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An Bettine.
3. August 1808.
Ich muß ganz darauf verzichten, Dir zu antworten, liebe Bettine; Du läßt ein ganzes Bilderbuch herrlicher, allerliebster Vorstellungen zierlich durch die Finger laufen; man erkennt im Flug die Schätze, und man weiß, was man hat, noch eh' man sich des Inhalts bemächtigen kann. Die besten Stunden benütze ich dazu, um näher mit ihnen vertraut zu werden, und ermutige mich, die elektrischen Schläge Deiner Begeistrungen auszuhalten. In diesem Augenblick hab' ich kaum die erste Hälfte Deines Briefs gelesen und bin zu bewegt, um fortzufahren. Habe einstweilen Dank für alles; verkünde ungestört und unbekümmert Deine Evangelien und Glaubensartikel von den Höhen des Rheins, und laß Deine Psalmen herabströmen zu mir und den Fischen; wundre Dich aber nicht, daß ich wie diese verstumme. Um eines bitte ich Dich: höre nicht auf mir gern zu schreiben; ich werde nie aufhören, Dich mit Lust zu lesen.
Was Dir Schlosser über mich mitgeteilt hat, verleitet Dich zu sehr interessanten Exkursionen aus dem Naturleben in das Gebiet der Kunst. Daß Musik mir ein noch rätselhafter Gegenstand schwieriger Untersuchung ist, leugne ich nicht; ob ich mir den harten Ausspruch des Missionärs, wie Du ihn nennst, muß gefallen lassen, das wird sich erst dann erweisen, wenn die Liebe zu ihr, die jetzt mich zu wahrhaft abstrakten Studien bewegt, nicht mehr beharrt. Du hast zwar flammende Fackeln und Feuerhecken ausgestellt in der Finsternis, aber bis jetzt blenden sie mehr, als sie erleuchten, indessen erwarte ich doch von der ganzen Illumination einen herrlichen Totaleffekt, so bleibe nur dabei und sprühe nach allen Seiten hin.
Da ich nun heute bis zum Amen Deiner reichen inhaltsvollen Blätter gekommen bin, so möchte ich Dir schließlich nur mit einem Wort den Genuß ausdrücken, der mir daraus erwächst, und Dich bitten, daß Du mir ja das Thema über Musik nicht fallen läßt, sondern vielmehr nach allen Seiten hin und auf alle Weise variierst. Und so sage ich Dir ein herzliches Lebewohl; bleibe mir gut, bis günstige Sterne uns zueinander führen.
G.
An Goethe.
Rochusberg.
Fünf Tage waren wir unterwegs, und seitdem hat es unaufhörlich geregnet. Das ganze Haus voll Gäste, kein Eckchen, wo man sich der Einsamkeit hätte freuen können, um Dir zu schreiben.
Solang' ich Dir noch zu sagen habe, so lang' glaub' ich auch fest, daß Dein Geist auf mich gerichtet ist wie auf so manche Rätsel der Natur; wie ich denn glaube, daß jeder Mensch ein solches Rätsel ist, und daß es die Aufgabe der Liebe ist zwischen Freunden, das Rätsel aufzulösen; so daß ein jeder seine tiefere Natur durch und in dem Freund kennenlerne. Ja, Liebster, das macht mich glücklich, daß sich allmählich mein Leben durch Dich entwickelt, drum möcht' ich auch nicht falsch sein, lieber möcht' ich's dulden, daß alle Fehler und Schwächen von Dir gewußt wären, als Dir einen falschen Begriff von mir geben; weil dann Deine Liebe nicht mit mir beschäftigt sein würde, sondern mit einem Wahnbild, was ich Dir statt meiner untergeschoben hätte. – Darum mahnt mich auch oft ein Gefühl, daß ich dies oder jenes Dir zulieb' meiden soll, weil ich es doch vor Dir leugnen würde.
Lieber Goethe, ich muß Dir die tiefsten Sachen sagen; sie kommen eigentlich allen Menschen zu, aber nur Du hörst mich an und glaubst an mich und gibst mir in der Stille recht. Ich habe oft darüber nachgedacht, daß der Geist nicht kann, was er will, daß eine geheime Sehnsucht in ihm verborgen liegt, und daß er die nicht befriedigen kann; zum Beispiel, daß ich eine große Sehnsucht habe bei Dir zu sein, und daß ich doch nicht, wenn ich auch noch so sehr an Dich denke, Dir dies fühlbar machen kann; ich glaube, es kommt daher, weil der Geist wirklich nicht im Reich der Wahrheit lebt und er also sein eigentliches Leben noch nicht wahrmachen kann, bis er ganz aus der Lüge heraus in das Reich der Offenbarung übergegangen ist; denn die Wahrheit ist ja nur Offenbarung, und dann wird sich ein Geist auch dem andern zu offenbaren vermögen. Ich möchte Dir noch anderes sagen, aber es ist schwer, mich befällt Unruh', und ich weiß nicht wohin ich mich wenden soll; ja, im ersten Augenblick ist alles reich, aber will ich's mit dem Wort anfassen, da ist alles verschwunden, so wie im Märchen, wo man einen kostbaren Schatz findet, in dem man alle Kleinode deutlich erkennt, will man ihn berühren, so versinkt er, und das beweist mir auch, daß der Geist hier auf Erden das Schöne nur träumt und noch nicht seiner Meister ist, denn sonst könnte er fliegen, so gut wie er denkt, daß er fliegen möchte. Ach, wir sind soweit voneinander! Welche Tür ich auch öffne und sehe die Menschen beisammen, Du bist nicht unter ihnen; – ich weiß es ja, noch eh' ich öffne, und doch muß ich mich erst überzeugen und empfinde die Schmerzen eines Getäuschten; – sollte ich Dir nun auch noch meine Seele verbergen? – oder das, was ich zu sagen habe, einhüllen in Gewand, weil ich mich schäme der verzagten Ahnungen? – Soll ich nicht das Zutrauen in Dich haben, daß Du das Leben liebst, wenn es auch noch unbehilflich der Pflege bedarf, bis es seinen Geist mitteilen kann? – Ich habe mir große Mühe gegeben mich zu sammeln und mich selbst auszusprechen; ich hab' mich vor dem Sonnenlicht versteckt, und in dunkler Nacht, wo kein Stern leuchtet und die Winde brausen, da bin ich in die Finsternis hinaus und hab' mich fortgeschlichen bis zum Ufer; – da war es immer noch nicht einsam genug, – da störten mich die Wellen, das Rauschen im Gras, und wenn ich in die dichte Finsternis hineinstarrte und die Wolken sich teilten, daß sich die Sterne zeigten, – da hüllte ich mich in den Mantel und legte das Gesicht an die Erde, um ganz, ganz allein zu sein; das stärkte mich, daß ich freier war, da regte es mich an, das, was vielleicht keiner beachtet, zu beachten; da besann ich mich, ob ich denn wirklich mit Dir spreche, oder ob ich nur mich von Dir hören lasse? – Ach Goethe! – Musik, ja Musik! Hier kommen wir wieder auf das heilige Kapitel, – da hören wir auch zu, aber wir sprechen nicht mit, – aber wir hören, wie sie untereinander sprechen, und das erschüttert uns, das ergreift uns; – ja sie sprechen untereinander, wir hören und empfinden, daß sie eins werden im Gespräch. – Drum, das wahre Sprechen ist eine Harmonie, ohne Scheidung, alles in sich vereint; – wenn ich Dir die Wahrheit sage, so muß Deine Seele in meine überfließen, – das glaub' ich.
Wo kommen sie her, diese Geister der Musik? – Aus des Menschen Brust; – er schaut sich selber an, der Meister; – das ist die Gewalt, die den Geist zitiert. Er steigt hervor aus unendlicher Tiefe des Inneren, und sie sehen sich scharf an, der Meister und der Geist, – das ist die Begeistrung; – so sieht der göttliche Geist die Natur an, davon sie blüht. – Da blühen Geister aus dem Geist; sie umschlingen einander, sie strömen aus, sie trinken einander, sie gebären einander; ihr Tanz ist Form, Gebild; wir sehen sie nicht, – wir empfinden's und unterwerfen uns seiner himmlischen Gewalt; und indem wir dies tun, erleiden wir eine Einwirkung, die uns heilt. – Das ist Musik.
O, glaub' gewiß, daß wahre Musik übermenschlich ist. Der Meister fordert das Unmögliche von den Geistern, die ihm unterworfen sind, – und siehe, es ist möglich, sie leisten es. – An Zauberei ist nicht zu zweifeln, nur muß man glauben, daß das Übermächtige auch im Reich der Übermacht geleistet werde, und daß das Höchste von der Ahnung, von dem Streben desjenigen abhänge, dem die Geister sich neigen. Wer das Göttliche will, dem werden sie Göttliches leisten. Was ist aber das Göttliche? – Das ewige Opfer des menschlichen Herzens an die Gottheit: – dies Opfer geht hier geistigerweise vor; und wenn es der Meister auch leugnet, oder nicht ahnt, – es ist doch wahr. – Erfaßt er eine Melodie, so ahnet er schon ihre Vollkommenheit, und das Herz unterwirft sich einer strengen Prüfung, es läßt sich alles gefallen, um dem Göttlichen näherzukommen; je höher es steigt, je seliger; und das ist das Verdienst des Meisters, daß er sich gefallen lasse, daß die Geister auf ihn eindringen, ihm nehmen, sein Ganzes vernichten, daß er ihnen gehorcht, das Höhere zu suchen unter ewigen Schmerzen der Begeistrung. Wo ich das alles, und einzig, was ich gehört habe, war Musik. Wie ich aus dem Kloster kam nach Offenbach, da lag ich im Garten auf dem Rasen und hörte Salieri und Winter, Mozart und Cherubini, Haydn und Beethoven. Das alles umschwärmte mich; ich begriff's weder mit den Ohren noch mit dem Verstand, aber ich fühlte es doch, während ich alles andre im Leben nicht fühlte; das heißt, der innere, höhere Mensch fühlt es; und schon damals fragte ich mich: »Wer ist das, der da gespeist und getränkt wird durch Musik, und was ist das, was da wächst und sich nährt, pflegt und selbsttätig wird durch sie?« – Denn ich fühlte eine Bewegung zum Handeln; ich wußte aber nicht, was ich ergreifen sollte. Oft dachte ich, ich müsse mit fliegender Fahne voranziehen den Völkern; ich würde sie auf Höhen führen über den Feind, und dann müßten sie auf mein Geheiß, auf meinen Wink hinunterbrausen ins Tal und siegend sich verbreiten. Da sah ich die roten und weißen Fähnlein fliegen und den Pulverdampf in den sonneblendenden Gefilden; da sah ich sie heransprengen im Galopp, – die Siegesboten, mich umringen und mir zujauchzen; da sah und fühlte ich, wie der Geist in der Begeistrung sich löst und zum Himmel aufschwingt; die Helden, an den Wunden verblutend, zerschmettert, selig aufschreiend im Tod, ja und ich selbst hab' es mit erlebt, – denn ich fühlte mich auch verwundet und fühlte, wie der Geist Abschied nahm, gern noch verweilt hätte unter den Palmen der Siegesgöttin und doch, da sie ihn enthob, auch gern sich mit ihr aufschwang. Ja, so hab' ich's erlebt und anderes noch: wo ich mich einsam fühlte, in tiefe, wilde Schluchten sah, nicht tief – untief, unendliche Berge über mir, ahnend die Gegenwart der Geister. Ja, ich nahm mich zusammen und sagte: »Kommt nur, ihr Geister, kommt nur heran; weil ihr göttlich seid und höher als ich, so will ich mich nicht wehren.« Da hörte ich aus dem unsäglichen Gebraus der Stimmen die Geister sich losreißen; – sie wichen voneinander – ich sah sie aus der Ferne in glänzendem Fluge mir nahen; durch die himmlische blaue Luft verdufteten sie ihre silberne Weisheit, und sie neigten sich in den Felsensaal herab und strömten Licht über die schwarzen Abgründe, daß alles sichtbar war. Da sprangen die Wellen in Blumen in die Höhe und umtanzten sie, und ihr Nahen, ihr ganzes Sprechen war ein Eindringen ihrer Schönheit auf mich, daß meine Augen sie kaum faßten mit allem Beistand des Geistes – und das war ihre ganze Wirkung auf mich.
O Goethe! Ich könnte Dir noch viele Gesichte mitteilen; ja ich glaub's, daß Orpheus sich umringt sah von den wilden Tieren, die in süßer Wehmut aufstöhnten mit den Seufzern seines Gesangs; ich glaub's, daß die Bäume und Felsen sich nahten und neue Gruppen und Wälder bildeten, denn auch ich hab's erlebt; ich sah Säulen emporsteigen und wunderbares Gebälk tragen, auf dem sich schöne Jünglinge wiegten; ich sah Hallen, in denen erhabene Götterbilder aufgestellt waren; wunderbare Gebäude, deren Glanz den Blick des stolzen Auges brachen; deren Galerien Tempel waren, in denen Priesterinnen mit goldnen Opfergeräten wandelten und die Säulen mit Blumen schmückten, und deren Zinnen von Adlern und Schwanen umkreist waren; ich sah diese ungeheuren Architekturen mit der Nacht sich vermählen, die elfenbeinernen Türme mit ihren diamantnen Lazuren im Abendrot schmelzen und über die Sterne hinausragen, die im kalten Blau der Nacht wie gesammelte Heere dahinflogen und, tanzend im Takt der Musik und um die Geister sich schwingend, Kreise bildeten. Da hörte ich in den fernen Wäldern das Seufzen der Tiere um Erlösung; und was schwärmte alles noch vor meinem Blick und in meinem Wahn. – Was glaubte ich tun zu müssen und zu können; welche Gelübde hab' ich den Geistern ausgesprochen; alles, was sie verlangten, hab' ich auf ewig und ewig gelobt. Ach Goethe, das alles hab' ich erlebt in dem grünen goldgeblümten Gras. Da lag ich in der Spielstunde und hatte die feine Leinwand über mich gebreitet, die man da bleichte, ich hörte oder fühlte mich vielmehr getragen und umbraust von diesen unaussprechlichen Symphonien, die keiner deuten kann; da kamen sie und begossen die Leinwand; und ich blieb liegen und fühlte die Glut behaglich abgekühlt. Du wirst gewiß auch ähnliches erlebt haben; diese Fieberreize, ins Paradies der Phantasie aufzusteigen, haben Dich auf irgendeine Weise durchdrungen; sie durchglühen die Natur, die wieder erkaltet – etwas anders geworden, zu etwas anderm befähigt ist. An Dich haben die Geister Hand gelegt, in's unsterbliche Feuer gehalten; – und das war Musik; ob Du sie verstehst, oder empfindest; ob Unruhe oder Ruhe Dich befällt; ob Du jauchzest oder tief trauerst; ob Dein Geist Freiheit atmet oder seine Fesseln empfindet; – es ist immer die Geisterbasis des Übermenschlichen in Dir. Wenn auch weder die Terz noch die Quint Dir ein Licht aufstecken, wenn sie nicht so gnädig sind, sich von Dir beschauen und befühlen zu lassen, so ist es bloß, weil Du durchgegangen bist durch ihre Heiligung, weil die Sinne, gereift an ihrem Licht, schon wieder die goldnen Fruchtkörner zur Saat ausspreuen. Ja, Deine Lieder sind die süßen Früchte, ihres Balsams voll. Balsam strömt in Deiner dithyrambischen Wollust! Schon sind's nicht mehr Töne, – es sind ganze Geschlechter in Deinen Gedichten, die ihre Gewalt tragen und verbreiten. – Ja, das glaub' ich gewiß, daß Musik jede echte Kunsterscheinung bildet und sich freut, in Dir so rein wiedergeboren zu sein. – Kümmere dich nicht um die leeren Eierschalen, aus denen die flügge gewordenen Geister entschlüpft sind; – nicht um die Terz und die Quint und um die ganze Basen- und Vetterschaft der Dur- und Molltonarten, – Dir sind sie selber verwandt; Du bist mitten unter ihnen. Das Kind fragt nicht unter den Seinigen: »Wer sind diese, und wie kommen sie zueinander?« Es fühlt das ewige Gesetz der Liebe, das es allen verbindet. – Und dann muß ich Dir auch noch eins sagen: Komponisten sind keine Maurer, die Steine aufeinanderbacken, den Rauchfang nicht vergessen, die Treppe nicht, nicht den Dachstuhl, und die Tür nicht, wo sie wieder herausschlüpfen können, und glauben, sie haben ein Haus gebaut. – Das sind mir keine Komponisten, die Deinen Liedern ein artig Gewand zuschneiden, das hinten und vorne lang genug ist. O Deine Lieder, die durchs Herz brechen mit ihrer Melodie; wie ich vor zehn Tagen da oben saß auf dem Rheinfels, und der Wind die starken Eichen bog, daß sie krachten, und sie sausten und brausten im Sturm, und ihr Laub, getragen vom Wind, tanzte über den Wellen. – Da hab' ich's gewagt zu singen; da war's keine Tonart, da war's kein Übergang, – da war's kein Malen der Gefühle oder Gedanken, was so gewaltig mit in die Natur einstimmte: es war der Drang eins mit ihr zu sein. Da hab' ich's wohl empfunden, wie Musik Deinem Genius einwohnt! Der hat sich mir gezeigt, schwebend über den Wassern, und hat mir's eingeschärft, daß Dich ich liebe. – Ach Goethe, laß Dir keine Liedchen vorlallen und glaube nicht, Du müßtest sie verstehen und würdigen lernen; ergib Dich auf Gnad' und Ungnad'; leide in Gottesnamen Schiffbruch mit Deinem Begriff; was willst Du alles Göttliche ordnen und verstehen, wo's her kommt und hin will? Siehst Du, so schreib' ich, wenn ich zügellos bin und nichts danach frage, ob's der Verstand billigt. Ich weiß nicht, ob es Wahrheit ist; mehr als das, was ich prüfe; aber so möcht' ich lieber schreiben, ohne zu befürchten, daß Du wie andre mich schweigen hießest; was könnt' ich Dir alles sagen, wenn ich mich nicht besinnen wollte! Bald würde ich Herr werden, und nichts sollte sich mir verbergen, was ich halten wollte mit dem Geist, – und wenn Du einstimmtest und neigtest Dich meinem Willen, wie der Septakkord sich der Auflösung entgegendrängt, dann wär's wie die Liebe es will.
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