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Tag für Tag erwartete Reinhard Nachricht vom Kollaborator, aber vergebens. Die tiefste Jugenderinnerung tauchte in Reinhard auf.
Nicht weit von dem Residenzschlosse steht ein großes, in sich abgeschlossenes Gebäude von altertümlicher, aber schmuckloser Bauart, das jedem Vorübergehenden sich als eine Wohlthätigkeitsanstalt zu erkennen gibt; es ist das große Waisenhaus. Es war ein menschenfreundlicher Gedanke des Stifters, das Waisenhaus in der Nähe des Schlosses errichten zu lassen; der Fürst wollte seiner Pflichten eingedenk sein, und er besuchte das Haus in der That nicht nur zu vorbereiteten Schaustellungen, sondern öfters unerwartet und verweilte lange bei den Lehrern und den Kindern. Mit der Zeit wurde das Haus auch eine Wohlthat für das Land; aus ihm gingen die besten Schullehrer, auch brave Handwerker, bisweilen auch Musiker für die Kapelle hervor; sonst waren nur wenig hervorragende Zöglinge da, aber in allen lebte eine mit Vertraulichkeit versetzte Schwärmerei für den Fürsten. In der großen Zahl der Knaben, die durch Jahrzehnte im Waisenhause erzogen wurden, lebte aber auch die Erinnerung an den Direktor wie an die Erscheinung eines Heiligen.
Das war der Vater Adalbert Reihenmeyers. Er hütete sich wohl, einen Knaben vorzuziehen, aber er konnte sich doch nicht enthalten, den schönen Knaben Woldemar Reinhard, der aus seinen blauen Augen so kühn dreinschaute und den schöngeformten Kopf so stolz trug, manchmal mit einem besonders freundlichen Wort oder Blick zu begrüßen.
Es war zum fünfundzwanzigjährigen Dienstjubiläum des Direktors, Woldemar war damals acht Jahre alt, da war ein großes Fest im Waisenhause. Feierlicher Gottesdienst wurde gehalten, und nach demselben überreichte der Minister mit einer lobenden Rede dem Direktor ein großes Ordenskreuz.
Bei dem freien Spiele, das am Nachmittage den Kindern gegeben wurde, hieß es, der Direktor heiße nun von Reihenmeyer und seine Kinder seien auch Adlige. Adalbert, der Sohn des Direktors, hatte auch an den Spielen teilgenommen, da fragte ihn Woldemar leise: »Du, ist es wahr, daß du nun auch adlig bist?«
»O nein, ich möchte das auch nicht. Ich hin ebenso wie du und bleibe es.«
Reinhard drückte dem Adalbert die Hand, daß dieser schrie: »Du thust mir weh.«
»Ich hab' dir nicht weh thun wollen. Sei nicht so zimperlich.«
»Ja, ich will so stark werden wie du.«
Von jenem Tage an waren die beiden Knaben unzertrennliche Genossen, und Woldemar wurde, soviel es die allgemeine Ordnung erlaubte, in die Familie des Direktors gezogen.
Wenn die Waisenknaben spazieren geführt wurden, ging Adalbert mit, und da sie paarweise einherschritten, ging Adalbert immer an der Seite Woldemars.
»Ich möcht' deine Kleider haben,« sagte Woldemar.
»Und wenn's der Vater erlaubt, trag' ich solche wie du,« entgegnete Adalbert.
Woldemar hatte einen Abscheu vor der Uniform der Waisenknaben, die in gelblichem Tuch mit blauen Aufschlägen bestand, und auch das ständige Leben in der Herde widerstrebte ihm schon früh. Wenn die Knaben in die naturgeschichtlichen Museen, in die Kunsthallen, ja auch in Reiterbuden und Theater geführt wurden, war Woldemar immer unwillig, und der gute Adalbert vermochte ihn nicht zu beruhigen, denn der Kamerad hatte etwas Herrschendes und Eigenwilliges.
Es gab einmal eine harte Strafe, da Woldemar in den Kleidern seines Freundes einen ganzen Tag außer der Anstalt verbrachte, aber Woldemar gestand nicht, wo er den Tag verlebt; denn er war in der Bildergalerie gewesen, von der die Knaben oft gehört hatten, an der sie oft vorübergeführt wurden, in welche sie aber wegen der Nuditäten, für die der alte Fürst besondere Neigung hatte, nie eingelassen wurden.
Von jenem Tage an war das Auge Woldemars noch glänzender und unruhiger. Sein Zeichentalent zeigte sich entschieden, und der alte Direktor erlebte noch die Freude, seinen besondern Liebling in die Kunstschule zu bringen. Das Jahr darauf, während Adalbert auf der Universität war, starb der Direktor und hinterließ die beiden Kinder in dürftigen Umständen. »Jetzt bin ich auch ein Waise,« rief damals Adalbert, sich an die Brust Woldemars werfend. . . .
Das alles und was das spätere Leben hinzufügte, ging jetzt in der Erinnerung Reinhards neu auf.