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Der letzte Heimathstag eines Auswanderers.

Leb' wohl, du theures Land, das mich geboren,
Die Ehre ruft mich, ach, so fern von dir!
Und, ach, die süße Hoffnung ist verloren,
Die ich gehegt zu ruhen einst in dir!

Mit diesem zu ganz anderer Stimmung gesetzten Liede erwachte der Zimmermann Wolfgang – genannt Zimmerwolf – im Morgengrauen, und es war ihm, als hätte ihm Jemand im Traume das Lied vorgesungen.

»Die Ehre ruft mich, ach, so fern von dir!«

Ja, das paßte auf ihn, denn er war eben bereit übers Meer zu ziehen, nicht weil er schon ganz verarmt war, sondern weil er seine Verarmung vor sich sah; jetzt stand er noch in vollem Ansehen, und mit diesem ging er.

Wolfgang war ein wohldenkender Mensch, der auf viele Dinge ein Augenmerk hatte und dem Manches zu Herzen ging, was er nicht laut werden ließ. »Die Ehre ruft mich, ach, so fern von dir!« so summte er nochmals mit geschlossenen Augen, aber innerlich wach vor sich hin. Jetzt richtete er sich auf, und schaute zuerst in der Stube umher, wo sich beim fahlen Morgenlicht die großen Kisten mit den schwarzen eisernen Reifen und Eckblechen unterscheiden ließen.

Die Stube war so weit und groß, denn nur wenige Stücke vom alten Hausrath waren noch da, welche die Käufer erst nach Abgang der Auswanderer an sich nehmen wollten. Wolfgang war's, als hörte er noch die Angebote der Steigerer, die vor wenigen Tagen hier laut geworden waren.

Auf der Streu neben ihm lagen seine Frau und seine acht Kinder. Einen seltsamen Glanz hatte besonders das Gesicht des jüngsten Kindes, eines Knaben von kaum zwei Jahren, der sein Händchen auf dem Munde der Mutter liegen hatte, als wollte er es ihr zum Kusse hinreichen und jeden Klageton damit zurückdrängen.

Alle schliefen ruhig. Wolfgang erinnerte sich, daß er nur in kurzen Absätzen geschlafen hatte, denn wenn die Kisten gepackt um das Bett herum stehen, da ist es als ob auch die Ruhe mit hineingelegt wäre: die Seele wandert schon mit dem Gepäck, das nun bald auf unbekannten Wegen dahinrollen wird. Ist das nun schon bei kleinen Tagereisen, von denen es wieder eine Heimkehr giebt, wie viel mehr bei einer Reise übers Meer, beim Scheiden auf ewig.

Wolfgang war sonst ein starker und fester Mann, der das Augenmaß, dessen er bei seinem Handwerk bedurfte, auch in allen Lebensverhältnissen zur richtigen Anwendung brachte; im Leben wie in seinem Handwerk gab es nichts, was ihm Schwindel machte, er war allezeit fest, wo es galt die Balken zum Bau zusammenzufügen, aber heute war er gar seltsam bewegt: er konnte das nicht bewältigen, und ehrlich gestanden, er wollte es auch nicht. Wolfgang hatte seine Eltern begraben und zwei Kinder, und er ließ immer den Schmerz vollauf walten, denn er wußte, daß eine unterdrückte Trauer, eine durch Zerstreuung verscheuchte, um so bitterer wiederkehrt, er machte es dabei, wie wenn er sich verwundet und geritzt hatte, er drückte das Blut noch aus, und dann heilte die Wunde um so schneller.

Es ist bei allem Schmerz und Unglück nichts unpassender und wirkungsloser, als wenn man dem Betroffenen zuruft: beruhige dich doch, nimm dich zusammen, bedenke, das Unglück könnte noch so und so seyn, und darum sei zufrieden. Das ist fruchtlos und fordert den Betroffenen zu einer Abwehr und Vertheidigung auf, die aus dem Kummer heraus um so schmerzlicher ist, weil man dabei um so verlassener vor sich selbst und undankbar und schwach vor den Theilnehmenden erscheint.

Weit heilsamer ist es, wenn der Theilnehmende bekennt: du hast Recht, daß du jammerst und trauerst, thue dir keinen Zwang an, jedes Ding hat sein Recht, der heutige Tag und der morgige aber auch. – Das ist dann ein Zuspruch, der aufhilft.

Wolfgang richtete sich auf, und als er die Thür in die Hand nahm, öffnete seine Frau die Augen und sagte leise: »O Wolfgang, das ist die letzte Nachtruhe daheim.«

»Du hast Recht,« erwiderte Wolfgang in gleichem Ton, »aber bleib noch ruhig, du hast's heute doppelt nöthig, daß du deinem Schlaf keinen Abbruch thust, und weck' die Kinder nicht und denk', wir bleiben ja mit Gottes Hülfe bei einander.« Er öffnete die Thür und ging hinaus. Vor der Thür aber stand er seltsamer Weise still. Dieses eigenthümliche Schättern der Stubenschnalle, wie sie jetzt in den Riegel fiel, das war ein Ton, der ihm auf einmal seine ganze Kindheit vorzauberte. Wie oft hatte er diesen Ton gehört und unter wie viel tausenderlei Verhältnissen, wenn Vater und Mutter aus- und eingingen, und Befreundete kamen und er selbst. Plötzlich stand die Zeit vor ihm, da er zum Erstenmal die Stubenschnalle aufmachen konnte, als er sich streckte und mit dem kleinen Händchen hinaufreichte; aber er konnte nur mit der linken Hand die Klinke herabdrücken, lange nicht mit der rechten, und sonderbarerweise war sein Lebenlang die linke die gewandtere Hand geblieben.

Ja, das Klinken der elterlichen Stubenthür hat etwas gar Seltsames, es ist wie ein still verborgener Glockenton im Gemüthe, den Niemand anders kennt und versteht, und tausend vergessene Geschichten wachen davon auf. Und hier die Schwelle! Wie oft war Wolfgang als Kind darüber gestolpert und besonders über eine Astwurzel, die jetzt noch nicht ausgetreten war.

Hätte sich aber unser Wolfgang überall so lang aufgehalten als bei der Thürklinke und Schwelle, er wäre sein Leben lang nicht zum Auswandern gekommen. Nun ging er rasch die Treppe hinab und durch das Dorf. Alles schlief noch, nur die Schwalben zwitscherten auf den Dachgesimsen, die Hähne krähten aus den Häusern und die Vögel sangen von den Bäumen und die Thiere brummten in den Ställen.

Wie ein abgeschiedener Geist, der ungesehen wieder heimkehrt, derweil Alles im Schlaf liegt, so wanderte Wolfgang durch das Dorf. An manchem Haus blickte er länger hinauf, er hatte es selber mit aufgerichtet; es erzählte von Mühen und Sorgen, aber auch von fröhlichem Maiensetzen.

Jetzt war er draußen auf dem Feld, da eben die Sonne in Purpurpracht am Himmel stand, und Lerchen, die man nicht sah, in der Luft jubelten, als sänge die Morgenröthe hell und laut. Unwillkürlich hob Wolfgang seinen Hut und starrte hinaus und hinauf: Ist denn die Welt so schön – und wie viel tausend und tausendmal vergißt man's.

Er wußte nicht was er dachte und empfand, aber seine Seele war in der Welt und die Welt war in ihm.

In einem tiefen Fahrgeleise am Wege trippelte eine Lerche lange Zeit vor ihm her, als fürchte sie ihn gar nicht, als scheue sie nicht vor ihm; denn es gibt Augenblicke, wo die Natur das andächtige Herz des in ihr Wandelnden zu fühlen scheint, und der Mensch ist nicht mehr der gefürchtete Feind der Thiere, sondern ihr vertrauter Genosse, der mit ihnen theilt die Herrlichkeit der Erde. Das ist die Zeit der Verheißung, die die Propheten in heiligen Stunden geschaut, und die noch immer über Menschen kommt in ungeahnten heiligen Augenblicken.

Jetzt aber war Wolfgang auf seinem Acker. Wie oft hatte er ihn umgepflügt, darauf gesäet und geerntet, und nun stand die Saat in voller Pracht, und in ihm sprach es: »Dank dir o Erde, du gabst mir meines Leibes Nahrung. Sei gesegnet und gieb Anderen, die dich jetzt ihr eigen nennen, die treue Frucht, daß sie sich ihres Daseins freuen. Seid gesegnet, seid gesegnet, ihr Fluren meiner Heimath, auf immerdar.«

Er grub eine Scholle auf aus seinem Acker und wickelte sie in ein Tuch. Er wollte sie in der fernen Welt zum Angedenken haben. Er wollte sie ausstreuen auf seinem Ackerfeld in der neuen Heimath.

Lange saß dann Wolfgang auf dem Bauholz bei den Linden, wo er so oft und jahrelang Axt und Beil geführt. Der Tag wurde lauter, die Morgenglocke tönte und Wolfgang saß still und ließ Farbe, Licht und Ton in sich einziehen. Und immer wieder holte er tief Athem, als könnte er nicht genug die Luft der Heimath trinken. Er pflückte sich einen blühenden Lindenzweig vom Baum und steckte ihn auf den Hut, und nun kehrte er wieder ins Dorf zurück. Er mußte stundenlang im Feld gewesen sein, denn im Dorf war bereits Alles lebhaft. Bei Jedem blieb Wolfgang stehen und sprach mit ihm, alle Heimathsangehörigen waren ihm jetzt nahe Freunde geworden, es gab keinen Unterschied mehr. Beim Küfer Mathes blieb er am längsten, denn der hatte seine Kuh gekauft. Er streichelte das Thier noch einmal, und mit dem frischen Klee im Maul glotzte ihn das Thier still an, dann aber fraß es wieder ungestört weiter. Es schien jetzt behaglicher zu leben in der Genossenschaft, als früher in der Einsamkeit.

Im Elternhaus fand Wolfgang schon Frau und Kinder wach und in ihren amerikanischen Kleidern. Besonders die Knaben freuten sich sehr mit ihren grauen Hüten und grünen Bändern, und baten den Vater, daß sie diese den ganzen Tag aufbehalten dürften, während die Mutter gesagt hatte, daß die guten Kleider nach der Kirche wieder eingepackt würden. Das älteste Mädchen, das die Morgensuppe auftrug, hatte verweinte Augen. Der Vater ermahnte die Kinder nochmals, daß sie auf der Reise recht folgsam sein, sich immer an die Mutter halten, und nicht zerstreuen sollten, ja, er drohte den Knaben: wer nicht gut thäte, werde auf dem Schiff hoch oben an dem Mast in ein Seil gebunden, und bekäme nichts zu essen als ein Stück Wallfisch.

Vater und Mutter sahen einander oft lächelnd an, da sie hörten, welche fabelhaften Dinge sich die Kinder von Amerika einbildeten. Der älteste Knabe wollte sich eine Doppelflinte anschaffen und einen Bären zähmen und ihn in den Wagen spannen, und das zweite Mädchen wollte sich einen Taubenschlag voll Truthühner anschaffen, und auf einem Vogel Strauß spazieren reiten. Der zweite Knabe weinte, weil ihm seine Geschwister Alles wegnähmen und ihm gar nichts ließen von den Gegenständen – der Einbildung. Dieser Streit wurde leicht geschlichtet, aber des ganzen väterlichen Ansehens bedurfte es, um einen andern gegenwärtigen beizulegen.

Jedes Kind hatte für die Reise seinen eigenen Löffel bekommen, und da es Streit gab, da jedes den schönsten haben wollte, mußte der Vater mit einem Messer Nummern darauf kritzeln, damit jedes den seinigen kenne.

Jetzt läutete es zur Kirche, und Eltern und Kinder machten sich gemeinsam auf den Weg.

Die Gespielen riefen auf dem Wege den Kindern, sie möchten mit ihnen gehen, aber die Kinder hielten sich getreulich um die Mutter, und diese konnte fast nicht vorwärts kommen, bis die Kinder zu zwei und zwei geordnet, Hand in Hand voraus gingen.

Natürlich hatte man unterwegs manches Lob und auch Mitleid zu hören über die braven armen Kinder, die schon so weit fort müßten, und die Kinder thaten ganz stolz und wichtig in ihren neuen weiten Kleidern; denn sie waren heute Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit, und das merken Kinder bald und haben's gern.

In der Kirche, als die Orgel erklang und der Gesang ertönte, hielt Wolfgang sich den Hut vor das Gesicht; es hatte ihn noch Niemand weinen gesehen, und jetzt wußte er nicht wie es kam, Thränen rannen ihm über die Wangen; bald aber schaute er auf und verlor sich in tausenderlei Erinnerungen und Vorstellungen. Er wäre keine Minute erschrocken, ja hätte es ganz natürlich gefunden, wenn plötzlich Vater und Mutter und alle Verstorbenen dagewesen wären; ja er meinte, sie müßten da sein, und sein unsteter Blick suchte sie.

Der Pfarrer predigte über die Allgegenwart Gottes, und es war wohlthuend da er ausführte, wie es eine Tröstung sei zu wissen, daß fern überm Weltmeer Menschen leben, die gleich denken mit uns, deren Gedanken sich zu uns wenden, wie wir zu ihnen; das gebe ein Bild und eine Ahnung von der Einheit der Menschheitsfamilie. Zuletzt sprach er ein Gebet für diejenigen, die jetzt von unserem leiblichen Auge scheiden, die aber mit uns sind und sein werden im Geist des Allgegenwärtigen, und der schöne Spruch, der allzeit wiederkehrt, beim Neugeborenen, wie am offenen Grabe des Entschlafenen, als ein fester Gruß beim Willkommen und beim Scheiden, der traf heute das Herz aller Zuhörer, und mit stummen Lippen sprachen sie ihn nach: »Der Herr segne dich und behüte dich, der Herr lasse sein Antlitz dir leuchten und sei dir gnädig, der Herr erhebe sein Antlitz über dich und gebe dir Frieden. Amen!« Amen! sprachen Alle und manche Stimme zitterte, besonders aber die Wolfgangs und seiner Frau. Der Pfarrer hatte diese nicht genannt, aber es machte ihnen das Herz übervoll, da sie sahen und hörten, wie jetzt die besten Wünsche Aller sich über sie ergossen.

Als die Kirche zu Ende war, wartete Wolfgang an der Thür auf seine Frau, er faßte sie an der Hand, schickte die Kinder heim und ging mit ihr zum Pfarrer.

»Es ist mir wie damals, wo wir zum Pfarrer gegangen sind, uns zur Trauung anzusagen,« bemerkte die Frau, als sie am Pfarrhause klingelten.

Wolfgang nickte still.

Beim Pfarrer sagte er, wie er es nie vergessen werde, daß Er und die ganze Gemeinde für ihn um den Segen gebetet, und entschuldigte sich, daß er nicht zur Nachmittagskirche komme, es sei noch mancherlei zu besorgen und er habe nun auf ewig Abschied genommen von dem Hause, wo er es gelernt habe, und so oft daran erinnert worden sei, was es heiße ein Mensch zu sein.

Der Pfarrer überreichte nun Wolfgang einen amtlich beglaubigten Auszug aus dem Kirchenbuche, worin Name und Geburtsjahr der Kinder Wolfgangs verzeichnet war.

Ungeschickterweise zog Wolfgang seinen Beutel und wollte diese Mühewaltung bezahlen. Der Pfarrer aber wehrte dem ab und sagte: »Gebt das, was Ihr mir zugedacht, dem ersten armen Landsmann, der Euch in der neuen Welt begegnet.«

»Meine Hand darauf!« sagte Wolfgang, diese ausstreckend, und fuhr dann fort: »Leben Sie wohl und Gott vergelte Ihnen alles, was Sie an uns gethan, und wenn das Kreuz auf dem Grab meiner Eltern einmal verwittert, lassen Sie mich's nur wissen, ich will's gern bezahlen. Ich will sobald es mir gut geht ein eisernes machen lassen.«

Auch der Frau reichte der Pfarrer die Hand, aber sie sprach kein Wort und weinte nur immer. Der Pfarrer gab ihnen noch das Geleite bis vor das Haus.

Die Frau weinte und sagte dabei: »Man sieht jetzt erst wenn man von ihnen fort muß, wie gut die Menschen gegen Einen sind.«

»Jetzt ist's genug,« sagte Wolfgang, als er mit seiner Frau auf dem Heimweg war, »jetzt ist's genug geweint und getrauert, und nun ist's vorbei. Wir sind schon auf der Reise, und jetzt muß man die Augen offen haben zu was Andrem. Komm nur heim, ich habe einen Matrosenhunger und die Kinder werden warten.«

»Ja heim, das ist kein Heim mehr,« wollte die Frau sagen, aber sie schluckte es hinab mit ihren Thränen.

Mit seinem eigenen Hunger ebensowohl als mit dem unruhigen Warten der Kinder hatte Wolfgang Recht gehabt. Die Eltern fanden Händel vor, die sie schlichten mußten, denn der graue Hut des Zweitjüngsten war in eine Pfütze gefallen, und er behauptete, der Aeltere habe ihn gestoßen, und wollte nun dessen Hut dafür haben, obgleich er ihm zu groß war. Ein einfaches Fingeraufheben Wolfgangs stellte die Ruhe her. Er duldete es nicht, daß die Mutter dem Zweitjüngsten eine Mütze gab, denn es hatte sich herausgestellt, daß er gelogen. Der Knabe mußte nun den ganzen Tag mit dem fleckigen Hut umhergehen; er sollte die Folgen dessen tragen, was er gethan, und Wolfgang that sehr wohl, schon früh und in kleinen Dingen daran zu gewöhnen. Bei Tisch wurde Wein getrunken, was sonst noch nie im Hause geschehen war, und jedes Kind durfte einen Schluck aus dem Glase des Vaters trinken.

Die Redseligkeit der Kinder erheiterte die Eltern bald, und nach Tisch kamen die Nachbarn und Verwandten und die Leute denen das Geschirr gehörte, von dem man heute noch gegessen hatte.

Die Frau ließ sich's nicht nehmen, das Geschirr wohlgescheuert abzugeben, und sie wollte fast weinen, als ihr Geschirr, das sie so lange gehandhabt hatte, fortgetragen wurde, bis Wolfgang sagte: »Willst ein Pfännle machen? Guck, dein linker Mundwinkel sieht grad aus wie das Schnäuzle an deinem braunen Milchtopf. Wenn du mir jetzt gleich lachst, schaff' ich dir drüben ein halbes Regiment davon an, und ich ruhe nicht, bis wir so viel Kühe haben, daß du alle Töpfe in einem Tage voll melken kannst; und ein Butterfaß schaff' ich dir an, das muß so breit sein wie die Rentmeisterin, wenn sie sechs Unterröcke anhat und noch einen gesteiften Rock obendrauf.«

Die Frau lachte in der That, und jetzt wünschte sie sich, wenn's nur gleich in der nächsten Viertelstunde fortginge; daß es noch bis Mitternacht daure – sie wisse nicht, wie sie das aushalten könne.

Wolfgang überließ seine Frau den andern Weibern, und ging mit einigen Kameraden das Dorf hinauf. Die Kinder wurden in die Nachmittagskirche geschickt. Als diese zu Ende war, saß Wolfgang bei einer Anzahl von Männern auf dem Mäuerchen am Rathhausbrunnen; man rauchte, man schwatzte und gähnte, oft aber war Alles schweigsam, und das fiel heute Wolfgang zum erstenmal auf. Er dachte vor sich hin: wenn du einst einsam bist, denke daran, daß man bei einander auch nicht viel von einander gehabt hat; aber freilich, es ist doch anders, wenn man's haben könnte, als wenn ...

»Wer geht mit einen Schoppen trinken?« hieß es endlich, und fast der ganze Trupp sammelte sich im Wirthshaus. Man saß hier nicht lange beisammen, als eine Nachricht den größten Theil der Anwesenden, und auch Wolfgang, auf die Straße führte, und hinaus ans äußerste Ende des Dorfes; denn die alte Margareth hatte einen Brief von ihrem Sohn aus Amerika bekommen.

Die alte Margareth saß auf der Bank vor ihrem Haus und hatte einen braungelben Briefumschlag, der rothgekreidelt und fünffach besiegelt war, in der Hand. Viele Männer und Frauen umstanden sie: »Da kommt der Wolfgang, der kann besser lesen!« hieß es. Wolfgang erhielt den blaulinirten Bogen und las:

»Herzliebe Mutter mein!

Wie ich versprochen, will ich dir schreiben wie es bei mir geht, seitdem ich von dir Abschied genommen habe; wenn ich daran denke, spüre ich noch immer einen Stich im Leibe, und ich meine immer, es kann gar nicht sein, daß wir gar so weit von einander sind, aber ich sehe schon, daß du weinst, wenn ich davon anfange, und darum mache ich einen Hops, aber nicht wie damals, wo ich in die Kalkgrube gefallen bin und fast verbrannt wäre. Jetzt bin ich aber über einen viel größeren Graben, und dein Sprüchwort hat Recht: man soll nicht Hopsa! schreien, ehe man überm Graben ist. Kannst dich darauf verlassen, ehe ein Jahr vergeht, schicke ich dir ein Brieflein mit Etwas darin, daß du auch zu mir kommen mußt, aber vergiß ja nicht, daß du deine Kaffeemühle auch mitbringst. Laß sie frisch wetzen. Du sollst mir alle Tage Kaffee kochen, und ich will dir folgen, will's machen wie du, ich will ihn auch in die Untertasse schütten; ich seh' dich vor mir, wie du das Schälchen in der linken Hand hast, und den linken Ellbogen auf die rechte Hand stützest und blasest; du sollst mir künftig auch den Zucker nicht sparen, und ihn nicht in den Mund nehmen, nein, fünf Stück in jede Tasse, aber keine so kleine wie Erbsen, nein, wie rechtschaffene Hühnereier. Hast du denn deine Hühner noch alle, und legt die gelbe Pocklerin noch? Sag' ihr einen schönen Gruß. Ja, Mutter, ich bin lustig, und darum schreibe ich dir, und ich habe dir nicht geschrieben, weil ich es nicht gewesen bin. Jetzt aber, du solltest nur sehen wie ich aussehe. Sie heißen mich nur den gesunden Schwaben. Man spottet in der Welt viel über die Schwaben, aber man hat sie doch überall gern. Es ist nicht uneben, was mir einmal ein studirter Landsmann gesagt hat: Wenn ein Schwab ganz für sich allein ist und nies't, sagt er sich selber: zur Gesundheit. Ich thue das jetzt auch. Es ist mir aber auch schlecht gegangen. Ich habe gar arg am Heimweh gelitten, und ich sage umgekehrt wie daheim: wenn eine Brücke übers Meer wäre, es wären auch schon viele wieder heim; aber jetzt bin ich zufrieden. Ich stehe hier in Arbeit, man muß hier gar viel arbeiten, aber das Essen und der Verdienst ist auch gut. Es geht hier Einem wie beim Einpflanzen der Kohlsetzlinge ins Krautland: in den ersten Tagen sind sie lahm und welk, und man meint sie kommen nicht auf, bis sie einmal tüchtig eingeregnet sind, und sie werden mit der Zeit tüchtige Krautköpfe; ich hab' jetzt auch so einen Krautkopf.

Wenn noch Andere herüber kommen, möchte ich ihnen guten Rath geben: daß sie sich nicht als grüne Deutsche, wie man hier die neuen Einwanderer heißt, vergaloppiren. Kleider und besonders Schuhwerk mitbringen ist gut und vortheilhaft, weil das Alles hier theuer ist, und auch schlecht gemacht wird, nur für den Schein auf den Kauf. Handwerkszeug und Feldgeräth aber kann man nicht viel brauchen, weil das hier ganz anders ist. Wenn man ein bischen Englisch kann, kommt man auch viel besser fort. Beim Ueberfahrtsvertrag muß man sich immer hineinschreiben lassen, wieviel man bezahlt hat, sonst wird man nochmals angeschmiert. Unterwegs muß man sehr aufpassen, um nicht den Zug zu versäumen, es sind Zwei von uns zurückgeblieben, und haben besonders zahlen müssen.

In Bremen da haben sich Viele noch lustig gemacht, sie haben das Heimweh vertrinken wollen, aber das kommt viel schwerer, wenn man's so wegschwemmen will. Der alte Schneiderlorenz hat in Einem Mittag zwei Gulden verthan, und hat dabei immer geschrieen: in der neuen Welt gilt das alte Geld nicht mehr. Jetzt ist er Lumpensortirer in einer Papiermühle und hat kein altes und kein neues Geld. In den letzten Tagen drüben bin ich auch herumgelaufen wie wenn ich halb schlafen thäte, und doch muß man da gerade am meisten aufpassen, wenn man sein bischen Sach nicht verlieren will. Im Auswanderungshaus in Bremerhaven haben wir's gut gehabt, ich kann nicht anders sagen; aber es glaubt kein Mensch wie lang Einem die Zeit wird, wenn man gar nichts anzufangen weiß, und sie sprechen dort ein Deutsch, das ist so gut wie Wälsch. Jetzt wirst aber lachen, Mutter, ich hab' von des Matthesen Agath von Lauterbach stricken gelernt, und das ist mir gut bekommen in mancherlei Art; die Kappe ist noch nicht ganz fertig, wird's aber; ihr sollet, will's Gott, zur Hochzeit kommen. Jetzt will ich euch aber weiter sagen, wie es uns ergangen ist. Beim jüngsten Tag kann kein größeres Durcheinander sein, als wenn man mitsammen zuerst aufs Schiff kommt, und anfangs ist es grad als wär's unmöglich, daß man da bei einander sein kann. Es ist wie wenn man noch beim Heimfahren vom Markt auf einen gesteckt besetzten Wagen voller Menschen kommt. Alles schreit: du kannst nicht herein, du hast keinen Platz mehr! und wenn man sich doch eindrängt, glaubt man, man erstickt; aber wenn der Wagen zwanzig Schritt gefahren ist, da schüttelt sich's doch wieder zusammen, und man findet daß doch noch wohl Platz da ist, wenn Einem auch der Fuß ein bischen pelzig wird. Immer Drei und Drei müssen bei einander wohnen in einem Kasten, und das heißt man eine Koje. Am besten ist's, wenn man in einem kleinen Kistchen das Nöthigste hat, was man unterwegs braucht, denn das Hauptgepäck wird in das untere Schiff verpackt, und das kriegt man nicht zu sehen bis man anlandet, und das dauert lang. Ja Mutter, so auf dem Schiff merkt man doch, daß man gar verwöhnt ist, und sich noch nicht genug mit Wenig zu behelfen weiß. Ich hab' gemeint, ich hätt's auf meiner Wanderschaft gelernt, aber es hat doch nicht ausgereicht. Und wenn Einem dann so das Land aus den Augen schwindet, dann kommt Einem auch etwas Salzwasser in die Augen. Und wie die Matrosen hinaufgeklettert sind und haben die Segel gelöst, da hat der Schneiderlorenz zu mir gesagt: das ist auch ein saures Brod – und jetzt hat er ein noch saureres. Ihr werdet mich auslachen, Mutter, aber ich bleibe doch dabei: das beste auf dem Schiff ist die Seekrankheit; das ist eine weise Einrichtung Gottes, die hilft hinüber über alles Heimdenken, und da liegt man und weiß gar nichts mehr von sich, und möcht' am liebsten sterben. Erst nach und nach kommt's Einem wieder bei, daß man doch noch etwas von der Welt weiß und will, und ich habe mir gar seltsame Gedanken gemacht, warum man sich denn so viel abplagt um das bischen Leben, um die paar Jahre, es ist nicht der Mühe werth; aber nach der Hand lernt man doch wieder, daß es wohl nöthig ist. Und glaubet mir, das Aergste auf dem Schiff ist eigentlich die lange Zeit die man hat. Wie froh bin ich da gewesen, daß ich hab' Stricken gelernt, ich hab' mich auslachen lassen, aber es ist mir doch gut bekommen. Die Lützenhardter Bettelleut', die die Regierung hinübergeschickt hat, die waren am lustigsten, die haben gegeigt und Clarinett geblasen, die haben nie so ordentliche Kost gehabt. Und unser Schiffsbrod war doch so hart wie Stein, daß es Viele zu Pulver zerklopft haben, um es mit ein bischen Seewasser (denn süßes Wasser bekommt man nicht viel) hinunter zu bringen. Der brave Lehrer von Horklingen hat ein bischen Englisch verstanden, und er hat unentgeltlich eine regelmäßige Schul' unter uns errichten wollen, daß wir's Alle lernen. Ein paar Tage ist's gegangen, und wir haben ihm die Worte nachgesprochen wie in der Schul', aber da haben die Schelme Alles verdorben, nur ich und noch zwei aus dem Hessischen sind beim Lehrer verblieben, und jetzt kommt mir's gut, daß ich ein bischen Englisch kann.

Wir sind die ganze Zeit mit gutem Wind gefahren, aber Mutter, wenn's endlich heißt: Land! und man sieht einen dunklen Streifen weit, weit – ihr könnet euch nicht denken wie's da ist, da merkt man's erst, wie lieb man den Boden gehabt, und einen Stein thät' man küssen wie den besten Freund.

Und wenn man dann festen Boden unter sich hat – man meint, es könnte gar nicht wahr sein.

Ich habe an diesem Briefe schon vor vier Wochen geschrieben, und schreibe heute weiter, und lege euch heute auch gleich ein Goldstück bei, ihr werdet es unter dem Siegel finden.

Mit der Ueberfahrt von Bremen aus haben wir 42 Tage gebraucht, und sind im Ganzen zufrieden gewesen.

Am schwersten ist's, wenn man hier ans Land kommt; da sitzt ein Jeder auf seinem Koffer und hat Angst, daß er selber mit dem Koffer gestohlen wird, denn das ist ein Räubervolk, das da auf Einen hereinkommt, und die wissen zu schmeicheln und zu heucheln, daß man meinen sollt', man hätte lauter frisch ausgekrochene Engel vor sich, aber es ist ein Räubergesindel. Drum soll sich nur Jeder an die deutsche Gesellschaft halten, das sind wohlthätige Männer, die unentgeltlich das Beste rathen, und wer hierher kommt, soll sich nur gleich vornehmen, jede Arbeit zu thun die ihm vorkommt; man muß auch oft aus seinem gewohnten Gewerbe auswandern, bis man wieder zu ihm heimkommt. Ich habe sechs Wochen helfen Straßen pflastern, bis ich meinen jetzigen Platz bekommen habe, aber das ist schön: wenn man hier zu Land rechtschaffen ist, bekommt man Credit, und kann mit Nichts zu Etwas kommen; ich bin jetzt auf dem Weg. Am besten gefällt mir, daß es hier zu Land die größte Ehre ist, wenn einer von sich sagen kann: Ich bin von geringer Herkunft, und hab's zu Etwas gebracht. Geburtsstolz giebt's hier gar nicht.

Wenn ihr mir schreibet, so machet den Brief nicht frei, sonst bleibt er liegen, und siegelt nicht mit Siegellack, sondern mit Oblaten, sonst kleben die Briefe im Packe zusammen, und werden zerrissen; und wenn der Zimmermann Wolfgang hierher kommt, soll er mich nur gleich aufsuchen oder mir es vom Schiff aus sagen lassen, dann komme ich zu ihm. Er soll sich auch, sobald er auf dem Schiff ist, gleich dazu anschicken, dem Schiffszimmerer zu helfen, da giebt es immer zu thun, und er hat keine lange Zeit und verdient noch was.

Ein gutes Wort habe ich vorlängst in dem Meeting gehört, und das hat so geheißen: Deutschland ist unser Vaterland, Amerika ist unser Kinderland. Mutter, ihr müsset eben bald nach eurem Kinderland.

Es ist hier Alles ganz anders als bei uns daheim. Die Kartoffeln werden mit dem Pflug nachgesetzt, und so bearbeitet den Sommer über, und auch mit dem Pflug herausgethan. Die Frucht wird mit der Sense abgemäht, die ist besonders dazu gemacht, und legt die Frucht schön hin. Zwei Stunden Weges schlägt man hier so wenig an, als bei uns daheim eine Viertelstunde. Ich will Keinem zurathen Deutschland zu verlassen; aber wenn Eines zu mir kommt, will ich ihm thun, was ich kann, und das soll nur ein Jeder denken, daß man hier ohne Arbeit nichts bekommt. Ich habe hier schon stärker gearbeitet, als bei uns daheim. Die Metzger tragen hier beim Fleischverkauf weiße Hemden über den Kleidern.

Wirthshaussitzen, Spielen und Trinken ist hier fast gar nicht. Der Amerikaner kommt in den Barroom, fordert einen Trunk Welschkornbranntwein oder Bier oder Wein, zahlt, trinkt und geht. Zeit ist hier das beste Baargeld.

Die Amerikaner sind gar häuslich und dabei auch sehr reinlich. Wer schmutzig daher geht, ist gewiß ein Deutscher oder ein Irländer; auf Weißzeug hält man hier besonders viel, und ganz vornehme Leute putzen sich auch ihre Kleider und Stiefel jeden Morgen, und Menschen im schwarzen Frack spalten ihr Holz. Ich habe auch viele Bauern gesehen, die ihr Korn zu Markt führen, und auf ihrem Wagen die Zeitung lesen. Das geschieht hier überhaupt sehr viel. Und wie die Menschen freier behandelt werden, und doch folgen, so ist's hier auch mit den Thieren, man sieht hier fast gar keine Peitsche und keinen Sporn; überhaupt ist es ein gutes Zeichen, daß man hier die Thiere nicht abrackert, im Gegentheil ganz gut behandelt, das thun eben nur freie Menschen.

Nun habe ich aber genug geschrieben.

Nun, liebe Mutter, sage ich Euch von Herzen Lebewohl. Haltet Euch nur gesund und wohlauf, daß ich Euch noch lange bei mir haben kann.

Verbleibe Euer David.
Milwaukie im Staate Wisconsin, Schillerstraße Nr. 12.«

*

Wolfgang hatte den Brief gelesen, und die Mutter hatte immer weinend zugehört. Jetzt ging er wieder mit seinen Genossen in das Dorf. Es war ihm seltsam zu Muthe, noch hier eine so treue Kunde aus seinen neuen Heimath vernommen zu haben. Es war wie eine entgegengebotene Hand, die sich ihm aus der Ferne darreichte; und die Weichheit, die ihn trotz allen Vorsatzes doch nicht verlassen hatte, verwandelte sich endlich in Muth und entschlossene Festigkeit. Er bedurfte deren noch, denn zu Hause fand er seine Frau wiederum in Thränen, aber er ließ sie gewähren; hatte er sich bekannt, daß jeder Schmerz sein Recht haben müsse, so ließ er das auch bei Anderen gelten. Die Mutter hatte die Kinder gezwungen, daß sie sich noch am hellen Tag nieder legen mußten, damit sie in der Nacht leichter wach zu erhalten seien. Aber die Kinder waren voll Unruhe in der Kammer, und als der Vater kam, schrien sie Alle, er möge sie erlösen. Er befahl ihnen – um das Ansehen der Mutter nicht zu beeinträchtigen – noch eine Weile zu ruhen, dann aber entließ er sie scherzend.

Es zeigte sich, daß noch Vieles zu ordnen und zu richten war, denn das bleibt immer: so lange man sich auch zu einer Abfahrt rüste, rückt endlich die Entscheidungsstunde heran, ist doch noch manches zu richten und zu ordnen.

Wolfgang zog sein Sonntagskleid aus, und er war wie ein Fremder, als er im Werktagskleide wieder im Dorf erschien.

Es war in der Dämmerung, als Wolfgang, der sich heute überall bemerkt wußte, davon schlich, und auf Umwegen nach dem Friedhof ging.

Es ist ein alter Glaube, daß man sein Gedächtniß verliere, wenn man viele Grabschriften lese, und dieser Glaube hat allerdings eine wahre, wenn auch nicht wunderbare Bedeutung. Wer sich zuviel mit Abgeschiedenem und Vergangenem beschäftigt, und es sich einprägt, dem schwindet das, was er im täglichen Leben zur Erinnerung braucht.

Wolfgang schwindelte es von den vielen Verstorbenen, von denen er hier las, und endlich schritt er ohne Aufmerksamkeit an den vielen Kreuzen vorüber, und blieb vor denen seiner Eltern und seiner beiden Kinder stehen. Die Abendglocke läutete, er zog den Hut und faltete still die Hände.

Und als er jetzt zum Letztenmal heimwärts ging, fiel ihm wieder das Wort ein, das er in dem Briefe Davids gelesen hatte. » Deutschland unser Vaterland, Amerika unser Kinderland!« Die da aufgewachsen sind in Deutschland, finden selten ihr wahres und volles Gedeihen in der neuen Welt, es sind Wurzeln der Erinnerung ausgerissen und abgehackt, an denen man allezeit krankt: die Kinder aber gedeihen in der neuen Heimath, sie finden eine solche in ihr. Fahrwohl, o Vaterland, nimm uns auf, o Kinderland!

Es war schon Nacht, als der Wagen mit den Auswanderungsgenossen aus dem Nachbardorf ankam. Die Kisten wurden aufgepackt, und es war der letzte Liebesdienst, den die Nachbarn thaten, daß sie Wolfgang trotz seines Sträubens dabei nicht Hand anlegen ließen. Die Kinder schliefen wieder und erwachten kaum, als man sie endlich auf den Wagen brachte.

Die Frau hatte den Aberglauben, daß es Unglück bringe, wenn man beim Ausgehen, nachdem man schon Abschied genommen, nochmals zurückkehrt; darum sagte sie, um dem vorzubeugen, immerfort: ich habe gewiß noch was vergessen, ich komme noch einmal. Und als man endlich doch fortging, sagte sie dasselbe noch, und nahm keinen Abschied vom Hause.

Als Alles schon zur Abfahrt bereit war, sprang Wolfgang nochmals die Treppe hinauf, öffnete die Stubenthüre, und machte sie wiederum zu und horchte auf das Klinken der Stubenschnalle. »Zum Letztenmal,« sagte er dann vor sich hin und sprang die Treppe hinab, aber mit einer eigenen stillen Andacht machte er zuletzt auch noch vorher die Hausthür zu; dann zog er mit den Seinen von dannen.

Als man durch das schlafende Dorf hinausfuhr, und die Eltern hinter dem Wagen drein gingen, als ob sie ihrer eigenen Vergangenheit das Geleite gäben, sang der Nachtwächter:

Hört ihr Herren und laßt euch sagen,
Unsere Glock' hat Eins geschlagen:
Ein Gott ist nur in der Welt,
Dem sei Alles heimgestellt. –

Am Morgen, als man schon weit entfernt war von der Heimath, sah Wolfgang auf seiner großen Kiste einen Kranz liegen: den hatten ihm die Nachbarn ungesehen hingelegt; er nahm ihn auf und sagte seinen Kindern, daß sie ihm einst diesen Kranz aus der Heimath ins Grab legen sollten in der fremden Erde.


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