Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Rolands Wahnsinn (1–14). Zerbin findet den Odorich und bestraft zugleich ihn und Gabrina (15–45). Mandricard besiegt den Zerbin und raubt Rolands Schwert Durindane (46–74). Zerbins Tod und Isabella's Trauer (75–93). Kampf zwischen Mandricard und Rodomont, der auf die Nachricht von der Bedrängniß der Mohren unterbrochen wird, (94–115).
1 | Wer seinen Fuß auf Amors Rute setzt, Weiche zurück, eh ihm die Flügel kleben! Denn Lieb' ist doch Verrücktheit nur zuletzt, Das wird von allen Weisen zugegeben. Nicht jeder freilich rast wie Roland jetzt, Tollheit hat manche Art sich kundzugeben; Doch offenbar ist der ein Narr und Thor, Wer, weil er andre sucht, sich selbst verlor. |
|
2 | Wennschon die Wirkungen verschieden sind, So bringt doch eine Narrheit sie zuwege. Die Lieb' ist wie ein Wald, in dem man blind Und rettungslos abkömmt vom rechten Wege, Und wie man läuft, man bleibt im Labyrinth. Drum sag' ich nach der Meinung, die ich hege: Wer alt wird in der Liebe, dem gebürt, Daß man ihn bindet und ins Tollhaus führt. 369 |
|
3 | Nun könnt ihr sagen: Freund, du zeigst gar fein Der andern Fehl und siehst nicht deine Schwäche. Darauf antwort' ich: ja, ich seh es ein, Nun ich in lichten Augenblicken spreche, Und suche von dem Tanz mich zu befrein Und hoffe, daß die Kraft mir nicht gebreche; Nur daß es sich so schnell nicht machen läßt, Denn, ach, das Übel sitzt zu tief und fest. |
|
4 | Herr, ich erzählt' im vorigen Gesang, Was Roland so in Raserei versetzte, Wie er die Waffen durch die Lüfte schwang, Den Degen wegwarf, sein Gewand zerfetzte, Die Eichen ausriß, daß der Wald erklang Vom Widerhall, wie dann (das war das letzte) Die Hirten kamen von den Wiesengründen, Sei's Unstern, sei's zur Strafe ihrer Sünden. |
|
5 | Wie diese Schar des Narren wundervolle Kraftproben und die Riesenstärke sieht, Flieht sie und weiß doch nicht, wohin sie solle, Wie das bei jähem Schrecken oft geschieht. Rasch aber hinter ihnen kömmt der Tolle, Greift einen Mann, und eh man sich's versieht, Reißt er den Kopf ihm ab, wie man vom Baume Den Apfel abpflückt und die süße Pflaume. 370 |
|
6 | Den schweren Rumpf faßt er am rechten Beine Und braucht als Keule den und haut nun drauf Und streckt ein Paar entschlafner auf die Steine, (Der jüngste Tag vielleicht weckt einst sie auf.) Die andren ziehn zurück sich aus dem Haine Mit rascher Einsicht und mit raschem Lauf. Der Tolle würd' auch ihrer habhaft werden, Würf' er sich nicht zum Glück auf ihre Herden. |
|
7 | Die Pflüger, durch den Schaden andrer klug, Lassen den Pflug im Stich, die Hacke fallen Und klettern (denn kein Baum ist hoch genug) Auf Giebeldächer und auf Kirchenhallen. Da sehn sie denn die Wut in vollem Zug, Wie sie mit Fäusten, Bissen, Fersen, Krallen Die Pferd' und Rinder würgt, betäubt, zerfleischt. Flucht hätte hier gar schnelle Bein' erheischt. |
|
8 | Schon hört man dumpf aus Dörfern und aus Flecken Gewalt'gen Lärm, ein Heulen und Gedröhn Von Hörnern, Trommeln und von Dudelsäcken, Dazu der Glocken stürmendes Getön. Mit Spieß und Bogen, Schleuder, Keul' und Stecken Wälzen sich tausend von den nahen Höhn, Und aus den Thälern kommen andre Haufen, Um mit dem Tollen bäurisch sich zu raufen. 371 |
|
9 | Wie vor dem Süd die Well' allmählich weiter Aufs Ufer kömmt, die erst nur tändelnd neckt, – Dem ersten Schwall folgt größer schon ein zweiter, Und dem ein dritter, der sich höher reckt, Und immer stolzer schwillt die Flut und breiter, Bis tief ins Land sie ihre Peitsche streckt, – So gegen Roland strömt die wilde Bande Vom Berg herab, herauf vom tiefen Lande. |
|
10 | Er tödtet ihrer zehn und aber zehn, Die im Getümmel seinem Griffe nahten, Und alle können aus der Prob' ersehn, Sich fern von ihm zu halten sei geraten. Ihm aber kann ein Leides nicht geschehn, Weil Hieb' und Stöß' ihm niemals Schaden thaten. Die Gnade Gottes hatt' ihn so gefeit Zum Hort und Schirm für seine Christenheit. |
|
11 | Wenn Roland sterben könnt' im Kampfe, heute Wär' er zu sterben wahrlich in Gefahr. Er hätte fast gelernt, was es bedeute Tapfer zu sein und aller Waffen bar. Zum Rückzug wandten sich die Bauersleute, Weil jeder ihrer Hiebe nutzlos war. Als Roland nichts mehr merkte von den Haufen, Macht' er sich auf, ins nächste Dorf zu laufen. 372 |
|
12 | Im Dorfe traf er weder klein noch groß; Geflüchtet waren die von Angst erfaßten. Vorrat von Lebensmitteln fand er bloß, Von dürft'gen Speisen, die für Hirten paßten. Er unterschied die Eichel nicht vom Kloß; Gespornt vom Ungestüm und langem Fasten Braucht' er die Händ' und Zähn' und schlang es so Hinunter, wie sich's traf, gar oder roh. |
|
13 | Von dort das ganze Land umher durchschweifend, Macht' er auf Menschen Jagd und auf Gethier, Den Damhirsch und das schnelle Reh ergreifend Auf seiner Wanderung durchs Waldrevier, Den Bären und den Eber niederschleifend Mit nackter Faust, um dann mit wilder Gier Das rohe Fleisch mitsamt den zott'gen Hüllen Hinabzuschlingen, um den Bauch zu füllen. |
|
14 | So lief er auf und ab durchs ganze Land, Und einmal hatt' er einen Fluß getroffen, Der, breit von einer Brücke überspannt, An Felsenufern hinfloß, hohen, schroffen, Und von dem Thurm, der an dem Flusse stand, Sah man die ganze Gegend frei und offen. Was er da that, hört ihr an andrem Ort; Jetzt sag' ich erst euch von Zerbin ein Wort. 373 |
|
15 | Als Roland ihn verließ, verzog Zerbin Ein wenig noch und folgte dann den Wegen, Die kurz zuvor einschlug der Paladin, Und ließ sein Pferd im Schritte sich bewegen. Ein Stündchen mocht' er so des Weges ziehn, Da kam ihm ein gefangner Mann entgegen, Auf einen kleinen Klepper festgeschnürt Und zwischen zwei Bewaffneten geführt. |
|
16 | Zerbin und Isabell' erkannten den, Als er herankam auf dem Straßendamme; Odorich war es, einst zum Wachestehn Ihr beigegeben wie der Wolf dem Lamme. Zerbin hatt' aus den Freunden ihn ersehn Zum Hüter und Vertrauten seiner Flamme, Nicht zweifelnd, daß er, wie in mancherlei Geschäften schon, treu auch in diesem sei. |
|
17 | Und Isabel war eben im Begriff Ihm zu erzählen, wie es ihr ergangen, Wie sie im Boot entkam, bevor das Schiff Zerbrochen war und Wellen es verschlangen, Wie Odorich sich dann an ihr vergriff, Und wie sie in der Grotte saß gefangen; Da, eh sie fertig war mit der Geschichte, Begegneten sie jenem Bösewichte. 374 |
|
18 | Den beiden andren, Odorichs Geleite, War Isabella's Antlitz schon vertraut. Sie dachten wohl, daß er, der sie begleite, Ihr Lehnsherr sei, der Bräutigam der Braut, Zumal sie auf dem Schild' an seiner Seite Das alte Wappen seines Stamms geschaut, Und fanden, als sie nah herangekommen, Daß es so sei, wie sie es angenommen. |
|
19 | Die Ritter umarmen den Prinzen unterhalb der Hüften, dem alten ehrerbietigen Gebrauche gemäß. Ebenso umarmt Grifon den König von Damascus, Gesang 18, Str. 69. | Sie stiegen ab und liefen dem Zerbin Mit offnen Armen bloßen Haupts entgegen, Ihn zu umarmen mit gebognen Knie'n, Wie wir den höhern zu umarmen pflegen. Zerbin sah ihnen ins Gesicht, ihm schien, Der sei Corebo, der Biscayer Degen, Und jener sei Almon, die beide sich An Bord befanden unter Odorich. |
20 | Almon begann: »Da Gottes gnäd'ge Leitung Euch die Prinzessin wieder zugeführt, So wär' es, Herr, euch keine neue Zeitung, Wenn ihr den Grund aus meinem Mund' erführt, Weshalb ihr hier in unserer Begleitung Den Frevler seht, mit Stricken festgeschnürt, Weil jene, die am schwersten er verletzte, Gewiß von allem euch in Kenntniß setzte. 375 |
|
21 | »Wie er es anfing mich zu hintergehn Und fort mich schickte, brauch' ich nicht zu sagen, Noch wie Corebo, um ihr beizustehn, Ihn angriff und zu Boden ward geschlagen. Doch was nach meiner Rückkehr dann geschehn, Das sah sie nicht und konnt' es nicht erfragen, So daß ihr es durch sie nicht wissen könnt. Dies also meld' ich euch, wenn ihr's vergönnt. |
|
22 | »Ich eilte von der Stadt zurück zum Strand Mit Pferden, die ich rasch zusammenbrachte, Ausspähend, ob ich die im wald'gen Land Zurückgebliebenen ausfindig machte. Ich komme näher, komm' auch an den Rand Des Meeres, wo ich sie zu finden dachte; Dort schau' ich um mich, aber finde nur Im Sande hier und da die frische Spur. |
|
23 | »Der Fährte folgt' ich, und sie führte mich In wilden Busch, und eh es lange währte, Vernahm ich das Gestöhn, wo jämmerlich Am Boden lag Corebo, mein Gefährte. Ich frug nach Isabel und Odorich, Ich frug, wer ihn getroffen mit dem Schwerte, Und als ich's wußte, lief ich voller Zorn, Den Frevler suchend, durch Gestrüpp und Dorn. 376 |
|
24 | »Nachdem ich lange mich umhergetrieben, Kehrt' ich zurück, weil keine Spur sich bot. Corebo lag noch da, und von den Hieben, Die er empfing, war rings die Erde rot. Wär' er ein wenig länger dort geblieben, So that ihm eher eine Grube not Und Pfaff und Küster, ihn ins Grab zu legen, Als Arzt und Bett, um ihn gesund zu pflegen. |
|
25 | »Vom Walde nach der Stadt ließ ich ihn tragen; Ein Gastwirt, der mein Freund war, nahm ihn auf; Ein alter Wundarzt gab in wenig Tagen Der Heilung raschen, günstigen Verlauf. Dann eilten wir dem Schurken nachzujagen, Nach wohlbesorgtem Pferd- und Waffenkauf, Und als wir ihn am Hof Biscaya's fanden, Hab' ich mit ihm den Kampf siegreich bestanden. |
|
26 | »Dem König dank' ich's, der in seinem Reich Den Zweikampf zuließ, und dem guten Rechte, Und außer meinem Recht dem Glück zugleich, (Das oft den Sieg verleiht, wo man's nicht dächte) Daß der Verräter fiel vor meinem Streich Und mein Gefangner ward in dem Gefechte. Der König, der von allem Kund' erhalten, Ließ mich mit ihm ganz nach Belieben schalten. 377 |
|
27 | »Ich wollt' ihn weder tödten noch befreien, Ausliefern wollt' ich ihn in eure Macht. Ihr solltet der gerechten Straf' ihn weihen, Tod oder was ihr sonst ihm zugedacht. Ich hört', ihr kämpftet in des Kaisers Reihen Und habe nach Paris mich aufgemacht; Nun dank' ich Gott, daß ich euch hier getroffen, Wo ich's am wenigsten gewagt zu hoffen. |
|
28 | »Auch dank' ich ihm, daß er euch Isabelle Zurückgeführt, ich weiß nicht wie und wann. Ich glaubte schon, sie sei bei La Rochelle Hinweggeräumt von diesem bösen Mann.« So zu dem Prinzen redet der Geselle; Der aber schweigt und blickt den Frevler an, Nicht zornig, sondern mehr als ob's ihn gräme, Daß solche Freundschaft solch ein Ende nehme. |
|
29 | Und ganz erstaunt noch blieb er und entsetzt, Als längst Almon der Red' ein Ende machte, Daß er, auf den er sein Vertraun gesetzt, So schreienden Verrat an ihm vollbrachte. Als er aus der Verwunderung zuletzt Mit einem Seufzer auffuhr und erwachte, Ward der gefangne Mann von ihm befragt, Ob alles wahr sei, was Almon gesagt. 378 |
|
30 | Da sank ins Knie der ungetreue Hirt Und sprach: »Mein gnäd'ger Herr, es giebt hienieden Wohl keinen, der sich nie vergeht und irrt. Der schlechte ist vom guten nicht verschieden, Nur daß der eine stets bezwungen wird, Wann die Begier angreift und bricht den Frieden; Der andre kämpft und setzt sich erst zur Wehr; Doch wenn der Feind sehr stark ist, weicht auch er. |
|
31 | »Hättest du mich in eine Burg gesandt, Sie zu behaupten, und beim Näherrücken Des Feindes zög' ich ohne Widerstand Sein Banner auf und öffnet' ihm die Brücken, So könntest du auf meine Stirn den Brand Der Feigheit, mehr noch, des Verrates drücken; Dagegen, wich' ich der Gewalt, so trüge Ich Ehr' und Dank davon, nicht Schimpf und Rüge. |
|
32 | »Nie hat man einem, der von Übermacht Bezwungen wurde, Nachsicht vorenthalten. Nicht anders als man eine Burg bewacht, Mußt' ich bei meiner Treue Wache halten, Und war denn auch mit aller Kraft bedacht, Soviel ich von der Vorsehung erhalten, Sie zu bewachen bis dann schließlich ich Unwiderstehlichem Angriffe wich.« 379 |
|
33 | So sprach er, und er sprach noch mehr als dies (Was zu erzählen ich nicht nötig achte) Und zeigte, daß ein scharfer Sporn ihn stieß Und nicht gelinde Peitsche wild ihn machte. Wenn Flehen je den Zorn von hinnen wies, Wenn je demütig Reden Früchte brachte, So mußt' es jetzt geschehn: was Härt' erweicht, Darauf verstand er sich und fand es leicht. |
|
34 | Sollte Zerbin den Frevel furchtbar rächen? Er stand unschlüssig zwischen Ja und Nein. Bald trieb ihn der Gedank' an das Verbrechen, Den schuldigen dem Untergang zu weihn, Bald schien Erinnerung zu widersprechen; Die alte Freundschaft mahnte zu verzeihn, Des Mitleids Wasser in die Flammen sprengend Des zorn'gen Herzens und zur Gnade drängend. |
|
35 | Eh noch Zerbin des Zweifels ledig ward, Ob er befrein ihn soll', ob ihn verwahren, Ob er durch Tod sich seiner Gegenwart Entled'gen soll' und Folter ihm ersparen, Kam wiehernd jener Gaul, dem Mandricard Den Zaum genommen hatte, hergefahren Und trug das alte Weib, durch die zuvor Zerbin das Leben um ein Haar verlor. 380 |
|
36 | Der Zelter hatte, durch das Dickicht strebend, Die anderen gehört und kam herbei Und trug die Alte mit heran, die bebend Um Hilfe rief mit kläglichem Geschrei. Das sah Zerbin, und seine Hand erhebend Pries er, daß ihm der Himmel gnädig sei Und diese zwei in seinen Händen lasse, Die er allein von allen Menschen hasse. |
|
37 | Vorläufig halten sie die Alte fest; Was ihr geschehn soll, wird Zerbin entscheiden. Vielleicht, zum Schrecken aller Frevler, läßt Er Nas' und Ohren ihr vom Kopfe schneiden; Vielleicht, noch besser, richtet man ein Fest Den Geiern her mit ihren Eingeweiden. Verschiedne Strafen hatte schon Zerbin Sich überlegt, bis dies das beste schien. |
|
38 | Er sprach zu den Gefährten: »Sei's, er lebe, Der falsche Mann; ich will's zufrieden sein. Verdient er nicht, daß ich ihm ganz vergebe, Verdient er doch auch nicht die schärfste Pein. Freiheit und Leben ist's, was ich ihm gebe, Denn Liebe trägt die Schuld, das seh' ich ein, Und viel pflegt man dem schuld'gen nachzusehen, Wann sich in Liebe spiegelt das Vergehen. 381 |
|
39 | »Die Liebe pflegt auch weisere zu Zeiten Ganz umzukehren wie ein Wirbelwind Und sie zu Missethaten zu verleiten, Die schlimmer weit als sein Verbrechen sind. Dies scheint zu Gunsten Odorichs zu streiten. Strafe verdient hab' ich; denn ich war blind, Blind, so ihm zu vertraun, nicht zu erkennen, Daß Stroh und Reisig leicht im Feuer brennen.« |
|
40 | Dann sprach er so zu Odorich: »Ich schreibe Dir diese Buße vor für dein Vergehn: Du sollst ein volles Jahr bei diesem Weibe Ausharren, ohne je von ihr zu gehn. Bei Tag und Nacht, wo du auch bleibst, da bleibe Bei ihr und laß dich ohne sie nicht sehn, Und bis zum Tode sollst du sie verteid'gen, Wenn jemand sich vermißt sie zu beleid'gen. |
|
41 | »Und wider jedermann, wenn sie's begehrt, Sollst du Krieg führen und mit Waffen streiten Und sie, solang' der Lauf des Jahres währt, Von Stadt zu Stadt durchs ganze Reich begleiten.« So sprach Zerbin; denn weil der andre wert Ins Grab zu fahren war, wollt' er es leiten, Daß er an einen tiefen Abgrund ihn Versetze, dem es schwer sei zu entfliehn. 382 |
|
42 | Dies Weib hat ja in seiner Hinterlist So viele Frau'n und Männer schon verraten, Daß wer mit ihr sich blicken läßt, in Zwist Mit irrenden Rittern schleunig wird geraten; Daher die Strafe beiden sicher ist, Ihr für zuvor begangne Missethaten, Ihm, weil er ungerechten Schutz ihr leiht; Lebendig also kömmt er schwerlich weit. |
|
43 | Damit er dies auch halte, band Zerbin Den Odorich mit feierlichen Schwüren Und drohte, wenn er je wortbrüchig ihn Und säumig finde alles auszuführen, An ihm grausame Strafe zu vollziehn, Und kein Erbarmen werde dann ihn rühren. Corebo und Almon ließ er sodann Die Fesseln lösen dem gefangnen Mann. |
|
44 | Die beiden waren nicht sehr schnell bereit, Doch lösten sie die Fesseln ihm vom Leibe. Dem einen wie dem andern that es leid, Daß die gewünschte Rache unterbleibe. So zog der Frevler ab, und das Geleit Gab er dem gottverfluchten alten Weibe. Turpin erzählt nicht, wo er mit ihr blieb; Ein andrer Autor ist's, der es beschrieb. 383 |
|
45 | Der Autor schreibt, (ich lass' ihn ungenannt,) Daß Odorich, noch eh der Tag vergangen, Trotz dem beschwornen Pacte, der ihn band, Um wieder volle Freiheit zu erlangen, Gambrinen um den Hals ein Stricklein wand, Und ließ sie so an einer Ulme hangen, Und daß Almon es später ebenso Mit ihm gemacht, – er sagt indeß nicht wo. |
|
46 | Zerbin, der auf der Fährte Rolands ritt Und seine Spur nicht gern verloren gäbe, Schickt eine Botschaft an sein Volk, damit Es seinethalben nicht in Sorgen schwebe; Er schickt Almon und giebt Aufträg' ihm mit, Die zu berichten ich mich überhebe. Er schickt Almon und schickt Corebo fort, Und Isabel allein behält er dort. |
|
47 | Denn solche inn'ge Liebe hegt Zerbin, Hegt Isabel nach all den Kümmernissen Zu jenem tugendhaften Paladin, So heftig ist der beiden Wunsch, zu wissen, Ob er den Feind getroffen hat, der ihn Erst mit dem Sattel hat vom Pferd gerissen, Daß er zum Heer zurück nicht reiten mag, Eh nicht zu Ende geht der dritte Tag, 384 |
|
48 | Die Frist, die Roland wiederanzubinden Dem Ritter gab, der ohne Degen stritt. Da war kein Ort, wo Rolands Spur zu finden, Den nicht Zerbin getreulich auch beschritt. Er fand zuletzt die Bäum', in deren Rinden Die undankbare jene Namen schnitt; Jetzt, mit den Felsen und der Quelle, lagen Sie allesamt zerschmettert und zerschlagen. |
|
49 | Zerbin findet nicht Rolands berühmten Helm, weil dieser während des Kampfes mit Ferragu verloren gegangen war. | Er sieht von weitem etwas blankes scheinen Und findet, das ist Rolands Brustgewand. Dann findet er den Helm, nicht jenen seinen, Den einst Almonte trug im Mohrenland. Den Streithengst, der versteckt war hinter Steinen, Hört er nur wiehern. Nach dem Schall gewandt, Erblickt er Güldenzaum das Gras am Hügel Abweidend; noch vom Sattel hängt der Zügel. |
50 | Dann sucht er Durindane weit und breit; Im Walde ohne Scheide liegt der Degen. In Fetzen findet er das Oberkleid, Wie Roland es verstreut hat auf den Wegen. Die beiden stehn und schaun voll Herzeleid Und wissen sich den Fall nicht auszulegen. Sie stellten leicht sich alles andre vor, Nur nicht, daß Roland den Verstand verlor. 385 |
|
51 | Sie könnten glauben, er verlor das Leben, Doch sehn sie nirgend einen Tropfen Blut. Inzwischen kömmt ein Hirt voll Angst und Beben Den Weg herunter längs der schnellen Flut; Der hatte zugeschaut vom Fels, als eben Der unglücksel'ge Mann in seiner Wut Die Waffen abwarf, sein Gewand zerfetzte, Die Leut' erschlug, das Dorf in Schrecken setzte. |
|
52 | Den ruft Zerbin, damit ihm Auskunft werde, Und jener giebt getreulich ihm Bericht. Zerbin erstaunt; zwar liegen auf der Erde Genug Beweise, doch er glaubt es nicht. Wie dem auch sei, er steigt betrübt vom Pferde, Das Herz voll Mitleid, Thränen im Gesicht, Und geht und sammelt von verschiednen Plätzen Die Überbleibsel und zerstreuten Fetzen. |
|
53 | Von ihrem Zelter steigt auch Isabelle Und liest die Waffen auf, mit ihm vereint; Da kömmt ein Mädchen an dieselbe Stelle, Das tief von Herzen seufzt und traurig scheint. Und fragt ihr, wer sie sei und welche Quelle Die Thränen haben, die das Mädchen weint, So sag' ich, Flordelis war diese gute, Die ihren Freund zu suchen nimmer ruhte. 386 |
|
54 | Denn Brandimart ließ sie zurück beim Heer Und hatte Abschied und Lebwohl vergessen, Und als sie harrend seiner Wiederkehr, Sechs Mond' und länger in Paris gesessen, Ritt sie vom einen bis zum andren Meer, Bis zu den Pyrenä'n und Alpenpässen, Und sucht' ihn aller Orten ohne Rast, Nur nicht in Atlas' tückischem Palast. |
|
55 | Wenn sie das Zauberschloß betreten hätte, Da rannt' er mit Gradasso lange schon, Mit Ferragu und Roger um die Wette, Mit Bradamanten und mit Milo's Sohn. Als aber Atlas floh von jener Stätte, Vertrieben durch des Horns furchtbaren Ton, War Brandimart zu Karl zurückgekommen, Doch hatte Flordelis es nicht vernommen. |
|
56 | Als Flordelis Zerbin und Isabelle Zufällig, wie gesagt, im Walde fand, Erkannte sie die Waffen auf der Stelle Und Güldenzaum, der dort gesattelt stand. Mit Augen sah sie all das Leid, und schnelle Ward auch dem Ohr die Neuigkeit bekannt; Denn wie den andren sagt' auch ihr der Hirte, Wie Roland wütend durch die Wälder irrte. 387 |
|
57 | Zerbin hängt' alle Waffen als Trophäe An eine Fichte, die ihm passend schien, Und daß kein Ritter, der die Rüstung sähe, Versucht sich fühle, selbst sie anzuziehn, Schrieb er ein kurzes Sprüchlein in die Nähe, »Die Wehr gehört Roland dem Paladin,« Als woll' er sagen: Rühre nicht daran, Wer nicht mit Roland selbst sich messen kann! |
|
58 | Als mit dem frommen Werk sie fertig waren Und an die Pferde traten, siehe da, Kam Mandricard, der König der Tartaren. Als der den stolzen Schmuck der Fichte sah, Wollt' er den Anlaß von Zerbin erfahren, Und dieser sagt' ihm alles, was geschah. Da ritt der Heidenkönig rasch und munter Zum Fichtenbaum und nahm das Schwert herunter |
|
59 | Und sprach: »Kein Mensch kann deshalb mit mir rechten; Denn daß es mein ist, weiß die ganze Welt. Besitz ergreifen kann ich nach den Rechten An jedem Orte, wo es mir gefällt. Roland, aus Furcht mit mir darum zu fechten, Warf es hinweg und hat sich toll gestellt. Gern mag er seine Feigheit so verbrämen, Das hindert mich nicht, mir mein Recht zu nehmen.« 388 |
|
60 | Da rief Zerbin: »Nimm dieses Schwert nicht fort, Und denke nicht, du kaufest ohne Blut es. Gewannst du also Hectors Waffenhort, So rühmst du dich fürwahr gestohlnen Gutes.« Flugs auf einander, ohn' ein weitres Wort, Stürmten die beiden, Muster hohen Mutes. Von hundert Hieben donnert schon der Klang, Und noch ist kaum die Schlacht in vollem Gang. |
|
61 | Der Schlußvers bezieht sich auf die Beschreibung der elyseischen Myrtenhaine in Virgils Aeneïs, 6. Gesang. | Zerbin, so biegsam, wie die Flamm' im Winde, Weicht aus, wo Durindane niederfährt. Und springen muß, so flink wie eine Hinde, Bald rechts, bald wieder links sein gutes Pferd. Not thut es, daß er scharf die Linie finde, Denn träf' ein einzig Mal ihn dieses Schwert, So wär' er bald bei den verliebten Schatten Der Myrtenwälder auf Elysiums Matten. |
62 | Wie auf das Schwein der Hund des Hirten dringt, Das ausgebrochen ist aus seiner Herde, Und es umkreist und hin und wider springt, Und jenes wartet, ob er fehlgehn werde: So, während auf und ab der Degen schwingt, Rührt sich Zerbin, daß ihn kein Hieb gefährde. Wie er die Ehre wahr' und auch die Haut, Faßt er ins Aug' und flieht zugleich und haut. 389 |
|
63 | Andererseits, so oft der Heidenritter Den Degen wirbeln läßt mit mächt'ger Faust, Ist es, als ob im März ein Ungewitter Tief zwischen Bergen durch den Laubwald braust Und bald gen Himmel jagt die Äst' und Splitter, Bald in den Staub die hohen Wipfel zaust. Obwohl Zerbin den Hieben meist entweicht, Zuletzt kömmt einer doch, der ihn erreicht. |
|
64 | Zuletzt kömmt einer von den scharfen Streichen, Der zwischen Kling' und Schild ins Bruststück fährt. Dick ist die Halsberg' und am Bauch desgleichen Der Panzer dick, die Schienen wohl bewährt; Doch halten sie den Schlag nicht aus; sie weichen Und machen Platz dem fürchterlichen Schwert. Das fuhr herab, zerschneidend was es packte, Brustharnisch, Sattelbug, bis auf das nackte. |
|
65 | Und wäre nicht der Hieb zu knapp gemessen, Er hätt' ihn weggemäht wie Binsenrohr. Jetzt hat er nicht gar tief im Fleisch gesessen, Und nicht viel mehr als Haut verletzt der Mohr. Die Wund' ist nicht sehr tief, die Läng' indessen Kömmt länger mir als eine Spanne vor. Das warme Blut fließt auf den Panzerblechen Bis an den Fuß in scharlachroten Bächen. 390 |
|
66 | Oft sah ich so ein schönes Purpurband Als Grenze zwischen silbernem Gewebe Und einer alabasterweißen Hand, Von der ich manchen Stoß ins Herz erlebe. Zerbin ist stark und mehr noch wutentbrannt, Doch bleibt der Kampf nicht lang' mehr in der Schwebe; An Stärk' und Trefflichkeit der Waffen, ach, Steht er zu sehr dem Heidenkönig nach. |
|
67 | Des Königs Hieb war schlimmer anzuschauen Als wirklich schlimm; doch war er mehr als Scherz, Und Isabella fühlt mit eis'gem Grauen, Als spalte dieser Streich ihr eignes Herz. Zerbin, erfüllt von Kraft und Selbstvertrauen, Flammt lichterloh von Zorn und bittrem Schmerz; Mit beiden Händen holt er aus, und dann Trifft er des Heiden Helm, so stark er kann. |
|
68 | Tief bückte sich bis an den Sattelknauf Der stolze, der sein Haupt so hoch gehalten, Und säße nicht der Zauberhelm darauf, Der schwere Streich hätt' ihm den Kopf gespalten. Doch rächt' er sich und schob's nur wenig auf; Er sagte nicht, ich will's mir vorbehalten; Hoch oben auf den Helm schwang er die Klinge, Hoffend, daß tief sie bis zum Herzen dringe. 391 |
|
69 | Zerbin, der Geist und Auge mittlerweile Beisammenhielt, wich aus zur rechten Hand, Doch nicht so schnell, daß er dem scharfen Keile Des Schwerts entrann; es traf des Schildes Rand, Zerschlug denselben in zwei gleiche Theile, Brach unter ihm des Ärmels Stahlgewand, Verwundete den Arm, zerriß am Ende Das Sattelzeug und fuhr noch in die Lende. |
|
70 | Zerbin versucht bald hier bald dort den Degen, Doch was er auch beginnt, nichts führt zum Ziel; Auf jenem Harnisch bleibt von allen Schlägen Kein Merkmal, wo die Klinge niederfiel. Der König der Tartaren hat dagegen Wider Zerbin schon fast gewonnen Spiel, Hat achtmal ihn getroffen bis zum Knochen, Den Schild genommen, halb den Helm zerbrochen. |
|
71 | Der Prinz verliert sein Blut, die Kraft versiegt, Doch ist's, als ob er nichts davon empfände, Als ob das tapfre Herz, noch unbesiegt, Erneute Kraft dem schwachen Körper spende. Sein Fräulein aber, das der Angst erliegt, Erhebt zu Doralißen jetzt die Hände Und fleht sie an, sie mög' um Gottes willen Die Kämpfer trennen und den Hader stillen. 392 |
|
72 | So schön sie war, so gut war Doraliß; Auch war sie nicht ganz ruhig bei der Sache. So that sie gern, was Isabel sie hieß, Und zwang den Heiden, daß er Frieden mache. So auch, auf Isabellens Flehn, entließ Zerbin aus seinem Herzen Zorn und Rache Und schlug den Weg ein, so wie sie begehrt, Ohne den Kampf zu enden um das Schwert. |
|
73 | Als Flordelis des armen Roland Degen, Das gute Schwert, so schlecht verteidigt sah, Schmerzt' es sie tief; sie weinte seinetwegen Und schlug sich vor die Stirn: so ging's ihr nah. Sie dachte, wär' nur Brandimart zugegen! Wenn sie ihn find' und sag' ihm, was geschah, Dann glaubte sie, daß Mandricard nicht lange Mit dem geraubten Schwerte prahl' und prange. |
|
74 | Und wieder sucht sie ihren theuren Herrn Vergebens früh und spät im ganzen Lande Und pilgert, ach, von ihm so meilenfern, Von ihm, der wieder weilt am Seinestrande. So folgt durch Wald und Feld sie ihrem Stern, Und eines Tags an eines Flusses Rande Trifft sie den unglücksel'gen Paladin. Doch reden wir zuvörderst von Zerbin. 393 |
|
75 | Daß er das Schwert preisgab, er sieht es an Als schwerste Schuld; die Wunden sind vergessen, Obwohl er kaum im Sitz sich halten kann Nach all den fürchterlichen Aderlässen. Als aber mit dem Zorn die Wärme dann Allmählich schwindet, wächst der Schmerz indessen; Es wächst der Schmerz, so grimmig wird das Wehe, Daß bald er fühlt, wie es zu Ende gehe. |
|
76 | Vor Schwäche konnt' er jetzt nicht weiter gehn Und mußte halten neben einer Quelle; Was aber werden soll und was geschehn, Vergebens fragt's die gute Isabelle. An bloßem Schmerz wird sie ihn sterben sehn: Zu fern ist jede Stadt von dieser Stelle, Um einen Arzt zu suchen, der dem armen Beisteh' um Löhnung oder aus Erbarmen. |
|
77 | Was kann sie thun? sie klagt ihr Schicksal an; Sie schilt den Himmel, der so hart sie schlage. »Ach (rief sie) hätte mich der Ocean Verschlungen unterwegs am ersten Tage!« Mit müden Augen blickt Zerbin sie an Und schmerzlicher dünkt ihm, daß jene klage, Als alle Leidensqual so stark und zäh, Die ihn hinabgeführt in Todes Näh'. 394 |
|
78 | Er sprach: »Mein Herz, wann ich dahingeschieden, Dann liebe du mich noch mit treuem Sinn, So wahr nur eins mich schmerzt, daß du hienieden Allein bleibst, nicht daß ich verloren bin. Wär' mir's vergönnt an sichrem Ort in Frieden Zu enden und ich führe so dahin, Glückselig schiene mir, nicht hart und herbe, Der Tod, weil ich an deinem Busen sterbe. |
|
79 | »Nun aber, da ich schon in dieser Stunde Dich lassen muß und weiß nicht Rat für dich, Schwör' ich bei diesen Augen, diesem Munde, Bei diesem Zauber, der mein Herz beschlich, Daß ich verzweifelnd jetzt zum finstren Schlunde Der Hölle fahr', wo der Gedanke mich, Daß du allein zurückbleibst, hundertmal Mehr foltern wird als jede andre Qual.« |
|
80 | Da hat sich Isabel zu ihm gebückt, Und ihre Lippen hat die hoffnungslose Auf des Geliebten Lippe sanft gedrückt, Die leise schon hinwelkt, wie eine Rose, Die Rose, die man zeitig nicht gepflückt Und die nun so verblaßt im eignen Moose, Und sagt: »Geliebter, das wird nie geschehn; Nicht ohne mich wirst du von hinnen gehn. 395 |
|
81 | »Nein, theures Herz, der Furcht gebiete Schweigen; In Höll' und Himmel geb' ich dir Geleit, Und beide Seelen sollen aufwärts steigen, Vereint im Fliehn, vereint in Ewigkeit. Seh' ich entseelt dein theures Haupt sich neigen, Dann tödtet mich der Schmerz zu gleicher Zeit, Und kann er's nicht, dann soll, ich hab's geschworen, Dies Schwert noch heute meine Brust durchbohren. |
|
82 | »Dann, hoff' ich, wird den todten Körpern auch Ein bessres Loos, als sie im Leben hatten. Vielleicht kömmt jemand, um nach frommem Brauch In einer Gruft sie beide zu bestatten.« So sprach die Jungfrau, und den letzten Hauch Der Lebensgeister, die nun schnell ermatten, Sammelt sie mit den bangen Lippen ein, Solang' ein Lüftchen wehte, noch so klein. |
|
83 | Die schwache Stimm' anstrengend sagt' er ihr: »Ich bitt' und ich beschwöre dich, mein Leben, Bei jener Liebe, die du selber mir Gezeigt, als du die Heimat hingegeben, Und darf ich fordern, forder' ich von dir, Bis an das Ziel, das Gott dir setzt, zu leben, Stets eingedenk, was auch die Zukunft giebt, Daß ich von ganzem Herzen dich geliebt. 396 |
|
84 | »Vielleicht wird Gott dir seinen Beistand leihen, Der dich beschirmen wird vor Frevlers Hand, Wie er, dich aus der Höhle zu befreien, Den römischen Senator dir gesandt, Und wie er Schiffbruch und Verrätereien Der Menschen gnädig von dir abgewandt; Und zeigt sich's doch, daß alle Hilfen fehlen Als Tod, magst du das kleinre Übel wählen.« |
|
85 | Ich glaube, diese letzten Worte klangen Nur wie ein Hauch, und sie verstand ihn nicht. Wie eine Kerze war er ausgegangen, Wenn ihr das Wachs, darin sie brennt, gebricht. Als nun das Mädchen ihn mit bleichen Wangen, So kalt wie Eis das theure Angesicht, Daliegen sah, entseelt an ihrem Herzen, Wer fände Worte da für ihre Schmerzen? |
|
86 | Sie wirft sich auf den blut'gen Leichnam nieder Und badet ihn mit Thränen, und alsbald Schreit sie, daß es auf viele Meilen wider Und wider von Gefild' und Wäldern hallt. Sie schont ihr Antlitz nicht noch Brust und Glieder, Zerschlägt sie und zerreißt sie mit Gewalt Und rauft ihr goldnes Haar und ruft vergebens Den Namen aus, die Wonne ihres Lebens. 397 |
|
87 | In solche Wut, in solchen Wahnsinn hatten Die Schmerzen sie gestürzt, sie hätte jetzt, Wenig gehorsam dem verlornen Gatten, Des Schwertes Spitz' an ihre Brust gesetzt, Wenn nicht ein Klausner, der den frischen, glatten Bach oft besucht und an dem Trunk sich letzt, Aus seiner nahen Zell' an diese Stätte Gekommen wär' und sie gehindert hätte. |
|
88 | Der fromme Mann, der neben hoher Güte Klugheit besaß, wie sie Natur verleiht, Und für das Heil des Nächsten stets sich mühte, Reich an Exempeln und Beredtsamkeit, Predigte dem bekümmerten Gemüte Mit kräft'gen Gründen Gottergebenheit Und zeigt' ihr wie im Spiegel Fraungestalten Des neuen Testaments und auch des alten. |
|
89 | Er zeigt' ihr, wie kein wahres Glück sich finde Als nur in Gott, und welch ein schwaches Ding Menschliche Hoffnung sei, die komm' und schwinde, Unzuverlässig und von Wert gering, Und redet' ihr so zu, bis ihr der blinde Grausame Vorsatz nach und nach verging Und sie zuletzt nur wünscht' ihr künftig Leben Dem Dienste Gottes ganz dahinzugeben. 398 |
|
90 | Nicht so als wollte sie dem theuren Herrn Die Lieb' und letzte Ehre vorenthalten; Wo sie auch bleiben mag, nah oder fern, Wird sie ihn Tag und Nacht bei sich behalten. Dem Mädchen half der fromme Klausner gern, Denn nicht an Rüstigkeit gebrach's dem Alten, Und auf sein traurig Pferd hob man Zerbin Und führte Tage lang durch Wälder ihn. |
|
91 | Dem klugen Alten dünkt es nicht geheuer Allein mit solchem hübschen jungen Blut Sein Haus zu theilen, das, ein alt Gemäuer, Versteckt im tiefen Waldesgrunde ruht. Denn bei sich selber denkt er, Stroh und Feuer In einer Hand zu tragen, ist nicht gut; Auf Alter nicht noch Weisheit mocht' er bauen, Um solch ein Probestück sich zuzutrauen. |
|
92 | Nach der Provence wollt' er sie geleiten, Wo bei Marseille, schön erbaut von Stein, Ein Kloster frommer Frau'n in jenen Zeiten Gelegen war, die reichste der Abtei'n, Und um den todten Ritter zu begleiten, Legten sie ihn zuvor in einen Schrein, Den sie in einer Burg herrichten ließen, Lang und geräumig, und mit Pech verschließen. 399 |
|
93 | Sie zogen manchen Tag durch weite Strecken Und stets durch unbebaute Einsamkeit; Denn weil das Land voll war von Krieg und Schrecken, Hielten sie gern sich in Verborgenheit. Da ward ihr Weg versperrt von einem Recken, Der ihnen Schimpf anthat und Herzeleid. Ihr sollt von ihm zu seiner Zeit erfahren, Erst aber wend' ich mich zu dem Tartaren. |
|
94 | Nachdem die Waffengäng' ein Ende hatten, Erfrischte sich der junge Held am Saum Krystallner Wasser und im kühlen Schatten Und nahm dem Pferde Sattel ab und Zaum Und ließ es weiden auf den grünen Matten Im zarten Gras und gönnt' ihm freien Raum; Doch währt' es lange nicht, da sah er fern Vom Berge kommen einen reis'gen Herrn. |
|
95 | Kaum hatte Doraliß ihr Aug' erhoben, Kannte sie ihn und sprach zum Mandricard: »Der stolze Rodomont ist jener droben, Wenn durch die Fern' ich nicht geblendet ward. Er kömmt, im Kampf mit dir sich zu erproben; Ein Glück, daß du so tapfer bist und hart; Er zürnt, weil man ihm seine Braut genommen, Und sich zu rächen ist er hergekommen.« 400 |
|
96 | Wie wenn ein guter Falk Huhn oder Taube, Schnepf' oder Ente oder sonst ein Wild Von fern anfliegen sieht und nach dem Raube Den Kopf erhebt und froh das Herz ihm schwillt, So Mandricard: es ist sein fester Glaube, Er wird den Feind hinschmettern ins Gefild. Vergnügt nimmt er sein Pferd und giebt die Bügel Den Füßen und der linken Hand den Zügel. |
|
97 | Als sie, einander näher kommend, schon Die trotz'gen Worte beiderseits verstanden, Da fing mit Kopf und Fäusten an zu drohn Und mit Geschrei der Fürst aus Algiers Landen. Jetzt, rief er, werde jener seinen Lohn Einstreichen, der sich's thöricht unterstanden, Um flücht'ge Luft dem Manne Hohn zu sprechen, Der vor ihm stehe, furchtbar sich zu rächen. |
|
98 | Drauf Mandricard: »Der redet in den Wind, Wer hofft mit Drohen mir Furcht einzujagen. So schreck' ein Mädchen oder kleines Kind Und Leute, die noch nie ein Schwert getragen, Nicht mich, dem Krieg' und Schlachten lieber sind Als jede Ruh. Ich bin bereit zum Schlagen Zu Fuß, zu Roß, in Waffen, ohne Wehr, Im Feld, in Schranken, alles nach Begehr.« 401 |
|
99 | So kömmt's zu Schmähen, Schreien, Wutgeschnaub, Zum Schwerterziehn und dann zu grimmen Streichen, Dem Winde gleich, der Anfangs kaum das Laub Bewegt und schüttelt bald die starken Eichen; Dann wirbelt er hochauf den dunklen Staub, Dann reißt er Bäum' aus, und die Mauern weichen, Die Schiff' im Meer versinken, Sturms Gewalt Vernichtet die zerstobne Herd' im Wald. |
|
100 | Die Riesenstärk' und der unbänd'ge Mut Der zwei gewaltigsten von allen Heiden Gebaren solche Streich' und Schlachtenwut, Würdig des wilden Blutes dieser beiden. Die Erd' erbebt', als sich der Sturm entlud, Als sich begegneten der Schwerter Schneiden; Gen Himmel sprühn die Funken von dem Stahl, Vielmehr entflammte Blitze, Strahl auf Strahl. |
|
101 | Ohn' Atemholen, rastlos währt sie fort, Die grimme Schlacht der königlichen Mohren. Bald möchte hier das Schwert, bald möcht' es dort Den Panzer öffnen, durch die Maschen bohren. Als wäre Schanz' und Graben um den Ort, Hat keiner Feld gewonnen und verloren; Als wär' zu kostbar jeder Fußbreit Land, Wich keiner aus dem Kreise, wo er stand. 402 |
|
102 | Einer von Mandricards zweihänd'gen Hieben Trifft vor die Stirn den Neffen Agramants, Daß vor den Augen ihm die Funken stieben Im Kreise wie ein toller Fackeltanz. Er schlägt, als wär' er ohne Kraft geblieben, Mit dem Genick auf seines Pferdes Schwanz, Verliert die Bügel, und vor Doralißen Ist er ganz nah daran ins Gras zu schießen. |
|
103 | Wie aber ein vollkommner, starker Bogen Aus feinem Stahl, wenn man ihn schwer belud, Je mehr man ihn gespannt und krumm gebogen Durch Wind' und Schraube, mit je größrer Wut Aufschnellt, wenn man den Druck zurückgezogen, Und schadet mehr, als man ihm Schaden thut, So hebt der Mohr sich auf nach jenem Schlage Und zahlt dem Feind zum doppelten Betrage. |
|
104 | Genau am Fleck, wo er getroffen ward, Trifft er der Gegner jetzt, und zwar zerschneidet Er ihm das Antlitz nicht, weil, allzu hart, Der Helm des Hector keinen Schaden leidet, Doch so betäubt er ihn, daß Mandricard Den Morgen nicht vom Abend unterscheidet. Der zorn'ge Rodomonte rastet nicht, Hieb folgt auf Hieb, und immer ins Gesicht. 403 |
|
105 | Das Streitroß des Tartaren, dem es graut, Als pfeifend über ihm die Hieb' erklingen, Hilft seinem Herrn auf Kosten seiner Haut: Weil es zurückprallt, um hinweg zu springen, Muß nun das Schwert, das nach dem Reiter haut, Dem Pferde mitten durch den Schädel dringen. Kein Hectorshelm beschirmt das arme Thier Wie seinen Herrn, und also stirbt es hier. |
|
106 | Es stürzt, und Mandricard schnellt flugs empor, Nicht mehr betäubt, und läßt die Klinge sausen. Im Herzen glimmt's, weil er sein Roß verlor, Und furchtbar schlägt die Glut des Zorns nach außen. Ihn umzureiten, sprengt heran der Mohr, Er aber weicht nicht mehr als vor dem Brausen Des Meers der Fels. Es scheint um ihn geschehn, – Da fällt das Pferd, und er bleibt aufrecht stehn. |
|
107 | Wie Rodomont den Sturz des Pferdes spürt, Läßt er die Bügel fahren, springt vom Sitze Und bleibt aufrecht, wie er den Grund berührt, Und beide bieten sich zu Fuß die Spitze. Hoch siedet auf der Kampf, neu angeschürt; Es steigen Wut und Trotz und Haß und Hitze, Und weiter ging' es so, wenn eilends nicht Ein Bote käme, der sie unterbricht. 404 |
|
108 | Der Boten einer war's, die Agramant Durch Frankreich schickt' an seine Unterthanen, An Hauptleut' und den ganzen Ritterstand, Um sie zu schnellster Rückkehr zu ermahnen. Im eignen Lager wird er schon berannt Vom Kaiser und den stolzen Lilienfahnen, Und stellt die Hilfe nicht sich schleunig ein, So wird er sicherlich verloren sein. |
|
109 | Der Bote kennt sogleich die beiden Degen, Außer an Wappen, Farben und Gewand, Am Schwung' der Klingen und den graus'gen Schlägen, Auf die kein andrer sich so leicht verstand. Er wagt sich nicht heran, ihm scheint's verwegen Zu hoffen, daß vor solchem Zorn sein Stand Als Bote schütz', auch schafft ihm das nicht Ruhe, Daß man Gesandten nichts zu Leide thue. |
|
110 | So klagt er Doralißen denn das Leiden, Wie Agramant, Marsil und Stordilan In schlechtverwahrtem Raum mit wen'gen Heiden Vom Christenvolke sich belagert sahn, Und dringt in sie mit Bitten, das den beiden Zu sagen, so wie er es kundgethan, Sie zu versöhnen und in aller Eile Zum Heer zu führen, ihrem Volk zum Heile. 405 |
|
111 | Zwischen die Ritter trat sie unverzagt Und sagte: »Ich befehl' euch bei der Liebe, Die beid' ihr ja für mich im Herzen tragt, Das Schwert zu sparen für gerechtre Hiebe. Ich will, daß ihr sofort von hinnen jagt, Rasch, unsrem Saracenenheer zu Liebe, Das sich in seinen Zelten sieht bedroht Und Hilf' erwartet oder höchste Not.« |
|
112 | Der Bote drauf erzählte, was zum Hohne Der Saracenen vor Paris geschehn Und übergab auch einen Brief vom Sohne König Trojans dem Sohn des Ulien. Die beiden Krieger wurden einig, ohne Feindschaft und Groll vom Zweikampf abzustehn, Und schlossen Waffenruh bis zu dem Tage, Wo man die christlichen Belagrer schlage. |
|
113 | Sobald sie den Belagrer von den Zelten Vertrieben sähen und die ihren frei, Dann sollte ferner nicht die Freundschaft gelten, Dann gelte Krieg und blut'ge Metzelei, Bis ihre Schwerter die Entscheidung fällten, Wer dieses schönen Fräuleins würd'ger sei. Und sie, in deren Hand die beiden Eide Geleistet wurden, sagte gut für beide. 406 |
|
114 | Wohl murrt die Zwietracht über das geschehne, Weil jeder Fried' ihr ja ein Greuel ist, Und auch dem Übermut scheint diese Scene Unleidlich, und er fordert neuen Zwist. Doch mehr vermag der Liebesgott als jene, Mit dessen hoher Kraft sich keine mißt, Und er bewirkt mit schnellen Bogenschüssen, Daß Übermut und Zwietracht weichen müssen. |
|
115 | Die Krieger reichten sich die Hand zum Bunde, Wie ihr gefiel, die über sie gebot. Eins ihrer Pferde fehlte, denn am Grunde Lag des Tartaren Renner und war todt; Da half denn Güldenzaum zur rechten Stunde (Der noch am Flusse weidet') aus der Not. Hier aber endet mein Gesang für jetzt Und mit Verlaub wird Punctum hier gesetzt. |