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Vierzehntes Kapitel.

Als Severin aus der Schule entlassen wurde, sprach er seinen Wunsch aus, Geometer zu werden, aber Brosi wies ihn barsch ab: es dürfe keines seiner Kinder für sich allein sorgen, es müsse jedes mit beitragen, den Hausstand zu erhöhen. Es war ein fröhlicher Tag, als Brosi dreispännig ausfuhr; der Vorspanngaul war und blieb aber widerspenstig. Brosi suchte seinen Jüngsten durch gute Worte zu zähmen, aber es schien zu spät dazu, und wenn der Vater in Gesellschaft der Genossen allerlei Späße machte, biß Severin auf die Lippen, während die andern lachten.

Im Winter, wenn die Söhne Schindeln schlitzten, war Severin verdrossen dabei; seine Hauptfreude war, wenn er die Schindeln im Schuppen zum Trocknen aufbauen durfte. Brosi selber lobte ihn über die schönen Häuser, Brücken und Schlösser, die er aus den Schindelnbüscheln aufbaute, und nannte ihn stets seinen Boßler.

Manchmal schien sich ein besseres Verhältnis zwischen Vater und Sohn herzustellen, und beide strebten sichtbar darnach; Severin hatte dem Vater schon oft darum angelegen, er möge doch die Bömleswiese verbessern dadurch, daß man dem Bache eine andre Richtung gebe. Brosi hatte ihn damit abgewiesen, auf immer wiederholtes Drängen aber ihm endlich gestattet, beim Forstamte die Erlaubnis dazu nachzusuchen und die Sache selber auszuführen. Nach vielen vergeblichen Gängen erhielt Severin die Genehmigung, und mit teils selbst gefertigtem, teils entlehntem Handwerkszeug steckte er die Wiese ab und leitete den Bach gerade durch, wobei er noch Vorrichtungen zur bequemen Wässerung anbrachte, daß die Wiese um die Hälfte mehr wert war und das Lob Severins im ganzen Dorfe sich ausbreitete. Dies schien ihm aber nicht zu genügen, er blieb verdrossen und einsilbig.

An der Kirchweih ging er wohl zum Tanz, aber er saß still bei seinem Schoppen und schaute nicht auf, wenn Vater und Mutter zur Bewunderung aller ihre Tänze ausführten; ja, er sagte der Mutter, es schicke sich nicht mehr für sie, die Junge zu spielen, und Moni, der das selber schon nicht mehr genehm war, ging das Jahr darauf gerade an dem Tage in die Mühle zum Mahlen. Alt und Jung wollte sich die gewohnte Freude nicht nehmen lassen, und man entbot eine Gesandtschaft mit einem vorausgehenden Klarinettisten als Herold zu Moni in die Mühle, sie wies aber jede Einladung entschieden ab und sagte zuletzt: »Nicht zehn Gäule bringen mich zum Tanz.« Der Jörgtoni wußte hierauf einen gescheiten Ausweg, der mit Hallo ausgeführt wurde: man spannte elf Gäule an einen Schlitten, und Moni mußte wider Willen lächelnd nachgeben und wurde im Triumph mit dem seltenen Gespann in den Auerhahn gebracht.

Seitdem ist das Sprichwort in Haldenbrunn. Wenn einer sagt: »Zehn Gäule bringen mich nicht zu dem und dem,« so antwortet man: »Aber elf Gäule wie die Moni aus der Mühle zum Tanz,« und Fremde, die das nicht verstehen, erhalten willfährigen und genauen Bericht über die Entstehung dieser Redeweise.

Das Jahr darauf klagte Moni über Unwohlsein, und Brosi blieb bei ihr daheim. Eine Gesandtschaft aus dem Auerhahn erhielt abschlägigen Bescheid. Die Kinder waren alle auf dem Tanz, und selbst Severin war heute mit unter den Jubelnden.

Es war eine helle Herbstnacht, der Mond stand glänzend am Himmel und warf sein schräges Licht vielfach gebrochen in die Stube. Brosi hatte die Ampel gelöscht und saß noch lange still und horchte auf die Musik, die vom Auerhahn herübertönte; er schnupfte viel, denn das hatte er sich seit geraumer Zeit angewöhnt, es wollte ihm gar nicht in den Sinn, daß er zum erstenmal nicht zum Kirchweihtanze sollte. Mehrmals sagte er in sich hinein: »Sei nicht so närrisch, du bist kein junger Bursch mehr, die Schlappen sind jetzt deine Tanzstiefel. Du bist Großvater;« aber er konnte sich das in allen möglichen Wendungen wiederholen, es half nichts, er meinte immer, er müsse entfliehen. Endlich legte er sich doch still seufzend in das Bett, aber den Schlaf fand er nicht.

Mitternacht war vorüber, da regte sich Moni, und er sagte leise:

»Moni, Moni.«

»Was? Was willst?«

»Ich hab' gemeint, du schlafst.«

»Ich hab' nicht geschlafen. Was willst denn?«

»Ich kann auch nicht schlafen. Hörst die Musik?«

»Freilich, die läßt ja einem kein Aug' zuthun.«

»Jetzt spielen sie den Bändelestanz. Ich möcht' nur auch wissen, wer den tanzt?«

»Geh' 'nauf und sieh' zu, ich hab' dir schon gesagt, geh' du allein. Es ist mir lieber, wenn du gehst.«

»Ich geh' nicht allein. Aber weißt was? Wir haben doch eigentlich geschworen, daß wir, wenn wir gesund sind, jede Kirchweih tanzen wollen.«

»Ich bin aber nicht wohl.«

»Wird nicht so arg sein. Weißt was? Steh' hurtig auf und zieh' dich an. Oder sag' mir ehrlich, tanzst du nicht auch gern?«

»Freilich wohl, rechtschaffen gern, aber was willst?«

»Komm', wir tanzen daheim.«

Mit einem lustigen Juchhe sprang Brosi aus dem Bett, gab Moni ihre Kleider auf dasselbe und zog sich rasch an. Vom Auerhahn tönte die Musik, der Mond schaute gerade voll in die Stube, und Brosi und Moni tanzten miteinander, und Brosi jauchzte und stampfte auf und schnalzte mit den Händen, er warf seine Moni in die Luft und fing sie wieder auf: da öffnete sich die Stube, und die Kinder standen beifallrufend und jauchzend unter der Thür, sie waren vom Tanze zurückgekehrt, und niemand hatte ihren Eintritt vernommen.

»Wo ist der Severin?« fragte Brosi.

»Er ist mit uns, er ist grad verschwunden,« berichteten die Kinder.

»Wer hat den Bändelestanz ausgeführt?«

»Des Rösles Kaspar, und prächtig,« berichtete Mariann', und Franz, der nach Severin ausgeschaut hatte, sagte, daß er schon oben auf der Bühne in seinem Bett liege.

Der Severin war also der einzige, der sich über die Fröhlichkeit seiner Eltern nicht gefreut hatte und still davongeschlichen war. Er war und blieb ein seltsamer, nicht zu bewältigender Trotzkopf.

Das Ende des vortrefflichen vierunddreißiger Weinjahres brachte unserm Brosi eine große Freude: er hatte das Glück, seine zweite Tochter Mariann' nach Endringen zu verheiraten und zwar an den Petersepp, der jahraus jahrein in der Gipsmühle des Gevatters arbeitete und ein weitläufiger Vetter von des Jörgtonis Kaspar war. Die Wurzeln eines ausgebreiteten Familienanhangs erstreckten sich immer weiter hinaus, aber diese, die seinen Geburtsort berührte, war für Brosi besonders nahrungsfrisch.

Am Hochzeittage war es, als ob der Boden seiner Heimat ihn verjünge, und oft rief er: »Jetzt hab' ich wieder einen Ableger in meinem Endringen, und wenn's uns in Haldenbrunn überleidet wird, gehen wir nach Endringen. Nicht wahr, Moni?«

»Ja, wo du hingehst, geh' ich mit.«

Manchmal aber war es Brosi doch, als ob das nicht mehr das alte Endringen wäre. Die Leute hatten ein andres Wesen, er konnte nicht recht fassen, worin das bestand, und glaubte, daß es darin liegen müsse, daß Endringen badisch geworden sei; aber mit alten Kameraden sang er unaufhörlich Lieder, die nicht badisch und nicht württembergisch waren.

Wie die Flüsse und Ströme auf der Erde ihren Weg ziehen, unbekümmert um die Grenzpfähle an ihrem Ufer, so flutet über der Erde ein unsichtbarer Strom des Geistes, der nicht zu fassen und nicht zu bannen ist durch willkürliche Scheidungen.

Brosi überschritt jetzt auch oft die Grenzen vieler deutschen Länder. Die Eisenbahnen, deren Vollendung über alle Trennung hinweg eint, hatten schon bei ihrer Erbauung die Arbeitskräfte der verschiedenen Länder vereinigt und den Unterschied der Fremdheit wenig gelten lassen. Brosi zog mit seinem Dreigespann nach dem Niederrhein und brachte reichlichen Verdienst zurück. Im Auerhahn hatte er dann viel zu erzählen von den fremden Landen und besonders von einem Dunkelnel, den er auswölben half und der viele Stunden weit durch einen Berg führte. Severin ließ es sich nicht nehmen, den Vater zu berichtigen, daß es Tunnel und nicht Dunkelnel heiße.

Ueberhaupt muß man sagen, daß Severin nicht dem Beispiele Sems, des Sohnes Noah, folgte; wo sich sein Vater eine Blöße gab und etwas falsch erzählte oder unrichtig erklärte, konnte man sicher sein, daß Severin einfiel: das ist ganz anders, das ist so und so. Er hatte in der Regel recht und zeichnete mit Kreide alles zum besseren Verständnis auf den Tisch. Brosi kämpfte immer mit sich, ob er stolz darauf sein solle, einen so gescheiten Malefizbuben zu haben, oder, wie er berechtigt war, sich ärgern sollte, so hingestellt zu werden. Er wurde nicht darüber einig, aber so viel zeigte sich doch, daß er im Grund des Herzens keinen Haß auf den Severin hatte, denn er sagte stets: »Mein Kilian und mein Franz müssen aus heiraten, und mein kleiner kriegt des Vaters Gut.« Seitdem Brosi noch mehr Wiesen und sogar einen Morgen Wald gekauft hatte, nannte er sein Besitztum stets halb spöttisch, halb ruhmredig sein Gut.

In dem Jahre, als Franz, der ebenfalls Soldat und zwar Kanonier geworden war, den Abschied erhielt, mußte Severin zur Losung, und in diesem Herbste kam der Vater in voller Entzweiung mit dem jüngsten Sohne nach Hause. Keiner von beiden hatte je genaue Auskunft darüber gegeben, wie weit ihr Streit gediehen war, ja Severin schwieg ganz darüber; nur Brosi erzählte, sein Sohn habe gesagt, daß er lieber vorher desertiere, wenn er wüßte, daß er Soldat werden müsse, und darauf habe Brosi ihm gesagt und bewiesen, daß er ihn eher erwürge, ehe er sich durch ihn die Schande anthun lasse, seinen ehrlichen Namen in die Zeitung und sogar in einen Steckbrief zu bringen.

Brosi geleitete seinen Severin selber in die Stadt zur Losung, und als dieser jubelnd berichtete, daß er sich freigelost habe, schüttelte der Vater den Kopf und sagte: »Ist mir nicht recht. Es wäre dir gesund gewesen, wenn sie dich unterm Militär ein bitzle gezwiebelt hätten.«

Von nun an hatte Severin keine Ruhe mehr im Hause, er konnte nicht mehr auf einem Stuhle stillsitzen, sondern lief immer aus und ein, und wenn er mit dem Vater und den Brüdern beim Gipsmüller drasch, traf er oft im Selbstvergessen die Dreschflegel seiner Genossen, und in dem Hause, wo nie ein Zank gewesen war, gab es jetzt täglich einen Lärm, daß die Leute auf dem Gäßchen stehen blieben; denn der Brosi schalt seinen Severin, und war doppelt böse, weil dieser ihm meist gar keine Antwort gab.

Endlich brachte es Moni mit vieler Mühe dahin, daß Severin sich ein Wanderbuch holen und ein paar Jahre in die Fremde ziehen durfte. Ein neuer Ranzen wurde gekauft und ein dauerhafter Inhalt von Kleidern und Wäsche dafür hergerichtet; der Severin aber gab dem Vater noch immer kein gutes Wort.

Am Sonntag Morgen, als die ganze Familie beisammen war, die kaum die Stube fassen konnte, der Kaspar und das Rösle mit drei Kindern, die Mariann' und der Petersepp aus Endringen und Kilian und Franz mit den Eltern, da packte Severin alles Hergerichtete ein, und als er die letzte Schnalle zugezogen hatte und den Stechpalmenstock, den er sich auf dem Kappelberge geschnitten, in die Hand nahm, schnupfte Brosi schnell eine Prise, die er zwischen den Fingern hatte, und sagte, die Hand auf den Ranzen legend:

»Schad', schad' um das schöne gute Sach. Wie bald wirst du das verlumpen.«

»Ich will gar nichts von Euch, gar nichts!« schrie Severin zornrot und warf dem Vater den Ranzen vor die Füße, »behaltet alles. B'hüt Gott, Mutter, b'hüt Gott, Geschwister.«

Und hinaus rannte er aus der Stube und über den Steg und nahm nichts mit, als den Stechpalmenstock in der Hand und das Wanderbuch in der Tasche.

Die Mutter und Geschwister schauten ihm nach und riefen ihm, aber er kehrte sich nicht um, und Brosi stand wie festgebannt und schaute immer auf den Ranzen vor seinen Füßen. Die Mutter wollte den Kilian und den Franz und ihre Schwiegersöhne dem Flüchtigen nachschicken, aber Brosi rief mit starker Stimme:

»Da bleibet ihr, keiner, kein Mensch, sag' ich, darf ihm nach. Er muß allein wiederkommen, und kommt er nicht, so soll er zum Teufel gehen; aber er kommt, sei ruhig, Moni, heul' nicht, er kommt schon wieder.«

Man harrte still, keines sprach ein Wort, es läutete zur Mittagskirche, aber niemand ging dahin, und Brosi that, als ob er nicht merkte, daß der Petersepp mit einem verständigenden Blicke auf die Mutter sich davonschlich und bald über den Steg rannte.

Die Mittagskirche war schon zu Ende, aber weder Petersepp noch Severin waren zurückgekommen. Brosi zog seinen Rock an und ging nach dem Auerhahn, er wollte seine Frau walten lassen, und diese schickte den Kilian und bald nach ihm den Franz fort. Es wurde Nacht, als alle Ausgesandten wieder kamen, aber ohne den Severin, ja, sie hatten ihn nicht einmal gesehen; nur der Petersepp brachte die Kunde, die er von einem Endringer erfahren: dieser hatte den Severin bei der Bömleswiese betroffen, er sei ganz heiter gewesen und habe gesagt, er gehe in die Fremde, zuerst in die Schweiz zu seinen Basen.


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