«

»Pfui! Glaubt Ihr, der Fürst würde Spionen hinhorchen?«

»Es ist doch so, wie ich gesagt habe. Es fehlt ihm der rechte Spion, der ihm Alles berichten könnte, Gutes und Schlimmes, was im Lande vorgeht. Der Spion weiß Alles und erfährt Alles, was im Geheimsten geschieht, und was die Menschen im Geheimsten denken, Hoch und Nieder. Er nimmt kein Blatt vor's Maul, und ist zu jeder Tages- und Nachtzeit wach bei der Hand. Er kommt aber nicht, wenn er nicht einen Freipaß hat, daß er aus- und eingehen kann, wann er will, und daß ihn die Kammerdiener nicht vorher durchsuchen oder gar abweisen.«

»Und wie heißt denn das Wundergeschöpf?«

»Die freie Presse.«

So redeten die Leute.

Es hat aber bis jetzt noch nichts davon verlautet, daß Etwas darauf geschehen sei.

Gut heimbezahlt.

Kann sein, daß du diese Geschichte schon kennst, kann aber auch sein, es geht dir oder deinem Nachbar wie dem Gevattersmann, der sie vor Kurzem zum erstenmal gehört hat. Kurzum, ein sehr berühmter Mann in Oberdeutschland, der kernhafte und gediegene Sachen für Jedermann geschrieben hat, bekommt einmal einen Besuch von einem gelehrten Herrn aus Berlin. »Ich möcht' einmal Ihre Landsleute ein wenig kennen lernen,« sagt der Besuch. »Das kann geschehen,« ist die Antwort, »wir gehen mit einander zum Posthalter von C., der kann die saftigsten Grobheiten machen, doppelt geschmälzt.« Gesagt, gethan. Als die Beiden an der Post ausstiegen, kommt ihnen der Posthalter entgegen, und sagt seinem Landsmann herzlich Willkomm. »Eine Flasche Guten,« sagt der Landsmann. »Es sind alle gut,« sagt der Posthalter trotzig, holt aber doch vom besten vierunddreißiger Klingelberger eine Flasche, schenkt nach altem Brauch zwei Gläser ein, und sagt: »Gesegn' es Gott.« Der Landsmann nimmt ein Glas, führt es zum Munde, rümpft die Nase, verzieht das Gesicht, und stellt das Glas, ohne zu trinken, auf den Tisch. Der Postmeister beißt auf die Lippen, brummt etwas durch die Zähne, geht hinaus, und schlägt die Thür grimmig zu. Als er wieder herein kommt, sagt der Landsmann: »Posthalter, wie lang werden denn noch alle Posthalter so grob sein?« »So lang, bis die Regierung befiehlt, daß kein Flegel mehr reisen darf,« war die schnelle Antwort. Alle drei lachten, und ließen noch ein drittes Glas bringen und zechten tapfer, denn die beiden Gäste erzählten, daß sie es darauf angelegt hätten, eine Grobheit auszufischen.

Das war nun gut. Sonst aber will's dem Gevattersmann gar nicht gefallen, daß vor Zeiten manche Herren ihren »gnädigen Spaß« mit den Bauersleuten getrieben haben. Das hat sich Gottlob jetzt geändert, und es ist Unrecht, wenn noch immer so viele Landleute glauben: ein Städter, der sich zu ihnen gesellt, wolle sie necken und sich über sie lustig machen, wenn er's auch noch so treuherzig mit ihnen meint. Wir sind jetzt Alle gleich, wie vor dem göttlichen, so auch vor dem menschlichen Richter; Jeder kann, wenn er nur rechtschaffen will, sich ein gesundes Urtheil über Alles aneignen, wenn er's auch nicht immer in wohlgesetzter Rede von sich zu geben vermag. Wer immer glaubt, daß man ihn neckt und hänselt, der zeigt damit an, daß er sich selber nichts Rechtes zutraut. Darum nur frank und frei heraus mit der Sprache gegen Jedermann. Will sich aber Einer über dich lustig machen, so bezahl' ihn heim, wie der Postmeister von C. gethan hat.

Der schöne Jean.

Er war einst ein flotter und vornehmer Gast, auf dessen Befehle die Wirthe und Kellner in knappen Kleidern hin- und hersprangen, und Kratzfüße machten; jetzt ist er selber ein Kellner, und sucht behende und aufmerksam die Wünsche der Gäste zu vollführen. Es ist nun zwar ein ganz ehrbares Geschäft, Kellner zu sein, und giebt es überhaupt in unseren Zeiten kein unehrbares Geschäft mehr, außer ein solches, das auf Laster gebaut ist; sonst aber ist jede Thätigkeit eine ehrbare. Die Art indeß, wie Jean dazu kam, ist eine eigenthümliche, und ich will sie zu Nutz und Frommen erzählen.

Jean war der einzige Sohn des Wirthes zu den drei Königen in einer gewerbreichen Handelsstadt. Es ist sehr gebräuchlich, daß man in dieser Stadt Jean (Schahn) statt Johann sagt. Das Wirthshaus zu den drei Königen war wohl angesehen bei allen Fuhrleuten und den Bauern, die an Markttagen zur Stadt fuhren. Der Vater war ein behäbiger, gesprächsamer Mann; er wußte seine Gäste wohl zu unterhalten, ohne sich dabei viel Mühe zu geben. Denn er machte das ganz einfach. Er ließ sich von Allen, was sie wollten, erzählen, und hörte nur ganz aufmerksam zu. Das gefällt dann den meisten Leuten sehr wohl, und sie sagen von einem solchen Menschen, er sei gar unterhaltsam. Dabei war aber der Dreikönigwirth auch mit seinen Augen aufmerksam, und wenn er sah, daß ein Schoppen leer war, machte er ihn alsbald wieder voll. So hatte er eine sehr gute Einnahme und war überaus beliebt. Die Mutter aber war eine gar gescheidte und lebhafte Frau, die für Alles Rath wußte. Nur in einem Punkt war sie nicht gescheidt und wußte sie sich selber nicht zu rathen, und das war ihr Jean.

Schon als kleiner Knabe war Jean gar muthwillig und machte allerlei Streiche. Die Mutter vertuschte und verhehlte es, wo sie konnte. Jean war ein aufgeweckter Knabe, und er sollte nun etwas Besseres werden; wie die Leute eben immer das, was sie nicht haben und nicht sind, für besser ansehen. Jean sollte studiren, oder Kaufmann werden. Als er nun aber zum Jüngling herangewachsen war, zeigte sich's, daß es mit dem Studiren nicht recht gehe, und Jean kam in die Lehre. Mittlerweile starb der Dreikönigwirth, und als man ihm eine Leichenrede hielt, ließ er sich Alles ganz ruhig erzählen, er hörte aber nicht mehr zu. Der Mutter that es nun leid, daß sie ihren Jean nicht zur Wirthschaft angehalten hatte. Der aber war nicht mehr dafür zu brauchen, mit den Fuhrleuten und Bauern zu hanthieren. Er trug gelbe Glanzhandschuhe und betrachtete sich die Welt durch ein Augenglas, das er sehr künstlich mit der Augenbraue festhalten konnte. Jean gieng nach Frankreich, kam nach einigen Jahren noch vornehmer zurück, und hatte nun gar keine Lust mehr in ein Geschäft einzutreten. Mit lustigen Kameraden trieb er sich zu Fuß, zu Wagen und zu Pferd in der Stadt und Umgegend herum und verführte allerlei lose Streiche. Er war ein schöner Bursche, und man nannte ihn nur den schönen Jean, was er sich gern gefallen ließ. Er kam ins Trinken, und vom Trinken ins Schuldenmachen. Seine Mutter wagte es kaum, ihm etwas zu versagen. Wenn sie ihn auszanken wollte, machte er sie lachen, denn er war nicht ohne Witz. In den Wirthshäusern, wenn die Schampanjerstöpsel knallten, sagte er oft: »Es hält lange an, bis man eines von den drei Königreichen verthan hat.« Wenn er kein Geld mehr hatte, wußte einer seiner lustigen Kameraden immer schnell Rath. Er nahm ein Papier, kritzelte etwas darauf, und ging damit zur Frau Dreikönigwirthin. »Ist der Jean nicht da?« fragte er dann. »Nein! Warum? Was ist?« »Ich bin der Hüssje (Gerichtsbote). Der Jean hat einen Wechsel ausgestellt mit so und so viel. Ich soll das Geld erheben oder ihn ins Gefängniß führen.« Da klagte und weinte die Mutter, bezahlte aber doch immer, auf solch ein einziges Papier oft drei viermal. Dann kam Jean oft wochenlang nicht nach Hause, durchschwärmte die Nächte bei Becherklang und Liederschall und beim Erzählen von allerlei lustigen Schwänken. Oft blickte er halb mitleidig halb vornehm lächelnd zu den Kellnern hinüber, die verschlafen da und dort in der Ecke saßen und seines Winkes gewärtig waren; diese durften nicht mit einstimmen in die lustigen Lieder, nicht mitlachen und miterzählen bei übermüthigen Schwänken, sondern mußten sich immer aufmerksam untergeben verhalten.

Als auch die Mutter starb, zeigte sich beim Verkauf der Wirthschaft, daß Jean doch schon zwei von den drei Königreichen verthan hatte. Er packte nun das Geld zusammen, und ging in ein Bad, spielte eine Zeitlang dort den vornehmen Herrn, und zwar in jeder Weise: denn er spielte auch am grünen Tisch. Ehe er sich's versah, war bald Ebbe in seiner Kasse, eine Fluth von Schulden aber in der Rechnung des Wirthes. Was war nun zu thun? Jean wollte entfliehen, er konnte auch wohl laufen, aber den Daumen nicht rühren, denn er hatte keinen Heller Geld mehr. Er entdeckte sich nun dem Wirthe. Dieser hatte eine Nebenwirthschaft auf einem entfernten Spazierwege, wohin die Badgäste lustwandelten.

Jean war gewandt, und wußte sich recht wohl umzuthun und zu schicken. Er kam mit dem Wirthe überein, daß er als Kellner auf der Nebenwirthschaft eintrete.

Er war einst ein flotter und vornehmer Gast, auf dessen Befehle die Wirthe und Kellner in knappen Kleidern einhersprangen und Kratzfüße machten; jetzt ist er selber ein Kellner, und sucht behend und aufmerksam die Wünsche der Gäste zu vollführen. Wenn in tiefer Nacht lustige Zechbrüder beim Glase sitzen, singen und jubiliren, lachen und scherzen, sitzt er verschlafen in einer Ecke, ihres Winkes gewärtig; er darf nicht mitlachen, nicht mitsingen und mitscherzen, und oft entfährt ihm ein schwerer Seufzer.

Der wiedergefundene Schatz.

Wer ist der glücklichste Arme? Ein armer Student. Hat er auch keinen Heller in der Tasche, so hat er doch fröhlichen Muth im Herzen: die weite Welt liegt vor ihm offen, und seine Kameraden fragen nicht nach Rang und Stand und kennen keinen Unterschied. Hat der Student Geld, ist Alles flott, hat er keines, so braucht er keines. Frage nur Jeden, der einmal auf der Hochschule gewesen ist, und steht er auch jetzt in hohen Aemtern und Würden, er wird dir doch sagen: »Meine Studentenzeit war die glücklichste Zeit meines Lebens. Unbekümmert um die Zukunft habe ich genossen, was die Stunde mit sich brachte, habe allerlei übermüthig tolle Streiche vollführt und habe den höchsten Genuß darin gefunden, meinen Durst nach Kenntnissen und auch andern Durst zu löschen.«

Es ist aber doch ein schwer Stück Arbeit, so ganz ohne Geld zu studiren, und es ist gut, daß der leichte Sinn der Jugend darüber hinweg hilft, denn später wär's viel schwerer. Unter uns gesagt, das Hauptvergnügen von der Studentenzeit besteht darin, daß man jung ist; da hat man leichten Sinn und da ist's einem Jeden wohl, sei er was er will.

Zu Freiburg im Breisgau waren einmal zwei arme Studenten. Der Eine war von Adel und studirte die Rechte, der Andere, eines Schulmeisters Sohn, sollte Geistlicher werden. Sie wohnten neben einander hoch oben bei dem Taubenschlag, und hatten die schönsten Aussichten, sowohl in die Zukunft, als auch über die Dächer hinweg nach dem Schwarzwalde. Der Adelige genoß eine kleine Familienstiftung, die gerade so weit ausreichte, daß er nicht dabei zu verhungern brauchte. Wenn er sein vierteljähriges Geld bekam, versteckte er es überall hin, um nach und nach die Freude zu haben, es wieder zu finden, wenn er nichts mehr zu haben glaubte. Dabei hatte er noch einen Domänenwald, den er nie abholzte und für welchen er keinen Förster brauchte, nämlich seinen Bart, den er wild wachsen ließ. Der Geistliche aber war bartlos, gab ein Paar Unterrichtsstunden und hatte den sogenannten Wandeltisch bei einigen mildthätigen Familien; er aß nämlich jeden Tag in einem andern Hause zu Mittag. Wenn die Leute auch noch so gutherzig sind, so ist das doch eine bittere Kost, und man weiß nicht recht, wie man sich dabei anstellen soll.

Am Sonntag gingen die beiden Kameraden oft hinaus auf einen Berg und brachten da den ganzen Tag zu, denn sie wollten sich anfangs nicht sehen lassen, weil sie keine Sonntagskleider hatten. Sie waren aber doch immer froh und lustig, außer an jenem Sonntag, wo dem Geistlichen die ganze gutgenagelte Sohle von seinen Schnürstiefeln abging, und sie dieselbe mit Bindfaden wieder zusammenhefteten. Es war ein mühseliges Stück Arbeit, besonders da sie bei der Heimkehr mitten durch den Paradeplatz gehen mußten, wo gerade die Musik spielte und ein großes Menschengedränge war. Der Geistliche fürchtete jeden Augenblick, daß er seine Sohle verliere. Sie machten aber aus Allem einen Spaß.

Manchmal saßen sie wohl auch zu Hause und waren traurig. Der Adelige vertrieb sich die Grillen, indem er sich aufs Bett setzte, seine Guitarre in den Schooß nahm, klimperte, pfiff und sang. Der Geistliche spielte unterdeß auf seinem Zimmerchen auch ein Instrument, das Jeder von selber leicht lernt, er hat nämlich Trübsal geblasen.

Eines Sonntags, es war ein heller Sommermittag, saßen die beiden Kameraden trübselig bei einander, da sagte der Geistliche: »Heut' müssen wir Geld haben, heut' wird der neue Biergarten im Jägerhaus eröffnet, da müssen wir auch dabei sein. Hast du denn gar nichts mehr?« »Nein, ich habe alle Winkelchen ausgestöbert, gar nichts.« »Hast du denn auch nichts zu verpfänden oder verkaufen?« »Zwei Westen. Jetzt ist Sommer, da brauch' ich keine Weste mehr.« »Her damit.« Sie wurden schnell in ein Papier gepackt und die Beiden machten sich auf den Weg.

Es läutete eben aus der Kirche und die Glocken klangen so hell hinauf zum blauen Himmel und hinaus nach den sonnenhellen Bergen und Fluren, während unsere Kameraden durch enge, feuchte Gassen wandelten, um einen Trödler aufzufinden. Alles strömte hinaus vor das Thor. Alles strebte ins Freie, und nicht einmal ein Trödler war zu Hause zu finden.

Mit schweren Tritten kehren die beiden Freunde wieder heim, noch nie war ihnen ihre Armuth so drückend gewesen, wie heute. An ihrem Hause muß man drei Stufen auf lose hingelegten Steinen zur Thüre hinaufsteigen. Der Adelige steht oben und es ist, als ob er keine Hand regen könne, um die Thüre aufzumachen: der Geistliche steht unten. Er betrachtet die schön gewichsten, mit hohen Absätzen versehenen Stiefel seines Kameraden und denkt an seine gebrechlichen Schnürstiefel. »Victoria!« ruft er plötzlich, »ein Schatz!« Er greift in die Spalte zwischen dem Steine und zieht einen wirklichen Sechsbätzner heraus.

»Herr Gott! rief der Adelige, jetzt erinnere ich mich erst, daß ich den Schatz hier vergraben habe. Hat der sich aus dem Boden heraufgemacht? Siehst du, wie gut es ist, wenn man bei Zeiten einen Nothpfennig bei Seite schafft?«

Nun ging's hinaus in den Biergarten und sie waren fröhlich und guter Dinge, denn der Schoppen Bier kostete nur anderthalb Kreuzer. Sie lachten immerfort, wenn sie sich ansahen, und die Leute konnten gar nicht begreifen, warum die Beiden so lustig seien.

Jetzt hat der Geistliche eine gute Pfründe, hat guten Zehentwein und auch Ulmer Bier im Keller, aber noch nie, sagt er, habe ihm ein Trunk so gut geschmeckt, als jener von dem Sechsbätzner. –

Neuer deutscher Briefsteller.

Daraus kannst du nicht lernen, wie du an Den und Den zu schreiben hast; im Gegentheil, das sind lauter Briefe an dich, und du brauchst sie nicht zu beantworten, wenigstens nicht auf dem Papier. Der Gevattersmann hat auch nichts lieber, als wenn er recht viel Briefe bekommt (versteht sich frei, oder deutsch gesprochen: franko), aber Antwort schreibt er nicht gern, wenn's nicht sein muß. Du bist also höflich eigeladen, ins Künftige auch solche Briefe hieher zu schicken.

Jetzt mach' dir's bequem, setz' dich hin, stopf' dir eine Pfeife, der Gevattersmann will's auch thun, und jetzt wollen wir lesen:

I. Brief eines preußischen Soldaten an seinen Vater.

Mainz, den 15. Juli 1844.

Es ist wahr und gewiß, lieber Vater, das Soldatenleben striegelt und putzt den Mann, und wer kein Soldat gewesen ist, der ist kein rechter Mann. Weil warum? fragt unser Nachbar Martin; das will ich sagen: wir haben einen grundgescheidten Kameraden in der Kompanie, einen Gefreiten, der ist ganz mit mir einverstanden, und der sagt auch: jeder großjährige Mann im Staat ist Bürger, das ist ein schönes Wort, das ist der schönste Titel, den man haben kann. Ein Bürger steht mit allem, was er hat, mit seinem ganzen Leben dafür ein und ist Bürge, daß Ordnung und Recht im Staat ist, und daß Niemand, heiß' er Franzos oder Russ, dem Staat 'was anhaben kann. Jeder Bürger soll mithelfen, die Gesetze machen, die über ihn regieren sollen. Jeder Bürger giebt seine Stimme dazu, wie man die Steuern umlegen soll, daß Keinem Unrecht geschieht, und daß eine ordentliche Haushaltung geführt wird. Ich weiß wohl, es kann nicht Jeder dabei sein, darum wählt man die Abgeordneten, die auf dem Landtag für die Andern sprechen und stimmen, aber in Gedanken ist Jeder dabei. Mitrathen kann nicht Jeder für sich selber, da reicht es schon hin, wenn er einen Mann für sich eingestellt hat, der seine Gedanken ausspricht: aber mithalten muß Jeder, wenn's drauf und dran kommt. Er muß mit seinen eigenen Händen und Füßen dabei sein. Jeder muß helfen den Staat erhalten, durch Steuern und Soldatsein, dann erst ist er ein rechter Bürger. Vor Zeiten hat man Soldaten gehabt, die den Staat gar nichts angegangen sind; sie haben gerade Dem gedient, der sie am besten bezahlt hat. Jetzt ist das anders. Jetzt sind lauter Bürger Soldaten. Sie vertheidigen und schützen ihre eigene Sache, und darum muß auch jeder Soldat Bürger, und wieder jeder Bürger Soldat sein. Ich kann es keinem Andern übertragen, daß er meinen Vater und meine Mutter lieben, daß er ihnen beistehen und sie beschützen soll: wenn ich ihm auch noch so viel Geld gäbe, er kann's doch nicht recht von innen heraus, es ist eben seine Sache nicht. – Vor Zeiten haben die Soldaten gar nicht heirathen dürfen. Freilich, sie waren ja Knechte, die jede Minute sich haben todt schlagen lassen müssen, für was der Herr eben gewollt hat. Jetzt ist das anders. Jetzt ist ein Krieg jedem Bürger seine eigene Sache. Wenn meine kurze Dienstzeit um ist, werde ich Landwehrmann bis in mein sechzigstes Jahr, und wenn ich, will's Gott, Frau und Kinder habe, und der Staat braucht mich, bin ich gerade ein besserer Soldat, weil ich mein eigen Haus und Hof vertheidige.

Ja, lieber Vater, ich denke jetzt viel über das Soldatenwesen nach. Es war mir immer, wie wenn mich Jemand an einem langen Seil angebunden hätte, bis ich zwanzig Jahr alt bin. Jetzt ist die Zeit da, jetzt bin ich hergezogen worden, und der Staat sagt: nun bist du mein, vom Morgen bis Abend und immer. Da denk' ich denn eben darüber nach: was geht dich der Staat, und was gehst du ihn an? Warum mußt du ihm dienen, und was thut er denn dir? Und da sind mir nebstdem auch noch allerlei Gedanken aufgegangen.

Zweitens sagen wir auch noch, nämlich mein Kamerad und ich: als Soldaten tragen alle Bürgerssöhne gleiche Röcke und gleiche Kappen. Das ist gut, da lernen sie Alle mit einander, Hoch und Nieder, einsehen, daß sie im Staat gleich sind und gleich sein sollen. Darum lob' ich mir in dieser Hinsicht mein Preußen, da muß doch wenigstens ein Jeder Soldat sein; heiß' du wie du willst, und sei du wer du bist, bemberembembem! hinter drein mußt du. Dadurch ist alsdann kein Unterschied zwischen einem Bürger (oder wie man's in der Garnison heißt, einem Zivilisten) und einem Soldaten; sie sollen und müssen gut Freund sein, denn Jeder ist Bürger und Soldat in Einer Person. – Ich habe jetzt auch erfahren: in den andern deutschen Ländern, die nicht zu Preußen gehören, da ist eine Lotterie, und da kommen alle Burschen, die zwanzig Jahr alt sind, gehen vor das Rad hin, und wer eine hohe Nummer herauszieht, braucht nicht Soldat zu werden. Ich habe es fast nicht glauben wollen, daß man das Soldaterchens schon vorher mit dem Spielen anfängt, aber es ist doch wahr. Wer eine hohe Nummer gezogen hat, den heißen sie frei. Das ist mir eine schöne Freiheit! Man begeht eine Sünde an dem heiligen Wort, wenn man's in diesem Fall gebraucht. – Wenn bei der Lotterie ein Reicher mit weichen Händen ein kleines Loos zieht, so kauft er sich einen Mann, der für ihn exerziren, auf die Wach' ziehen, und wenn's Krieg giebt, sich für ihn todt schießen lassen muß. Ja, so heißt man's: er kauft sich einen Mann. Der Staat sollte solch einen Handel nicht anlegen, er sollte ihn nicht einmal zugeben. Wenn Ich zu befehlen hätte, das dürfte mir nicht sein. Jeder Bürger kann und muß ein Jahr lang exerziren lernen, das schadet keinem gesunden Menschen 'was, Hab' er ein Geschäft welches er wolle. Ich weiß wohl, das gefällt vielen Leuten auf dem Lande und in der Stadt nicht, sie dünken sich 'was Besseres. Aber ehrlich bedacht, ist und bleibt es eine weise Anordnung. Oder sind die armen Burschen dafür da, daß sie sich für die Reichen todt schießen lassen? Der Staat darf das nicht zugeben. Ich ließe, wenn ich zu befehlen hätte, keinen gesunden Menschen heirathen, der nicht Soldat gewesen ist und noch bei der Landwehr steht. Der schönste Schmuck eines Mannes ist: daß er mit den Waffen umzugehen weiß, und daß er im Nothfall sein Land zu vertheidigen versteht. Vor Allem müßte mir aber die Lotterie abgeschafft werden. Man will's ja jetzt verbieten, daß man auf den Spielbanken um Geld spielt; aber um sein Leben darf man spielen? Und ist denn die Landesvertheidigung nicht eine heilige Sache? Soll man darum spielen?

Die Oesterreicher müssen vierzehn Jahre lang dienen. Lieber Gott! Das ist eine halbe Ewigkeit, da kann man ja gar nicht hinaussehen, wann's endet. Mich dauern die armen Burschen. Sie vergessen ja ganz, wie es in einer Familienstube und am Herd bei der Mutter aussieht, und wenn sie heimkommen, was sind sie alsdann? Ich möcht' auch nur wissen, was sie so lang lernen. Ich bin jetzt vier Monate da, und kann meine Sach' aus dem ff.

Es ist mir lieb, lieber Vater, daß ich Euch Alles so schreiben darf, und daß ich's auch kann. Meine Kameraden auf der Stube haben sich einen Briefsteller gekauft, und daraus schreiben sie die Briefe ab. Ist das nicht eine Schande? Für was hat Einem Gott seine eigenen fünf Finger und Augen und Hirn gegeben? Ich müßte mich schämen, aus einem fremden Buch abzuschreiben. Wie kann ein Anderer wissen, was ich zu schreiben habe? Habe ich Recht oder nicht, lieber Vater? Da fällt mir ein: sagen könnte ich doch nicht »lieber Vater,« ich weiß nicht warum – aber schreiben kann ich's. Wenn man so weit getrennt ist, geht Einem das Herz auf und man schämt sich nicht. Wenn ich die Schur habe, lese ich auch oft Bücher, schöne Räubergeschichten, und die Geschichte vom Kaiser Napoleon habe ich auch vom Feldwebel gelesen. Es war doch ein ganzer Mann, der Napoleon, aber recht ist ihm auch geschehen, ich meine, er hat's zu weit getrieben. Ich wollte, ich hätte ihn auch einmal gesehn. Nicht wahr, Ihr habt ihn oft gesehen? Wir haben von dem Kaiser Napoleon doch etwas Gutes übrig behalten, und das ist unsere Landwehr. Mein Feldwebel sieht dem Napoleon ganz ähnlich, ich glaube, wenn's Krieg gäbe, der würde ein großer Mann, er könnte ein Marschall Soult werden.

Im Soldatenleben lernt sich der Mensch allein helfen. Ich koche und flicke und nähe und putze die Stube auf, wie ein Frauenzimmer. Es kommt mir oft ganz absonderlich vor: so ein großes Haus voll lauter Männer! Es ist gut, daß es nicht vierzehn Jahre währt.

Verzeiht mir, lieber Vater, daß ich auch davon schreibe, aber ich bin jetzt zwanzig Jahre vorbei, und ich meine: schon deßwegen sollte man Landwehr einführen, wo Alles, aber nur kurze Zeit, Soldat sein muß, denn es gehören viele und gute Grundsätze dazu, brav zu bleiben. Und, lieber Vater! es giebt grausam schreckliche Krankheiten, wovon man auf unserem Hofgut nichts weiß.

Am meisten Bedauern habe ich mit den Offizieren. Sie müssen ihr Leben lang exerziren. Das ist ein schlechtes Geschäft, und muß kreuzlangweilig sein, und um nur etwas zu thun zu haben, müssen sie andere Leute plagen. Wir haben jetzt Abends Instruction. Dabei geht's oft lustig her, seitdem wir den alten Leutnant haben und nicht mehr den 18jährigen. Er will mich zum Burschen haben. Was meint Ihr dazu? Die Artillerie ist doch das Schönste. Ich möchte nur wissen, ob's wahr ist, daß es keinen Krieg mehr giebt. Unser Feldwebel sagt's, aber in Marokko drinnen soll's doch bös aussehen, und der Russ' ruht auch nicht. Ich weiß nicht, die Russen mag ich gar nicht. Es ist schon so ein häßlicher Name: Russ'! Russ'! Man könnte Einem damit bang machen, wenn man nicht wüßte, was es zu bedeuten hat. Wir lernen auch singen: ich bin ein Preuße; auch das: sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein. Ich habe einmal gefragt, wer denn die Sie seien, und da habe ich gehört, es sollen die Franzosen gemeint sein. Sie sollen nur kommen! Nicht so viel als man in einem Auge leiden kann, sollen sie von dem prächtigen Rheinland haben. Wenn's nur wieder einmal Krieg gäbe! Es kommt mir immer vor, als ob die ganze Welt darauf warte wie auf das Niesen. Ich glaube, unser Herrgott wird: Zur Gesundheit Deutschland, sagen. Aber mit den Franzosen sollten wir doch nicht zuerst anfangen. Ich wüßte schon, wen man vor Allem beim Pelzkragen nehmen und heimschicken sollte ...

Ich muß doch auch noch etwas erzählen. Ich bin auch schon einmal gestraft worden, weil ich kein Lateinisch verstehe. Ist das nicht lächerlich? Es ist aber doch wahr. Gestern vor vierzehn Tagen stehe ich früh von vier bis sechs Uhr, drüben in Kastell, an dem großen Thor, wo es zur Eisenbahn hingeht, auf dem Posten Man sieht so früh wenig Leut', und nur die Marktweiber. Ich betrachte nun die Aufschrift, die über dem Thor steht: cura confoederationis conditum. Ist das nicht zum Närrischwerden? Was heißt das? Es muß doch eine Bedeutung haben. Ich vertiefe mich ganz in die Inschrift, und vergesse dabei, daß ich auf dem Posten stehe. Plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter, der Hauptmann, der die Wachen visitirt, steht vor mir. Ich werde nun abgelöst, und komme in Strafarrest. Es ist mir nun zwar Recht geschehen: was geht mich die Inschrift, an, wenn ich auf dem Posten stehe? Aber ein verflixtes Ding bleibt es doch, daß man Einem so etwas vor die Nase hinschreibt, was man nicht versteht. Ich habe mich nun erkundigt, was die lateinischen Worte bedeuten; unser Doktor hat mir's gesagt, nämlich: durch den Bund erbaut. Der Bund, soll heißen der deutsche Bund, der, wie man mir gesagt hat, in Frankfurt wohnen soll, hat den Brückenkopf bauen lassen. Warum aber sagt man das lateinisch? Die deutsche Sprache ist ja ganz gut, und für uns Deutsche ist es ja, und wer es nicht versteht, soll deutsch lernen. Giebt man ja auch die Gesetze und Beschlüsse deutsch, oder nicht?

Am letzten Dienstag war ich auf Wache, draußen auf dem Hardenberg. Ich bin gerade von 12 bis 2 Uhr auf den Posten gekommen. Es war mir ganz eigen zu Muth, als ich so allein hoch oben auf dem Berge da stand. Es war eine stockdunkle Nacht, kein Stern am Himmel, und die ganze Welt war wie todt; nur dort neben zog sich der Rhein wie ein blasser Streif hin, und man hörte sein Rauschen, von dem man bei Tag gar keinen Laut vernimmt. Mir ist es vorgekommen, als ob die ganze Welt ausgestorben, und ich allein da oben übrig geblieben wäre – man kommt doch oft auf sonderbare Gedanken, aber man kann nichts dafür – da höre ich jetzt das Feldgeschrei, wodurch die Posten einander wach erhalten. Ich habe doch den Zuruf schon oft und oft gehört, aber dießmal hat er mich ganz besonders ergriffen. Zuerst habe ich ihn aus weiter Ferne vernommen, als ob er aus einer tiefen Grube käme, aus der Auferstehung, dann immer näher und näher, und heller und heller: »Kamerad, bist du noch da?« bis es zuletzt an mich gekommen ist, und ich habe den Ruf weiter geschickt: »Bruder, bist du noch da?« Keiner sieht den andern, Keiner verläßt seinen Posten, aber man ruft einander den hellen ermunternden Gruß zu. Das ist schön. Eine Kette von freundlichen Worten, Glied an Glied, schließt die deutschen Brüder an einander, die weit aus einander stehen. Alle sind wach und stehen da für das Vaterland. Und ich habe mir da ganz Deutschland gedacht, und von einer Grenze bis zur andern stehen sie da, und rufen einander zu: »Bruder, bist du noch da?« Vater! lieber Vater! da ist mir's warm ums Herz geworden, ich kann's nicht sagen wie. Und ich habe mein Gewehr mit beiden Händen hoch hinauf gehoben, und habe Gott gebeten, er soll mir's einmal für eine rechtschaffene heilige Sache wieder in die Hand geben.

Die zwei Stunden sind mir herumgegangen wie ein Augenblick, und so oft der Ruf an mich gekommen ist, habe ich ihn immer freudiger hinausgerufen. Dazwischen habe ich das Lied in mich hinein gesungen:

Steh' ich in finstrer Mitternacht
So einsam auf der fernen Wacht.

Es ist mir keines von den gelernten Liedern eingefallen. Wenn man so ein Lied auch nur leise vor sich hinsingt, ist es doch gerade als ob man mit einem guten Geist spräche.

Grüßet nur alle guten Freunde und Bekannte, besonders auch unsern Vetter Johann und seine Tochter Anna Margaretha von Eurem getreuen

Lorenz.

II. Brief vom Vetter Andres.

Ja wohl weiß ich viel, lieber Vetter, aber wenn man so auf den Stutz gefragt wird, weiß man nichts und steht da wie ein ABC-Schütz. Freilich hab' ich viel erlebt, ein halb Dutzend von den heutigen jungen Burschen hätte genug daran zu tragen. Aber wenn man sagt: komm', jetzt erzähl' einmal – da stehen die Ochsen am Berg. Wenn du bei mir wärest, könnt' ich sagen, fang' du an. Anfangen! ja, das sind die faulen Eier. Da fällt mir dabei eben eine Geschichte ein. Du hast ja den reichen Kaufmann Kippel noch gekannt, der in Kriegszeiten reich geworden ist. In so einem Krieg, wo Alles drunter und drüber zugeht, da können pfiffige Menschen schon zu 'was kommen. Mein Kippel hat also die Lieferung für das große Spital in Regensburg, aber vom Liefern wird man nicht reich, hingegen aber vom Nichtliefern. Mein Kippel hat mit dem Verpflegungscommissär gemuschelt: der giebt ihm einen Empfangsschein über Alles, was auf dem Papier steht, und der Oberrechner, oder wie man ihn geheißen hat, hat das Geld dafür bezahlen müssen. Mein Kippel kommt einmal wieder mit einem langen Zettel, und darauf steht: so und so viel tausend Eier erhalten. Es hat aber damals fast kein Huhn mehr ein Ei gelegt, sie sind alle verscheucht worden von dem vielen Schießen und dem Untereinander. Da sagt der Oberrechner, oder wie man ihn geheißen hat: »Aber Herr Kippel, ich sehe immer so viel Eier auf der Rechnung, wo kommen denn die hin? Die Kranken müssen ja zuletzt ganze Eierstöcke im Leib haben, wenn man diese alle verbraucht.«

»Ja,« sagt mein Kippel, »es sind auch faule Eier darunter.«

»Ja das sind eben die faulen Eier,« sagt der Oberrechner, oder wie man ihn geheißen hat, und lacht, was er vermag. Er hat aber hernach doch das Geld bezahlt, freilich nicht Alles, denn er hat auch einen Dotter haben wollen. Ja, damals hat Eines das Andere beluxt. Wenn ja Alles ordentlich zugegangen wäre, wäre es mit Deutschland nicht so weit gekommen, wie es gekommen ist.

Vorlängst habe ich mit unserm Amtmann darüber gesprochen, daß es eben doch zu viel Beamten in der Welt giebt. Du weißt, er ist ein grundbraver Mann, man kann schon ein gescheidt Wort mit ihm reden. Da sagt er: »Ja, lieber Andres, wenn alle recht tüchtig wären, bräucht' man weniger, aber es sind viele nicht recht tauglich, und die sind doch einmal angestellt.«

»Ja, das sind eben die faulen Eier,« habe ich gesagt, und habe ihm die Geschichte von meinem Kippel erzählt.

Ich denke jetzt viel und oft über die Beamten nach. Nicht blos weil mein Schwager auch einer ist, nein, im Allgemeinen.

Wer die Beamten scheel ansieht, weil sie Beamte sind, der ist ein Narr. Wahr ist's, es ist ein böses, böses Ding, daß heut' zu Tag keine Dunggrube mehr gegraben wird, ohne daß ein Beamter seine hochweise Nase hineinsteckt. Der Fehler hievon liegt aber auf einem andern Brett. Freilich giebt es Viele, die eine Freude am Commandiren haben. Es steckt in jedem Menschen ein kleiner Commandirteufel; man muß sich in Acht nehmen, daß er nicht eine lebenslängliche Anstellung im Rathhaus unterm Hut bekommt.

Wie gesagt, wenn auch manche Beamte aus bloßer Freude am Befehlen und Regieren nichts geschehen lassen wollen, was sie nicht angeordnet haben; wenn sie gerne jedes Huhn ausgreifen, ob's bald ein Ei legen will, und ob's ein Recht hat vorher zu gackern – die große Mehrzahl von Beamten meint's doch wirklich gut. Sie meinen, das müßte so sein, daß sie für Alles Vorsorge treffen, die Leute seien gar zu dumm, und wüßten sich nicht zu helfen, und daher sei es Pflicht der Vorgesetzten, die kleinen Kinder recht in Acht zu nehmen. Wenn ich es recht bei Licht betrachte, kann Mancher eigentlich nichts dafür, daß er diese Ansicht hat. Bedenk' nur seinen Lebenslauf! Zuerst kommt er in die Schule und lernt alle fremden Sprachen, und nachher auf die Universität, und da lernt er allerlei Rechte, und wenn er zwanzig Jahr alt ist, kommt er gleich ans Regieren, und das treibt er sein Leben lang. Tausende von Menschen, und darunter die meisten, die zweimal und dreimal so alt sind als er, sind ihm untergeben. Freilich, anfangs hat er auch noch manchen Vorgesetzten, der ihn tüchtig hernimmt. Du weißt ja aber, wie es geht: wer als Lehrjung gehudelt worden ist, der hudelt, wenn er Gesell geworden ist, den neuen Lehrjungen gerade so, und noch ärger. Wenn's zu machen wäre, sollten nur erprobte, bejahrte Männer, die schon 'was mitgemacht haben, Beamte sein. Das geht aber für jetzt nicht. Darum bleibe ich dabei: man muß es so einrichten, daß die Bürger möglichst für sich selber Alles in Ordnung halten, und daß nicht Alles von oben herunter befohlen zu werden braucht.

Das eben ist der Fleck, wo die Grundsuppe umgerührt wird. Ich möchte immer sagen: habt mich nur halb so lieb und laßt mich ein wenig für mich selber sorgen. Ein altes Sprüchwort sagt:

Glück und Gesang
Duldet keinen Zwang.

Es giebt nur Einen Menschen auf der Welt, der mich und die Meinigen glücklich machen kann. Und weißt Du, wer das ist? Ich selber! Was man sich nicht erschafft hat, gehört Einem nicht eigen.

Setz' mir einmal meinen Hut auf, daß er mir ganz bequem paßt. Nicht wahr, du kannst es nicht? Er preßt mich da und dort, er sitzt nicht recht, ich muß ihn selber zurecht rücken, und ich brauch' nur ein bischen daran zu stoßen, so ist es recht. Es giebt auch manche Eltern, die ihren Kindern immer befehlen und angeben, was sie thun sollen, statt daß sie sie ein bischen selber machen lassen. Die Eltern meinen's auch gut und brav, aber sie thun nicht brav. Man muß so viel man kann, Jeden daran gewöhnen, für sich selber da zu stehen.

Daß es aber oft so arg steht mit dem Bevormunden von Seiten der Angestellten, daran sind hauptsächlich Wir schuld. Ja, zupf' dich nur an deiner Nase, du bist auch dabei; hast ja deinen Peter wollen studieren lassen, weil er ein aufgeweckter Knabe war. Vor Zeiten hat man die invaliden Soldaten zu Schulmeistern gemacht, weil man geglaubt hat, dies Geschäft könne schon Jeder versehen. Jetzt machen oft die Eltern die geborenen Invaliden zu Handwerkern. Schind' ich mein Nas', schänd' ich mein Angesicht, sagen sie in den Niederlanden. Verstehst du? Wer da meint, zum bürgerlichen Gewerbe braucht's keinen rechten Verstand, setzt sich selber damit herunter. Und nun gar jetzt, wo die Gewerbe so hoch steigen, und Einer den Andern überholen will, da braucht's gerade die tüchtigsten Köpfe. Du siehst wohl, zu welchem Loch ich hinaus will. Wenn die tüchtigen Köpfe und die vermögenden Leute nicht mehr ausreißen und in den Beamtenstand hinüber wollen, dann steht die Bürgerschaft fest und tapfer da, und hat Leute genug, die neben ihrem Geschäft noch ein Aemtchen übernehmen können, ohne Besoldung, und da giebt's weniger Steuer und weniger Beamte.

Wenn ich's recht ernstlich bedenke, will mir's gar nicht in den Kopf hinein, warum alle Leute sich so drücken und drängen, um in das Beamten- und Kanzlei-Paradies hinein zu kommen. Es ist weiter nichts als der Hochmuth, weil man's recht bequem haben will. Du kannst Dir kaum denken, wie viel Beamte am goldenen Elend leiden. Es geht oft so hungrig bei ihnen her, daß es ein Jammer ist. So im Gewöhnlichen sieht man's nicht: wer aber ein bischen tiefer hinein schaut, der merkt's. Und dann: was ist das für ein Leben, wo man gar nicht Herr über sich ist? Es wohnt hier ein alter Rechnungsrath, der jetzt pensionirt ist; er kommt Abends auch in unsere Gesellschaft. Der kann Dir nun nicht genug erzählen, wie wohl es ihm jetzt ist. Sieben und vierzig Jahre lang war er an den Aktenriemen geschnallt, und wenn er einmal einen Tag fort wollte, mußte er vierzehn Tage vorher eine Eingabe um Urlaub machen.

Wie gesagt, solch ein Herr, der über Andere zu befehlen hat, ist am wenigsten sein eigener Herr, und hat am wenigsten über sich zu befehlen. Ich beneide ihn nicht um seine Herrlichkeit.

Weil ich gerade von Beamten rede. Hast du denn auch schon gehört, daß man in unserm Nachbarland Allen, von oben bis unten, Uniformen geben will, in denen sie Tag und Nacht stecken sollen? Ich mit meinem dummen Verstand meine: das sollt' man nicht thun. In den Amtsstuben habe ich nichts dagegen, da ist's meinetwegen gut, wenn man den Amtmann gleich am Rock kennt; aber sonst, wozu soll's? Daß man die Beamten recht von den Bürgern scheidet? Das soll ja nicht sein. Die Beamten sind ja auch Bürger, nur eben solche, die Recht sprechen und das Geld verwalten u. s. w. Wenn es zu machen wäre, sollte man den Soldaten ihre Uniformen nehmen, damit sie auch in der Kleidung immer wie Bürger aussehen. Das geht aber nicht, und darüber läßt sich nichts sagen. Die Beamten selber aber, mein' ich, sollten dagegen Einsprache thun. Freilich, es wird manche geben, die einen großen Krattel haben, weil sie eine besondere Uniform tragen; es giebt aber auch noch rechtschaffene Herzmenschen unter den Beamten, und an diesen wäre es dagegen zu sein.

Vom Kippel weiß ich auch noch eine Geschichte. Er war als ganz blutjunger Bursch als Bäckergeselle in Paris, gerade zur Revolutionszeit. Das war keine Kleinigkeit, so mitten drin, wo man nicht weiß, ob man seinen letzten Bissen Brod backt, und alle zehn Tage nur einen Sonntag. Kurzum, es war Alles unter einander. Mein Kippel geht einmal über die Straße, da begegnet ihm Einer, der fragt: »Bist du ein Republikaner oder Aristokrat?« »Republikaner,« giebt er zur Antwort, und der Mann prügelt ihn tüchtig durch. Das war gut. Mein Kippel geht weiter, und denkt: ein andermal nimmst du dich besser in Acht. Da begegnet ihm wieder Einer und thut dieselbe Frage. »Ein Aristokrat,« ruft Kippel, und nun bekommt er's noch einmal aus dem Salz. Er wehrt sich, wird aber übermannt. Das war wieder gut. Als ihm nun wieder Einige begegnen, und ihn so fragen, ruft er gleich: »Schlaget mich!« Und da haben sie ihn auch geschlagen. Und das war wieder gut.

Man weiß nicht, zu was man es einmal brauchen kann, ist die Redensart von meinem Nachbar Luzian, und so geht's auch mit dieser Geschichte. Besinn' dich einmal darüber.

III. Antwort vom Vetter.

Herzgeliebter Vetter! Ich hab' mich über deine letzte Geschichte besonnen, und es ist mir lieb, daß du die Nutzanwendung davon nicht selber abgeschöpft hast. Das kommt mir immer vor wie eine abgerahmte Milch, oder, wie es in Schwaben heißt, eine abgenommene Milch. Man hat dann den Rahm besonders und die Milch besonders; ich muß aber sagen, es ist mir viel lieber, man schüttelt Alles unter einander, und schneidet gute feste Brocken hinein, da ist dann die ganze Milch süß, wenn man auch nicht sagen kann, da und da ist der Rahm. Verstehst Du mich? So meine ich auch, soll man die Nutzanwendung nicht auf ein besonder Brod schmieren. – Jetzt von der Prügelgeschichte. Da hast du meine Hand. Ich bin ganz so gesinnt wie du, d. h. versteh' mich recht, ich bin darin mit dir einig, daß Jeder den Muth einer Meinung haben muß, hüst oder hott, oder wie man's bei den Landständen heißt: links oder rechts. Ein Mensch, der keine Meinung hat, der kann gar nie recht mein sagen, wenn er auch Millionen im Vermögen hat; das Rechte fehlt ihm; und deßwegen heißt man's auch Meinung, und die wo mitten drin sind, und nicht 'rüber und nicht 'nüber wollen, denen geht's wie jenem Esel. Es ist einmal ein Esel gewesen, ein wirklicher, mit vier Füßen und langen Ohren, und einer Kutte an, die ist nicht schwarz und weiß, sondern beides unter einander gemengt, grau. Also hat der Esel zwischen zwei Heubündeln gestanden, von dem einen gerade so weit weg wie von dem andern, und da hat er sich besonnen, wo er zuerst einbeißen soll. Beißst du rechts, warum beißt du nicht links, es ist ja dahin eben so weit; beißst du links, warum beißt du nicht rechts, es ist ja dahin ein Weg? – Kurzum, mein Esel besinnt sich hin und her, und her und hin, und ist vor lauter Besinnen, weil er sich nicht hat entschließen können, eben Hungers gestorben.

Du wirst jetzt eine vergnügte Prise aus deiner großen Buxbaum-Dose nehmen, wirst deine schieligen Augen, mit denen du doch Alles grad siehst, ein bischen zudrücken, und wirst lachen und sagen: »Das ist eine Fabel, die ich schon lange weiß.« Ich weiß aber noch eine, die weißt du vielleicht nicht, darum will ich sie dir erzählen. Sie ist von einem uralten Dichter in Reime gebracht. Als der Löwe einst krank war, und nicht mehr recht auf Beute ausgehen konnte, ließ er als König der Thiere seine Unterthanen zu sich ins Schloß entbieten. Da kam der Bär, der ein Herzog, der Wolf, der ein Graf, und der Fuchs, der ein Baron war, und sie zogen mit einander zu Hof. Im Schlosse des Löwen roch es nicht nach Bisam: im Gegentheil, ganz anders. Der Bär kam nun zuerst hinein, und König Löwe führt ihn überall umher, und fragt ihn dann: »Wie gefällt dir's?« »In Wahrheit,« sagt der aufrichtige Bär, »es riecht verdammt schlecht.« »So!« ruft der Löwe grimmig, »das wagst du mir zu sagen? Komm', ich will dir.« Und er zerriß ihn in Stücke, und fraß ihn auf. Der Wolf, der nun herein kommt, und vom Schicksal des Bären gehört hatte, denkt: Du machst's gescheidter, und sagt auf die Frage des Löwen: »Mein Leben lang habe ich nichts Angenehmeres gerochen.« »So,« ruft der Löwe, »Du glaubst, man dürfe mich anlügen? Komm', ich will dir.« Und er zerriß ihn in Stücke, und fraß ihn auf. Jetzt endlich kommt der Herr von Fuchs, und auf die Frage des Löwen hält er sich die Nase zu, und sagt: »Verzeihen Königliche Majestät, ich habe den Schnupfen, ich rieche gar nichts.« Und er ging wohlbehalten von dannen.

Geht es nicht auch jetzt noch so mit den verschnupften schlauen Füchsen?

Ich habe unlängst gelesen: in eurer Gegend soll ein Mann sitzen, der zum Tode verurtheilt ist, es findet sich aber Niemand, der ihn köpfen will. Das gefällt mir. Wir haben hier in unserm Wahlbezirk eine Eingabe an die Landstände um Abschaffung der Todesstrafe gemacht. Wenn man sich darauf verlassen könnte, daß sich Niemand mehr dazu hergäbe die Todesstrafe an einem Menschen zu vollziehen, so brauchte man eigentlich kein Gesetz. Ich traue aber noch nicht ganz. Meine Seele im Leib ist dagegen, daß man einen, der einen Todtschlag begangen hat, wieder umbringen soll. Ich weiß wohl, man kann mir vieles einwenden und ich kann nichts darauf sagen. Darum sei so gut und schreibe mir Deine Gedanken, und wie die Geschichte in eurer Gegend sich verhält, und sage auch dem Gevattersmann, daß er etwas darüber von sich hören lassen soll. Jetzt wünsche ich Dir wohl zu leben und verbleibe Dein getreuer

Vetter.

Was für Bilder soll ich in meine Stube hängen?

Der Gevattersmann kommt einmal Morgens in das Wirthshaus. Es ist sonst seine Art nicht, Morgens dahin zu gehen, denn er glaubt, wie die Blumen und Pflanzen erst Abends, wenn's kühl wird, Thau zu trinken bekommen, so trinkt auch der Mensch am besten Abends, zwar nicht Thau, aber doch Bier oder Wein. Es giebt aber auch einen Morgenthau.
Anm. des Doktor Gscheitle.
Dießmal aber war's eine Ausnahme, denn der Gevattersmann hatte einen alten Bekannten, den Vetter Andres, zu besuchen, der hier übernachtet hatte. Er sitzt eben bei seiner Morgensuppe. Ein anderer Mann sitzt am Tische nebenan und hat eine Kraxe, wie die Hausirer haben, neben sich stehen. »Herr Wirth,« ruft der Fremde, »was macht meine Zeche? Ich kann sie zwar nicht bezahlen; aber Ihr nehmt mir Bilder dafür ab. Hier wählet Euch.« Er breitete nun eine ganze Masse Sachen auf dem Tisch aus. »Was willst du Dir wählen, Adlerwirth?« fragte Andres. »Ich weiß selber nicht, ich mein', ein paar Heilige.« »Hab' nichts dagegen, wenn sie nur 'was nützten. Wenn man's aber lang in der Stube hat, merkt man nicht mehr drauf, was da hängt, und wenn's auch das Schönste und Heiligste ist. Wie Mancher hat die heiligsten Männer still an den Wänden hängen, und sie sehen ihn an mit ihren frommen, getreuen Augen, er aber flucht und schimpft und lügt doch, und hat keine Liebe und keine Geduld. Habe ich Recht oder nicht, Gevattersmann?« »Wohl. Für die Kinder aber ist es gut, wenn etwas Schönes und Hohes in leibhaftiger Gestalt sie umgiebt. Erwachsene, denkende Menschen brauchen eigentlich keine äußeren Zeichen mehr. Das helle Kindesauge empfängt eine tiefe Nahrung von dem, was es als schön und erhaben erschaut. Ich werde mein Leben lang nicht vergessen, welch' einen unnennbaren Eindruck die Bilder aus der Geschichte Josephs, den seine Brüder verkaufen, die in meiner Vaterstube hingen, auf mich als kleinen Jungen machten. Niemand achtete mehr darauf, ich aber beschaute oft lange die zwölf Bilder der Reihe nach, und habe geweint bei dem blutigen Hemde, und mich herzinnig gefreut bei dem Purpurmantel Josephs, da er seinen Vater mit dem weißen Barte küßte.« »Was geht das mich an? Was willst du damit sagen?« »Um der Kinder willen suche die rechten Bilder in Dein Haus zu schaffen. Du giebst ihnen damit mehr, als alle Erzählungen vermögen.« »Was soll der Napoleon kosten?« fragte jetzt der Adlerwirth. »Laß den, sagte der Andres heftig, »was geht der dich an? Er war ein großer Geist, aber eine kleine Seele. Er hat keine Achtung vor den Völkern gehabt, und hat sie bloß nach Gutdünken behandeln wollen. Freilich, für Eines bin ich ihm dankbar; er hat der Welt ein bischen gezeigt, daß nicht Alles so fest steht. Warum soll aber ein deutscher Mann den Napoleon in die Stube hängen? Er hat uns nur Schmach gebracht. Und haben wir sie auch wieder abgewaschen, wo stehen wir jetzt? Darum verkaufen Sie Ihre Napoleon in Frankreich. Warum schüttelst du den Kopf, Gevattersmann?« »Du bist ein bischen wild.« »Soll ich nicht? Ich schäme mich, wenn ich in eine Stube komme, und der Napoleon hängt da.« »Hier habe ich etwas für Sie,« sagte der Bilderhändler. »Hier haben Sie den deutschen Michel, wie er von allen Potentaten angezapft wird.« »Zum Henker!« rief Andres voll Heftigkeit, »soll ich meine eigene Schande ins Zimmer hängen? Ich möchte vor Zorn weinen, wenn ich so etwas sehe. Da meint Jeder, er sei's nicht, der da verspottet wird. Und wer ist's denn? Komm' Gevattersmann, wir wollen gehen.« Wir gingen. Während drinnen der Adlerwirth dennoch einen Napoleon und seinen Fürsten und die Fürstin kaufte, sprachen wir viel darüber, was für Bilder in allen deutschen Häusern hängen sollten.


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