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Neununddreißigstes Kapitel. Aufgebot.

Das Abendrot glühte am Himmel und glänze von den Schienen, als Reinhard den Bahnhof der Residenz verließ. Die Sonne ist doch schöner draußen in meinem stillen Dorfe, dachte Reinhard.

An dem ersten Haltepunkt setzte sich eben der Eilzug in entgegengesetzter Richtung in Bewegung. Reinhard schaute unwillkürlich hinauf und siehe da! das ist der Kollaborator, er hat ihn auch bemerkt und winkt zurück mit einem Buche in der Hand, aber bald ist nichts mehr zu sehen als der verfliegende Rauch.

Wie wäre es geworden, wenn du den Freund getroffen? Nein, besser so, und alles rasch, fest und fertig.

Die Wangen Reinhards glühten in Fieberhitze, er schloß die Augen, aber er konnte keine Ruhe finden. Es ist doch peinlich, daß kein Eilzug am Dorfe hält; der Sänger hat recht, das muß geändert werden; der alte Genosse ist ja Verkehrsminister, es wird leicht zu bewirken sein.

Endlich, endlich hielt der Zug am Dorfe, es war bereits Nacht. Reinhard verließ rasch den Bahnhof, aber zwischen den Gartenhecken stand er still.

Es überkam ihn plötzlich, wie wenn er verlassen in die Oede versetzt wäre. Läßt sich allen höheren Freuden, aller geselligen Verbindung, aller Kunst entsagen?

Jetzt singt der Sänger Berger und schaut nach der Loge aus, wo du sitzen solltest: »Bei Männern, welche Liebe fühlen.« Das schöne Duett sang sich in seiner Erinnerung, und er dachte daran, wie er es einst mit der Gräfin Felseneck gesungen.

Reinhard drängte die Erinnerung zurück, aber doch summte er die Melodie: »Bei Männern, welche Liebe fühlen,« leise vor sich hin.

Das ist die Macht des Genius, sie geleitet in ungeahnter Zeit auf einsamen Wegen ein zitterndes Herz und schlichtet und beruhigt. Die Weisheit, die Leidenschaft, die reine Liebe, die sinnliche Gewalt, alles, was jenes Werk in Töne gefaßt, drängte sich in die wenigen Minuten zusammen, da hier der Wanderer zwischen den Gartenhecken stand.

Sei beruhigt! Es läßt sich alles festhalten, alles finden im eigenen Selbst und in der Liebe eines andern. Aus ihnen strömt alles höhere Dasein, alle Kunst.

Mit fieberhafter Hast, als müsse er vor einer untergehenden Welt fliehen und sich in eine neue retten, eilte er weiter.

Ueberall in den Häusern brennen Lichter und ist die Familie beisammen, bald soll es auch in deinem Hause licht und warm sein. Er ging an seinem Hause vorüber nach dem Pfarrhause, dort brannte noch Licht. Er klingelte und wurde eingeladen.

»Was verschafft mir noch so spät die Ehre?« fragte der Pfarrer.

Reinhard erklärte, daß er sich mit Malva wolle trauen lassen und zwar morgen am Sonntag.

»Ist unmöglich, dreimaliges Aufgebot muß sein; allerdings zwei können abgelöst werden, aber eine Woche vorher ist unerläßlich.«

Reinhard war bereit, die Ablösungssumme zu bezahlen.

Da sagte der Geistliche:

»Sie müssen auch noch Dispens wegen des Trauerjahres haben.«

Da Reinhard ohne zu erwidern dreinstarrte, fuhr der Geistliche fort: »Es sind ja kaum fünf Monate, seit Ihre Frau gestorben ist.«

Es war, als ob ein Schuß Reinhard in die Brust gedrungen war, so zuckte er zusammen. Er faßte sich aber und sagte: »Hochwürdiger Herr! Sie können mir glauben. daß ich in meiner Natur in einer Stunde den Verlauf ganzer Jahre erlebe.«

»Das glaube ich, aber das Gesetz kennt das nicht. Indes können wir auch da helfen.«

Reinhard erklärte sich bereit, eine namhafte Summe für den zweiten Dispens zu bezahlen, und als er dankend davonging, sagte ihm der Pfarrer, es genüge, wenn Wendelin morgen vor der Kirche im Namen seiner Tochter die Meldung mache.

Reinhard ging nach dem Hause Wendelins. Er fühlte sich stark und frisch in der Empfindung der neuen Liebe.

»Ich soll nicht in einer liebeleeren Welt sterben,« sagte er vor sich hin.

Im Hause Wendelins schlief schon alles; er weckte Vater und Tochter und erklärte ihnen das Vorbereitete; er sei entschlossen, nun nicht auswärts sich trauen zu lassen, sondern im Dorfe.

»Das ist mir auch lieber, aber so schnell!« sagte Malva, »und ich habe noch kein Brautkleid.«

»Ich habe es bestellt, es kommt.«

Reinhard händigte Wendelin eine Abschrift seines Testamentes ein, eine zweite sollte versiegelt im Gemeindehause aufbewahrt werden. Wendelin sagte Malva, sie solle es vorlesen, er sei mit Geschriebenem nicht sehr bewandert. Malva sagte, das könne sie nicht und Reinhard beruhigte den Alten, indem er ihm die Hauptsachen mündlich mitteilte.

Von Wendelin geleitet, ging Reinhard heim.


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