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An Goethe
Am 8. August.
Überall wo es gut ist, das muß man zu früh verlassen; – so war es mir wahrlich gut bei Dir, drum mußt' ich Dich zu früh verlassen.
Ein guter lieber Aufenthalt ist für mich, was das fruchtbare Land einem Schiffer ist, der eine unsichre Reise vorhat, er wird Vorrat einsammeln, soviel ihm Zeit und Mittel erlauben. Ach, wenn er auf der einsamen weiten See ist, wenn die frischen Früchte schwinden, das süße Wasser! – er sieht kein Ziel vor sich; – wie sehnsuchtsvoll wird die Erinnerung ans Land. – Jetzt geht mir's auch so: in zwei Tagen muß ich den Rhein verlassen, um mit dem ganzen Familientroß in Schlangenbad zusammenzutreffen. Ich war indessen nicht immerwährend hier, sonst hätte Dich schon lange wieder eine Epistel von mir erreicht; viele Streifereien haben mich abgehalten: die Reise in die Wetterau, von welcher ich Dir hier ein Bruchstück beilege. Den Primas hab' ich in Aschaffenburg besucht, er meint immer, ich habe die Kinderschuhe noch nicht ausgetreten, und begrüßt mich, indem er mir die Wangen streichelt und mich herzlich küßt. Diesmal sagte er: »Mein gutes, liebes Schätzchen, wie Sie frisch aussehen, und wie Sie gewachsen sind!« – Ein solches Betragen hat nun eine zauberische Wirkung auf mich; ich fühlt' mich ganz und gar, wie er mich ansah, und betrug mich auch, als ob ich nur zwölf Jahr' alt sei, ich erlaubte mir allen Scherz und gänzlichen Mangel an Hochachtung, unter solchen zweifelhaften Umständen trug ich ihm Deine Aufträge vor. Sei nur nicht bestürzt, ich kenne Dein würdevolles Benehmen mit großen Herren und habe Dir als Botschafter nichts vergeben, ich hatte mir einen schriftlichen Auszug aus dem Brief an Deine Mutter gemacht und legte ihm denselben vor und die Zeile, wo Du geschrieben hast: die Bettine soll sich doch alle Mühe geben, dies auf eine artige Weise vom Primas herauszulocken, die hielt ich mit der Hand zu; nun wollte er grade sehen, was da unten verborgen sei; ich machte vorher meine Bedingungen, er versprach mir das kleine Indische Herbarium, es ist in Paris, und er wollte noch denselben Tag drum schreiben. Was die Papiere des Propst D'umée anbelangt, so hat er sehr interessante wissenschaftliche Sachen, die er Dir alle verspricht, die Korrespondenz mit ... gibt er nicht heraus, ich soll nur sagen, Du habest es nicht verdient und er werde diese Briefe als einen wichtigen Familienschatz aufbewahren und als ein Muster von feurigen Ausdrücken bei der höchsten Ehrerbietung. Ich weiß nicht, was mich befiel bei dieser Rede, ich fühlte, daß ich rot ward, da hob er mir das Kinn in die Höhe und sagte: »Was fehlt Ihnen denn, mein Kind, Sie schreiben wohl auch an Goethe?« – »Ja«, sagte ich, »unter der Obhut seiner Mutter.« »So, so, das ist ganz schön, kann denn die Mutter lesen?« – Da mußt' ich ungeheuer lachen, ich sagte: »Wahrhaftig, Euer Hoheit haben's erraten; ich muß der Mutter alles vorlesen, und was sie nicht wissen soll, das übergeh' ich.« – Er brachte noch allerlei Scherzhaftes vor und frug, ob ich Dich Du nenne, und was ich Dir alles schreibe? – Ich sagte, des Rhythmus halber nenne ich Dich Du, und eben habe ich seine Dispensation einholen wollen, um schriftlich beichten zu dürfen, denn ich wolle Dir gern beichten; er lachte, er sprang auf (denn er ist sehr vif und macht oft große Sätze) und sagte: »Geist wie der Blitz! Ja, ich gebe Ihnen Dispensation und ihm – schreiben Sie es ihm ja – geb' ich Macht, vollkommen Ablaß zu erteilen, und nun werden Sie doch mit mir zufrieden sein?« – Ich hatte große Lust, ihm zu sagen, daß ich nicht mehr zwölf Jahr', sondern schon eine Weile ins Blütenalter der Empfindung eingerückt sei; aber da hielt mich etwas ab: bei seinen lustigen Sprüngen fiel ihm seine kleine geistliche violettsamtne Mütze vom Kopf; ich nahm sie auf, und weil mir ahnete, sie würde mir gut stehen, so setzte ich sie auf. Er betrachtete mich eine Weile und sagte: »Ein allerliebster kleiner Bischof! Die ganze Kanzlei würde hinter ihm dreinlaufen«, – und nun mochte ich ihm den Wahn nicht mehr benehmen, daß ich noch so jung sei, denn es kam mir vor, was ihn an einem Kind erfreuen dürfe, das könne ihm bei einer verständigen Dame, wie ich doch eine sein müßte, als höchst inkonvenabel erscheinen. Ich ließ es also dabei und nahm die Sünde auf mich, ihm was weisgemacht zu haben, indem ich mich dabei auf die Kraft des Ablasses verlasse, den er Dir übermacht.
Ach, ich möchte Dir lieber andere Dinge schreiben, aber die Mutter, der ich alles erzählen mußte, quälte mich drum, sie meint, so was mache Dir Freude und Du hieltest etwas drauf, dergleichen genau zu wissen; ich holte mir auch einen lieben Brief von Dir bei ihr ab, der mich dort schon an vierzehn Tagen erwartete, und doch möcht' ich Dich über diesen schmälen. Du bist ein koketter, zierlicher Schreiber, aber Du bist ein harter Mann; die ganze schöne Natur, die herrliche Gegend, die warmen Sommertage der Erinnerung, – das alles rührt Dich nicht; so freundlich Du bist, so kalt bist Du auch. Wie ich das große Papierformat sah, auf allen vier Seiten beschrieben, da dacht' ich, es würde doch hier und da durchblitzen, daß Du mich liebst; es blitzt auch, aber nur von Flittern, nicht von leisem, beglückendem Feuer. Oh, welcher gewaltige Abstand mag sein zwischen jener Korrespondenz, die der Primas nicht herausgeben will, und unserm Briefwechsel; das kommt daher, weil ich Dich zu sehr liebe und es Dir auch bekenne, das soll eine so närrische Eigenheit der Männer sein, daß sie dann kalt sind, wenn man sie zu sehr liebt.
Die Mutter ist nun immer gar zu vergnügt und freundlich, wenn ich von meinen Streifereien komme; sie hört mit Lust alle kleine Abenteuer an, ich mache dann nicht selten aus klein groß, und diesmal war ich reichlich damit versehen, da nicht nur allein Menschen, sondern Ochsen, Esel und Pferde sehr ausgezeichnete Rollen dabei spielten. Du glaubst nicht, wie froh es mich macht, wenn sie recht von Herzen lacht. Mein Unglück führte mich grade nach Frankfurt, als Frau von Staël durchkam, ich hatte sie schon in Mainz einen ganzen Abend genossen, die Mutter aber war recht froh, daß ich ihr Beistand leistete, denn sie war schon preveniert, daß die Staël ihr einen Brief von Dir bringen würde, und sie wünschte, daß ich die Intermezzos spielen möge, wenn ihr bei dieser großen Katastrophe Erholung nötig sei. Die Mutter hat mir nun befohlen, Dir alles ausführlich zu beschreiben; die Entrevue war bei Bethmann-Schaaf, in den Zimmern des Moritz Bethmann. Die Mutter hatte sich – ob aus Ironie oder aus Übermut, wunderbar geschmückt, aber mit deutscher Laune, nicht mit französischem Geschmack, ich muß Dir sagen, daß, wenn ich die Mutter ansah, mit ihren drei Federn auf dem Kopf, die nach drei verschiedenen Seiten hinschwankten, eine rote, eine weiße und eine blaue – die französischen Nationalfarben, welche aus einem Feld von Sonnenblumen emporstiegen, so klopfte mir das Herz vor Lust und Erwartung; sie war mit großer Kunst geschminkt, ihre großen schwarzen Augen feuerten einen Kanonendonner, um ihren Hals schlang sich der bekannte goldne Schmuck der Königin von Preußen, Spitzen von altherkömmlichem Ansehen und großer Pracht, ein wahrer Familienschatz, verhüllte ihren Busen, und so stand sie mit weißen Glacéhandschuhen, in der einen Hand einen künstlichen Fächer, mit dem sie die Luft in Bewegung setzte, die andre, welche entblößt war, ganz beringt mit blitzenden Steinen, dann und wann aus einer goldnen Tabatiere mit einer Miniatur von Dir, wo Du mit hängenden Locken, gepudert, nachdenklich den Kopf auf die Hand stützest, eine Prise nehmend. Die Gesellschaft der vornehmen älteren Damen bildete einen Halbkreis in dem Schlafzimmer des Moritz Bethmann; auf purpurrotem Teppich in der Mitte ein weißes Feld, worauf ein Leopard – sah die Gesellschaft so stattlich aus, daß sie wohl imponieren konnte. An den Wänden standen schöne schlanke indische Gewächse, und das Zimmer war mit matten Glaskugeln erleuchtet; dem Halbkreis gegenüber stand das Bett auf einer zwei Stufen erhabenen Estrade, auch mit einem purpurnen Teppich verhüllt, an beiden Seiten Kandelaber. Ich sagte zur Mutter: »Die Frau Staël wird meinen, sie wird hier vor Gericht des Minnehofs zitiert, denn dort das Bett sieht aus wie der verhüllte Thron der Venus.« Man meinte, da dürfte es manches zu verantworten geben. Endlich kam die Langerwartete durch eine Reihe von erleuchteten Zimmern, begleitet von Benjamin Constant, sie war als Corinna gekleidet, ein Turban von aurora- und orangefarbner Seide, ein ebensolches Gewand mit einer orangen Tunika, sehr hoch gegürtet, so daß ihr Herz wenig Platz hatte; ihre schwarzen Augenbrauen und Wimpern glänzten, ihre Lippen auch, von einem mystischen Rot; die Handschuh' waren herabgestreift und bedeckten nur die Hand, in der sie das bekannte Lorbeerzweiglein hielt. Da das Zimmer, worin sie erwartet war, so viel tiefer liegt, so mußte sie vier Treppen herabsteigen. Unglücklicherweise nahm sie das Gewand vorne in die Höhe, statt hinten, dies gab der Feierlichkeit ihres Empfangs einen gewaltigen Stoß, denn es sah wirklich einen Moment mehr als komisch aus, wie diese ganz im orientalischen Ton überschwankende Gestalt auf die steifen Damen der tugendverschwornen Frankfurter Gesellschaft losrückte. Die Mutter warf mir einige couragierte Blicke zu, da man sie einander präsentierte. Ich hatte mich in die Ferne gestellt, um die ganze Szene zu beobachten. Ich bemerkte das Erstaunen der Staël über den wunderbaren Putz und das Ansehen Deiner Mutter, bei der sich ein mächtiger Stolz entwickelte. Sie breitete mit der linken Hand ihr Gewand aus, mit der rechten salutierte sie mit dem Fächer spielend, und indem sie das Haupt mehrmals sehr herablassend neigte, sagte sie mit erhabener Stimme, daß man es durchs ganze Zimmer hören konnte: »Je suis la mère de Goethe.« »Ah, je suis charmée,« sagte die Schriftstellerin, und hier folgte eine feierliche Stille. Dann folgte die Präsentation ihres geistreichen Gefolges, welches eben auch begierig war, Goethes Mutter kennenzulernen. Die Mutter beantwortete ihre Höflichkeiten mit einem französischen Neujahrswunsch, welchen sie mit feierlichen Verbeugungen zwischen den Zähnen murmelte – kurz, ich glaube, die Audienz war vollkommen und gab einen schönen Beweis von der deutschen Grandezza. Bald winkte mich die Mutter herbei, ich mußte den Dolmetscher zwischen beiden machen; da war denn die Rede nur von Dir, von Deiner Jugend, das Porträt auf der Tabatiere wurde betrachtet, es war gemalt in Leipzig, eh' Du so krank warst, aber schon sehr mager, man erkennt jedoch Deine ganze jetzige Größe in jenen kindlichen Zügen, und besonders den Autor des »Werther«. Die Staël sprach über Deine Briefe und daß sie gern lesen möchte, wie Du an Deine Mutter schreibst, und die Mutter versprach es ihr auch, ich dachte, daß sie von mir gewiß Deine Briefe nicht zu lesen bekommen würde, denn ich bin ihr nicht grün; sooft Dein Name von ihren nicht wohlgebildeten Lippen kam, überfiel mich ein innerlicher Grimm; sie erzählte mir, daß Du sie »amie« in Deinen Briefen nenntest; ach, sie hat mir's gewiß angesehen, daß dies mir sehr unerwartet kam; ach, sie sagte noch mehr. – Nun riß mir aber die Geduld; – wie kannst Du einem so unangenehmen Gesicht freundlich sein? – Ach, da sieht man, daß Du eitel bist. Oder sie hat auch wohl nur gelogen! – Wär' ich bei Dir, ich litt's nicht. So wie Feen mit feurigen Drachen, würd ich mit Blicken meinen Schatz bewachen. Nun sitz' ich weit entfernt von Dir, weiß nicht, was Du alles treibst, und bin nur froh, wenn mich keine Gedanken plagen.
Ich könnte Dir ein Buch schreiben über alles, was ich in den acht Tagen mit der Mutter verhandelt und erlebt habe. Sie konnte kaum erwarten, daß ich kam, um alles mit ihr zu rekapitulieren. Da gab's Vorwürfe; ich war empfindlich, daß sie auf ihre Bekanntschaft mit der Staël einen so großen Wert legte; sie nannte mich kindisch, albern und eingebildet, und was zu schätzen sei, dem müsse man die Achtung nicht versagen, und man könne über eine solche Frau nicht wie über eine Gosse springen und weiterlaufen; es sei allemal eine ausgezeichnete Ehre vom Schicksal, sich mit einem bedeutenden und berühmten Menschen zu berühren. Ich wußte es so zu wenden, daß mir die Mutter endlich Deinen Brief zeigte, worin Du ihr Glück wünschest, mit diesem Meteor zusammenzustoßen, und da polterte denn alle ihre vorgetragene Weisheit aus Deinem Brief hervor. Ich erbarmte mich über Dich und sagte: »Eitel ist der Götterjüngling; er führt den Beweis für seine ewige Jugend.« – Die Mutter verstand keinen Spaß; sie meinte: ich nehme mir zu viel heraus und ich soll mir doch nicht einbilden, daß Du ein anderes Interesse an mir habest, als man an Kindern habe, die noch mit der Puppe spielen; mit der Staël könnest Du Weltweisheit machen; mit mir könnest Du nur tändeln. Wenn die Mutter recht hätte? – Wenn's nichts wär' mit meinen neu erfundnen Gedanken, von denen ich glaubte, ich habe sie alleine? – Wie hab' ich doch in diesen paar Monaten, wo ich am Rhein lebe, nur bloß an Dich gedacht! – Jede Wolke hab' ich um Rat gefragt, jeden Baum, jedes Kraut hab' ich angesprochen um Weisheit; und von jeder Zerstreuung hab' ich mich abgewendet, um recht tief mit Dir zu sprechen. O böser, harter Mann, was sind das für Geschichten? Wie oft hab' ich zu meinem Schutzengel gebetet, daß er doch für mich mit Dir sprechen soll, und dann hab' ich mich still verhalten und die Feder laufen lassen. Die ganze Natur zeigte mir im Spiegel, was ich Dir sagen soll; wahrhaftig, ich habe geglaubt, alles sei von Gott so angeordnet, daß die Liebe einen Briefwechsel zwischen uns führe. Aber Du hast mehr Vertrauen in die berühmte Frau, die das große Werk geschrieben hat sur les passions, von welchen ich nichts weiß. – Ach, glaub' nur, Du bist vor die unrechte Schmiede gegangen; Lieben: das allein macht klug.
Über Musik hatte ich Dir auch noch manches zu sagen; es war alles schon so hübsch angeordnet; erst mußt Du begreifen, was Du ihr alles schon zu verdanken hast. – Du bist nicht feuerfest. Musik bringt Dich nicht in Glut, weil Du einschmelzen könntest.
So närrisch bin ich nicht, zu glauben, daß Musik keinen Einfluß auf Dich habe. Da ich doch glaube an das Firmament in Deinem Geist, da Sonne und Mond samt allen Sternen in Dir leuchten, da soll ich zweifeln, daß dieser höchste Planet über alle, der Licht ergießt, der ein Gewaltiger ist unserer Sinne, Dich nicht durchströme? Meinst Du dann, Du wärst der Du bist, wenn es nicht Musik wäre in Dir? – Du solltest Dich vor dem Tod fürchten, da doch Musik ihn auflöst? Du solltest keine Religion haben, da doch Musik in Dich die Anbetung pflanzt?
Horch in Dich hinein, da wirst Du in Deiner Seele der Musik lauschen, die Liebe zu Gott ist: dies ewige Jauchzen und Wallen zur Ewigkeit, das allein Geist ist.
Ich könnte Dir Sachen sagen, die ich selbst fürchte auszusprechen, obschon eine innere Stimme mir sagt, sie sind wahr. Wenn Du mir bleibst, so werd' ich viel lernen; wenn Du mir nicht bleibst, so werde ich wie der Same unter der Erde ruhen, bis die Zeit kommt, daß ich in Dir wieder blühe.
Mein Kopf glüht, ich hab' mich während dem Schreiben herumgestritten mit Gedanken, deren ich nicht mächtig werden konnte. Die Wahrheit liegt in ihrer ganzen Unendlichkeit im Geist, aber sie im einfachsten Begriff zu fassen, das ist so schwer, ach, es kann ja nichts verloren gehen. Wahrheit nährt ewig den Geist, der alles Schöne als Früchte trägt, und da es schön ist, daß wir einander lieben, so wolle die Wahrheit nicht länger verleugnen.
Ich will Dir lieber noch ein bißchen von unserm Zigeunerleben erzählen, das wir hier am Rhein führen, den wir so bald verlassen werden, und wer weiß, ob ich ihn wiederseh'! – Hier, wo die Frühlingslüfte balsamisch uns umwehen, laß einsam uns ergehen; nichts trenne Dich von mir! – und auch nicht die Frau von Staël:
Unsre Haushaltung ist allerliebst eingerichtet; wir sind zu acht Frauen, kein männliches Wesen ist im Haus; da es nun sehr heiß ist, so machen wir's uns so bequem wie möglich, zum Beispiel sind wir sehr leicht gekleidet, ein Hemd und dann noch eins, griechisch drapiert. Die Türen der Schlafzimmer stehen nachts offen; – je nachdem eins Lust hat, schlägt es sein Nachtlager auf dem Vorgang oder an sonst einem kühlen Ort auf; im Garten unter den Platanen, auf der schönen, mit breiten Platten gedeckten Mauer liegend, dem Rhein gegenüber den Aufgang der Sonne zu erwarten, hab' ich schon ein paarmal zu meinem Pläsier Nächte zugebracht; ich bin eingeschlafen auf meinem schmalen Bett; ich hätte können hinunterfallen im Schlaf, besonders wenn ich träume, daß ich Dir entgegenspringe. Der Garten liegt hoch, und die Mauer nach jenseits geht tief hinab, da könnte ich leicht verunglücken; ich bitte Dich also, wenn Du meiner gedenkst im Traum, halte mir die schützenden Arme entgegen, – damit ich doch gleich hineinsinke; »denn alles ist doch nur ein Traum!« – Am Tage geht's bei uns in großer Finsternis her; alle Läden sind zu im ganzen Hause, alle Vorhänge vorgezogen; früher machte ich morgens weite Spaziergänge, aber das ist bei dieser Hitze nicht mehr möglich; die Sonne beizt die Weinberge, und die ganze Natur seufzt unter der Brutwärme. Ich gehe doch jeden Morgen zwischen vier und fünf Uhr heraus mit einem Schnikermesser und hole frische kühle Zweige, die ich im Zimmer aufpflanze. Vor acht Wochen hatte ich Birken und Pappeln, die glänzten wie Gold und Silber, und dazwischen dicke duftende Sträußer von Maiblumen. Wie ein Heiligtum ist der Saal, an den alle Schlafkabinette stoßen; da liegen sie noch in den Betten, wenn ich nach Hause komme und warten, bis ich fertig bin; dann haben die Linden und Kastanien hier abgeblüht, und himmelhohes Schilf, das sich oben an der Decke umbiegt, mit blühenden Winden umstrickt; und die Feldblumen sind reizend, die kleinen Grasdolden, die Schafgarbe, die Johannisblume, Wasserlilien, die ich mit einiger Gefahr fische, und das ewig schöne Vergißmeinnicht. Heute hab' ich Eichen aufgepflanzt; hohe Äste, die ich aus dem obersten Gipfel geholt. Ich kletterte wie eine Katze; die Blätter sind ganz purpurrot und in so zierlichen Sträußern gewachsen, als hätten sie sich tanzend in Gruppen verteilt.
Ich sollte mich scheuen, Dir von Blumen zu sprechen; Du hast mich schon einmal ein bißchen ausgelacht, und doch ist der Reiz gar zu groß; die vielen schlafenden Blüten, die nur im Tod erwachen, das träumende Geschlecht der Wicken, die Herrgottsschückelchen, Himmelsschlüssel mit ihrem sanften freundlichen Duft, sie ist die geringste aller Blumen. Wie ich kaum sechs Jahr' alt war, und die Milchfrau hatte versprochen, mir einen Strauß Himmelsschlüssel mitzubringen, da riß mich die Erwartung schon mit dem ersten Morgenstrahl aus dem Schlaf im Hemdchen ans Fenster; wie frisch waren die Blumen! Wie atmeten sie in meiner Hand! – Einmal brachte sie mir dunkle Nelken in einen Topf eingepflanzt; welcher Reichtum! – Wie war ich überrascht von der Großmut! – Diese Blumen in der Erde, – sie schienen mir ewig ans Leben gebunden, es waren mehr, als ich zählen konnte; immer fing ich von vorne an; ich wollte kein Knöspchen überspringen; wie dufteten sie! Wie war ich demütig vor dem Geist, den sie ausströmten! – Ich wußte ja noch wenig von Wald und Flur, und die erste Wiese im Abendschein eine unendliche Fläche fürs Kinderauge, mit goldnen Sternen übersäet; – ach, wie hat Natur aus Liebe es dem Geist Gottes nachahmen wollen. – Und wie liebt er sie! – Wie neigte er sich herab zu ihr, für diese Zärtlichkeit ihm entgegenzublühen! – Wie hab' ich gewühlt im Gras und hab' gesehen, wie eins neben dem andern sich hervordrängt. Manches hätte ich vielleicht übersehen bei der Fülle, aber sein schöner Name hat mich mit ihm vertraut gemacht, und wer sie genannt hat, der muß sie geliebt und verstanden haben. Das kleine Schäfertäschchen zum Beispiel – ich hätte es nicht bemerkt, aber wie ich seinen Namen hörte, da fand ich's unter vielen heraus, ich mußte ein solches Täschchen öffnen und fand es gefüllt mit Samenperlen. Ach, alle Form enthält Geist und Leben, um sich auf die Ewigkeit zu vererben. Tanzen die Blumen nicht? – Singen sie nicht? – Schreiben sie nicht Geist in die Luft? – Malen sie nicht sich selbst ihr Innerstes in ihrem Bild? – Alle Blumen hab' ich geliebt, eine jede in ihrer Art, wie ich sie nacheinander kennen lernte, und keiner bin ich untreu geworden, und wie ich ihre Muskelkraft entdeckte: das Löwenmäulchen, wie es mir zum erstenmal die Zunge aus seinem samtnen Rachen entgegenstreckte, als ich es zu kräftig anfaßte. – Ich will sie nicht alle nennen, mit denen ich so innig vertraut wurde, wie sie mir jetzt im Gedächtnis erwachen; nur eines einzigen gedenk' ich, eines Myrtenbaums, den eine junge Nonne dort pflegte. Sie hatte ihn Winter und Sommer in ihrer Zelle; sie richtete sich in allem nach ihm; sie gab ihm nachts wie tags die Luft, und nur so viel Wärme erhielt sie im Winter, als ihm nottat. Wie fühlte sie sich belohnt, da er mit Knospen bedeckt war! Sie zeigte mir sie, schon wie sie kaum angesetzt hatten; ich half ihn pflegen; alle Morgen füllte ich den Krug mit Wasser am Madlenenbrünnchen; die Knospen wuchsen und röteten sich, endlich brachen sie auf; am vierten Tag stand er in voller Blüte; eine weiße Zelle jede Blüte, mit tausend Strahlenpfeilen in ihrer Mitte, deren jeder auf seiner Spitze eine Perle darreicht. Er stand im offenen Fenster, die Bienen begrüßten ihn. – Jetzt erst weiß ich, daß dieser Baum der Liebe geweiht ist; damals wußt' ich's nicht; und jetzt verstehe ich ihn. – Sag': kann die Liebe süßer gepflegt werden, als dieser Baum? – Und kann eine zärtliche Pflege süßer belohnt werden, als durch eine so volle Blüte? – Ach, die liebe Nonne mit halb verblühten Rosen auf den Wangen in Weiß verhüllt und der schwarze Florschleier, der ihren raschen zierlichen Gang umschwebte; wie aus dem weiten Ärmel des schwarzen wollenen Gewands die schöne Hand hervorreichte, um die Blumen zu begießen! Einmal steckte sie ein kleines schwarzes Böhnchen in die Erde, sie schenkte mir's und sagte, ich solle es pflegen; ich werde ein schönes Wunder daran erleben. Bald keimte es und zeigte Blätter wie der Klee; es zog sich an einem Stöckchen in die Höh' wie die Wicke mit kleinen geringelten Haken; dann brachte es sparsame gelbe Blüten hervor, aus denen wuchs so groß wie eine Haselnuß ein grünes Eichen, das sich in Reifen bräunte. Die Nonne brach es ab und zog es am Stiel auseinander, in eine Kette von zierlich geordneten Stacheln, zwischen denen der Same von kleinen Bohnen gereift war. Sie flocht daraus eine Krone, setzte sie ihrem elfenbeinernen Christus am Kruzifix zu Füßen und sagte mir, man nennt diese Pflanze Corona Christi.
Wir glauben an Gott und an Christus, daß er Gott war, der sich ans Kreuz schlagen ließ; wir singen ihm Litaneien und schwenken ihm den Weihrauch; wir versprechen heilig zu werden und beten und empfinden's nicht. Wenn wir aber sehen, wie die Natur spielt und in diesem Spiel eine Sprache der Weisheit kindlich ausdrückt; wenn sie auf Blumenblätter Seufzer malt, ein O und Ach, wenn die kleinen Käfer das Kreuz auf ihren Flügeldecken gemalt haben und diese kleine Pflanze eben, so unscheinbar, eine mit Sorgfalt gehegte künstliche Dornenkrone trägt; wenn wir Raupen und Schmetterlinge mit dem Geheimnis der Dreifaltigkeit bezeichnet sehen, dann schaudert uns, und wir fühlen, die Gottheit selber nimmt ewigen Anteil an diesen Geheimnissen; dann glaub' ich immer, daß Religion alles erzeugt hat, ja, daß sie selber der sinnliche Trieb zum Leben in jedem Gewächs und jedem Tier ist. – Die Schönheit erkennen in allem Geschaffenen, und sich ihrer freuen, das ist Weisheit und fromm; wir beide waren fromm, ich und die Nonne; es werden wohl zehn Jahr' sein, daß ich im Kloster war. Voriges Jahr hab' ich's im Vorüberreisen wieder besucht. Meine Nonne war Priorin geworden, sie führte mich in ihren Garten, – sie mußte an einer Krücke gehen, sie war lahm geworden, – ihr Myrtenbaum stand in voller Blüte. Sie fragte mich, ob ich ihn noch kenne; er war sehr gewachsen; umher standen Feigenbäume mit reifen Früchten und große Nelken, sie brach ab, was blühte, und was reif war, und schenkte mir alles, nur der Myrte schonte sie; das wußte ich auch schon im voraus. Den Strauß befestigte ich im Reisewagen; ich war wieder einmal so glücklich, ich betete, wie ich im Kloster gebetet hatte; ja, selig sein macht beten!
Siehst Du, das war ein Umweg und etwas von meiner Weisheit; sie kann sich freilich der Weltweisheit, die zwischen Dir und Deiner amie Staël obwaltet, nicht begreiflich machen; – aber das kann ich Dir sagen: ich habe schon viele große Werke gesehen von zähem Inhalt in schweinsledernem Einband; ich habe Gelehrte brummen hören, und ich habe immer gedacht, eine einzige Blume müsse all' dies beschämen und ein einziger Maikäfer müsse durch einen Schneller, den er einem Philosophen an die Nase gibt, sein ganzes System umpurzeln.
Pax tecum! Wir wollen's einander verzeihen; ich, daß Du einen Herzens- und Geistesbund mit der Staël geschlossen hast, worüber, der Prophezeiung Deiner Mutter nach, ganz Deutschland und Frankreich die Augen aufreißen wird, denn es wird doch nichts draus: – und Du, daß ich so aberwitzig bin, alles besser wissen und mehr als alle Dir gelten zu wollen, denn das gefällt Dir. –
Heute geh' ich noch einmal auf den Rochusberg; ich will sehen, was die Bienen machen im Beichtstuhl, ich nehme allerlei Pflanzen mit, die in Scherben eingesetzt sind, und auch einen Rebstock; die grab' ich dort oben ein; die Rebe soll am Kreuz hinaufwachsen, in dessen Schutz ich eine so schöne Nacht verschlafen habe; am Beichtstuhl pflanz' ich Kaiserkronen und Jelängerjelieber, Deiner Mutter zu Ehren; – vielleicht, wenn mir's ums Herz ist, beicht' ich Dir da oben, da ich zum letztenmal dort sein werde; um doch den Ablaß des Primas in Wirkung zu setzen; aber ich glaube wohl, ich habe nichts Verborgenes mehr in mir; Du siehst in mich hinein, und außer dem ist nichts in mir zu finden.
Den gestrigen Tag wollen wir zum Schluß noch hierher malen, denn er war schön. Wir gingen mit einem irreführenden Wegweiser durch eine Talschlucht einen Fluß entlang, den man die Wisper nennt, wahrscheinlich wegen dem Rauschen des Wassers, das über laute platte Felssteine sich windet und in den Lücken schäumt und flüstert. Auf beiden Seiten gehen hohe Felsen her, auf denen zerfallene Burgen stehen, mit alten Eichen umwachsen. Das Tal wird endlich so enge, daß man genötigt ist, im Fluß zu gehen. Das kann man nicht besser tun, als barfuß und etwas hochgeschürzt von Stein zu Stein zu springen, bald hüben, bald drüben am Ufer sich forthelfen. Es wird immer enger und enger hoch über uns; die Felsen und Berge umklammern sich endlich; die Sonne kann nur noch die Hälfte der Berge beleuchten; die schwarzen Schlagschatten der übergebogenen Felsstücke durchschneiden ihre Strahlen; aus der Wisper, die kein ganz unbedeutender Fluß ist, – sie rauscht mit ziemlicher Gewalt, – stehen erhöhte Felsplatten wie harte, kalte Heiligenbetten hervor. Ich legte mich auf eins, um ein wenig auszuruhen; ich lag mit dem glühenden Gesicht auf dem feuchten Stein; das stürzende Wasser beregnete mich fein, die Sonnenstrahlen kamen sans rime et raison quer durch die Felsschichten, um mich und mein Bett zu vergolden; über mir war Finsternis; meinen Strohhut, den ich schon längst mit Naturmerkwürdigkeiten angefüllt hatte, ließ ich schwimmen, um die Wurzeln der Pflanzen zu tränken; – wie wir weiterkamen, drängten die Berge sich nesterweise aneinander, die nur dann und wann von schroffen Felsen geschieden wurden. Ich wär' gar zu gern hinaufgeklettert, um zu sehen, wo man war; es war zu schroff, die Zeit erlaubte es nicht, dem gescheiten Wegweiser waren alle Sorgen auf dem Gesichte gemalt; er versicherte jedoch, daß er keine im Herzen hege; es wurde kühl in unserer engen Schlucht; so kühl war mir's auch innerlich; wir trippelten immer vorwärts.
Das Ziel unserer Reise war ein Sauerbrunnen hinter Weißenthurn, der in einer wüsten Wildnis liegt. Wir hatten alle Umwege der Wisper gemacht; der kluge Wegweiser dachte, wenn wir uns von der nicht entfernten, müßten wir endlich das Ziel erreichen, da die Wisper an dem Brunnen vorüberführt, und so hatte er uns auf einen Weg geführt, der wohl selten von Menschen betreten wird. Da wir dort ankamen, erleichterte er seine Brust durch ein Heer von Seufzern. Ich glaub', der fürchtete sich nicht allein vor dem Teufel, sondern vor Gott und allen Heiligen, daß sie ihn würden zur Rechenschaft ziehen, weil er uns ins Verderben gestürzt habe; – kaum waren wir angekommen, so schlug die Kuckucksuhr in der einsamen Hütte bei dem Brunnen und mahnte an den Rückweg. Es war acht Uhr! Zu essen war nichts, auch kein Brot, nur Salat mit Salz ohne Essig und Öl. Eine Frau mit zwei Kindern wohnte da; ich frug, von was sie lebe; sie deutete mir in die Ferne auf den Backofen, der zwischen vier majestätischen Eichen auf einem freien Platz in voller Glut stand. Ihr kleines Söhnchen schleppte eben ein Reiserbündel hinter sich heran; sein Hemdchen hatte noch Ärmel, die Hinterwand und den Knopf vom Kragenbund, mit dem es befestigt war; vorne war es weggerissen; seine Schwesterpsyche wiegte sich quer über einen Block auf einem langen Backschieber, auf dem als Gegengewicht die zu backenden Brote lagen; ihr Gewand bestand auch aus einem Hemd und aus einer Schürze, die sie um den Kopf befestigt hatte, um die Haare vor dem Verbrennen zu bewahren, wenn sie in den Ofen guckte und die Reiser anlegte. Wir gaben der Frau ein Geldstück; sie frug, wieviel es wär; da sahen wir, daß es nicht in unserer Macht war, sie zu beschenken, denn sie war zufrieden und wußte nicht, daß man mehr brauchen könne, als man bedürfe.
Ich marschierte also wieder links um, ohne auszuruhen, und kam nachts um ein Uhr zu Hause an; in allem war ich zwölf Stunden unterwegs gewesen und durchaus nicht ermüdet. Ich stieg in ein Bad, das mir bereitet war, und setzte eine Flasche Rotwein an und ließ es so lange herunterglucken, bis ich den Boden sah. Die Zofe schrie und dachte, es könne mir schaden im heißen Bad, allein ich ließ mir nicht wehren; sie mußte mich ins Bett tragen; ich schlief sanft, bis ich am Morgen durch ein wohlbekanntes Krähen und Nachahmen eines ganzen Hühnerhofs vor meiner Tür geweckt wurde.
Du schreibst: meine Briefe versetzen Dich in eine bekannte Gegend, in der Du Dich heimatlich fühlst; versetzen sie Dich denn auch zu mir? Siehst Du mich in Gedanken, wie ich mit langem Hakenstock auf die Berge klettere, und siehst Du in mein Herz, wo Du Dich von Angesicht zu Angesicht erblicken kannst? Diese Gegend möcht' ich Dir doch am alleranschaulichsten machen!
Noch acht Wochen werd' ich wohl in allerlei Gegenden herumstreifen, im Oktober mit Savigny erst auf ein paar Monate nach München und dann nach Landshut gehen, wenn es der Himmel nicht anders fügt. –
Ich bitte Dich, wenn Du Dich meiner mit der Feder erbarmen solltest, um zu »strafen oder zu lohnen«, so adressiere gleich nach Schlangenbad über Wiesbaden; ich werde drei Wochen dort bleiben. Schickst Du den Brief an die Mutter, so wartet sie auf eine Gelegenheit; und ich will lieber einen Brief ohne Datum, als daß ich am Datum erkennen muß, daß er mir vierzehn Tage vorenthalten ist.
Der Mutter schreib' ich alles, was unglaublich ist; obschon sie weiß, was sie davon zu halten hat, so hat es doch ihren Beifall und fordert mich auf, ihr immer noch mehr dergleichen mitzuteilen; sie nennt dies »meiner Phantasie Luft machen«.
Bettine.