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Neuntes Kapitel.

Der Uribasche hatte den Tod erleiden müssen, der auch Brosi bedrohte, jetzt erbte dieser noch gar das Amt des Verstorbenen, und just mit dem Jahrhunderte trat Brosi sein Amt an. Haldenbrunn hatte die schönsten Glocken in der Umgegend und den gewecktesten, hellgestimmtesten Nachtwächter dazu. Mit einer Andacht und einer Fröhlichkeit, die jedem, der es hörte, das Herz erfreuen mußte, sang Brosi die Stunden an. Es war ihm eine Lust, in den als Gemeindeeigentum ererbten Schafpelz und in die Ohrenkappe versteckt, mit der Hellebarde in der Hand oft zum wandelnden Schneemann geworden, durch das Dorf zu schreiten und mit heller Stimme mahnend und tröstend die Stunden zu verkünden; da ging er hin in stiller Nacht, und niemand hörte ihn als sein eigen Ohr und der Gott über ihm, und er sang so schön und aus voller Seele, er schenkte sich keinen Vorschlagton, so oft er auch die Weisung wiederholte, die Töne kehrten wieder in seine Seele zurück wie eine Botschaft vom Himmel, und sein Geist wurde größer und allezeit fröhlicher in der einsamen Nacht. Es schlafen die Menschen, Leid und Freud ist dahin, draußen stehen die Sterne und schauen glitzernd hernieder und warten, bis der Tag erwacht.

Zwölf, das ist das Ziel der Zeit,
Mensch, bedenk' die Ewigkeit,

sang Brosi und schritt dahin, so wünschelos, so in sich gesättigt, als wäre er allein auf der Welt und wiederum schon in der Ewigkeit.

Und in einsam stiller Nacht legte Brosi einen großen Teil seiner Eitelkeit ab, er sang seinen Spruch so voll, so ganz, mochte ihn ein Mensch hören oder nicht. Fröhlich und fromm, in jedem Tone glückselige Zuversicht, klang es, wenn er den Tag anrief:

Hört, ihr Herrn, und laßt euch sagen:
Unsre Glock hat vier geschlagen.
Vierfach ist das Ackerfeld,
Mensch, wie ist dein Herz bestellt?

Alle Sternlein müssen schwinden,
Und der Tag wird sich einfinden;
Danket Gott, der uns die Nacht
Hat so väterlich bewacht.

Einst in stiller Winternacht hatte ein menschenfreundlicher Herr seine Herberge im Dorfe genommen, es war ein Mann von wohlwollendem und fröhlichem Herzen, das die Gedanken der Menschen in sich trug, die nur dürftige Kunde geben können von dem, was sie bewegt. Der Mann erwachte in dunkler Nacht, er hörte den Wächter draußen rufen, ein Heimweh bemächtigte sich seiner nach dem schlichten Reden und Denken der Volksgenossen, unter denen er einst gelebt, und er hieß die Sprache feststehen, die bisher nur die Luft getragen, und faßte das klanglos verborgene Leben in melodisch gebundene Worte.

Der Mann, der nachmals Brosi so viel heitere und erquickende Geschichten erzählte, der allemannische Dichter, wurde von ihm in stiller Nacht zum Innewerden seines Heiltums erweckt.

Der Wächter und der Dichter haben nie voneinander den Namen erfahren, und doch wurden beide einander zum Heile.

Brosi erfuhr nur von minder bedeutenden Zuhörern das Lob über sein Taganrufen, und er konnte sich nicht enthalten, auf solchen Ruhm hinzuzusetzen: »Mein Mann ischt koanr«, aber er sagte diesen Spruch doch nicht mehr so ungemessen selbstzufrieden wie sonst.

Ein Nachtwächter hat aber nicht immer gottselige und fromme Gedanken, sein Gemüt ist weit weniger allezeit empfänglich als seine Kehle, und wo nächtige Gesellen beisammen sitzen und sich am kühlen Wein laben, da kann man sich darauf verlassen, daß der Nachtwächter unter sie tritt, nicht als nachgeborener Cherub der Polizei, der die Seligen aus dem Paradiese vertreibt mit rostiger Hellebarde; nein, er setzt sich ruhig an den Seitentisch beim wärmenden Ofen und täuscht sich nicht in der Hoffnung, daß die Seligen gern spenden, und auf die Frage, welche Zeit es sei, hat er die trostreiche Antwort: »Noch früh am Tag. Erst ein Uhr.« Wie manchen guten Trunk hätte Brosi verschlafen, wenn er nicht Nachtwächter geworden wäre, und er hatte oft die Genugtuung, daß ihn lustige Zechbrüder zu sich riefen, wenn er die Stunde ansang. Ein Amt, und sei es auch das geringste, gibt doch alsbald auch eine Würde. Brosi ließ sich durch kein Zureden und Versprechen dazu herbei, selber mitzujubeln und tolle Streiche zu machen; er störte die Lustbarkeit der andern nicht, aber er selber blieb in Amt und Würde.

Oft hatte er noch die besondere Sendung, den Kappelbauer heimzugeleiten. Dieser zechte und kartelte oft Nächte hindurch mit dem Auerhahnwirt, und die leichten Karten spielten nach und nach ganze Morgen Hochwald in die Hände des Wirts. Der Kappelbauer war kinderlos, hatte aber dafür eine Frau, die mehr Lärm machen konnte, als zehn Kinder in der Abenddämmerung. Wenn nun der Kappelbauer seinen richtigen »polnischen Rausch« hatte, wie er es nannte, stützte er sich auf die befreundete Macht Brosi und begann in mehr als liebevoller Hingebung zu klagen, welch eine böse Frau er habe und wie sie ihn die wenigen Stunden nicht werde schlafen lassen. Er konnte dabei untereinander fluchen und weinen, bis Brosi einst ein kluges Mittel fand:

»Weißt was?« sagte er, »wenn deine Frau zankt, daß schon so spät sei, sagst, es sei ja erst ehne, und ich steh' vor deinem Haus und ruf' zehne an.«

Der Kappelbauer weckte sogar seine Frau, und als Brosi den Zank losgehen hörte, rief er mit verstellter Stimme, als wenn des Uribasches Kalter sänge, zehn Uhr an, und nur noch ein lautes Lachen erscholl, dann ward es still im Hause des Kappelbauern.

Einen ganzen Winter lang ging dieser Betrug vor sich, und außer den beiden Beteiligten wußte niemand davon als der Auerhahnwirt. Brosi machte sich nicht im geringsten ein Gewissen daraus, die ganze Wahrhaftigkeit seines Berufes zu mißbrauchen, und doch war es derselbe Mann, der zu Zeiten von den heiligsten Gedanken getragen dahin schritt; der Uebermut des Scherzes deckte alles zu, und die Trinkgelder des Kappelbauern waren reichlich. Gemahnte ihn doch bisweilen eine innere Stimme, so beschwichtigte er sie mit dem Einwande, daß der Kappelbauer auch ohne diese Beihilfe sein Leben nicht ließe und nur Zank dadurch verhütet werde, daß der Kappelbauer nicht mehr lange lebe und die Witwe noch immer reich genug bleibe; im nächsten Winter aber, wenn der Kappelbauer doch noch leben sollte, gelobte er sich diesen Betrug nicht mehr mitzumachen.

Auf Diebe hatte Brosi wenig zu achten, denn es gab damals in Haldenbrunn nichts zu stehlen als etwas Holz, und dessen konnte man bei Tag genug habhaft werden; aber manchem Burschen, der aus einem Fenster sprang und durch die Schatten an den Häusern dahinhuschte, winkte er mit der Hellebarde und rief ihm auch einige Spottworte nach. Oft klopfte er auch an ein Haus und weckte die Leute, wenn er hörte, daß eine Kuh kalben wollte, ein Pferd sich losgerissen hatte, und das trug immer ein paar Töpfe Milch oder einige Kocheten Kartoffeln ein.

Von den Holzfuhren hatte sich Brosi nicht losmachen können, denn der Revierförster, der anfangs Winter gethan hatte, als ob er ihm eine überschwengliche Gnade angedeihen ließe, hielt ihn jetzt aus Mangel an Holzknechten fest. Brosi war damit zufrieden, er ging immer bei Tag in den Wald, sah mit unnennbarer Erquickung, daß sich sein Besitztum täglich vermehrte, und Brosi war der lustigste Schlittengaul, wie er sich oft nannte.

Nun kam noch das glückliche längstersehnte Ereignis, daß das »brave Kühle« endlich kalbte. Der Sprößling war so starkknochig, daß nur zu bedauern war, daß man seine fernere Entwicklung nicht miterleben durfte; dafür legte aber auch schon nach acht Tagen der Metzger zwei harte gediegene Kronenthaler auf den Tisch und noch zwölf Kreuzer Trinkgeld für die Moni; diese war schon ohnedies im gelobten Lande, denn eine neumelkige Kuh im Stall ist für eine wirtliche Frau eine Wonnezeit, und noch dazu begannen die Hühner schon wieder zu legen. Fülle und Reichtum war im Haus und bar Geld dazu. Moni sang wie ein junges Mädchen im Haus umher, und Brosi sang mit.

»Jetzt sind wir reich. Jetzt haben wir zwei frischmelkige Küh',« sagte er eines Tages, und Moni erwiderte:

»Ich dank' Gott für die eine.«

»Und wir haben doch zwei.«

»Ich hoff' auch, wir kommen mit Gottes Hilfe noch dazu.«

»Nein, wir haben's jetzt schon.«

»Mach' mich nicht zum Narren,« schalt Moni verdrossen, und schelmisch erwiderte Brosi:

»Wir haben doch zwei frischmelkige Küh'. Du mußt noch lang wachsen, bis du da 'rauf reichst,« sagte er, auf die Stirn deutend, »dein brav Tierle im Stall ist die eine und mein Amt ist die zweite Milchkuh. Jetzt sag', bin ich ein Narr?«

»Ich wollt', die ganz Welt war so närrisch wie du.«

»Und ich wollt's nicht. Ich will was Apartes haben.«

Es gibt eine Fröhlichkeit, eine innere Durchleuchtung, die sich in gar nichts Besonderem, ja nicht einmal in Worten ausspricht: eines der Ehegatten oft fern von dem andern hat die vergnügtesten Stunden mit ihm, sei es im Alleinreden oder im inneren Gedenken, und wenn sie sich begegnen, lachen sie einander aus, sie wissen nicht, warum, und wollen es nicht wissen. So lebten Brosi und Moni seelenvergnügt, während draußen die beginnenden Frühlingsstürme rasten, und wenn das Apothekerrösle noch immer keifen wollte, verstand Brosi oft, es lachen zu machen.

Wenn Brosi um zwölf Uhr sein Amt antrat, stand Moni mit ihm auf und spann, bis der Tag anbrach, so sehr auch das Apothekerrösle schalt, daß man ihm auch noch die Nachtruhe raube. Moni hängte einen Rock an das Himmelbett und spann hinter demselben, und wenn Brosi in der Zwischenzeit des Anrufens nach Hause kam, sprach sie leise mit ihm oder ließ ihn einschlafen und weckte ihn mit dem Glockenschlag. Es waren für ihn jetzt manchmal böse Zeiten, der Sturm raste, daß Brosi nur mit höchster Gewalt seine Hausthüre öffnen konnte, die ihm alsbald wieder aus der Hand geschlagen wurde, so daß das Apothekerrösle in der Stube immer laut aufschrie; draußen auf der Straße heulte und toste es, als wollte der Wind alle Wälder zusammenbrechen und die Wohnungen der Menschen in die Luft davontragen; und damit keine Stimme ertöne als das Brausen des Sturmes, riß dieser dem Wächter das Wort von den Lippen, daß er es selber kaum hörte; drehte Brosi sich um und sang nach der andern Seite, so kam der Wind auch hier herangesaust und benahm ihm fast den Atem. Sturmentgegen wie durch reißende Wogen mußte sich Brosi fortarbeiten, und nur eines war gut; es fiel kein Ziegel von einem Dache, denn alle Häuser des Dorfes, ausgenommen die Kirche, das Pfarrhaus und der Auerhahn, waren mit Stroh gedeckt.

Brosi tröstete seine Frau, die über solches Unwetter klagte und immer behauptete, so sei es noch nie gewesen; er beteuerte stets, er freue sich dieses Sturmes, der bringe den Frühling und mit ihm die lohnreiche Bauzeit.

Noch lag tiefer Schnee in den Schluchten, als sich Brosi auf die Wanderschaft begab, er wußte noch nicht, wo er Arbeit finden werde. Moni ließ es sich nicht nehmen, ihm ein gut Stück das Geleite zu geben, sie nahm aber auch gleich ein Beil und einen Strick mit, um auf dem Heimwege dürres Holz zu sammeln. Die Wolken standen noch fest auf dem Berge, über den die beiden Eheleute hinschritten, sie sprachen nichts vom Abschied, und Moni sagte:

»Wenn ich ein geschickts Wiesle kaufen kann, thu' ich's. Ich mach' hundert Ellen Tuch, daraus lös' ich ein Ordentliches, und etwas bar haben wir auch noch. Hätt'st dir doch noch einen Gulden mitnehmen sollen.«

»Ich komm' schon fort,« beruhigte Brosi, »aber was ich dir noch einmal sag', versprich mir, daß du dir nichts abgehen läßt, das Näherlisle soll dir warten, und neun Tag bleibst im Wochenbett.«

»Das versprech' ich nicht, aber drei Tag, da hast mein' Hand drauf.« Brosi hielt die Hand fest und stand still, indem er sagte:

»Ich schreib', wo ich bin, und der Lehrer soll mir gleich anzeigen, was es ist, ein Bub oder ein Mädle ist mir gleich, wenn's nur wuselt. Wenn ich dem Terkel nur auch gleich in die Augen sehen könnt' – aber es ist schon so recht, der Gipsmüller und sein' Frau wollen Gevatter sein, und die Namen weißt auch. Ich hab' dir nichts mehr zu sagen. Jetzt, weiter darfst nicht mit. Ich geh' da links 'naus. Was ich vergessen hab', kannst dir selber sagen. Was du thust, ist mir recht, das weißt. Jetzt b'hüt dich Gott, Moni. B'hüt dich Gott, alter Schatz, und grüß mir den Terkel und laß ihn nur recht schreien, daß er auch gut singen lernt. Jetzt heul' nicht, du thust dem Kind schaden. Es ist nichts zu heulen. Geh', sing', ich halt' dir zu, solang ich dich hör'.«

Er schüttelte Moni die Hand und schritt davon. Moni setzte sich an den Wegrain, nach einer Weile aber rief Brosi aus dem Walde:

»Ich bitt' dich, sing.«

Und Moni begann:

Es wollt' ein Steinhauer wandern,
Auf die Wanderschaft wollt' er gehn.
Was begegnet ihm auf der Reise?
Ein Mädchen schneeweiß bekleidet:
»Wo 'naus, wo wollt Ihr hin?« –
»Ich such' ein Schatz auf Erden,
Oder willst du mein Schatz werden,
So komm' und bleib' bei mir.«

Brosi stand still und begleitete den Gesang, dann schrie er Juchhu, daß es vom Berg und Thal widerhallte, und weiter schritt er singend, und Moni ging tiefer in den Wald, sammelte Holz und trug es heim; sie sang aber nicht weiter.

Das Haus war so leer, beim Essen war's so einsam, und hätte Brosi nicht gebeten, es dem Kinde zulieb zu unterlassen, sie hätte viel geweint; sie bewältigte sich und trug ihr Garn zum Weber, der aufrichtig beteuerte, kein so schönes noch auf seinem Webstuhl gehabt zu haben. Moni wünschte nur, daß auch ihr Mann dies Lob gehört hätte.


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