Bettine von Arnim
Goethes Briefwechsel mit einem Kinde
Bettine von Arnim

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Rochusberg.

Ich kann oft vor Lust, daß jetzt die selige, einsame Stunde dazu ist, nicht zum Schreiben kommen. Hier oben, im goldnen Sommer an die goldne Zukunft denken, – denn das ist meine Zukunft: Dich wiedersehen; schon von dem Augenblick an, wo Du mir die Hand zum Abschied reichst und zu verstehen gibst, es sei genug der Zärtlichkeit, – da wende ich in Gedanken schon wieder um zu Dir. Darum lache ich auch mit dem einen Auge, während ich mit dem andern weine.

Wie selig, also Dich zu denken, wie geschwätzig wird meine Seele in jedem kleinen Ereignis, aus dem sie hofft, den Schatz zu heben.

Mein erster Gang war hier herauf, wo ich Dir den letzten Brief schrieb, ehe wir reisten. Ich wollte sehen, ob mein Tintenfaß noch da sei und meine kleine Mappe mit Papier. Alles noch an Ort und Stelle, ach Goethe, ich habe Deine Brief so lieb, ich habe sie eingehüllt in ein seidnes Tuch mit bunten Blumen und goldnem Zierrat gestickt. Am letzten Tag vor unserer Rheinreise, da wußte ich nicht wohin mit, mitnehmen wollte ich sie nicht, da wir allesamt nur einen Mantelsack hatten; in meinem Zimmerchen, das ich nicht verschließen konnte, weil es gebraucht wurde, mochte ich sie auch nicht lassen, ich dachte, der Nachen könnte versinken und ich versaufen, und dann würden diese Briefe, deren einer um den andern an meinem Herzen gelegen hat, in fremde Hand kommen. Erst wollte ich sie den Nonnen in Vollratz aufzuheben geben; – es sind Bernhardinerinnen, die, aus dem Kloster vertrieben, jetzt dort wohnen, – nachher hab' ich's anders überlegt. Das letztemal habe ich hier auf dem Berg einen Ort gefunden; unter dem Beichtstuhl der Rochuskapelle, der noch steht, in dem ich auch immer meine Schreibereien verwahre, hab' ich eine kleine Höhle gegraben und hab' sie inwendig mit Muscheln vom Rhein und wunderschönen kleinen Kieselsteinchen ausgemauert, die ich auf dem Berge fand; da hab' ich sie in ihrer seidnen Umhüllung hineingelegt und eine Distel vor die Stelle gepflanzt, deren Wurzel ich sorgfältig mitsamt der Erde ausgestochen. Unterwegs war mir oft bange; welcher Schlag hätte mich getroffen, hätte ich sie nicht wiedergefunden, mir steht das Herz still; – sieben Tage war schlecht Wetter nach unserer Heimkehr; es war nicht möglich, hinüberzukommen; der Rhein ist um drei Fuß gestiegen und ganz verödet von Nachen; ach, wie hab' ich's verwünscht, daß ich sie da oben hingebracht hatte; keinem mocht' ich's sagen, aber die Ungeduld hinüberzukommen! Ich hatte Fieber aus Angst um meine Briefe, ich konnte mir ja erwarten, der Regen würde irgendwo durchgedrungen sein und sie verderben; ach, sie haben auch ein bißchen Wassernot gelitten, aber nur ganz wenig, ich war so froh, wie ich von weitem die Distel blühen sah, da hab' ich sie denn ausgegraben und in die Sonne gelegt; sie sind gleich trocken, und ich nehm' sie mit. Die Distel hab' ich zum ewigen Andenken wieder festgepflanzt. – Nun muß ich Dir auch erzählen, was ich hier oben für eine neue Einrichtung gefunden, nämlich oben im Beichtstuhl ein Brett befestigt und darauf einen kleinen viereckigen Bienenkorb. Die Bienen waren ganz matt und saßen auf dem Brettchen und an dem Korb. Nun muß ich Dir aus dem Kloster erzählen. Da war eine Nonne, die hieß man Mere celatrice, die hatte mich an sich gewöhnt, daß ich ihr alle Geschäfte besorgen half. Hatten wir den Wein im Keller gepflegt, so sahen wir nach den Bienen; denn sie war Bienenmutter, und das war ein ganz bedeutendes Amt. Im Winter wurden sie von ihr gefüttert, die Bienen saugten aus ihrer Hand süßes Bier. Im Sommer hingen sie sich an ihren Schleier, wenn sie im Garten ging, und sie behauptete, von ihnen gekannt und geliebt zu sein. Damals hatte ich große Neigung zu diesen Tierchen. Die Mere celatrice sagte, vor allem müsse man die Furcht überwinden, und wenn eine stechen wolle, so müsse man nicht zucken, dann würden sie nie stark stechen. Das hat mich große Überwindung gekostet, nachdem ich den festen Vorsatz gefaßt hatte, mitten unter den schwärmenden Bienen ruhig zu sein, befiel mich die Furcht, ich lief, und der ganze Schwarm mir nach. Endlich hab' ich's doch gelernt, es hat mir tausend Freude gemacht, oft hab' ich ihnen einen Besuch gemacht und einen duftenden Strauß hingehalten, auf den sie sich setzten. Den kleinen Bienengarten hab' ich gepflegt, und die gewürzigen dunklen Nelken besonders hab' ich hineingepflanzt. Die alte Nonne tat mir auch den Gefallen, zu behaupten, daß man alle Blumen, die ich gepflanzt hatte, aus dem Honig herausschmecke. So lehrte sie mich auch, daß, wenn die Bienen erstarrt waren, sie wieder beleben. Sie rieb sich die Hand mit Nesseln und mit einem duftenden Kräutchen, welches man Katzenstieg nennt, machte den großen Schieber des Bienenhauses auf und steckte die Hand hinein. Da setzten sie sich alle auf die Hand und wärmten sich, das hab' ich oft auch mitgemacht; da steckte die kleine Hand und die große Hand im Bienenkorb. Jetzt wollt' ich's auch probieren, aber ich hatte nicht mehr das Herz; siehst Du, so verliert man seine Unschuld und die hohen Gaben, die man durch sie hat.

Bald hab' ich auch den Eigentümer des Korbes kennen lernen; indem ich am mitten Berg lag, um im Schatten ein wenig zu faulenzen, hört' ich ein Getrappel im Traumschlummer, das war die Binger Schafherde nebst Hund und Schäfer; er sah auch gleich nach seinem Bienenkorb; er sagte mir, daß er noch eine Weile hier weide, da hab' ihm der volle blühende Thymian und das warme, sonnige Plätzchen so wohl gefallen, daß er den Schwarm junger Bienen hier herauf gepflanzt habe, damit sie sich recht wohl befinden, und wenn sie sich dann mehren sollten und den ganzen gegitterten Beichtstuhl einnehmen, wenn er übers Jahr wiederkäme, so solle es ihm recht lieb sein.

Der Schäfer ist ein alter Mann; er hat einen langen grauen Schnurrbart, er war Soldat und erzählte mir allerlei von den Kriegsszenen und von der früheren Zeit; dabei pfiff er seinen Hund, der ihm die Herde regierte. Von verschiedenen Berggeistern erzählte er auch, das glaube er alles nicht, aber auf der Ingelheimer Höhe, wo noch Ruinen von dem großen Kaisersaal stehen, da sei es nicht geheuer; er habe selbst auf der Heide im Mondschein einen Mann begegnet, ganz in Stahl gekleidet, dem sei ein Löwe gefolgt; und da der Löwe Menschen gewittert, so habe er fürchterlich geheult; da habe der Ritter sich umgekehrt, mit dem Finger gedroht und gerufen: »Bis stille, frevelicher Hund!« – da sei der Löwe verstummt und habe dem Mann die Füße geleckt. Der Schäfer erzählte mir dies mit besonderen Schauer, und ich schauderte zum Pläsier ein klein bißchen mit; ich sagte: »Ich glaube wohl, daß ein frommer Schäfer sich vor dem Hüter eines Löwen fürchten muß.« »Was?«sagte er, »ich war damals kein Schäfer, sondern Soldat und auch gar nicht besonders fromm; ich freite um ein Schätzchen und war herübergegangen nach Ingelheim um Mitternacht, um Tür und Riegel zu zwingen; aber in der Nacht ging ich nicht weiter; ich kehrte um.« – »Nun«, fragt' ich, »Euer Schätzchen, das hat wohl umsonst auf Euch gewartet?« – »Ja«, sagte er, »wo Geister sich einmischen, da muß der Mensch dahinten bleiben.« – Ich meinte, wenn man liebe, brauche man sich vor Geistern nicht zu fürchten und könne sich grade dann für ihresgleichen achten; denn die Nacht ist zwar keines Menschen Freund, aber des Liebenden Freund ist sie.

Ich fragte den Schäfer, wie er sich bei seinem einsamen Geschäft die Zeit vertreibe in den langen Tagen; – er ging den Berg hinauf, die ganze Herde hinter ihm drein, über mich hinaus, er kam wieder, die Herde nahm wieder keinen Umweg; er zeigte mir eine schöne Schalmei, – so nannte er ein Hautbois mit silbernen Klappen und Elfenbein zierlich eingelegt; er sagte: »Die hat mir ein Franzose geschenkt, darauf kann ich blasen, daß man es eine Stunde weit hört; wenn ich hier auf der Höhe weide und seh' ein Schiffchen mit lustigen Leuten drüben, da blas' ich; in der Ferne nimmt sich die Schalmeie wunderschön aus, besonders wenn das Wasser so still und sonnig ist wie heute; das Blasen ist mir lieber wie Essen und Trinken.« Er setzte an und wendete sich nach dem Tal, um das Echo hören zu lassen; nun blies er das Lied des weissagenden Tempelknaben aus Axur von Ormus mit Variationen eigner Eingebung; die feierliche Stille, die aus diesen Tönen hervorbricht und sich mitten im leeren Raum ausdehnt, beweist wohl, daß die Geister auch in der sinnlichen Welt einen Platz einnehmen; zum wenigsten ward alles anders: Luft und Gebirge, Wald und Ferne, und der ziehende Strom mit den gleitenden Nachen waren von der Melodie beherrscht und atmeten ihren weissagenden Geist; – die Herde hatte sich zum Ruhen gelagert; der Hund lag zu des Schäfers Füßen, der von mir entfernt auf der Höhe stand und die Begeistrung eines Virtuosen empfand, der sich selbst überbietet, weil er fühlt, er werde ganz genossen und verstanden. Er ließ das Echo eine sehr feine Rolle darin spielen; hier und da ließ er es in eine Lücke einschmelzen, dann wiederholte er die letzte Figur, zärtlicher, eindringender; – das Echo wieder! – Er ward noch feuriger und schmachtender; und so lehrte er dem Widerhall, wie hoch er's treiben könne, und dann endigte er in einer brillanten Fermate, die alle Täler und Schluchten des Donnersbergs und Hunsrücks widerhallen machte. Er zog blasend mit der Herde um den Berg. – Ich packte meine Schreibereien auf, da die Einsamkeit doch hier oben aufgehoben ist, und schlenderte noch eine Weile bei gewaltigem Abendrot, mit dem Schäfer in weisen Reden begriffen, hinter der weißen Herde drein; er entließ mich mit dem Kompliment, ich sei gescheuter als alle Menschen, die er kenne; dies war mir was ganz Neues, denn bisher hab' ich von gescheuten Leuten gehört, ich sei gänzlich unklug; ich kann aber doch dem Schäfer nicht unrecht geben; ich bin auch gescheut und habe scharfe Sinne.

Bettine.

*

Winkel, 7. August.

Gestern hab' ich meinen Brief zugemacht und abgeschickt; aber noch nicht geschlossen. – Wüßtest Du, was mich bei diesen einfachen Erzählungen oft für Unruhe und Schmerzen befallen! – Es scheint Dir alles nur so hingeschrieben, wie erlebt, ja! – Aber so manches seh' ich und denke es und kann es doch nicht aussprechen; und ein Gedanke durchkreuzt den andern, und einer nimmt vor dem andern die Flucht, und dann ist es wieder so öde im Geist wie in der ganzen Welt. Der Schäfer meinte, Musik schütze vor bösen Gedanken und vor Langerweile; da hat er recht, denn die Melancholie der Langenweile entsteht doch nur, weil wir uns nach der Zukunft sehnen. In der Musik ahnen wir diese Zukunft, da sie doch nur Geist sein kann und nichts anderes, und ohne Geist gibt es keine Zukunft; wer nicht im Geist aufblüht, wie wollte der leben und Atem holen? – Aber ich habe mir zu Gewaltiges vorgenommen, Dir von Musik zu sagen; denn weil ich weiß, daß ihre Wahrheit doch nicht mit irdischer Zunge auszusprechen ist. So vieles halte ich zurück, aus Furcht, Du möchtest es nicht genehmigen, oder eigentlich, weil ich glaube, daß Vorurteile Dich blenden, die Gott weiß von welchem Philister in Dich geprägt sind. Ich habe keine Macht über Dich, Du glaubst Dich an gelehrte Leute wenden zu müssen; und was die Dir sagen können, das ist doch nur dem höheren Bedürfnis im Wege; o Goethe, ich fürchte mich vor Dir und dem Papier, ich fürchte mich aufzuschreiben, was ich für Dich denke.

Ja, das hat der Christian Schlosser gesagt: Du verstündest keine Musik, Du fürchtest Dich vor dem Tod, und habest keine Religion, was soll ich dazu sagen? – Ich bin so dumm wie stumm, wenn ich so empfindlich gekränkt werde. Ach Goethe, wenn man kein Obdach hätte, das vor schlechtem Wetter schützt, so könnte einem der kalte lieblose Wind schon was anhaben, aber so weiß ich Dich in Dir selber geborgen; die drei Rätsel aber sind mir eine Aufgabe. Ich möchte Dir nach allen Seiten hin Musik erklären, und fühl' doch selbst, daß sie übersinnlich ist und von mir unverstanden; dennoch kann ich nicht weichen von diesem Unauflösbaren und bete zu ihm: nicht, daß ich es begreifen möge; nein, das Unbegreifliche ist immer Gott, und es gibt keine Zwischenwelt, in der noch andere Geheimnisse begründet wären. Da Musik unbegreiflich ist, so ist sie gewiß Gott; dies muß ich sagen, und Du wirst mit Deinem Begriff von der Terz und der Quint mich auslachen! Nein, Du bist zu gut, Du lachst nicht; und dann bist Du auch zu weise; Du wirst wohl gerne Deine Studien und errungenen Begriffe aufgeben gegen ein solches, alles heiligende Geheimnis des göttlichen Geistes in der Musik. Was lohnte denn auch die Mühe der Forschung, wenn es nicht dies wäre! Nach was können wir forschen, was bewegt uns, als nur das Göttliche! – und was können Dir andere, die Wohlstudierten, Besseres und Höheres darüber sagen; – und wenn einer dagegen was aufbringen wollte, – müßte er sich nicht schämen? Wenn einer sagen wollte: Musik sei nur da, daß der Menschengeist sich darin ausbilde? – Nun ja! wir sollen uns in Gott bilden. Wenn einer sagt, sie sei nur Vermittlung zum Göttlichen, sie sei nicht Gott selbst! Nein, ihr falschen Kehlen, euer eitler Gesang ist nicht göttlich durchdrungen. Ach, die Gottheit selbst lehrt uns den Buchstaben begreifen, damit wir gleich ihr aus eignem Vermögen im Reich der Gottheit regieren lernen. Alles Lernen in der Kunst ist nur dazu, daß wir den Grund der Selbständigkeit in uns legen, und daß es unser Errungenes bleibe. Einer sagte von Christus, daß er nichts von Musik gewußt habe; dagegen konnte ich nichts sagen; einmal weiß ich seinen Lebenslauf nicht genau, und dann, was mir dabei einfiel, kann ich nur Dir sagen, obschon ich nicht weiß, was Du dazu sagen wirst. Christus sagt: »Auch euer Leib soll verklärt werden!« Ist nun Musik nicht die Verklärung der sinnlichen Natur? – Berührt Musik nicht unsere Sinne, daß sie sich eingeschmolzen fühlen in die Harmonie der Töne, wie Du mit Terz und Quint berechnen willst? – Lerne nur verstehen, – Du wirst um so mehr Dich wundern über das Unbegreifliche. Die Sinne fließen in den Strom der Begeisterung, und das erhöht sie. Alles, was den Menschen geistigerweise anspricht, geht hier in die Sinne über; drum fühlt er sich auch durch sie zu allem bewegt. Liebe und Freundschaft, kriegerischer Mut und Sehnsucht nach der Gottheit – alles wallt im Blut; das Blut ist geheiligt; es entzündet den Leib, daß er mit dem Geist zusammen dasselbe wolle. Das ist die Wirkung der Musik auf die Sinne; das ist die Verklärung des Leibes; die Sinne von Christus waren eingeschmolzen in den göttlichen Geist, sie wollten mit ihm dasselbe; er sagte: »Was ihr berührt mit dem Geist wie mit den Sinnen, das sei göttlich, denn dann wird euer Leib auch Geist.« Siehst Du, das hab' ich ungefähr empfunden und gedacht, da man sagte, Christus habe nichts von Musik gewußt.

Verzeihe mir, daß ich so mit Dir spreche, gleichsam ohne Basis, denn mir schwindelt, und ich deute kaum an, was ich sagen möchte, und vergesse alles so leicht wieder; aber wenn ich in Dich das Zutrauen nicht haben sollte, Dir zu bekennen, was sich in mir aufdringt, wem sollte ich's sonst mitteilen! –

Diesen Winter hatte ich eine Spinne in meinem Zimmer; wenn ich auf der Gitarre spielte, kam sie eilig herab in ein Netz, was sie tiefer ausgespannt hatte. Ich stellte mich vor sie und fuhr über die Saiten; man sah deutlich, wie es durch ihre Gliederchen dröhnte, wenn ich Akkord wechselte, so wechselten ihre Bewegungen, sie waren unwillkürlich; bei jedem verschiedenen Harpege wechselte der Rhythmus in ihren Bewegungen; es ist nicht anders – dies kleine Wesen war freudedurchdrungen oder geistdurchdrungen, solang' mein Spielen währte; wenn's still war, zog sie sich wieder zurück. Noch ein kleiner Geselle war eine Maus, der aber mehr der Vokalmusik geneigt war; sie erschien meistens, wenn ich die Tonleiter sang; je stärker ich den Ton anschwellen ließ, je näher kam sie; in der Mitte der Stube blieb sie sitzen; mein Meister hatte große Freude an dem Tierchen; wir nahmen uns sehr in acht, sie nicht zu stören. Wenn ich Lieder und abwechselnde Melodien sang, so schien sie sich zu fürchten; sie hielt dann nicht aus und lief eilends weg. Also die Tonleiter schien diesem kleinen Geschöpfchen angemessen, die durchgriff sie, und wer kann zweifeln: bereitete ein Höheres in ihr vor; diese Töne, so rein wie möglich getragen, in sich schön, die berührten diese Organe. Dieses Aufschwellen und wieder Sinken bis zum Schweigen nahm das Tierchen in ein Element auf. Ach Goethe, was soll ich sagen? – es rührt mich alles so sehr, ich bin heute so empfindlich, ich möchte weinen; wer im Tempel wohnen kann auf reinen, heiteren Höhen, sollte der verlangen hinaus in eine Spitzbubenherberge? – Diese beiden kleinen Tierchen haben sich der Musik hingegeben; es war ihr Tempel, in dem sie ihre Existenz erhöht, vom Göttlichen berührt fühlten, und Du, der sich bewegt fühlt durch das ewige Wallen des Göttlichen in Dir, Du habest keine Religion? Du, dessen Worte, dessen Gedanken immer an die Muse gerichtet sind, Du lebtest nicht in dem Element der Erhöhung, der Vermittelung mit Gott. –

Ach ja: das Erheben aus dem bewußtlosen Leben in die Offenbarung, das ist Musik. Gute Nacht.

*

Karlsbad, den 28. Juli 1808.

Ist es wahr, was die verliebten Poeten sagen, daß keine süßere Freude sei als das Geliebte zu schmücken, so hast Du das größte Verdienst um mich. Da ist mir durch die Mutter eine Schachtel voll der schönsten Liebesäpfel zugekommen, an goldnen Ketten zierlich aufgereiht; schier wären sie in meinem Kreise zu Zankäpfeln geworden. Ich sehe unter diesem Geschenk und der Anweisung dabei eine Spiegelfechterei verborgen, die ich nicht umhin kann zu rügen, denn da Du listig genug bist, mich mitten im heißen Sommer aufs Eis zu führen, so möchte ich Dir auch meinen Witz zeigen, wie ich auch unvorbereitet und unverhofft mit Geschicklichkeit diese Winterfreuden zu bestehen wage; ich werde Dir nicht sagen, daß ich keinen lieber schmücken möchte wie Dich, denn schmucklos hast Du mich überrascht, und schmucklos wirst Du mich ewig ergötzen. Ich hing die Perlenreihe chinesischer Früchte zwischen den geöffneten Fensterflügeln auf, und da eben die Sonne drauf schien, so hatte ich Gelegenheit, ihre Wirkung an diesen balsamartigen Gewächsen zu beachten. Das brennende Rot verwandelte sich da, wo die Strahlen auflagen, bald in dunklen Purpur, in Grün und entschiedenes Blau; alles von dem echten Gold des Lichtes erhöht; kein anmutigeres Spiel der Farben habe ich lange beobachtet, und wer weiß, zu welchen Umwegen mich das alles verführen wird; zum wenigsten würde der Schwanenhals, von dem die Dir gehorsamen Schreibefinger der Mutter mir melden, schwerlich mich zu so entschiedenen Betrachtungen und Reflexionen veranlaßt haben; und so hab' ich es denn Deinem Willen ganz angemessen gefunden, mich so dran zu erfreuen und zu belehren, und ich hüte vielmehr meinen Schatz vor jedem lüsternen Auge, als daß ich ihn der Wahl preisgeben sollte. Deiner gedenk' ich dabei und aller Honigfrüchte der Sonnenlande, und ausgießen möcht' ich Dir gerne die gesamten Schätze des Orients, wenn es auch wäre, um zu sehen, wie Du ihrer nicht achtest, weil Du Dein Glück in anderem begründet fühlst.

Dein freundlicher Brief, Deine reichen Blätter haben mich hier bei einer Zeit aufgesucht, wo ich Dich gerne selbst auf- und angenommen hätte. Es war eine Zeit der Ungeduld in mir; schon seit mehreren Posttagen sah ich allemal den freundlichen Postknaben, der noch in den Schelmenjahren ist, mit spitzen Fingern Deine wohlbeleibten Pakete in die Höhe halten. Da schickte ich denn eilig hinunter, sie zu holen, und fand meine Erwartung nicht betrogen; ich hatte Nahrung von einem Posttag zum andern; nun war sie aber zweimal vergeblich erwartet und ausgeblieben. Rechne mir's nicht zu hoch an, daß ich ungeduldig wurde; Gewohnheit ist ein gar zu süßes Ding. – Die liebe Mutter hatte aus einer übrigens sehr löblichen Ökonomie Deine Briefe gesammelt und sie der kleinen Schachtel beigepackt, und nun umströmt mich alles – eine andere Gegend, ein anderer Himmel, Berge, über die auch ich gewandert bin; Täler, in denen auch ich die schönsten Tage verlebt und trefflichen Wein getrunken habe; und der Rhein, den auch ich hinuntergeschwommen bin, in einem kleinen, lecken Kahn. Ich habe also ein doppeltes Recht an Dein Andenken; einmal war ich ja dort, und einmal bin ich bei Dir und vernehme mit beglückendem Erstaunen die Lehren Deiner Weisheit wie auch die so lieblichen Ereignisse, denn in allen bist Du es, die sie durch ihre Gegenwart verherrlicht.

Hier noch eine wohlgemeinte Bemerkung, mit Dank für das Eingesendete, die Du demjenigen den es angeht, gelegentlich mitteilen mögest: ob ich gleich den Nifelheimischen Himmel nicht liebe, unter welchem sich der ..... gefällt; so weiß ich doch recht gut, daß gewisse Klimaten und Atmosphären nötig sind, damit diese und jene Pflanze, die wir doch auch hier entbehren mögen, zum Vorschein komme. So heilen wir uns durch Renntiermoos, das an Orten wächst, wo wir nicht wohnen möchten, und, um ein ehrsameres Gleichnis zu brauchen, so sind die Nebel von England nötig, um den schönen grünen Rasen hervorzubringen.

So haben auch mir gewisse Aufschößlinge dieser Flora recht wohl behagt. Wäre es dem Redakteur jederzeit möglich, dergestalt auszuwählen, daß die Tiefe niemals hohl und die Fläche niemals platt würde, so ließe sich gegen ein Unternehmen nichts sagen, dem man in mehr als einem Sinne Glück zu wünschen hat. Grüße mir den Freund zum schönsten und entschuldige mich, daß ich nicht selbst schreibe.

Wie lang wirst Du noch im Rheinlande verweilen? – Was wirst Du zu der Zeit der Weinlese vornehmen? Mich finden Deine Blätter wohl noch einige Monate hier, zwischen den alten Felsen, neben den heißen Quellen, die mir auch diesmal sehr wohltätig sind: ich hoffe, Du wirst mich nicht vergeblich warten lassen, denn meine Ungeduld zu beschwichtigen, alles zu erfahren, was in Deinem Köpfchen vorgeht, dafür sind diese Quellen nicht geeignet.

Meinem August geht es bis jetzt in Heidelberg ganz wohl. Meine Frau besucht in Lauchstädt Theater und Tanzsaal. Schon haben mich manche entfernte Freunde hier brieflich besucht; mit andern bin ich ganz unvermutet persönlich zusammengekommen.

Ich habe so lange gezaudert, daher will ich dies Blatt gleich fortschicken und schlage es an meine Mutter ein. Sage Dir alles selbst, wozu mir der Platz hier nicht gegönnt ist, und lasse mich gleich von Dir hören.

G.


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