Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel. Brautfahrt und Flucht.

Auf Röttmannshof wußte man nichts von Mozartschen Harmonien; ja, seit bald sieben Jahren, seit Martina hier gedient, hatte man hier kein Lied vernommen. Sonst aber ging's hoch her im Hause; da war ein ewiges Braten und Schmoren, und wenn man gegen das Haus kam, bekam man immer einen Fettgeruch, und wer von Röttmannshof kam, hatte noch immer einen Schmalzduft an sich. Man sagt, es rieche so schmalzig um Röttmannshof herum, weil die alte Röttmännin ganze Töpfe erstickten Schmalzes jedes Jahr auf den Weg gießen lasse. Sie läßt es lieber ersticken und zur Ungenießbarkeit verderben, ehe sie es einem Armen schenkt. Gearbeitet wurde eben nicht viel auf dem Hofe, denn der Holzbauer hat den Vorteil, daß ihm sein Besitztum im Schlafe zuwächst, eigentlich ohne Arbeit.

Das Haus nahm sich seltsam aus in der schneeigen Landschaft. Es war um und um gegen die Unbilden des Wetters mit Schindeln verschient, die brandrot angestrichen sind. Es ist da ein Wohnen wie im Feuer.

An diesem Morgen ging's wild her auf Röttmannshof, und nichts ist häßlicher, als wenn ein Morgen mit wüstem Lärm beginnt. Was müssen das für Menschen sein, die, aus dem Schlaf sich erhebend, alsbald in heiliger Frühe in lärmendes Schelten und Zanken ausbrechen, die darin fortfahren, als gäbe es gar keinen Schlaf, kein stilles Selbstvergessen des Menschen auf Erden, das ihn das Leben am Morgen wieder neu beginnen läßt?

War die alte Röttmännin schon damals, als sie noch schlafen konnte, immer morgens aufgestanden, als ginge es jetzt zum Vernichtungskrieg, so war jetzt, da sie an Schlaflosigkeit litt, ihre Unruhe kaum zu ertragen; sie regierte von ihrem Krankenlager aus mit doppelter Strenge, und unbegreiflich blieb's, wie sie dieses ewige Hetzen, diese ruhelose wilde Jagd aushielt.

»Ich bin gesund, ich gehe selber mit, und wenn ich sterbe, meinetwegen, wenn ich nur das noch fertig gebracht habe. Geht hinaus, ihr Männer, ich ziehe mich ordentlich an; jetzt, an diesem Morgen, muß es fertig werden mit des Heidenmüllers Toni. Was stehst du so lahm da, Adam? Sei froh, daß ich dir helfe, heißt das, der Vater und ich, du allein kommst dein Leben lang zu nichts und bliebst in dem Elend. Wenn niemand mehr etwas vermag, ich will den Schilderdrechslern zeigen, wer sie sind.«

Die Männer mußten sich sonntäglich ankleiden, und sie sahen stattlich aus in ihren langen kragenlosen Röcken und den hohen, bis übers Knie heraufgezogenen Stiefeln. Diese hohen Stiefel sind das unbestrittene Recht des Großbauern; die Kleinbauern und Taglöhner gehen noch heutigestags in Schuhen mit kurzen, ledernen oder langen zwilchenen Beinkleidern. Die Röttmännin, die schon länger als ein Jahr nicht aus dem Hause gekommen, war auf einmal behend wie ein junges Mädchen. Der Kutschenschlitten wurde herausgebracht, Betten darein gesteckt, und die Eltern fuhren mit ihrem Sohn nach der Heidenmühle. Ein Bote war vorausgegangen, der sie ankündigte. Auf der Heidenmühle war des Staunens kein Ende über die Ankunft der Röttmännin; besonders die junge Heidenmüllerin that überaus zärtlich, und die Tochter konnte nicht anders, sie mußte auch freundlich sein und hatte doch rotverweinte Augen, sonst aber sah sie stramm und wohlgestaltet aus, und ein Mann, der sie mit Liebe erwarb, konnte sich dessen freuen. Adam ließ sich in die Stube führen, wie wenn er keinen eigenen Willen hätte, und eben als auch hier im Thal die ersten Flocken des Schnees spielten, wurde der Handschlag gegeben. Adam war Bräutigam. Es war gar nicht, als ob er eine lebendige Hand darreichte und eine lebendige empfing, da Adam seiner Braut den Handschlag gab, aber er wußte sich zu helfen, er trank von dem guten roten Wein, den der Heidenmüller aufsetzte, in mächtigen Zügen. Man saß schmausend bei einander bis zum Abend. Der Speidel-Röttmann konnte immerfort beharrlich trinken und ebenso beharrlich essen, und er wirft immer rechts und links seinen beiden großen Hunden große Brocken ins Maul, das ist ein Schnappen rechts und links und ein Schmatzen in der Mitte, und kein Knochen bleibt unverzehrt; nur trinken, Wein trinken und viel Wein trinken ist ein Vorzug des Menschen vor dem Tiere. Oft, wenn der Speidel-Röttmann das Glas an den Mund hielt, streichelte er den Kopf des Hundes zur Linken, wie wenn er sagen wollte: das Trinken besorg' ich allein. Man zwang Adam, daß er mit seiner Braut in der Küche blieb, als sie Glühwein bereitete, und die beiden Alten tranken immer lustiger miteinander, während die beiden Mütter allerlei zischelten. Als die Väter darauf zu reden kamen, daß man die Sache mit Martina nun rasch abmachen könne, sagte der Heidenmüller lachend: »Es ist eine nichtsnutzige Jugend heutigestags.«

»Sie hat kein rechtes Herz mehr,« bestätigte der Speidel-Röttmann, »jetzt bald sieben Jahr plagt mein Adam sich und uns wegen so einem dummen Streich. Was haben wir uns in unsrer Jugend aus so etwas gemacht?«

»Den Kuckuck haben wir uns draus gemacht.«

»Hast recht, den Kuckuck; der Kuckuck macht's auch so. Stoß an, Kuckuck!«

»Hast recht, Kuckuck!«

»Trink aus, Kuckuck!«

»Du auch, Kuckuck.«

Und die beiden Alten stießen miteinander an, tranken aus und riefen ins Glas hinein einander zu: »Kuckuck!«

Der Würzwein kam, sie schenkten ein, riefen wieder: »Kuckuck!« und tranken die hohen Gläser aus bis auf die Neige, füllten wieder frisch ein und lachten und erzählten einander tolle, übermütige, wie sie es nannten, »herzhafte Schwänke, Schwänke überaus,« und der Schluß war immer: die heutige Jugend ist nichts mehr nutz, sie hat keine Courage mehr.

In der Küche draußen stand aber Adam bei seiner Braut; er redete lange nichts und endlich fragte er: »Sag, warum hast du mich denn genommen? Du weißt doch, wie's mit mir ist?« Weinend erwiderte die Braut:

»Es hat gewiß, so lang die Welt steht, keiner seine Verlobte so gefragt; aber schau, Adam, das gefällt mir, daß du mich fragst, das ist ehrlich und ist ein guter Anfang, wenn es Gottes Wille ist, daß wir doch miteinander leben sollen, und es scheint, es muß sein. Schau, Adam, du kriegst die Martina nicht, und ich bin elend, elender, als du dir denken kannst, und da habe ich gedacht: wir sind beide elend, und vielleicht können wir beide einander helfen, und von der Stiefmutter fort muß ich, ich bin ihr überall im Weg, und du kannst dir nicht denken, wie es einem ist, wenn man eine Fremde über Kisten und Kasten gehen sieht, und sie schimpft auf alles, was da war, und mag's noch so gut und noch so prächtig sein. Mir blutet das Herz, wenn ich sehe, wie sie küchelt, und mein Vater kriegt nichts davon, und dem Knecht hat sie die Tasse gegeben, die meiner Mutter gehört hat und die niemand hat anrühren dürfen, und sie hat's gethan, weil sie weiß, das kränkt mich. Ich werde selber böse und giftig, wenn ich noch länger dabei bin. Mir steht immer die Zunge voll Galle, und Worte sind mir auf den Lippen und Gedanken im Kopf, o schrecklich! Mir wär's am liebsten, wenn ich sechs Schuh unterm Boden läge, und ich läge da schon lange, wenn die gute Pfarrerin nicht wäre.«

»Du dauerst mich,« sagte Adam, »aber ich? Ich hab' meine rechte Mutter, und sie ist ärger als eine Stiefmutter. Ich sag's nicht gern, aber ich muß. Meine Martina hat mir geholfen, daß ich das ertrage und nicht davonlaufe in die weite Welt. Und jetzt erst bin ich ein schlechter Kerl; früher bin ich bloß leichtsinnig gewesen. Es wäre mir lieber, du wärest recht herb und hart und giftig, nicht so, daß ich Mitleid mit dir haben muß, ich wollte dir's dann schon anthun, daß du mich wieder aufgeben müßtest; aber jetzt – ich weiß nicht, wie ich's anfange, du dauerst mich, ja du dauerst mich im Grund des Herzens; aber denke nur einmal, wie's mit mir steht.«

Es war ein schweres Reden, keinerlei freundliches Kosen, das die beiden miteinander hatten. als die Braut eben den Glühwein über dem Herde kochte. Sie trug die volle Schüssel in die Stube, schenkte aber Adam vorher ein Glas ein. Als sie wieder herauskam, trank er ihr zu, und als er ausgetrunken hatte und sie ihm frisch einschenkte und mit ihm anstieß, sagte er: »Du bist eigentlich . . . du bist hübscher, als ich gewußt habe. Es ist doch nicht so bös, daß sie mich zwingen. Wenn nur das eine nicht wäre, das eine, dann wäre ich lustig. Wenn ich dich doch vor sieben Jahren so gesehen hätte wie jetzt, ich wäre der lustigste Bursch von der Welt. O! ich spüre plötzlich einen Stich, als ob mir ein Messer mitten durchs Herz ginge. Hab Geduld, ich kann jetzt kein Wort mehr reden.«

Adam mußte sich auf einen Küchenstuhl niedersetzen, er hielt sich die Hand vor die Augen, dann sagte er endlich dumpf vor sich hin: »Siehst du? So geht mir's. Ich will dir was sagen: sag meinen Eltern und den deinigen nichts davon. Gib mir die Hand, versprich mir, daß du nichts sagst.«

Die Braut gab Adam die Hand, die beiden Hände glühten jetzt, und Adam fuhr fort: »Gerade auf den heutigen Tag habe ich meiner Martina sagen lassen, daß ich zu ihnen komme, es ist bald zwei Jahre, daß ich in ein andres Dorf in die Kirche gehen muß, und Spione habe ich immer um mich her, und ich habe meine Martina und . . . meinen Joseph und die andern in einem Jahr nicht gesprochen, und jetzt muß ich mein Wort halten, und schau! Ich möchte dir gern einen Kuß geben, aber . . . ich thu's nicht . . . nein, ich thu's nicht . . . es wäre Sünde, ich geh' dir keinen, bis ich frei bin.«

»Du bist brav, und du kannst ja ganz gut reden,« lächelte die Braut, »und sagen die Leute, du seiest nur halb.«

»Die Leute kennen mich auch nur halb, es kennt mich niemand als meine Martina, sie hat's gesehen, und ich habe ihr kein Wort gesagt, und ich hab's ihr angesehen, und sie hat mir auch nichts gesagt, und doch haben wir's beide gewußt; sie merkt's, sie ist gescheit, sie merkt's, wie ich der reichste Bursch im ganzen Oberland bin und doch der ärmste; ja, sie soll dir' s erzählen, sie kann's besser wie ich; o, du kannst dir gar nicht denken, wie gescheit die ist, und ein gutes Herz hat sie, und dabei ist sie so lustig und so lieb und . . . und . . .«

Plötzlich starrte Adam drein; wem erzählt er denn das? Seiner jetzt verlobten Braut! und sie sah ihn eben an, als müßte sie sich besinnen, wo sie denn seien und wer sie denn seien. Man hörte nichts, als drinnen in der Stube die beiden Alten miteinander lachen und Kuckuck rufen. und die beiden Frauen pisperten miteinander. Endlich sagte Adam: »Also, ich habe dein Wort, du sagst niemand etwas davon. Ich gehe jetzt von dir weg, zu meiner Martina, . . . zur Martina . . . und – und – zu meinem . . . ins Dorf. Bis man den Lichterbaum angezündet, bin ich wieder da, und dann ist's entweder – oder – Behüt dich Gott derweil.«

Die Braut sah verwundert auf, wie Adam seinen grauen Mantel überhängte, die Pelzmütze aufsetzte und den starken Knotenstock mit der großen scharfen Spitze ergriff und fröhlich schwang. Adam sah schön und fürchterlich zugleich aus. Er ging rasch von dannen, und die Braut saß still auf dem Herde. Nach einer Weile kam der Speidel-Röttmann und fragte: »Was ist denn hier? Die Hunde winseln drinnen in der Stube, wo ist der Adam?«

»Fort.«

»Wohin?«

»Ich darf's nicht sagen. Er kommt aber bald wieder.«

»So? Weiß schon, wohin er ist. Sag meiner Frau nichts, ich meine, sag deinem Vater nichts. Ist er schon lange fort?«

»Kaum ein paar Minuten.«

»Schleich dich hinein und hol mir meinen Hut, daß sie nichts davon merken, gib acht, daß die Hunde nicht herauskommen, – oder nein – – – ja, hole mir meinen Hut. Er ist ein Narr, du bist ja ein prächtiges Mädle.«

Die Braut entfernte sich vor dem zutäppischen Wesen des Speidel-Röttmann, brachte schnell Hut und Stock heraus, und der Alte gab ihr den Auftrag, sie solle nur sagen, er käme gleich wieder; und fort ging er und stellte den Stock immer weit voraus, ehe der Schritt nachkam. Er geht sicher.


 << zurück weiter >>