Ludovico Ariosto
Rasender Roland, Band 2
Ludovico Ariosto

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Dreiundzwanzigster Gesang.

Bradamante, den Rückweg verfehlend, trifft auf Astolf, der ihr das Roß Rabican und die goldne Lanze in Verwahrung giebt, um auf dem Flügelpferde eine Luftreise anzutreten (1–16.) Sie kömmt nach Schloß Montalban und schickt ihre Magd Hippalca mit dem Rosse Frontin an Roger (17–32). Rodomont raubt ihr das Roß (33–38). Zerbin findet Pinabels Leiche, wird von Gabrina des Mordes bezichtigt und soll hingerichtet werden, als Roland ihn befreit und ihm Isabella wieder zuführt (38–70). Mandricards und Rolands unterbrochener Zweikampf (70–99). Roland entdeckt die Liebe Angelica's zu Medor und gerät in Raserei (100–136).

Such' andern stets zu helfen; denn nur selten
Bleibt eine gute That ohn' ihren Lohn,
Und wenigstens wird keiner drob dich schelten,
Es steht nicht Tod darauf noch Schimpf und Hohn.
Wer andern schadet, muß es einst entgelten;
Früh oder spät wird ihm der Zahltag drohn.
Das Sprichwort sagt, die Berge bleiben stehen,
Die Menschen müssen zu einander gehen.
Sieh nur, wie schlecht dem lasterhaften Grafen,
Dem Pinabel, sein arges Thun gedeiht:
Zum Schluß verfällt er den verdienten Strafen,
Gerechtem Lohn der Ungerechtigkeit,
Und Gott, der selten leidet, daß dem braven
Unrecht geschieht, erlöst aus ihrem Leid
Die Jungfrau und wird jeden so erlösen,
Der rein von Frevel lebt und fern vom Bösen. 323
Der Graf hielt sich geborgen vor Gefahr,
Die Jungfrau glaubt' er todt und tief begraben;
Wie sollt' er je sie wieder sehn und gar
Die alte Schuld ihr abzubüßen haben?
Nicht half ihm, daß er in dem Lande war,
Wo seines Vaters Burgen ihn umgaben.
Dort lag Schloß Hohenstein auf dem Gefels,
Benachbart der Besitzung Pinabels.
Der alte Graf saß auf dem Hohenstein,
Anselm, der Vater dieses ungetreuen,
Entfernt von Hilf' und Freundschaft, ganz allein,
Denn Claramonts Geschlecht hatt' er zu scheuen.
Die Jungfrau schlug den Schelm im dunklen Hain
Und mochte leichten Sieges sich erfreuen,
Denn alle Wehr, womit er sich versehn,
War klägliches Geschrei und Gnadeflehn.
Nachdem sie ihn getödtet, der vor Zeiten
Ihr tödtlich nachgestellt, den Bösewicht,
Wollte sie flugs zurück zu Rogern reiten,
Jedoch ihr hartes Schicksal litt es nicht.
Auf einen falschen Pfad ließ sie sich leiten
Tief in die Waldung, wo sie wild und dicht
Und immer öder ward, als überdies
Der Tag die Welt der Dämmrung überließ. 324
Und da sie rings umher kein gastlich Thor
Zu finden wußte, blieb sie unter Zweigen
Auf frischem Rasen, den sie sich erkor,
Theils schlummernd, bis der Tag sich werde zeigen,
Theils sah sie zu Saturn und Mars empor,
Zu Venus und dem andern Götterreigen.
Doch immer, ob sie schlief, ob wachte, sah
Sie Roger vor sich stehn, als wär' er da.
Sie seufzte herzlich oft in dieser Nacht,
Gequält von Kummer und Gewissensbissen,
Weil mehr als Liebe Zorn sie hatt' entfacht.
Zorn, sprach sie, hat mir meine Lieb' entrissen.
Hätt' ich nur einmal an den Weg gedacht
Bei diesem schlimmen Streich, um doch zu wissen,
Von welcher Seit' ich hergekommen bin!
Nicht Augen hatt' ich noch Verstand und Sinn.
So sprach sie und noch andre Klagelaute,
Und mehr noch als die Lippe sprach das Herz.
Aus Seufzerwind und Thränenwasser braute
Inzwischen seinen Regenguß der Schmerz.
Zuletzt nach langem Harren spürt' und schaute
Sie das ersehnte Frührot morgenwärts.
Da holte sie ihr Pferd aus den Gehegen,
Wo es gegrast, und ritt dem Tag' entgegen. 325
Sie ritt nicht weit, da fand sie sich am Saume
Des Waldes, wo zuvor das Zauberschloß
Gewesen war und wo ihr wie im Traume
Durch des Beschwörers Trug die Zeit verfloß.
Dort traf sie jetzt Astolf, der mit dem Zaume
Versehen hatte sein geflügelt Roß
Und nur für Rabican noch sorgen mußte,
Für den er noch kein Unterkommen wußte.
10  Der Zufall wollt' es nun gerade fügen,
Daß ohne Helm der edle Herzog stand,
Und Bradamante hatt' an seinen Zügen
Den lieben Vetter augenblicks erkannt.
Sie grüßt' ihn schon von fern, und voll Vergnügen
Ritt sie heran und schüttelt' ihm die Hand
Und nannte sich und macht' ihr Antlitz frei
Vom Helmvisier und zeigte, wer sie sei.
11  Der Herzog wußte wohl, daß er so gut
Für Rabican nie einen Pfleger fände,
Der ihn behalten würd' in treuer Hut
Und wiedergeben, wann die Luftfahrt ende,
Wie Haimons Tochter, und ihm war zu Mut,
Als ob der Himmel ihm das Mädchen sende.
Wenn er sie sah, freut' er sich immer sehr,
Und nun er ihrer brauchte, desto mehr. 326
12  Nachdem sie zwei- und dreimal brüderlich
Umarmt sich hatten und die Hand gegeben,
Und auch gar zärtlich beiderseitig sich
Befragt nach ihrem Wohlergehn und Leben,
Begann Astolf: »Beeilen muß ich mich,
Soll ich ins Reich der Vögel mich erheben,«
Und so vertraut' er sein Vorhaben ihr
Und wies auf sein geflügelt Wunderthier.
13  Dem Mädchen kam es nicht so seltsam vor,
Dies Roß zu sehn, das seine Flügel spannte,
Weil es schon einmal, als der greise Mohr
Den Zaum noch lenkte, ihr entgegenrannte
Und ihren Augen weh that, als empor
Gen Himmel sie die starren Blicke wandte,
An jenem Tag, da es mit jähem Flug
Roger hinweg in weite Fernen trug.
14  Astolf fuhr fort, er möchte Rabican
Ihr anvertraun, das schnellste aller Rosse,
Das, wenn es mit dem Pfeil zugleich die Bahn
Begonnen hat, vorbeifliegt dem Geschosse.
Auch bat er sie, daß sie nach Montalban
Die Rüstung mitnehm' und sie dort im Schlosse
Für ihn verwahre bis zur Wiederkehr;
Denn sie zu tragen braucht' er jetzt nicht mehr. 327
15  Da er begehrte durch die Luft zu fahren,
So mußt' er leicht sich machen für den Flug.
Nur Schwert und Horn behielt er; in Gefahren
Wär' auch das Horn allein ihm Schutz genug.
Die Jungfrau sollt' ihm auch den Speer verwahren,
Den Galafrons erschlagner Sohn einst trug,
Den Speer, der jeden, wie er ihn berührte,
Aus seinem Sattel augenblicks entführte.
16  Astolf bestieg das Flügelthier, und leise
Schwebt' in die Luft der Hippogryph empor.
Dann schwang er sich so hoch in Wolkenkreise,
Daß Bradamante seine Spur verlor.
So mit dem Lootsen, im Beginn der Reise
Untiefen fürchtend, dringt der Schiffer vor,
Wenn aber rückwärts erst die Ufer schwinden,
Fliegt er mit vollen Segeln vor den Winden.
17  Die Jungfrau bleibt, als er von dannen fährt,
Allein zurück, von Sorge schwer befangen:
Wie soll sie mit des Vetters gutem Pferd
Und Rüstung jetzt nach Montalban gelangen?
In ihrem Herzen kocht, am Herzen zehrt
Der heiße Wunsch, das hungrige Verlangen,
Roger zu sehn, den sie in der Abtei
Zu finden hofft, wenn es nicht früher sei. 328
18  So stand sie zweifelnd, ohne sich zu rühren;
Da kam ein Bauersmann von Ungefähr;
Der mußte das Gerät zusammenschnüren
Und Rabican beladen mit der Wehr.
So ließ sie ihn die beiden Pferde führen,
Das eine ganz bepackt, das andre leer;
Zwei brachte sie schon mit; sie ritt das eine
Und nahm auf ihm dem Pinabel das seine.
19  Sie will nach Vallombrosa zur Abtei,
In Hoffnung ihren Roger dort zu sehen,
Doch welcher Weg der best' und nächste sei,
Das weiß sie nicht und fürchtet fehl zu gehen.
Dem Bauer auch wohnt wenig Kunde bei
Von Weg und Steg; doch etwas muß geschehen.
Sie lenkt auf gutes Glück gradaus die Pferde
Und denkt, daß da der Ort wohl liegen werde.
20  Sie schaut nach Menschen aus, doch trifft sie keine,
Sich zu erkund'gen nach der rechten Bahn.
Um Mittag kam sie aus dem dichten Haine,
Als plötzlich ihre Augen Thürme sahn
Nicht weit vom Weg auf hohem Felsensteine,
Und wie sie zusah, schien's ihr Montalban.
Wohl ist es Montalban mit Thurm und Zinnen,
Und mit den Brüdern wohnt die Mutter drinnen. 329
21  Kaum hat das Mädchen ihre Burg erkannt,
So wird ihr Herz betrübt, ihr könnt's mir glauben.
Man wird sie finden, wenn sie bleibt im Land,
Und wird ihr nimmermehr zu gehn erlauben.
Und geht sie nicht, so wird der Sehnsucht Brand
Ihr Herz verzehren, ihr das Leben rauben;
Nie wird sie ihren Roger wiedersehn
Und all ihr Hoffen wird in nichts zergehn.
22  Ein Weilchen sann sie, doch nach kurzer Zeit
Ließ sie im Rücken Mutter und Verwandte.
Zum Ritt nach der Abtei war sie bereit,
Wohin sie jetzt den Weg aufs beste kannte.
Da wollt' ihr Glück, vielleicht des Glückes Neid,
Daß, eh sie noch dem Thal den Rücken wandte,
Alard, ihr Bruder, ihr begegnen mußte,
Dem auszuweichen sie kein Mittel wußte.
23  Er kam von der Vertheilung der Quartiere
Für Volk zu Fuß und für berittne Macht,
Die er auf Karls Befehl in dem Reviere
Um Montalban vor kurzem aufgebracht.
Nachdem der Bruder und die Schwester ihre
Umarmung und Begrüßung abgemacht,
Wandten sie mit einander ihre Rosse,
Von vielen Dingen redend, nach dem Schlosse. 330
24  Die Jungfrau ward in Montalban empfangen,
Wo Frau Beatrix, seit ihr Kind verschwand,
Gehärmt sich hatte mit verweinten Wangen
Und Boten durch ganz Frankreich ausgesandt.
Die Küss' und Händedrück' und das Umfangen
Der Mutter und der Brüder nenn' ich Tand
Nach den an Rogers Brust empfangnen Küssen,
Die ewig in ihr Herz sich prägen müssen.
25  Da sie nun sah, daß man zu gehn ihr wehre,
So sollt' ein andrer gehn (dies Mittel blieb,)
Der Roger flugs aufsuch' und ihm erkläre,
Aus welchem Grund' ihr Kommen unterblieb,
Auch bitte, wenn zu bitten nötig wäre,
Daß er sich taufen lasse ihr zu lieb
Und alles, was er ihr gelobt, vollbringe,
Damit der Heiratsplan nach Wunsch gelinge.
26  Der Bote sollte Rogern mit der Kunde
Zugleich sein Pferd ausliefern, den Frontin,
Den er so wert hielt; und mit gutem Grunde
Hielt er den Renner wert und liebt' er ihn,
Denn nirgend fand man auf dem Erdenrunde,
Bei Heiden und im Erbe des Pipin,
Ein schönres Roß, so feurig und vollkommen,
Nur Güldenzaum und Bajard ausgenommen. 331
27  An jenem Tag', als Roger so verwegen
Den Greif bestieg und durch die Lüfte glitt,
Ließ er Frontin zurück, und Rogers wegen
Nahm Bradamante diesen Rappen mit,
Schickt' ihn nach Montalban, und ließ ihn pflegen,
Und weil man ihn im Schlosse niemals ritt
Als nur auf kurze Zeit und fein bedächtig,
So war er wie noch nie bei Fleisch und prächtig.
28  All ihre Frauen mußten jetzt mit ihr
Gleich ans Geschäft und fleißig im Vereine
In weiß' und schwarze Seide Goldeszier
Einwirken, auserlesne, künstlich-feine,
Und damit schmückte sie dem edlen Thier
Sattel und Zaum, und rief der Mädchen eine,
Die Tochter Callitrephia's, ihrer Amme,
Die Zeugin und Vertraute ihrer Flamme.
29  Wie Roger ganz und gar ihr Herz gewann,
Erzählte sie ihr hundertmal am Tage,
Wie schön er sei und welch ein tapfrer Mann,
Als ob er alle Götter überrage.
Zu dieser sprach sie: »Keinen bessern kann
Ich ausersehn, der diese Botschaft trage;
Kein treurer, klügerer Gesandter ist
Im Schlosse hier, als du, Hippalca, bist.« 332
30  Hippalca nannte sich das Mädchen. »Gehe,«
Sprach sie zu ihr und nannte die Abtei
Und sagt' ihr alles, wie die Sache stehe
Und wie mit ihrem Herrn zu reden sei,
Wie zu entschuld'gen, daß er sie nicht sehe
Im Kloster; denn es sei kein Falsch dabei,
Und nur dem Schicksal, welches unser Leben
Mehr als wir selbst regiert, sei Schuld zu geben.
31  Sie gab den Zaum Frontins ihr in die Hand
Und hieß sie selbst auf einen Klepper steigen,
Und sollt' ein dummer oder grober Fant
Das Pferd ihr wegzunehmen Lust bezeigen,
So heil' ein Wörtchen seinen Unverstand,
Wenn sie nur sage, dies ist Rogers eigen;
Sie meint, daß kein so kühner Ritter lebt,
Der bei dem Namen Rogers nicht erbebt.
32  Noch vieles, vieles schärfte sie ihr ein,
In ihrem Namen Rogern mitzutheilen.
Hippalca hörte zu und merkt' es fein
Und ritt von dannen ohne längres Weilen.
Durch freies Feld und dichtverschlungnen Hain
War sie geritten drei gemessne Meilen,
Und niemand hatte sie soweit geplagt
Und nur nach ihrem Zweck und Ziel gefragt. 333
33  Um Mittag, als sie von den Hügeln reitend
In einen schmalen Weg geriet, da sieh,
Kam Rodomont zu Fuß, den Zwerg begleitend,
Entgegen ihr und traf im Passe sie.
Er hob den stolzen Blick, und näher schreitend
Flucht' er der himmlischen Hierarchie,
Daß ihm dies schöne Pferd im reichsten Staate
Ohn' einen Ritter in den Wurf gerate.
34  Geschworen hatt' er sich ein Pferd zu nehmen,
Das erste, das er finde, mit Gewalt.
Dies war das erste nun, und schönre kämen
Ihm schwerlich in den Weg, das sah er bald.
Zwar würd' er sich ein Weib zu plündern schämen,
Doch hätt' er's gern und machte zaudernd Halt.
Er schaut' es an, besah es voll Verlangen
Und sprach: »Wär' doch sein Herr mit ihm gegangen!«
35  »Ja (sagt Hippalca) wär' er doch zugegen!
Du würdest bald bereun, was du gesagt.
Er, der es reitet, ist dir überlegen;
Kein Krieger lebt, der ihm zu trotzen wagt.« –
»Wer ist es, (fragt der Mohr) der andre Degen
So in den Staub tritt?« – »Roger,« spricht die Magd.
Und jener drauf: »Dann her mit deinem Pferde!
Ich nehm' es gern vom ersten Mann der Erde. 334
36  »Wenn's wahr ist, schlägt er alles aus dem Felde,
So werd' ich ihm ja nicht das Pferd allein
Ausliefern müssen, sondern in dem Gelde,
Das er verlangt, den Mietlohn obendrein.
Ich heiße Rodomont, das sag' und melde,
Und sollt' er dann nach Kampf begierig sein,
So wird er leicht mich finden; denn ich pflege
Mein Licht zu zeigen stets und allerwege.
37  »So mächt'ge Spuren lass' ich hinter mir,
Daß nie vom Blitz des Himmels größre blieben.«
So warf er übers Haupt dem edlen Thier
Die goldnen Zügel, die ich erst beschrieben.
Hippalca blieb zurück; es brachen ihr
Die Thränen aus, und dann, vom Schmerz getrieben,
Schalt und bedrohte sie ihn laut. Der Mohr,
Als hör' er nichts, ritt zum Gebirg empor.
38  Er suchte Doraliß und den Tartaren
Und hatt' als Führer sich den Zwerg gewählt.
Hippalca folgt von weitem dem Barbaren
Und flucht ihm unermüdlich, schimpft und schmält.
Was draus entsteht, sollt ihr hernach erfahren.
Turpin, der die Geschichten all' erzählt,
Macht einen Sprung an dieser Stell' und wendet
Sich nach dem Ort, wo Pinabel geendet. 335
39  Die Tochter Haimons hatt' im schnellen Ritte
Den Platz verlassen; eben war sie fort,
Da lenkt' auf andrem Weg Zerbin die Schritte
Mit seiner Alten nach demselben Ort.
Er sah den Leichnam in des Thales Mitte,
Und wer es sei, davon wußt' er kein Wort;
Doch weil er menschlich war und voll Erbarmen,
So fühlt' er dennoch Mitleid mit dem armen.
40  Der Mainzer lag entseelt am wald'gen Hange,
Sein Blut floß hin aus Wunden ohne Zahl,
Als hätten sich zu seinem Untergange
Vereinigt hundert Dolch' aus scharfem Stahl.
Der Ritter Schottlands zauderte nicht lange
Der Spur zu folgen, welche frisch im Thal
Noch eingeprägt war, ob er jemand fände,
Der schuldig sei an diesem blut'gen Ende.
41  Er hieß Gabrina dort verziehn und sagte,
Er kehr' in kurzer Zeit zurück zu ihr.
Sie machte nun sich an die Leich' und jagte
Die Augen auf und ab in wilder Gier,
Und wenn sie etwas fand, was ihr behagte,
So gönnte sie's dem Todten nicht als Zier.
Sie hatte viele Laster, und daneben
War nie ein Weib dem Geize mehr ergeben. 336
42  Hätte sie Hoffnung und Gelegenheit
Verstohlen ihren Raub beiseit zu schaffen,
Sie hätte das gestickte Oberkleid
Ihm weggenommen und die schönen Waffen.
Drauf zu verzichten that ihr bitter leid;
Was leicht war, eilte sie an sich zu raffen.
Auch einen schönen Gürtel stahl die Alte,
Den unterm Rock sie um die Hüften schnallte.
43  Zerbin kam bald zurück von seinem Ritte;
Er hatte Bradamante nicht ereilt.
Der Waldweg hatte sich bei jedem Schritte
In viele Zweige rechts und links getheilt;
Auch neigte sich der Tag und in der Mitte
Der Felsen hätt' er doch nicht gern geweilt.
Darum, das Unglücksthal verlassend, suchte
Er Obdach für sich selbst und die verruchte.
44  Sie sahn ein großes Schloß, die Burg des Grafen
Von Hohenstein, und ritten bis ans Thor
Und stiegen ab, um dort die Nacht zu schlafen,
Die schon am Himmel finster klomm empor.
Sie waren noch nicht lange dort, da trafen
Von allen Seiten Klagelaut' ihr Ohr,
Und aller Augen sah man naß von Zähren,
Als ob in Trauer hoch und niedrig wären. 337
45  Gleich fragt Zerbin und hört, in dieser Stunde
Sei dem Anselm, dem Grafen hinterbracht,
Daß Pinabel, sein Sohn im Waldesgrunde
Am Boden liege, todt und umgebracht.
Zerbin sah vor sich hin, als sei die Kunde
Ihm neu, um frei zu bleiben von Verdacht;
Er dachte wohl, der Todte, den sie trafen
Auf ihrem Wege, sei der Sohn des Grafen.
46  Bald kam die Todtenbahr' an das Castell,
Beim Glanz der Fackeln und Laternenstangen,
Wo sich das Volk die Brust zerschlug und grell
Gekreisch und Jammer zu den Sternen klangen
Und aus den Wimpern jetzt mit vollrem Quell
Die Thränen strömten über Bart und Wangen.
Doch finstrer war als all der andern Gram
Des Vaters Antlitz, als die Leiche kam.
47  Dieweil man Todtenamt und Grabgeleit
Zurüstete mit traurigem Gepränge,
Nach Art und Ordnung, die in alter Zeit
Beachtet ward und dann verlor an Strenge,
Kam plötzlich von dem Grafen ein Bescheid,
Der unterbrach gar bald den Lärm der Menge:
Wenn einer melden könne, wer den Sohn
Getödtet, dem versprech' er reichen Lohn. 338
48  Von Ohr zu Ohre ging, von Mund zu Munde
Der Ruf und der Bescheid durchs Schloß dahin,
Und auch das böse Weib vernahm die Kunde,
Das wüt'ger war als Bär und Tigerin.
Alsbald beschloß sie nun Zerbin zu Grunde
Zu richten, – sei es haßerfüllter Sinn,
Sei es der Stolz, auf dieser Welt allein
Entmenscht in menschlicher Gestalt zu sein,
49  Sei es die Gier nach Gold, was sie bewog:
Genug, zu dem betrübten Grafen rennend,
Wies sie, nach schlau ersonnenem Prolog,
Zerbin als Thäter des Verbrechens nennend,
Den Gürtel vor, den sie vom Leibe zog.
Der unglücksel'ge Vater, den erkennend,
Dazu das Zeugniß hörend und den Lug
Der schändlichen, fand alles klar genug.
50  Und weinend schwor er mit erhobner Hand
Des Sohnes Tod nicht ungesühnt zu lassen.
Was ihm an Mannschaft zu Gebote stand,
Das ließ er vor der Herberg Posto fassen.
Zerbin, der in dem Glauben sich befand,
In diesem Schlosse könn' ihn niemand hassen,
Ward von Anselm, dem er als Mörder galt,
Im Schlaf ergriffen und gefesselt bald. 339
51  Und für die Nacht ward er in finstrer Zelle
Gekettet an den stärksten Eisenring.
Die Sonn' ergoß noch nicht die goldne Helle,
Als schon der ungerechte Spruch erging:
Geviertheilt soll' er werden an der Stelle,
Wo er den Mord, so meinte man, beging.
Man prüfte nicht erst lang', eh man verfügte;
Der Herr war überzeugt, und das genügte.
52  Als andren Tags Aurora dann erschien,
Mit Gold und Purpur färbend Luft und Erde,
Kam alles Volk mit Brüllen »tödtet ihn!«
Um zuzuschaun, wie er gerichtet werde.
Der dumme Troß begleitete Zerbin
In lärmendem Gewirr, zu Fuß, zu Pferde.
Gesenkten Hauptes kam der Schottenheld
Auf einem Klepper festgeschnürt durchs Feld.
53  Gott aber pflegt der Unschuld beizustehn,
Und wer auf ihn vertraut, wird nicht verderben.
Schon hatt' er einen Hort ihm ausersehn,
Der ihm verbürgt, er werde heut nicht sterben.
Roland erschien, und plötzlich that durch den
Der Weg des Heils sich auf für Schottlands Erben.
Roland erblickte von der Höh herab
Das Volk, das den gefesselten umgab. 340
54  Mit ihm kam jenes Fräulein an die Stelle,
Das er getroffen hatt' im Bergverlies,
Galiziens Königstochter Isabelle,
Die unter Räuber ihr Geschick verstieß,
Als sie im Strudel der empörten Welle
Ihr sturmverschlagnes Schiff dahinten ließ,
Dieselbe, der Zerbin sein Herz gegeben,
Und die ihm theurer war als Seel' und Leben.
55  Graf Roland hatte treulich sie begleitet,
Seit sie erlöst war aus dem Felsengrab.
Wie sie das Volk erblickt, das drunten schreitet,
Fragt sie den Grafen: »Worauf zielt das ab?«
»Ich weiß nicht,« sagt er, läßt sie stehn und reitet
Hinab in das Gefild' im schnellsten Trab.
Er sah Zerbin, und nach des Jünglings Miene
Urteilt' er gleich, daß der Achtung verdiene.
56  Und also macht' er sich an ihn und fragte,
Weshalb man und zu welchem Zweck ihn band.
Den Hals erhob ein wenig der geplagte,
Und als er besser Roland nun verstand,
Sagt' er die Wahrheit, und wie er sie sagte,
Verdient' er sich den Schutz der starken Hand.
Denn wohl entnahm der Graf aus dem Bescheide,
Daß dieser schuldlos sei und Unrecht leide. 341
57  Und als er hörte, daß Anselm es sei,
Der Hohensteiner, der ihn tödten wolle,
Da schien's ihm sonnenklare Büberei;
Nichts andres trieb ja dieser ränkevolle!
Und außerdem bestand noch für die zwei
Feindschaft und Haß von jenem alten Grolle,
Der zwischen Mainz und Claramont von je
Gekocht hat und sie trennt durch Blut und Weh.
58  »Halunken, bindet diesen Ritter los,
(Rief Roland) sonst erliegt ihr meinen Streichen!« –
»Wer thut mit seinen Hieben hier so groß?«
Fragt' einer, um sich selbst herauszustreichen;
»Wären von Wachs wir oder Bündel Strohs
Und Feuer er, da würde Schrein wohl reichen,«
Und stellte dreist sich vor den Paladin
Graf Roland senkt die Lanze gegen ihn.
59  Die blanke Rüstung, die der freche Wicht
Die Nacht zuvor dem Prinzen abgenommen
Und angezogen hatte, konnt' ihn nicht
Bei einem Kampf mit diesem Gegner frommen.
Das Eisen traf ihm rechts das Angesicht;
Zwar brach es nicht den Helm, (der war vollkommen,)
Jedoch der Stoß, als Roland nach ihm stach,
War schon so stark, daß er den Hals ihm brach. 342
60  Einmal im Zuge rannt' er nebenbei
Dem nächsten noch die Lanze durch den Magen;
Dort ließ er sie, und Durindane frei
Macht' er vom Gurt und ließ sie wacker schlagen.
Hier hieb er eine Schädelplatt' entzwei,
Dort mäht' er einen Kopf glatt weg vom Kragen,
Dort stach er durch die Gurgel. Hundert Mann
Schlug und vertrieb er, eh er recht begann.
61  Ein Drittel ist schon todt; er jagt den Rest
Und haut und stößt und bohrt, bricht Häls' und Rippen.
Man wirft die Helm' und Schilde weg, man läßt
Die Spieß' im Stich, die Sensen und die Hippen.
Der läuft nach Süden, jener läuft nach West,
Der schlüpft ins Dickicht, jener in die Klippen.
Erbarmungslos ist heut der Paladin,
Soviel an ihm liegt, soll kein Mensch entfliehn.
62  Von hundertzwanzig, wie Turpin sie schätzt,
Verloren achtzig wenigstens das Leben.
Der Graf kömmt wieder an den Ort zuletzt,
Wo Herz und Busen dem Zerbin erbeben.
Wie Rolands Rückkehr seine Seel' ergetzt,
Das läßt sich nicht in Versen wiedergeben.
Gern würd' er knien vor ihm, der ihn gerettet,
Indeß er war an seinen Gaul gekettet. 343
63  Dieweil der Graf ihm abnahm seine Bande
Und half die Rüstung wieder anzuziehn,
Womit der oberste der Schergenbande
Sich ausstaffirt', ihm selber zum Ruin,
Erhob Zerbin den Blick zum Hügelrande
Wo Isabella stand, und als es schien,
Daß Roland dem Gefecht ein Ende machte,
Ihr schönes Bild den beiden näher brachte.
64  Wie nun das Mädchen vor Zerbin erscheint,
Die er geliebt hat, inn'ger als sein Leben,
Die er auf falsche Botschaft hin beweint
Und todt geglaubt, den Wellen preisgegeben,
Fährt es wie Eis ihm durch die Brust, er meint,
Sein Herz erstarr', und seine Glieder beben.
Bald aber weicht der Frost, und all sein Blut
Lodert und flammt von süßer Liebesglut.
65  Sofort sie zu umarmen hindert ihn
Die Ehrfurcht vor dem Ritter von Anglante,
Der, wie er meinte, wie ihm sicher schien,
Das schöne Mädchen jetzt sein eigen nannte.
So wechselt Qual mit Qual, und bald entfliehn
Die Freuden, die der Augenblick ihm sandte.
Zu wissen, daß ein andrer sie erworben,
War schlimmer als der Wahn, sie sei gestorben. 344
66  Und mehr noch schmerzte, daß sie in den Händen
Des Ritters war, dem soviel Dank gebürt;
Nicht wär' es schicklich, dem sie abzuwenden,
(Auch wär' es wohl so leicht nicht ausgeführt).
Die Sache würde nicht in Frieden enden,
Hätt' ihm ein andrer diesen Schatz entführt.
Jetzt, da es Roland thut, muß er gelassen
Den Fuß sich in den Nacken setzen lassen.
67  In Schweigen kamen sie an eine Quelle
Und stiegen ab, ein wenig auszuruhn.
Der Graf war müd' und lüftet' auf der Stelle
Den Helm und hieß Zerbin desgleichen thun.
Vor freud'gem Schreck verfärbt sich Isabelle,
Denn ihres Freundes Züg' erkennt sie nun,
Und nun erblüht sie, wie die Blumen pflegen,
Wann Sonnenschein sie anglänzt nach dem Regen.
68  Und ohne viel zu fragen, was sich schickt,
Eilt sie den Hals des theuren zu umfangen.
Sie bringt kein Wort hervor, die Stimm' erstickt,
Mit Thränen aber netzt sie Brust und Wangen.
Wie Roland diese Zärtlichkeit erblickt,
Da, ohne weitre Auskunft zu verlangen,
Sieht er nach allen Zeichen deutlich ein,
Dies könne nur Zerbin, kein andrer, sein. 345
69  Als, kaum noch trocken von der Thränenflut,
Die Lippen Isabella's Worte fanden,
Erzählte sie, wie ritterlich und gut
Der große Paladin ihr beigestanden.
Zerbin, für den dies Mädchen und das Blut
Des eignen Herzens gleich im Preise standen,
Wirft sich zu Rolands Füßen, der ihm heut
Zwei Leben giebt, zwei Leben ihm erneut.
70  Viel Dankeswort' und viel Beteuerungen
Wären noch ausgetauscht, doch plötzlich schallt
Ein Ton her von der Seite, wo verschlungen
Der Weg sich windet durch den schwarzen Wald.
Schnell zu den Pferden waren sie gesprungen
Und hatten sich die Helme festgeschnallt,
Und als sie kaum im Sattel waren, sahen
Sie einen Ritter und ein Fräulein nahen.
71  Der Ritter war derselbe Mandricard,
Der erst so eilig Roland nachgeritten,
Um ihn zu züchtigen, weil Manilart
Und weil Alzird durch ihn den Tod erlitten,
Der aber im Verfolgen träger ward,
Seit er die schöne Doraliß erstritten,
Die, hundert Stahlgepanzerten zum Trotz,
Er sich erfocht mit einem Eichenklotz. 346
72  Noch wußt' er nicht, daß es der Paladin
Graf Roland sei, den er zu suchen gehe,
Obwohl es klar nach allen Zeichen schien,
Daß jener hoch im Rang der Ritter stehe.
Er faßt' ins Aug' ihn jetzt mehr als Zerbin,
Und maß ihn scharf vom Scheitel bis zur Zehe,
Und da er fand, die Zeichen träfen zu,
Sprach er: »Der Mann, den ich gesucht, bist du.
73  »Schon seit zehn Tagen unablässig setzte
Ich deiner Fährte nach durchs weite Land.
Denn die Begier, dich einzuholen, wetzte
Der Ruf, der seinen Weg ins Lager fand,
Als dort ein Mann eintraf, vielleicht der letzte
Von tausend, die du an den Styx gesandt,
Und uns erzählte, was du an den Männern
Noriziens thatest und den Tremisennern.
74  »Sofort, als ich es hörte, folgt' ich dir,
Um dich zu sehn und mich mit dir zu messen.
Die Farbe deines Kleids erfragt' ich mir,
Die dich verrät; doch nicht bedarf es dessen;
Denn hättest du auch unter hundert hier,
Um meinem Blicke zu entgehn, gesessen,
An deinem Aussehn, das so trotzig ist,
Hätt' ich gleichwohl erkannt, daß du es bist.« 347
75  Roland versetzte: »Daß du sonder Bangen
Und herzhaft bist, muß man dir zugestehn;
Denn niemals wird solch heldenkühn Verlangen
In einer niedren Seele wohnen gehn.
Bist du, um mich zu sehn, mir nachgegangen,
Sollst du mich auch von auß und innen sehn.
Ich werde meinen Helm vom Kopfe nehmen,
Um ganz mich deinem Wunsche zu bequemen.
76  »Und hast du recht ins Auge mich gefaßt,
Dann, hoff' ich, daß du mir die Ehr' erweisest,
Den zweiten Wunsch zu stillen, den du hast
Und dessenthalben du das Land durchreisest,
Zu sehn, ob meine Stärke stimmt und paßt
Zum trotz'gen Aussehn, das du an mir preisest.« –
»Wohlan zum zweiten Wunsch, (sprach der Tartar)
Befriedigt ist der erste ganz und gar.«
77  Der Graf hatt' ihn in des Gesprächs Verlauf
Genau beschaut vom Kopf bis zu den Zehen;
Er sah den Gürtel an, den Sattelknauf,
Doch weder Schwert noch Kolben war zu sehen.
So fragt' er ihn: »geht deine Lanze drauf,
Mit was für Waffen bist du dann versehen?«
Drauf der Tartar: »Das laß nur außer Acht;
Ich hab' auch so schon vielen Angst gemacht. 348
78  »Ich hab's gelobt, ich trage keinen Degen,
Bis Durindan' ich nehm' aus Rolands Hand.
Ich such' ihn längst; er soll mir Rechnung legen
Für allerlei, was auf dem Kerbholz stand.
Ich schwor es, (wenn du hören willst weswegen,)
Als diesen Helm ich auf das Haupt mir band
Und diese Waffen nahm, die Hectors waren,
Hectors, der todt ist schon seit tausend Jahren.
79  »Das Schwert allein fehlt bei den guten Waffen.
Ich weiß nicht, wer's geraubt hat. Kurz und gut,
Roland verstand's das Schwert an sich zu raffen,
Und nur daher stammt ihm sein großer Mut.
Kann ich mir einen Gang mit ihm verschaffen,
So nehm' ich ihm das schlechterworbne Gut.
Auch such' ich ihn, um Agrican zu rächen,
Meinen berühmten Vater, an dem frechen.
80  »Roland erschlug ihn durch ein Bubenstück;
In offnem Kampfe durft' er es nicht wagen.« –
Jetzt hielt der Graf sich länger nicht zurück:
»Du lügst, und alle lügen, die es sagen!
Wenn du den Roland suchst, so hast du Glück:
Ich bin's, und ehrlich hab' ich ihn erschlagen,
Und hier ist auch das Schwert, davon du prahlst,
Das dein ist, wenn du es mit Sieg bezahlst. 349
81  »Wennschon es rechtlich mein ist, gönn' ich dir
Den Zweikampf gern; so magst du es erlangen.
Bis dahin soll es weder dir noch mir
Gehören, sondern hier am Baume hangen.
Du kannst hernach es nehmen, wenn du hier
Zuvor mich tödtest oder nimmst gefangen.«
So redend nahm er Durindan' und band
Sie an ein Bäumchen, das im Felde stand.
82  Schon hält das Kämpferpaar entfernt vom Borne
Auf halbe Bogenschussesweite kaum.
Schon stacheln sie das Roß mit scharfem Sporne
Und kargen nicht mit dem verhängten Zaum;
Schon treffen die gewalt'gen Stöße vorne,
Wo durch den Helm die Blicke finden Raum;
Die Lanzen scheinen Eis, wie sie zerschellen
Und himmelan in tausend Splittern schnellen.
83  Die Lanzen brechen, da ist keine Wahl,
Denn diese Ritter wollen sich nicht biegen.
Die Griffe blieben heil, und noch einmal
Sieht man zum Kampf sie mit den Stümpfen fliegen.
Die beiden, immer nur gewöhnt an Stahl, –
Jetzt, wie zwei zorn'ge Bauern sich bekriegen
Um Weidegrenzen oder Wasserrecht,
Erneu'n sie mit zwei Pfählen das Gefecht. 350
84  Kein Pfahl bestünde vier von ihren Hieben,
Und während hitziger der Zorn erbraust,
Ist von den Lanzen nicht die Spur geblieben,
Und keine Waffe bleibt nun als die Faust.
Die Panzer splittern, Ring' und Maschen stieben,
Wohin ein Schlag von diesen Händen saust.
Sie brauchten nicht, um kräft'ger zuzulangen,
Schwerere Hämmer oder stärkre Zangen.
85  Wie kann der Saracen mit Ehren enden,
Was er begann in seinem Übermut?
Toll ist's, die Zeit an Arbeit zu verschwenden,
Wo er, der schlägt, sich selbst am wehsten thut.
Zum Ringen kömmt es, und mit beiden Händen
Umschlingt der Mohr den Feind und packt ihn gut
Fest um die Brust und glaubt besiegt ihn schon,
Wie einst Antäus ward von Jovis Sohn.
86  Mit großem Ungestüm faßt er ihn quer
Und schiebt und zerrt und will zur Seit' ihn biegen.
Auf seine Zügel achtet er nicht mehr,
So ist der Zorn ihm in den Kopf gestiegen.
Graf Roland steift sich fest und achtet sehr
Auf seinen Vortheil und gedenkt zu siegen;
Behutsam legt er seine Hand dem Gaul
Vorn auf die Stirn und streift den Zaum vom Maul. 351
87  Der Heide quält sich, um vom Sattel ihn
Herabzureißen oder todt zu drücken.
Der Graf indeß sitzt mit geschlossnen Knie'n
Und weder rechts noch links will er sich bücken.
Die Gurte brechen von dem mächt'gen Ziehn
Des Heiden, und der Sattel rutscht vom Rücken.
Da liegt der Graf und merkt es kaum, so fest
Bleibt er im Bügel, Schenkel angepreßt.
88  Als ob ein Waffensack zur Erde klirre,
So klirrt der Graf, wie er zu Boden fällt.
Der Renner Mandricards, dem vom Geschirre
Der Kopf befreit ist, den kein Zügel hält,
Fragt nicht nach Wald und Weg, und in die Irre
Jagt er in rasendem Galopp durchs Feld,
Bald hierhin und bald dorthin, wie von Sinnen
Und trägt den Mandricard mit sich von hinnen.
89  Die schöne Doraliß sieht ihren Mohren
Von dannen fliehn, und weil's ihr etwas graust
Allein zu bleiben, braucht auch sie die Sporen,
Dem flücht'gen nach, der durch die Felder saust.
Der Heide schreit dem Renner in die Ohren
Und schlägt ihn mit der Fers' und mit der Faust
Und droht ihm, als verstünd' er seinen Reiter,
Damit er steh', und jagt ihn nur noch weiter. 352
90  Der Renner lief halbtoll vor Angst und Schrecken,
Ohn' auf den Weg zu sehn, durch Gras und Rohr,
Lief meilenweit und liefe weitre Strecken,
Da beugt' ein Graben seinem Trachten vor.
Im Graben gab es weder Pfühl noch Decken,
Doch lagen beide drin, so Roß wie Mohr.
Wohl spürte Mandricard in allen Knochen
Den harten Stoß, doch hatt' er nichts gebrochen.
91  Hier endlich kömmt der flücht'ge Gaul zum Stehn,
Doch zaumlos wird er sich nicht lenken lassen.
Voll Wut und Arger eilt der Saracen
Das scheue Thier beim Mähnenhaar zu fassen
Und sinnt und weiß nicht recht, was soll geschehn?
»Nimm meines Zelters Zaum, er wird ihm passen,
(Sagt Doraliß) mein Zelter ist nicht böse,
Ob man ihm Zügel anleg' oder löse.«
92  Dem Heiden wär's unhöflich doch erschienen,
Das anzunehmen, was die Dame bot.
Das Glück wird ihn mit einem Zaum bedienen,
Das Glück, das gnädig blickt auf seine Not.
Es schickt ihm das verworfne Weib, Gabrinen,
Die, als Zerbin dahinging in den Tod,
Geflohn war wie die Wölfin von der Beute,
Wann sie von ferne hört des Jägers Meute. 353
93  In vollem Putz erschien sie plötzlich hier,
Nichts von dem jugendlichen Flitter fehlte,
Den Pinabels vorlautes Fräulein ihr
Abtreten mußte, wie ich euch erzählte.
Auch ritt sie deren Zelter noch, ein Thier,
Das zu den guten dieser Erde zählte.
So stieß das alte Weib auf den Tartaren,
Eh sie noch Zeit gehabt ihn zu gewahren.
94  Der König und das Fräulein lachen beide,
Wie die geputzte Vettel sie erreicht,
Ein Weib zu sehn mit Bändern und Geschmeide,
Die einer Meerkatz', einem Affen gleicht.
Den Zaum ihr wegzunehmen plant der Heide
Für seinen Gaul, und das gelingt ihm leicht:
Er nimmt den Zaum ihr weg; dann schreit und gellt er
Und jagt von hinnen den erschrocknen Zelter.
95  Der Zelter floh durch das Gefild' und trug
Die Alte fort, die schier zu sterben dachte.
Durch Berg und Thal ging es dahin im Flug,
Durch Zaun und Graben, wie sich's eben machte.
Von dieser aber sprach ich schon genug,
Und wicht'ger ist's, daß ich auf Roland achte,
Der alles, was am Sattelgurt zerriß,
Zurecht geflickt hat ohne Hinderniß. 354
96  Er steigt aufs Pferd und wartet eine Weile
Und hofft, der Feind kömmt wieder zu Gesicht..
Der aber kömmt nicht, und an seinem Theile
Ihn aufzusuchen hält er jetzt für Pflicht.
Höflich jedoch und fein trotz aller Eile
Will er sich nicht entfernen, eh er nicht
Mit holden Worten und Beteuerungen
Abschied genommen von den beiden jungen.
97  Dem edlen Schotten war die Trennung leid,
Und Isabella war gerührt zu Zähren.
Sie wollten mitgehn, aber ihr Geleit
Verbat er sich, so lieb sie ihm auch wären,
Und gab, um frei zu bleiben, den Bescheid,
Daß man für feig den Ritter würd' erklären,
Der, wenn er einen Feind aufsuchen wolle,
Gesellschaft brächte, die ihm helfen solle.
98  Er bat sie dann, dem Heiden, wenn's geschähe,
Daß der sie eher träf' als Roland ihn,
Zu sagen, Roland werd' in dieser Nähe
Drei Tage sich gedulden und verziehn,
Dann aber, wenn er seinen Feind nicht sähe,.
Zu dem Panier der goldnen Lilien ziehn,
Zum Heere Karls, so daß der andre wüßte,.
Wo er ihn finde, wenn es ihn gelüste. 355
99  Die zwei versprechen gern dies auszurichten,
Wie jeden Wunsch, den er sie wissen läßt.
So trennen denn die Ritter sich und richten
Zerbin die Fahrt gen Ost, der Graf gen West.
Doch wird er auf den Degen nicht verzichten;
Den nimmt er erst vom Baum und steckt ihn fest
Und wendet sich dahin mit seinem Pferde,
Wo er den Feind, so denkt er, treffen werde.
100  Die tolle Bahn des Gaules des Tartaren
Durch Waldung ohne Weg und ohne Spur
War Schuld, daß Roland ohn' ihn zu gewahren,
Zwei Tage sucht' und nichts von ihm erfuhr.
Er kam an einen Bach; krystallen waren
Die Wasser und voll Blumen rings die Flur,
Darauf der Lenz die frischen Farben streute
Und mancher schöne Baum die Blick' erfreute.
101  Der Mittag machte Luftzug angenehm
Dem stumpfen Rindvieh und dem nackten Hirten,
Und keinem war der Frost so fern wie dem,
An dessen Leibe Stahl und Eisen klirrten.
Zum Rasten fand der Graf den Ort bequem
Und kam daselbst zu bösen harten Wirten
In eine Herberg' unerhörter Plage
An diesem schrecklichen, unsel'gen Tage. 356
102  Umschauend sah er Namen eingeschrieben
In manchen Baum am schatt'gen Quellenrand.
Als seine Blicke daran haften blieben,
Erkannt' er deutlich seiner Göttin Hand.
Eins jener Plätzchen war's, die ich beschrieben,
In deren Näh' das Haus des Hirten stand,
Die oft zur Ruhestätte mit Medoren
Die schöne Königin Catai's erkoren.
103  »Angelica und Medor« – in hundert Weisen
Verschlungen steht's vor seinem Angesicht.
Soviel Buchstaben soviel scharfe Eisen,
Mit denen Amor durch das Herz ihm sticht.
Auf tausend Arten will er sich beweisen,
Das, was er knirschend glaubt, das glaub' er nicht;
Angelica, von der ins Holz der Name
Geschnitten ward, sei eine andre Dame.
104  Dann sprach er: »Doch die Schrift ist mir bekannt;
Ich sah und las sie oft in meinem Leben.
Möglich daß sie dies mit Medor erfand;
Vielleicht hat sie dies Beiwort mir gegeben.«
Mit solchen Gründen ohne viel Bestand
Sich selbst betrügend, hielt er sich im Schweben
Der Hoffnung, unbefriedigt, denn er wußte,
Daß er sie für sich selbst einfangen mußte. 357
105  Doch immer flammt der greuliche Verdacht
Nur höher, wenn er sucht ihn zu ersticken,
Wie Vögel, die für ihren Unbedacht
Im Garn sich oder auf dem Leim erblicken,
Je mehr sie flattern und mit aller Macht
Fliehn wollen, um so fester sich verstricken.
Roland betritt den Platz, wo sich der Fels
Wölbt wie ein Bogen oberhalb des Quells.
106  Den Eingang schmückten zu dem Grottenschlunde
Mit kletterndem Gewächs Epheu und Wein.
Oft hatte dort das Paar die schwülste Stunde
Des Tags verlebt, beseligt und allein,
Und öfter dort als in der ganzen Runde
Die Namen drin und draußen ans Gestein
Geschrieben, bald mit Kohle, bald mit Kreide,
Bald auch in Punkten mit des Messers Schneide.
107  Bekümmert kam der Graf an diese Pforte
Und stieg vom Pferd', und sieh, am Eingang stand
Noch frisch und deutlich eine Anzahl Worte,
Die schrieb Medor dorthin mit eigner Hand.
Vom Glück, das er genoß an diesem Orte
Schrieb er die Verse, die er selbst erfand,
In seiner Sprache zierlich ohne Frage,
Und die ich so in unsre übertrage: 358
108  »Lenzblumen, grüner Rasen, klare Flut,
Dämmrige Grotte, wo in holdem Schatten
Angelica aus königlichem Blut,
Um die so viel' umsonst geworben hatten,
Oftmals in meinen Armen nackt geruht,
Nichts kann Medor, den Dank euch abzustatten,
Nichts kann der arme thun als alle Zeit
Euch preisen für so große Freundlichkeit
109  »Und alle bitten, edle Herrn und Frauen,
In deren Herzen süße Liebe thront,
Und alle Wandrer, die das Plätzchen schauen,
Und jeden, der in dieser Nähe wohnt,
Zu Grott' und Quell, zu Schatten, Gras und Auen
Zu sprechen: freundlich sei euch Sonn' und Mond,
Und nimmer soll der Chor der Nymphen leiden,
Daß euch der Hirte naht, sein Vieh zu weiden.«
110  Es war arabisch, Roland von Anglante
Konnt' es so fertig lesen wie Latein.
Von vielen, vielen Sprachen, die er kannte,
Mocht' am bekanntesten ihm diese sein
Und hatt' ihm in den Ländern der Levante
Gar manchen Schimpf erspart und manche Pein.
Doch alle Frucht, die er daraus gezogen,
Ward jetzt durch einen Schaden aufgehoben. 359
111  Fünfmal und sechsmal las er, was da stand,
Der unglücksel'ge, immer an der Mauer
Das nicht zu finden hoffend, was er fand,
Und immer sah er's klarer und genauer.
Und jedesmal schnürt' eine kalte Hand
Sein Herz zusammen wie mit eis'gem Schauer,
Bis er zuletzt mit Aug' und Seele sich
Festbohrt' am Stein und selbst dem Steine glich.
112  Beinahe schon verlor er den Verstand,
So wehrlos lag er in des Schmerzes Krallen.
Glaubt es dem Manne, der es selbst empfand,
Daß dieser Schmerz der schlimmste ist von allen.
Die Kühnheit der gebeugten Stirn verschwand,
Das Kinn war auf die Brust herabgefallen,
Doch gönnte nicht der Schmerz in seinem Grimme
Dem Jammer Thränen noch den Klagen Stimme.
113  Der ungestüme Schmerz blieb ganz da drinnen;
Zu schnell hinaus wollt' er in seiner Qual.
So zaudert Wasser aus dem Krug zu rinnen,
Wenn weit der Bauch ist und die Oeffnung schmal,
Weil, um den Weg ins freie zu gewinnen,
Die Flüssigkeit beim Drehn mit einem Mal
Hinausstrebt, selber sich die Bahn verstopfend,
Und mühsam nur herausfließt, langsam tropfend. 360
114  Jetzt kömmt er etwas zu sich, und ihm scheint,
Vielleicht sei alles Blendwerk; anzuschwärzen
Die Ehr' Angelica's, hab' es ein Feind
Ersonnen, – und er glaubt's, hofft es von Herzen.
Vielleicht hat jemand es gethan, der meint
Ihn so zu tödten durch die Last der Schmerzen,
Und hat, wer es auch sein mag, ihren Namen
Und ihre Schrift verstanden nachzuahmen.
115  Mit solchem Nichts und dünnen Truggeweben
Weckt er den Mut und atmet etwas auf.
Er steigt auf Güldenzaum, als Phöbus eben
Der Schwester Platz macht für den nächt'gen Lauf.
Er ist nicht weit geritten, da erheben
Vor ihm sich Dächer und der Rauch steigt auf;
Die Hunde bellen, Kühe brüllen drinnen;
Er kömmt ans Haus, um Obdach zu gewinnen.
116  Ermüdet steigt er ab und läßt zum Pflegen
Sein Pferd in eines Knaben kund'ger Hand.
Die goldnen Sporen, Panzer, Helm und Degen
Schnallt man ihm ab und putzt sein Stahlgewand.
Dies war das Haus, wo jüngst Medor gelegen,
Wo er ein Glück dann sonder gleichen fand.
Roland begehrt kein Mahl, nur Lagerstatt,
Von Kummer, nicht von andrer Speise satt. 361
117  Je mehr er aber auszuruhn verlangte,
Je größre Pein und Plage bot sich dar;
Denn rings an Wand und Thür und Fenster prangte
In Lettern das verhaßte Namenpaar.
Er wollte fragen, doch die Lippe bangte;
Er fürchtete zu deutlich und zu klar
Zu machen, was er doch in Nebel gerne
Gehalten hätt' und dämmerhafter Ferne.
118  Vergebens aber schloß er selbst sein Ohr;
Ein ungefragter sprach, der nichts verhehlte.
Dem Hirten kam sein Gast bekümmert vor,
Und um den Gram zu lindern, der ihn quälte,
Und weil er die Geschichte des Medor
Gern jedem, der sie hören mocht', erzählte,
Und weil sie Beifall fand bei jedermann,
So fing er arglos zu berichten an,
119  Wie auf die holde Bitt' Angelica's
Er den Medor in seine Wohnung brachte,
Der schwer verwundet war, und wie sie saß,
Um ihn zu pflegen, und gesund ihn machte;
Wie schlimmer dann ihr Herz, als er genas,
An Lieb' erkrankt', und sich ein Brand entfachte
Aus kleinen Funken, bis sie ganz und gar
In Flammen stand und nicht zu halten war. 362
120  Und wie sie, ganz vergessend, wer sie sei,
Die reichste Königstochter der Levante,
Ganz unterjocht von Amors Tyrannei
Als Weib sich hingab diesem jungen Fante.
Der Hirte holt' auch jenen Reif herbei,
Als die Geschichte sich zum Ende wandte,
Den für die Hilfe, die er ihr erwies,
Angelica zum Dank ihm hinterließ.
121  Dies Ende war das Henkersbeil und schlug
Den Kopf vom Nacken ihm mit einem Hiebe,
Nachdem Scharfrichter Amor sich genug
Geweidet an den Foltern dieser Liebe.
Der Graf verbiß den Schmerz, den er ertrug,
Doch war's zu viel, als daß er drinnen bliebe;
Durch Mund und Augen, Klag' und Thränen bricht
Er los, der Jammer, ob er will, ob nicht.
122  Als er allein dann bleibt und frei vom Zwange
Sein Schmerz sich Luft macht, da auf einmal wallt
Aus beiden Augen über Rolands Wange
Ein Strom von Thränen ohne Maß und Halt.
Er ächzt und stöhnt und wälzt sich oft und lange
Bald nach der Rechten, nach der Linken bald.
Härter als Kiesel, brennender als hätte
Er Nesseln unter sich, dünkt ihm das Bette. 363
123  Nun fiel ihm ein, daß hier auf diesem Platze,
In diesem selben Bette, wo er lag,
Das undankbare Weib mit ihrem Schatze
Wahrscheinlich oft genug der Ruhe pflag.
Da graust' ihm vor dem Bett, mit einem Satze
Fuhr er vom Lager, wie im Waldeshag
Der Bauer, wenn er sich ins Gras gestreckt
Und schlafen will und eine Schlang' entdeckt.
124  Dies Bett und dieses Haus und dieser Hirt
Sind plötzlich ihm verhaßter als die Sünde.
Er wartet nicht, bis Mondschein kommen wird,
Nicht, bis die Dämmerung den Tag verkünde.
Er nimmt die Waffen und das Roß und irrt
Durch finstren Wald bis in die tiefsten Gründe,
Und dort, allein, fern von der Menschen Ohr
Oeffnet er mit Gebrüll dem Schmerz das Thor.
125  Nie rastet er vom Weinen, nie vom Schreien,
Fern ist die Zeit, die ihn in Ruhe wiegt.
Er meidet Stadt und Dorf; im Wald, im Freien,
Auf hartem Boden sitzt er oder liegt.
Er wundert sich, wie voll die Brunnen seien
In seinem Kopf, daß nie ihr Strom versiegt,
Und daß zu seufzen nie die Luft vergehe,
Und oftmals sagt er sich in seinem Wehe: 364
126  »Das sind nicht Thränen mehr, was da heraus
Durchs Auge rinnt, als ob es Quellen wären;
Die Thränen reichten für den Schmerz nicht aus,
Der halbe war genug, sie aufzuzehren.
Gedrängt vom Feuer flieht jetzt aus dem Haus
Der Lebenssaft und nimmt den Weg der Zähren;
Der ist es, was da fließt, mit dem nun bald
Leben und Schmerz dem End' entgegenwallt.
127  »Und sie, die meiner Folter Stimme leihn,
Sind keine Seufzer; Seufzer würd' ich kennen;
Die ruhen manchmal; aber meine Pein
Läßt keine Pausen ihres Hauchs erkennen.
Es muß der Wind von Amors Flügeln sein;
Der facht die Flamm' und will mein Herz verbrennen.
Wie wunderbar ist Amors Flamme, die
Es stets in Brand hält und verzehrt es nie!
128  »Ich bin's nicht, nein, ich bin's nicht, der ich scheine.
Roland ist todt und liegt in seinem Grab.
Ein falsches Weib hat ihn getödtet, eine,
Die ihm das Wort brach, das sie erst ihm gab.
Ich bin sein Geist, getrennt vom Fleisch und Beine,
Und irr' in dieser Hölle auf und ab,
Damit mein Schatten noch, mein letzter Rest,
Den warne, der auf Liebe sich verläßt.« 365
129  Den Wald durchirrt' er bis zum Morgengrauen,
Und als die Tagesflamm' aufglänzte, trieb
Sein Schicksal ihn zurück zu Quell und Auen,
Wo an den Fels Medor die Verse schrieb.
Dort seine Schmach zu sehn in Stein gehauen,
Entflammt' ihn so, daß ihm kein Tropfe blieb,
Der nicht in Haß und Grimm und Wut sich kehrte.
Und ohne Zaudern griff er nach dem Schwerte.
130  Er schlug durch Schrift und Stein, daß in den Raum
Gen Himmel flog ein Staub von kleinen Splittern.
Wehe der Grotte, wehe jedem Baum,
Daran die Namen stehn, die ihn erbittern!
Ach, künftig werden Bäum' und Grotte kaum
Den Hirten Schatten spenden und den Schnittern,
Und jene Quelle, jener klare Born
Blieb nicht verschont von dem gewalt'gen Zorn.
131  Denn Aeste, Stämme, Stümpfe, Stein und Sand
Läßt er ins Bett der schönen Wasser rollen
Und trübt sie so vom Grund bis an den Rand,
Daß nie sie wieder hell erglänzen sollen.
Schweißtriefend endlich, endlich übermannt,
Als Luft und Atem nicht mehr reichen wollen
Für Zorn und heißen Grimm und bittren Haß,
Sinkt er, gen Himmel stöhnend, hin ins Gras. 366
132  Erschöpft sinkt er ins Gras, und immer starrt er
Den Himmel an und bringt kein Wort hervor.
Dort ohne Speis' und ohne Schlaf verharrt er,
Und dreimal sinkt die Sonn' und steigt empor.
Inzwischen wuchs in ihm die herbe Marter,
Bis er am Ende den Verstand verlor.
Am vierten Tag, in heller Raserei,
Riß er den Harnisch auf dem Leib entzwei.
133  Hier liegen Helm und Schild, der Panzer dort;
Er schleudert um sich her mit Waffenstücken.
Die ganze Rüstung muß, mit einem Wort,
Im Wald in vielerlei Quartiere rücken.
Und dann reißt er und wirft die Kleider fort
Und zeigt den strupp'gen Bauch und Brust und Rücken.
Und also hob der große Wahnsinn an,
Daß man von größrem niemals hören kann.
134  Die Wut und Raserei war so beschaffen,
Daß nun sein Geist versank in tiefe Nacht.
Ihm fiel nicht ein, den Degen aufzuraffen,
Sonst hätt' er, glaub' ich, Wunder jetzt vollbracht.
Indeß kein Schwert noch Beil noch andre Waffen
Bedurfte seine ungeheure Macht;
Das zeigte sich sofort in hellem Lichte:
Im Nu entwurzelt' er die höchste Fichte. 367
135  Und nach der ersten riß er andre gleiche
Aus dem Gestein wie Binsen oder Rohr
Und nahm dasselbe Spiel mit Ulm' und Eiche,
Mit Ahorn, Buche, Tann' und Esche vor.
So wie der Vogelsteller im Bereiche
Des Platzes, den er für sein Netz erkor,
Gestrüpp und Nesseln pflegt beiseit zu räumen,
So räumt' er auf mit hundertjähr'gen Bäumen.
136  Die Hirten hören das Gekrach im Wald
Und lassen im Gebüsch zerstreut die Herde.
Von allen Seiten kommen sie alsbald,
Zu sehen, wer sich dort so wild geberde.
Hier aber, scheint mir, mach' ich lieber Halt,
Damit nicht die Geschicht' euch lästig werde,
Und besser find' ich's heute hier zu schließen
Als euch vielleicht durch Länge zu verdrießen. 368

 


 


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