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Das war ein fröhliches Erwachen am andern Morgen, jedes Auge leuchtete hell, und jeder rief mit heiterer Stimme dem andern zu: Guten Tag! Es ist prächtig Wetter! während doch das prächtigste Wetter in der Seele war. Allerdings schien heute auch draußen die Sonne so hell, und die schneebedeckten Berge und Bäume glitzerten im Morgenstrahl; das beste aber ist doch, daß etwas da ist, was nicht so wandelbar ist, wie das Wetter: ein Kind ist gerettet, und Eltern und Großeltern sind glücklich, und da ist eine Hochzeitstafel aufgerichtet, wo nicht gekocht und nicht gebraten wird und keine Teller klappern. Und wie gut und treu hat der Pfarrer alles ausgelegt, nur schade, schade, daß er fort will, den sollten wir ewig behalten.
In der Dachkammer im Hause des Schilder-David standen Adam und Martina vor dem Bett des kleinen Joseph; der schlief noch fest, obgleich ein heller Sonnenstrahl, so breit ihn eben das kleine Fensterchen einließ, dem Knaben auf die offene Brust schien. Im Angesicht des Kindes sprach sich ein scharfer Trotz aus, der Kopf war zurückgebeugt, und die Lippen waren aufgeworfen und leise geöffnet, die geballte Faust lag neben der rotglühenden Wange.
»Ich will ihn wecken, es ist Zeit,« sagte Martina.
»Thu's mir zulieb und laß ihn noch schlafen. Ich bin auch so, wenn ich Schweres durchgemacht habe, da könnte ich drei Tage in einem Trumm fortschlafen. Wie prächtig sieht doch ein Kind aus im Schlaf! Ich hab' ihn noch nie schlafen gesehen.« So sprach Adam, und Martina schaute ihn groß an.
Für Adam war nicht Raum in der kleinen Kammer. Er setzte sich auf die Truhe Martinas und bat sie mit einer leisen Stimme, die von einem andern Menschen zu kommen schien, sie möge aus dem Lichte treten, daß er den Joseph auch recht betrachten könne.
»Ich will da sitzen bleiben, bis er aufwacht,« schloß er, und Martina wiederholte aber- und abermals, wie Joseph in der vergangenen Nacht immer gerufen habe: Ist noch nicht Tag? Bei diesen Worten drehte sich der Knabe um, schüttelte sich wie abwehrend und schlief weiter. Jetzt beugte sich aber die Mutter über ihn und rief mit heller scherzender Stimme: »Mutter, ist noch nicht Tag? Es ist Tag, Joseph! Wach auf! Dein Vater ist da!«
Das war ein Blick voll Staunen und Verwunderung, mit dem Joseph jetzt aufschaute, aber er schrie laut weinend, da die Riesengestalt des Vaters sich aufrichtete in der kleinen Dachkammer; er mochte dem Kinde als ungeheuerliche Traumgestalt erscheinen, und wie eine dunkle Wolke trat die Gestalt vor das einfallende Sonnenlicht, es ward dunkel in der Dachkammer. Martina hatte viel Mühe, den Knaben zu beruhigen, Adam mußte die Kammer verlassen, bis er angekleidet war, und in diesen Minuten, da Adam vor der Kammerthür stand und drin die Mutter den Knaben beschwichtigen hörte, ging ihm nochmals sein schweres Schuldbewußtsein auf, aber nur flüchtig; er war der Adam Röttmann, der alles zwingen konnte; er war schwer zornig auf den Knaben, der ihn nicht liebte, ihm nicht um den Hals fiel; er wollte ihn mit Strenge lehren, daß er ihn lieben und als Vater ehren müsse, und das noch heute.
Als Joseph aus der Kammer kam, sprang er schnell an Adam vorbei, die Treppe hinab.
»Der Bub' muß anders gezogen werden, das ist keine Art gegen den Vater,« sagte Adam voll Zorn zu Martina. Diese aber erklärte ihm, er solle doch denken, wie lieb ihn das Kind habe, da es ihm in Schnee und Nacht entgegen ging und keine Furcht kannte; jetzt aber sei das Kind noch natürlich scheu und der Vater ihm fremd. Adam solle in Geduld und Güte das Herz des Kindes an sich gewöhnen und nicht glauben, daß sich da etwas zwingen ließe.
»Du hast recht, hast ganz recht,« sagte Adam und ging die kleine Treppe hinab, so schwer, daß das ganze Häuschen wankte. In der Stube stand Joseph im Schoße des Schilder-David, und Adam rief dem Knaben zu: »Du kriegst heute was geschenkt von mir, was möchtest du haben? Sag's nur.«
Der Knabe antwortete nicht und schaute den Vater scheuen Blickes mit eingezogenen Brauen an. Er verließ den Großvater, ging aber nicht zum Vater; er betrachtete mit verwundertem Blick den Nagel an der Ofenwand, dort hing jetzt eine eingerahmte Schrift. Schon lange vor Tag hatte der Großvater den Konfirmandenspruch der Martina dort wieder aufgehängt. Eben fiel ein breiter Sonnenstrahl auf den Spruch, der da lautete:
Halte was du hast, daß niemand deine Krone nehme. Off. Joh. 3, 11.
»Jetzt nur noch eins!« rief der Schilder-David, »ich habe was vergessen. Der Pfarrer hat recht, es gibt Satzungen, von denen man nicht abweichen darf, und ich hab' etwas festgestellt, und das wird ausgeführt. Komm einmal her, Joseph, komm her.« Joseph merkte schon, der Ton ist nicht der gute, aber er ging doch zum Großvater, und dieser sagte: »Hast du heute deine neuen Hosen an? Gut, ich will dir was drein geben. Ich hab' fest gesagt, du kriegst deine tüchtige Tracht Schläge, weil du davongelaufen bist, und jetzt will ich sie dir gleich bar auszahlen.« Er langte hinter den Spiegel, holte die Rute herab, und Joseph schrie schon im voraus; Martina wehrte ab und bat, der Großvater solle ihm doch die Strafe schenken; auch Adam bat, aber der Schilder-David sagte: »Diesmal kriegt er sie noch von mir, er hat den Bubenstreich bei mir gemacht, und ich muß ihn bezahlen; was er weiter thut, das ist deine Sach', Adam. Du sollst nicht mehr eigenmächtig davonlaufen, Joseph, du sollst dran denken!« Und erlegte ihn übers Knie und gab ihm eine tüchtige Tracht Schläge, dann sagte er, die Rute Adam übergebend: »Da, da hast du die Rute, von nun an ist's an dir, ihn in Zucht zu halten; ich hab' das Meinige gethan. So, jetzt sind wir fertig.« Leise setzte er zu Martina hinzu: »Wenn sie ihn im Dorfe jetzt verhätscheln wollen, wird er dran denken, und das ist gut.«
Joseph weinte laut und wollte sich gar nicht wieder beruhigen, als ihm Martina zusprach.
Aber noch in einem andern Hause wurde an diesem heiteren Morgen geweint, und zwar im ersten des Dorfes. Im Pfarrhause saß die Magd in der Küche und weinte bitterlich: »Die schöne fette Gans, die wir heut haben braten wollen; und sie war gerad' so geschickt, weil wir einen so lieben Gast haben; das schöne Tier, das so gut ausgefroren war vor dem Fenster, ist heute nacht in dem Durcheinander gestohlen worden. Die Menschen müssen ja jetzt an dem Bissen, den sie dem Pfarrer stehlen, ersticken, und wie himmlisch gut hat er ihnen zugeredet und gedankt für das, was sie gethan, und jetzt thun sie ihm das. Heute sollt' er das auch in der Predigt mit vorbringen und ihnen den Text lesen, und wer zuerst hustet, der hat die Gans gestohlen. Der schlechte Kerl, der Fuchs, der Wolf, der Hund, der Marder, der Rabe, der Alles, der sie gestohlen hat, und die elende Person, die sie braten wird; ich gehe durchs Dorf und rieche überall herum, ich muß meine Gans wieder haben. Wir haben ja nichts zu essen heut mittag . . .« So und noch viel mehr unter bitterem Weinen und Schelten und Fluchen klagte die Magd in der Küche, so daß der Pfarrer endlich herauskam und fragte: »Was geht: denn vor?« Es wurde ihm getreulich berichtet, und die Magd zeigte ihm als Wahrzeichen den leeren Haken, an dem die Gans vor dem Fenster gehangen. »Der Haken ist noch da, aber die Gans nicht,« klagte sie und probierte immer den Haken, wie wenn er gerade geschickt wäre, um den Dieb daran aufzuhängen. Auch Bruder Eduard kam herbei und mußte der Magd den Gefallen thun, den leeren Haken zu besehen. Zu dem Schwager gewendet, sagte der Pfarrer: »Es ist oft so, gerade der schmackhafte letzte Bissen, den man sich wohl aufbewahrt, fällt oft auf den Boden, wenn man ihn schon an der Gabel hat.«
»Und du lachst noch?« klagte die Pfarrerin gegen ihren Mann, »ja, ihr Männer, ihr könnt es nicht wissen, wie schwer es einem auf dem Lande wird, ein ordentliches Essen herzurichten, und wie man sich freut, wenn alles sich macht, und das war wie bestellt, daß mir die Mutter gestern noch Kastanien schickte.«
»Ich lache nicht, im Gegenteil, mir ist's auch unangenehm –«
»Ihnen ist es gewiß am meisten leid, daß ein Mensch so schlecht ist, zu stehlen. Aus dem Leckerbissen machen Sie sich nichts,« fiel Eduard ein.
»Mit nichten. Ich bin so materiell, daß ich sehr gern so ein glitzerndes braunes knusperiges Stück Gänsebraten esse. Und wegen des Diebes? Wenn einem andern die Gans gestohlen worden wäre, der Dieb wäre da wie da, aber es würde mich doch weniger ärgern als jetzt, da es meiner eigenen Gans an den Kragen ging.«
»Den Kragen haben wir noch,« beruhigte die Magd. Alles lachte, eben da der Briefbote die Treppe heraufkam. Er brachte die Landeszeitung. Der Pfarrer überflog rasch sein Gebiet, und richtig – die Stelle im Odenwald, um die er sich beworben hatte, war einem andern, viel jüngeren Geistlichen, aber von der neumodischen starren Sorte übergeben worden.
»Da ist auch noch ein Haken,« sagte der Pfarrer, reichte seiner Frau das Blatt und deutete auf die betreffende Stelle. Mit der Zeitung war auch ein Brief vom Oheim Konsistorialpräsidenten angekommen, der die Verleihung der Stelle an einen andern dahin erklärte, daß man unsern Pfarrer in die Hauptstadt ziehen wolle.
»Ich lehne ab, ich bleibe hier,« sagte der Pfarrer kurz.
Die Pfarrköchin, die ins Wirtshaus ging, um dort Fleisch als Ersatz des gestohlenen Gänsebratens zu holen, hatte zwei Nachrichten zu verbreiten, die sich gar nicht miteinander vereinen wollten, und die sie immer seltsam untereinander mengte; die gestohlene Gans und das Bleiben des Pfarrers im Dorf.
Die Glocken läuteten in sanften Schwingungen in den hellen Tag hinaus; nicht umsonst nennt man das Geläute am Weihnachtsmorgen »Kindlewiegen«. Als der Pfarrer wieder zur Kirche ging, stand das ganze Dorf vorm Pfarrhause bis zur Kirchthür aufgestellt hüben und drüben, und sie grüßten alle den Pfarrer als Zeichen des Dankes für die Freude, daß er nun für immer bei ihnen bleibe. – Während in der Kirche die Orgel tönte, schlich eine verhüllte Gestalt vor der Pfarrküche vorüber, und unversehens lag eine fette Gans auf dem Fensterbrett. War es nun die gestohlene oder eine andre, war's der Dieb, der die gestohlene wiederbrachte, oder ein gutes Herz, das eine andre dafür hinlegte? Man konnte nie klug daraus werden. Die Pfarrköchin behauptete, sie verstehe auch ein Auge zuzudrücken, sie habe die Gestalt nicht erkannt und nicht erkennen wollen. Sie war aber so voll Freude, daß sie bis vor die Thür der Sakristei eilte, um dem Pfarrer zu sagen, er solle nicht von der gestohlenen Gans predigen, sie sei wieder da; sie wagte es indessen doch nicht, in die Sakristei einzutreten, und ging wieder zurück.
»Er ist ja auch gescheit genug,« sagte sie, »und wird nicht über eine Gans predigen,« und darin hatte sie vollkommen recht.
Der kleine Joseph war mit seinen Eltern, hüben und drüben von ihnen geführt, in die Kirche gegangen; er schaute seltsam auf zu allen Begegnenden, er sagte nichts, aber er drückte dem Vater still die Hand. An der Kirchthür entließen die Eltern das Kind zu seinen Schulgenossen, und sie selber trennten sich in die Männer- und Frauenabteilung. Aber die zwei gehörten doch jetzt zusammen, wie sie jetzt dasselbe Gebäude einschloß und wie ihre Stimmen zusammenklangen. Der Gesang ging aber heute nicht gut von statten, denn es fehlte der beste Sänger, der dem Schulmeister schon oft mit seiner mächtigen Stimme ausgeholfen hatte, es fehlte heut Häspele, der so heiser war, daß er kein lautes Wort reden konnte. – Als der kleine Joseph bei seinen Kameraden angekommen war, fragten ihn mehrere: »Weißt du, wie du jetzt heißt?« – »Joseph Röttmann, wie immer.« – »Nein, Joseph im Schnee, so heißt du jetzt,« und diesen Namen behielt er bis auf den heutigen Tag.
Am Nachmittag wurde im Wirtshause vielfach auf das Wohl des Pfarrers getrunken und auch auf das Wohl des »Joseph im Schnee«, und jeder hatte noch ganz besonders zu erzählen, was er diese Nacht vollbracht. Die Schauer waren hundertfältig, wie man nicht wußte, was ein Fels ist, und wo es jäh hinabgeht. Es war weit mehr Wunder, daß niemand verunglückt war, als daß der Joseph sich so geradeswegs durchgefunden hatte. Zu Hause aber saß der Schilder-David in seinem Sonntagsgewand vor seiner großen Bibel und las mit Fingern den Buchstaben folgend, da weiter, wo er vorgestern abend aufgehört hatte. Der Schilder-David lebte das gewöhnliche Leben und las die Bibel immer wieder durch, und jetzt hatte sich's wundersam zusammengefügt und zum Besten.
Am Mittag kam ein Bote in das Dorf und berichtete, daß in der Heidenmühle eine Leiche liege.
»Die Röttmännin,« rief alles.
»Nein, der Heidenmüller, er ist schon seit gestern abend tot, man hat es aber erst heute früh gemerkt, er hat sich den Tod angethan, weil er mit dem Speidel-Röttmann um die Wette trinken wollte, und schrecklich ist's gewesen, wie die Röttmännin, die ihn in der Nacht zu ihrem Beistand erwecken wollte, auf ihn hineinfluchte. Sie fluchte über einen Toten hinein.«
Alles schauderte, und gewiß, der Tod des Heidenmüllers wurde sehr bedauert, aber er hätte auch zu einer andern Zeit sterben können. Man sprach jetzt weit weniger von der Rettung des Joseph, als vom Tod des Heidenmüllers.
Niemand erschrak mehr über diesen Todesfall als die Leegart. Es zeigt sich ja, sie kann mehr als andre Menschen; sie kann einen zu Tode wünschen. Sie hatte ja dem Heidenmüller in alle Gewürze, die er beim Krämer, und in den Wein, den man im Rößle geholt, Gift und Opperment hineingewünscht. Ein Schauer der Wonne und der Angst zugleich ging durch ihr ganzes Wesen, daß sie mit solcher Wunderkraft ausgestattet war.
Sie wagte es nicht, aus dem Hause zu gehen, jedermann mußte ihr ansehen, was sie gethan, und sie bereute es aufrichtig, sie hat's nicht ernst gemeint. Ich werde mich hüten – gelobte sie sich – künftighin so etwas zu thun; ich wünsche der ganzen Welt nur Gutes, meinetwegen auch der Röttmännin. Endlich wagte sie es, zur Martina zu gehen, und sagte ihr heimlich in der Dachkammer: »Ich bitte dich, sorg mit geschickter Manier dafür, daß keine von den Weibern ausplaudert, was ich gestern dem Heidenmüller gewünscht habe. Die Menschen sind gar abergläubisch und könnten am Ende glauben, ich kann mehr als andre Menschen, aber ich mag den Namen nicht dafür haben.« Leegart war nur halb zufrieden, als ihr Martina beteuerte, daß niemand daran denke und daß die Welt doch nicht so dumm sei, solche Sachen zu glauben.
Die Leegart dachte bei sich: »Du bist dumm, aber, gottlob! wenn nur ich weiß, was in der Welt ist.« Sie erschrak vor jedem Gedanken, den sie über einen Menschen gehabt hat oder noch haben wird. Das ist ja entsetzlich schwer, eine solche Gabe zu haben, daß man jedermann anthun kann, was man will.
Als die Frauen zu Besuch kamen, beteuerte die Leegart fortwährend: »Ich mein' es mit der ganzen Welt gut, besser als ich meint es kein Mensch. Ich wünsche jedermann, jedem, ich nehme keinen aus, nur Gutes.«
Man verstand nicht, was die Leegart wollte, aber man stimmte ihr bei: »Jawohl, du bist immer gut gewesen.«
»Und wißt ihr, was ich sage?« rief die Leegart mit glänzenden Augen, »ich sage weiter nichts als: das Pfarrhaus und des Heidenmüllers Toni. Denket daran, daß ich's gesagt habe; ich sage weiter nichts.«
Bald nach der Todesnachricht war der Pfarrer und die Pfarrerin unter Begleitung Eduards nach der Heidenmühle gefahren, und das war gut, denn Toni wollte fast vergehen vor Jammer und Wehe, sie hatte seit gestern so Entsetzliches durchgelebt, und sie klagte sich schwer an, daß sie in der Fürsorge für andre den Vater vergessen habe. Toni begrüßte die Pfarrerin wie einen rettenden Engel, und sie ward erst beruhigter, als die Pfarrerin versprach, bei ihr zu bleiben.
Eduard bat, man möge ihm doch auch etwas zu thun geben. Toni sah ihn groß an und schmiegte sich an die Pfarrerin.
Die nun so schnell zur Witwe gewordene Heidenmüllerin klagte und heulte entsetzlich, und wenn der Pfarrer ihr zuredete, hörte sie ihn kaum an, sie starrte nur immer auf Toni, wie wenn sie diese mit ihrem Blicke vergiften wollte. Die Gemarterte ist jetzt frei, und ihre Peinigerin muß als Bettlerin aus dem Hause ziehen.
Man mag sich dagegen sträuben, wie man will, die Leegart hat doch etwas gewußt.
Von Neujahr an wohnte des Heidenmüllers Toni im Pfarrhause, und sie blieb dort während des ganzen Trauerjahres. Allmählich lebte sie wieder auf aus ihrem tiefen Kummer und sah so schön aus wie ehedem, nur viel feiner.
Im Hochsommer wurde auf der Heidenmühle neu gebaut, Eduard kam mehrmals zu Besuch, und nie war er da, ohne auch nach der Heidenmühle zu schauen und nach allem, was dort gerüstet und geordnet wurde.
Die Leegart nähte viel im Pfarrhause und hätte viel erzählen können, wie schön und herrlich es war, wie die Pfarrerin und die Toni miteinander lebten und wie sich diese von der Pfarrerin in allem unterweisen ließ. Aber die Leegart hatte sich vorgenommen, nicht mehr viel zu sprechen; nur bei der jungen Röttmännin auf Röttmannshof, der jetzt grün angestrichen ist, schüttete sie ihr Herz aus. Nirgends war Leegart besser daheim als auf Röttmannshof, und sie sagte oft: »Lustigeres kann man doch gar nicht sehen, als wie der starke breite Adam sein kleines Töchterchen auf dem Arm herumträgt und mit ihm spielt. Man hätte es gar nicht geglaubt, daß er so geschickt und handlich sein kann.« Martina dachte lachend an die Zeit, da Adam das Herumtragen einmal gelernt hatte, dort unter der breiten Buche.
Als Leegart dem Töchterchen das erste Jahrkleid gemacht hatte, und zwar ein sehr schönes grellrotes, war Adam ganz glückselig, da er das Kind herumtrug und es lehrte, wenn man es fragte: »Wo ist dein schönes Kleid?« daß es den Zipfel desselben aufhob und sein schönes Kleid zeigte.
Nun war Leegart wieder voll Verwunderung und Lob, und Martina konnte sich nicht enthalten, hinzuzufügen: »Er sagt oft: ich hab' an meinem Joseph diese erste Kindheit versäumt; ich bring's jetzt ein. Es gibt ja nichts Glückseligeres.«
Die wilde Röttmännin war schon lange nicht mehr da. Sie hatte es nicht bekennen wollen, aber es ging ihr doch nach, daß sie so entsetzlich auf den toten Heidenmüller hineingeflucht hatte. Vor der Welt spielte sie noch die Starke. Sie ließ sich einen Advokaten kommen, er mußte eine Schrift aufsetzen an das Konsistorium, daß die Ehe von Martina und Adam für null und nichtig erklärt werde; sie erlebte das Ende des Prozesses nicht, sie starb, bevor der Schnee völlig geschmolzen war, durch den Joseph seinem Vater entgegengegangen war. – –
Wenn jetzt der Pfarrer auf der Kanzel steht, hat er vor sich in der ersten Reihe zwei tapfere Männer, die die besten Freunde geworden sind, es ist Adam Röttmann und der junge Heidenmüller, der Schwager Eduard, der Toni geheiratet hat.
Joseph im Schnee ist im Winter im Dorf beim Schilder-David, um der Schule nahe zu sein; er ist ein starker, wohlbegabter Knabe.
Häspele behauptete immer: »Aus dem Knaben, der so Außerordentliches erlebt und so Außerordentliches bewirkt, muß auch ein ungewöhnlicher Mensch werden.«
Die Leegart aber erwiderte beständig: »Nur nicht prophezeien! Man ladet sich eine schwere Verantwortung auf.« Sie weiß, was aus dem Joseph im Schnee wird, sie sagt es aber nicht.