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Ein geringer Mann oder die Bürgschaft.

Der Schreiner Krug hatte in der Stadt gearbeitet und machte sich in seinem Heimathsdorf ansässig; weder er noch seine arbeitsame Frau hatten Vermögen, aber Arbeitsamkeit ist das eigentliche Vermögen in der ursprünglichen Bedeutung des Worts, und das ist zugleich das beste, die höchsten Zinsen tragende Capital. Dennoch ist es Jedermann bekannt, wie schwer es sich thun läßt, auf dem Dorf von einem Handwerk allein ohne eine kleine Feldwirthschaft nebenbei zu leben. In neuerer Zeit ändert sich das; zumal bei der Aufhebung der Zünfte, und vor Allem in den Dörfern, die der Eisenbahn nahe sind; denn dadurch wird es möglich, die Erzeugnisse der Arbeit rasch und ungehindert in die größeren Verbrauchsorte zu bringen. Unser Schreiner Krug lebte zwar in einer entfernten Waldgegend, dennoch gelang es ihm, sich bald aufzuschwingen und in der Nacht, wenn Andere sich zur Ruhe begaben, hörte man in seiner Werkstätte noch sägen, hobeln und hämmern. Dabei war er sparsam, und der Hut, den er wachstuchüberzogen durch vielerlei Länder getragen hatte, ward noch mehr als zwanzig Jahre zum Kirchgänge aufgesetzt; er war nicht mehr nach der neusten Mode, weder in der Form noch in der fuchsigen Farbe, aber der Kopf darunter war allzeit frisch und wohlgemuth. Ein kleiner Acker und eine gute Wiese, sowie eine Kuh im Stall, waren aus den Brettern herausgesägt worden. So lebte Meister Krug viele Jahre.

Nun aber fügte es sich, daß die älteste Tochter einen Sägmüller in der Nähe heirathete. Unser Meister ließ sich dazu verleiten, sein bischen Habe zu verkaufen und mit dem Sägmüller gemeinsam ein Wasserwerk zu kaufen, und dazu noch namhaftes Geld aufzunehmen. Er verstand den Bretterhandel wohl, und wollte daneben auch noch sein Handwerk treiben; bald aber wurde ihnen durch eine neuerrichtete große Schneidemühle unheilbarer Nachtheil bereitet, und nach wenigen Jahren mußte Alles verkauft werden. Die jungen Leute behielten noch so viel, daß sie mit Noth übers Meer auswandern konnten, und unser Meister Krug kehrte nochmals ins Dorf zurück. Ein treuer Genosse aus der Wanderzeit, der Schuhmacher Grundler, nahm ihn bei sich auf. Meister Krug wollte nun unverdrossen nochmals anfangen und von unten auf sich etwas erwerben; er sah aber bald, daß er jetzt weniger als nichts hatte, denn es giebt ein Etwas in der Welt, das unschätzbar ist und sich mit keiner Zahl nennen läßt, es heißt: Credit! Nicht die ungleichmäßige Vertheilung des Besitzes ist das Uebel in der Welt, sondern daß man nur dem, der etwas besitzt, auch fremdes Gut anvertraut. Es ist daher wohlgethan, daß in unsern Tagen ein Hauptaugenmerk darauf gerichtet wird, Darlehenskassen für Gemeinden und Bezirke, überhaupt Vorschußbanken zu errichten, die die Arbeitskraft als Capital betrachten und sie nöthigenfalls mit den entsprechenden Mitteln ausrüsten. Unser Meister Krug klopfte an verschiedenen Thüren an, ja sogar bei Wucherern, aber man willfahrte ihm nirgends. Er lief von Haus zu Hans, von Dorf zu Dorf, und wiederum nach der Stadt; immer meinte er, er müsse die Thüre finden, durch die er aus seinem Elende herauskomme, aber sie that sich nicht auf. Es war eine unsägliche Verzweiflung, mit der Krug hin und her wanderte, und er fragte sich oft: Warum gehst du wieder heim? Warum wandelst du nicht hinaus in die weite Welt, um fern und ungesehen zu sterben? Im Wald ausschauend sagte er oft vor sich hin: »Nur ein Paar, nur einen von den Bäumen, und ich wäre gerettet!« Ja er legte sich mehrmals im stillen Wald nieder und hoffte, daß der Tod kommen und ihn erlösen werde; aber immer wieder machte er sich auf und kehrte heim zu seiner Frau; die wohl als Taglöhnerin arbeitete, aber doch nicht so viel errang, daß sie beide davon hätten leben können, zumal da beim Hin- und Herrennen und Suchen des Meisters immer baar Geld drauf ging, wenn auch nur ein paar Kreuzer.

Die Noth stieg, wie man sagt, bis an den Hals oder vielmehr noch höher hinauf. Es gab keinen Taglohn mehr, und der gute Kamerad Grundler half endlich damit aus, daß er sich bei einem reichen Bauern, von dem Krug ein Malter Korn auf Borg kaufte, für die Bezahlung verbürgte. Nun war doch mindestens wieder Brod im Hause. Unser Meister nahm den ersten Laib davon mit, das andere überließ er seiner Frau, und jetzt zog der vierundsechzigjährige Mann wieder wie ein junger Wanderbursche hinaus in die Fremde, um als Handwerksgeselle Arbeit zu finden. Es gelang ihm bereits am dritten Tage, und er arbeitete frisch drauf los; aber sei es, daß er nicht mehr in einer großen Werkstätte arbeiten konnte und sich zu sehr anstrengte, oder daß den alten Mann das Heimweh und die Entbehrung der treuen Fürsorge seines Weibes so sehr plagte, oder daß er überhaupt die veränderte Lebensweise nicht mehr ertrug: genug, noch nicht zwei Monate waren um, als Meister Krug ins Spital gebracht wurde; und hier genas er zusehends rasch, denn seine Frau war gekommen, ihn zu pflegen. Als er wiederum gut marschiren konnte, that es die Frau nicht anders, er mußte mit ihr heim. Unterwegs war Krug äußerst munter, und er sagte oft: so habe er sich's vor Zeiten gewünscht, da er noch als fröhlicher Wanderbursche durch die Welt zog. Oft und oft habe er sich sein zukünftiges Weibchen herbeigewünscht, daß sie mit ihm wandere.

Daheim angekommen stand Krug wieder im alten Elend, und was ihn am meisten plagte, war: daß er nicht einmal so viel erübrigt hatte, um dem treuen Grundler seine Bürgschaft abzulösen. Wieder trat er seine alten Wanderungen an, aber einst auf dem Heimwege übermannte ihn das Elend. Bei einer Buche mit niederhängenden Aesten knüpfte er sein Halstuch los und machte eine Schlinge um den Ast: »Mach' ein End,« sagte er vor sich hin und stampfte auf die Erde, in der er sich ein Grab erzwingen wollte. Aber plötzlich hielt er wieder inne und sagte fast laut vor sich hin: »Ja, ja, aber der Grundler, der sich für dich verbürgt hat, der treue Mensch, wird um sein Geld betrogen! Kannst du als Betrüger aus der Welt gehen! Darfst du den guten Glauben deines Kameraden hintergehen? Nein, nein, der Grundler muß sein Geld haben, und wenn ich's stehlen muß.« So sprach er fast laut und schaute dann still vor sich nieder, indem er daran dachte, daß Jemand noch mehr als Geld für ihn verbürgt hatte. Jahrzehnte lang hatte ihm seine Frau Liebe gewidmet, und durfte er ihr damit vergelten, daß er ihr das Leid anthue? Und weiter gedachte er aller der Menschen, die ihm je Gutes gethan, und er rief laut aus: »Es ist ja fürchterlich. Ich bin ja der größte Schuldner auf der Welt.« Und jetzt als er sein Halstuch wiederum abknüpfen wollte, schaute er durch die Blätter hinauf zum Himmel und rief: »Du Himmel bist noch da und der über dir auch! Ich warte geduldig, bis Ihr ein Ende macht, ich nicht.«

Ein Wandersmann in grauen Sommerkleidern mit einer neumodischen sogenannten Bügeltasche hatte nicht fern davon das seltsame Gebühren des Mannes gesehen und seine Ausrufe gehört. Jetzt trat er aus ihn zu, und seine Worte und seine Mienen waren so zutraulich, daß ihm Krug sein ganzes Leben erzählte, besonders aber was in der letzten Stunde mit ihm vorgegangen war. Der Fremde öffnete die Bügeltasche und steckte die Hand in klingende Münze. Krug faßte seinen Arm und rief: »Ich nehme nichts geschenkt, sonst hätt' ich mich auf die Gemeinde gelegt.« Der Fremde aber sagte: »Lieber Mann, ich will Euch nichts schenken. Seht, ich habe mit diesem Geld eine Reise nach der Schweiz machen wollen, ich bin nicht reich, aber das habe ich zu meiner Erholung erübrigt, und ich will's Euch nicht schenken, sondern nur leihen; und zum Beweise, nehmt hier diesen Zettel, darauf steht mein Name und mein Wohnort, ich thue weiter nichts, als ich kehre jetzt geraden Weges wieder um. Ich schenke Euch nur meine Reisefreude, habe aber eine andere dafür, könnt mir's glauben. Wenn ich Euch helfen kann, ist mir's wohler als auf dem höchsten Berge: der Gedanke, daß ich Euch helfe, ist mehr als die schönste Aussicht ins Weite. Ich bitt' Euch, wenn Ihr könnt, bezahlt mich wieder.«

»Ich kann aber keinen Bürgen mehr stellen,« sagte Krug, und lächelnd erwiderte der Fremde:

»Ich weiß einen Bürgen, den wir hier gleich bei der Hand haben, und er heißt Vertrauen. Ich wiederhole Euch, ich bin nicht reich an Geld, aber an Vertrauen zur Güte der Menschen, und so glaube ich Euch; täuscht Ihr mich und behaltet Ihr das Geld, während es Euch gut geht, so habt Ihr mich um mehr als mein Geld, Ihr habt mich um mein Menschenvertrauen betrogen, und damit mir die Freude und einem Andern, der, wie Ihr, Noth leidet, die Hülfe geraubt. Daran denkt und nun lebt wohl.«

Der Fremde legte fünfzig Gulden vor Krug hin, und als dieser noch staunend darauf schaute, war der Fremde verschwunden. –

Es gelang Krug, sich wieder herauszuarbeiten, und nach Jahren erhielt der Fremde ein amtlich besiegeltes Schreiben aus dem Heimathsdorfe Krugs, darin die Nachricht, daß dieser gestorben sei, daß man aber in seinem Gebetbuche eine Quittung über ein bezahltes Malter Korn gefunden habe, und in seinem Halstuche, das im Kasten lag, einliegendes Geld, und dabei die eigenhändig geschriebenen Worte Krugs: »Dieses Geld gehört dem N. N. in N. Er soll nur allezeit an die Menschen glauben, und wenn er auch einmal betrogen wird.«

Das war der geringe Mann. Sieh zu, du brauchst nicht weit suchen, ob du nicht auch eine solche Lustreise in die weite Welt des Wohlthuns machen kannst.


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