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Karl und die Paladine greifen Rodomont an (1–16). Grifon, Orrigille und Martan reiten versöhnt zum Turnier nach Damascus (17–24). Geschichte vom König Norandin und dem Oger (25–68). Das Turnier in Damascus (69–73). Apostrophe an die christlichen Staaten, den Kampf gegen die Türken betreffend, (74–79). Martans Feigheit, Grifons Sieg im Turnier und Martans schändlicher Betrug (80–135).
1 | Von den namhaft gemachten Tyrannen bedürfen wohl nur folgende einer Bemerkung. Cajus ist Caligula; der letzte Antonin Heliogabalus; Maximin, der Sohn eines thracischen Hirten, wurde von den Truppen zum Kaiser ausgerufen. Mezentius, Tyrann von Agylla in Etrurien, kömmt in Virgils Aeneïs vor. | Gott der gerechte wird, wenn unsre Sünden Über das Maß der Läßlichkeit gedeihn, Von Zeit zu Zeit, um deutlich zu verkünden, Daß er zu strafen weiß wie zu verzeihn, Die Herrschaft greulicher Tyrannen gründen Und Macht und Geist zu freveln ihnen leihn; So ließ er Sulla, Marius, zwei Neronen Und den verruchten Cajus siegreich thronen, |
2 | Domitian, den letzten Antonin; So ließ er aus dem Pöbel sich erheben Zur Kaiserwürde jenen Maximin; So hat er Kreon Herrschaft über Theben Und dem Menzenz Agylla's Reich verliehn, Der einst mit Blut gedüngt hat seine Reben; So hat er Longobarden, Hunnen, Gothen Später zum Raub' Italien dargeboten. 68 |
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3 | Was soll ich weiter noch von Attila, Von Ezzelin, von hundert andern sagen, Die Gott, wenn er zu lang' uns sünd'gen sah, Gesandt hat, uns zu zücht'gen und zu plagen. Deß haben wir in unsren Zeiten ja So klares Zeugniß wie in alten Tagen, Wann, wider uns, die räud'gen Schaf', ergrimmt, Er tolle Wölf' als Wächter uns bestimmt. |
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4 | Die Anspielung geht auf den Papst Julius II, welcher nach der Niederlage von Ravenna die Schweizer ins Land rief. Der Schluß der Strophe bezieht sich auf blutige Gefechte des 16. Jahrhunderts, welche hyperbolisch mit den römischen Niederlagen zu Hannibals Zeit verglichen werden. | Die glauben noch, ihr Hunger sei zu klein, Ihr Bauch zu eng, um so viel Fleisch zu fressen, Und laden andre Wölfe, schlimmre, ein, Aus nord'schen Wäldern und den Alpenpässen. Nicht Cannä's unbegrabenes Gebein, Nicht Trasimen noch Trebia kann sich messen Mit den Gebeinen, die Gestad' und Buchten An Adda, Mella, Ronco heut befruchten. |
5 | Gott läßt die Straf' an uns durch jene Banden, Die schlechter sind vielleicht als wir, geschehn Für unsre Missethaten, unsre Schanden Und hundertfält'gen schimpflichen Vergehn. Die Zeit wird kommen, wo wir ihren Landen Den Raub abnehmen, wenn wir in uns gehn Und sie das Maß so überfließen machen, Daß sie den Zorn der ew'gen Lieb' entfachen. 69 |
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6 | Es scheint, daß ihre Frevel damals schon Die lichte Stirn des Herrn verfinstert hatten, Denn Schändung, Raub und Mord und jeden Hohn Durft' überall sich Türk' und Mohr gestatten; Jedoch des Rodomont Ingrimm und Drohn Stellt' aller andren Heiden Wut in Schatten. Ich hab' erzählt, wie Karl davon vernahm Und auf den Markt, um ihn zu suchen, kam. |
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7 | Er sieht sein Volk verstümmelt an der Erde, Zerstört die Tempel, die Paläst' in Brand, Verwüstet rings die Dächer und die Herde: Nie hat die Welt so arge Wut gekannt. »Wohin willst du entfliehn, kleinmüt'ge Herde? Liegt euer Schade nicht auf flacher Hand? Wo bleibt euch Stadt und Zuflucht, ihr Pariser, Wenn feig ihr euch vertreiben laßt aus dieser? |
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8 | »Soll denn ein einz'ger Mann, obschon gefangen In eurer Stadt, wo er nicht fliehen kann, Hinweggehn, ohne Wunden zu empfangen, Nachdem er euch getödtet Mann für Mann?« So sprach der Kaiser mit erglühten Wangen (Wie säh' er auch den Schimpf gelassen an?) Und kam zum großen Schloßplatz und erblickte Den Feind, der in den Tod die seinen schickte. 70 |
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9 | Ein Theil der Menge hatt' in aller Hast, Weil dort es sicher schien, das Schloß erklommen; Denn von Gemäuer stark war der Palast, Versehn mit Waffen, die zur Abwehr frommen. Der Mohr, vor Zorn und Hochmut rasend fast, Hatt' – er allein – den ganzen Platz genommen; Die eine Hand, trotz Volk und trotz Gemäuer, Wirbelt das Schwert, die andre wirft das Feuer. |
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10 | Er donnert an das hohe Königshaus, Daß dröhnend die gewalt'gen Thor' erbeben. Das Volk wirft von dem höchsten Dach des Baus Gesims' und Erkerthürm' auf Tod und Leben. Die Dächer gehn darauf; es macht nichts aus; So Stein wie Holz muß sich bergab begeben, Und Säul' und goldner Balk' und Marmorplatte, Die Ahn und Urahn schon bewundert hatte. |
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11 | Am Thor steht Rodomont, und funkelnd blitzen Stahlhelm und Panzer ihm um Haupt und Brust: So kömmt die Schlang' aus finstren Felsenritzen, Wo sie zurückließ all den alten Wust, Stolz, ihren neuen Harnisch zu besitzen, Verjüngt und höh'rer Stärke sich bewußt; Drei Zungen schnellt sie vor, ihr Aug' ist Feuer, Und wo sie naht, fühlt sich kein Thier geheuer. 71 |
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12 | Nicht Stein, Gesims, Gebälk, Armbrust und Bolze, Nichts was von oben auf ihn niederschwirrt, Hemmt diese blut'ge Faust, vor der das stolze Portal zersplittert, birst und kracht und klirrt. Schon öffnet solch ein Fenster sich im Holze, Daß er sie sieht und selbst gesehen wird Von den Gesichtern, die in dichter Masse Den Hof erfüllen, lauter todtenblasse. |
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13 | Und nun erhob sich Wehgeschrei und Jammern, Das über die geräum'gen Dächer scholl. Die Brust zerschlagend sah man durch die Kammern Die Weiber flüchten und verzweiflungsvoll Sich an die Thür, ans Ehebett sich klammern, Das bald ein Raub der Fremden werden soll. So hochgefährlich stand es dort mit ihnen, Als Karl und mit ihm die Baron' erschienen. |
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14 | Karl wandte sich an diese tapfre Schar, Auf die in jeder Not er zählen konnte. »Ihr waret bei mir, (hob er an) nicht wahr? Im Kampf mit Agolant bei Aspramonte, Und jetzt wär' eure Kraft so unfruchtbar, Daß ihr, die ihr Trojan schlugt und Almonte Und Tausende, vor einem solltet weichen, Der doch nur ihres Bluts ist, ihres gleichen? 72 |
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15 | »Weshalb wollt ihr zum Kampf in dieser Stunde Kleinmüt'ger gehen als ihr damals gingt? Zeigt eure Rittertugend jenem Hunde, Dem Hunde, der die Menschen hier verschlingt. Ein edles Herz scheut nicht die Todeswunde, Ob früh, ob spät, wenn Tod nur Ehre bringt; Doch fürchten kann ich nichts an eurer Seite, Durch die ich Sieger blieb in jedem Streite.« |
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16 | Mit diesen Worten senkt er seinen Speer Und treibt sein Roß gerad' auf den Barbaren. Zugleich fährt auf den Heiden Oliver Und Naims und Holger kommen hergefahren, Avin, Avol, Otto und Berlinger, (Die beiden, welche stets beisammen waren,) Und alle rennen mit vereintem Stoß Auf Flanken, Brust und Stirn des Heiden los. |
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17 | Jetzt aber, Herr, beim Himmel, bin ich's satt Von Zorn zu reden und von Tod zu singen. Genug geschrieben steht auf diesem Blatt Von Rodomonts Blutgier und tapfrem Ringen. Zeit wär' es, daß wir mit Grifon zur Stadt Damascus und mit jener falschen gingen, Mit Orrigillen und dem jungen Wicht, Der ihr Galan war und ihr Bruder nicht. 73 |
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18 | Zu Asiens reichsten Städten, die wir preisen Ob ihrer Volkszahl, ihrer Herrlichkeit, Zählt auch Damascus, das sechs Tagereisen Liegt von Jerusalem, und weit und breit Sieht man die schönste Flur die Stadt umkreisen, Im Winter schön wie in der Sommerszeit. Des jungen Morgens ersten Strahl entzieht Ein Hügel ihr, den man im Osten sieht. |
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19 | Zwei Ströme flüssigen Krystalls ergießen Sich in verschiednen Bächen durch den Ort, Die rauschend durch zahllose Gärten fließen, Daß Laub und Blüte nimmermehr verdorrt. Auch sagt man, daß sich Mühlen treiben ließen Mit all dem Pomeranzenwasser dort, Und wer die Stadt durchwandre, der verspüre Den Wohlgeruch und Duft an jeder Thüre. |
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20 | Die große Straß' entlang sind heute zwischen Den Häusern bunte Decken ausgespannt, Und rings von duft'gen Kräutern und von frischen Waldzweigen prangt die Stadt und jede Wand. Geschmückt sind Thüren, sind die Fensternischen Mit Teppichen und köstlichem Gewand, Mehr aber noch mit schönen Fraun im Staate Der Festgeschmeid' und prächtigen Brokate. 74 |
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21 | Sobald man innerhalb der Thore war, Sah man das Volk bei lust'gen Reigenfesten; Es tummelte die reichre Bürgerschar Auf schönen Rossen sich, prachtvoll betreßten. Das schönste Schauspiel bot der Hofstaat dar Mit Herrn, Baronen und erlauchten Gästen, Mit Gold, Gestein und Perlen, was nur je Aus Indien kam und Erythräa's See. |
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22 | Grifon und Orrigill' und ihr Begleiter Besahn sich alles ohne Eil' und Hast. Auf ihrem Wege grüßte sie ein Reiter Und lud sie in sein reiches Haus zu Gast; Dort nach dem Brauche sorgt' er höflich weiter, Daß ihnen nichts gebrach zu guter Rast; Er führt' ins Bad sie, und nach kurzer Pause Empfing er freundlich sie beim reichen Schmause. |
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23 | Und dort erzählt' er: »König Norandin, Herr von Damascus und des Syrerlandes, Hat jedem Heimischen Zutritt verliehn Und jedem Fremdling ritterlichen Standes, Zum morgigen Turniere mitzuziehn, Und also braucht auch ihr nicht außer Landes Euch zu bemühn, um eure Kraft vielleicht Zu zeigen, wenn sie eurem Aussehn gleicht.« 75 |
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24 | Zwar hatte sich's Grifon nicht vorgenommen, Als er hierher kam, doch es war ihm recht, Denn stets, wann die Gelegenheit gekommen, Mut zu beweisen, stand noch keinem schlecht. So fragt' er nach dem Fest, und ob es frommen Ursprunges sei und ob sie solch Gefecht Alljährlich hielten oder nach Gefallen Des Königs zur Erprobung der Vasallen. |
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25 | »Das schöne Fest (versetzt der Ritter) wollen Wir künftig jeden vierten Mond begehn; Dies ist von allen, die noch kommen sollen, Das erste; keins noch hat die Welt gesehn. Und zum Gedächtniß einer wundervollen Errettung unsres Herrn soll dies geschehn, Der nach vier Monden voller Schmerz und Klage Dem droh'nden Tod' entrann an diesem Tage. |
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26 | »Indeß ihr sollt den ganzen Fall erfahren. Wißt, unser König, Norandin genannt, War in gewalt'ger Liebe schon seit Jahren Für die holdseligste der Fraun entbrannt, Des Cypernkönigs Tochter, und sie waren Endlich vermählt, und in sein eignes Land Sie heimzuführen stand er im Begriffe, Mit Rittern und mit Fraun, auf seinem Schiffe. 76 |
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27 | Carpatium ist der alte Name des Meers von Scarpanto zwischen Rhodus und Kreta. | »Doch als mit vollen Segeln wir ins Meer, Ins tückische Carpatium gelangten, Erhob ein Wetter sich grausam und schwer, Daß alle, selbst der alte Schiffer, bangten. Drei volle Tag' und Nächte hin und her Auf droh'nden Wogen irrten wir und schwankten, Zuletzt erreichten wir durchweicht und matt Ein grünes Land und schatt'ge Zufluchtstatt. |
28 | »Wir pflanzten Zelte, froh nach all der Qual, Und ließen Tücher unter Bäumen spannen; Man deckt' auf Teppichen den Tisch zum Mahl Und rüstete die Feuer und die Pfannen. Der König war derweil ins nahe Thal Hinabgeeilt und in die dichten Tannen, Um auszuschaun nach Damwild, Reh und Hirsch; Zwei Diener trugen das Gerät zur Pirsch. |
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29 | »Wir warteten auf seine Wiederkehr Und saßen ganz vergnügt auf unsrer Wiese; Da sahn wir plötzlich, wie zu uns vom Meer Der Oger kam, der fürchterliche Riese. Behüt' euch Gott, Herr, daß ihr nimmermehr So greuliche Gestalt sehn mögt wie diese. 's ist besser sich davon erzählen lassen, Als in der Näh' ihn selbst ins Auge fassen. 77 |
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30 | »Man merkt es nicht, wie lang der Riese sei, Weil er so dick ist über alle Maßen. Denkt euch, daß in dem Kopf statt Augen zwei Schwammfarb'ge Kügelchen von Knochen saßen. Vom Meere, wie gesagt, kam er herbei, Als komm' ein Berg daher die grünen Straßen. Hauzähne zeigt er nach des Ebers Art, Die Nas' ist lang, voll Geifers Brust und Bart. |
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31 | Er kam gerannt und hielt die Schnauze so, Als ob ein Schweißhund an die Fährte rührte. Wir alle fuhren auf, und jeder floh Verstört und bleich, wohin die Angst ihn führte. Zwar war er blind, doch macht' es uns nicht froh, Da er durch bloßes Schnüffeln besser spürte Als andre mit Geruch und Augenlicht; Und wer nicht Flügel hat, entrinnt ihm nicht. |
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32 | »Wir flohn und hofften, daß sich Gott erbarme; Doch nicht der Südwind ist so schnell wie der. Wir waren vierzig; von dem ganzen Schwarme Entkamen schwimmend zehn ans Schiff im Meer. Wie Bündel trug er ein'ge unterm Arme, Ließ auch den Busen und den Schooß nicht leer, Und füllte noch den Ranzen bis zum Rande, Den er als Hirte trug am Lederbande. 78 |
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33 | »Der Unhold trug uns fort nach seinem Bau, Nach einer Felsenhöhl' auf grüner Matte. Marmorne Wände trägt der Fels zur Schau, Ganz weiß, gleich einem unbeschriebnen Blatte. Dort wohnte mit dem Oger eine Frau, Die Gram im Antlitz und im Herzen hatte. Sie hatte Fraun und Mädchen unter sich, Häßlich und hübsch und alt und jugendlich. |
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34 | »Dicht bei der Grotte, wo er wohnte, war Dem Gipfel näher und im Fels verborgen Ein gleicher Raum, wenn nicht noch größer gar. Dort pflegt' er seine Herde zu besorgen, Und unermeßlich schien der Thiere Schar. Er war ihr Hirt und öffnet' ihr am Morgen Und nahm sie Abends wieder in Verwahrung Zur Kurzweil mehr als zu Gebrauch und Nahrung. |
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35 | »Er fand daß Menschenfleisch viel besser schmecke; Das zeigt' uns unterwegs der Augenschein. Drei unsrer Jüngsten fraß er uns zum Schrecke Sofort und schlang lebendig sie hinein. Er kam zum Stall, hob einen Fels vom Flecke, Vertrieb die Herde, schloß uns drinnen ein, Ging mit den Thieren dann hinab zur Matte Und blies das Rohr, das er am Halse hatte. 79 |
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36 | »Indeß kam unser Herr zurück vom Jagen Und merkte bald den Raub; denn rings umher War alles still, die Zelt' und Hütten lagen Verlassen, und die Lauben waren leer. Wer ihn beraubt hat, weiß er nicht zu sagen, Und bangen Herzens wandert er ans Meer, Und sieht von fern das Schiffsvolk Anker lichten Und Tau' und Segel wie zur Abfahrt richten. |
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37 | »Sobald die Schiffer ihn am Ufer sehn, Entsenden sie ein Boot, ihn abzuholen. Kaum aber hört der König, was geschehn Und wie der Oger greulich ihn bestohlen, So faßt er den Entschluß ihm nachzugehn Und ihn, wo er auch sein mag, einzuholen. Lucina's Raub ist allzu bittre Pein, Er will nicht leben oder sie befrein. |
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38 | »Wo frische Spuren ihm die Fährte wiesen, Den Ufersand entlang, lief er, gejagt Von Liebeswut, und über Feld und Wiesen, Bis an die Höhle, wo, wie ich gesagt, Wir ärmsten saßen, wartend auf den Riesen, In größter Angst, die je ein Herz geplagt, Gefaßt darauf, bei jedem Ton und Schalle, Er komme hungrig heim und fress' uns alle. 80 |
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39 | »Zum Glück traf Norandin die Wohnung ohne Den Oger an und fand die Frau allein. Die rief ihm zu: Entflieh! mit hast'gem Tone, Unseliger! der Oger fängt dich ein! – Ob er mich fang', ob nicht, mord' oder schone, (Antwortet er,) unselig muß ich sein; Mein Wille führt mich her, nicht ein Versehen; Mit meinem Weibe will ich untergehen. |
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40 | »Dann fährt er fort und fragt die Frau nach ihnen, Die der Barbar vom Ufer fortgerafft, Zuerst vor allen andern nach Lucinen: Ist sie getödtet? hält er sie in Haft? Die Frau ist gut und möchte gern ihm dienen. Lucina, sagt sie, lebt, unzweifelhaft; Auch denkt der Oger nicht sie umzubringen, Denn niemals pflegt er Weiber zu verschlingen. |
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41 | »Ein Zeugniß dessen bin ich selber schon, Und alle diese Fraun sind es desgleichen. Nie wird der Oger mich und sie bedrohn, Wenn wir nur nicht aus seiner Höhl' entweichen. Will eine fliehn, der zahlt er bösen Lohn, Und keine Gnade wird ihn dann erweichen. Er gräbt sie lebend ein, schlägt sie in Bande, Stellt nackt sie in die Sonn' auf heißem Sande. 81 |
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42 | »Die deinen hat er, wie er sie im Rennen Ergriffen hat, in jenen Stall gedrängt, Ohn' erst die Männer von den Fraun zu trennen, In einem einz'gen Haufen bunt vermengt. Doch wird er mit der Nase sie erkennen, Und keinem Weibe wird der Tod verhängt; Den Männern desto sichrer; vier und auch Wohl sechs des Tags verschlingt sein gier'ger Bauch. |
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43 | »Wie du sie hier entführen könntest, sehe Ich keinen Rat. Dein Trost, dein einz'ger, ist, Daß ihr nichts ärgres hier als uns geschehe Und nicht verkürzt werd' ihre Lebensfrist. Jetzt aber geh, mein Sohn, beim Himmel gehe, Damit der Oger dich nicht spürt und frißt. Sobald er kömmt, durchschnuppert er die Klause Und riecht das kleinste Mäuschen selbst im Hause. |
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44 | »Der König sagte, daß ihn nichts vertreibe, Er habe denn Lucina erst gesehn, Und lieber woll' er mit dem lieben Weibe Sterben als ohne sie dem Tod entgehn. Da jene sah, wie fest und starr er bleibe Bei seinem Wunsch trotz ihrem Rat und Flehn, Erwog sie, wie sie aus der Not ihn reiße, Mit allem ihrem Witz und allem Fleiße. 82 |
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45 | »Geschlachtet hing im Hause jederzeit Vorrat von Ziegen und der bärt'gen Gatten, Für sie und für der Mägde Tisch bereit, Und manches Fell hing in des Daches Schatten. Sie gab dem König von der Fettigkeit, Die ums Gedärm die größten Böcke hatten, Daß er damit sich salb' am ganzen Leibe Und den Geruch, der an ihm war, vertreibe. |
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46 | »Als er den üblen Stank zu haben schien, Der allzeit ausgeht von dem garst'gen Bocke, Hieß sie ein zottig Vließ ihn überziehn, So daß er ganz verschwand im woll'gen Rocke. Vermummt sodann begab er auf den Knien Und Händen sich nach jenem Felsenblocke, Der seiner Herrin holdes Angesicht Vor ihm verschloß und vor dem Sonnenlicht. |
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47 | »Folgsam bereitet Norandin sich vor, Wie sie ihm riet, zu warten vor dem Schlunde Und mit den Ziegen einzuziehn ins Thor, Und harrend sitzt er bis zur Abendstunde. Am Abend hört er fern das Hirtenrohr, Wie seine Herden aus dem Wiesengrunde Hinwegruft und zurück zum Stalle leitet Der grimme Hirt, der hinter ihnen schreitet. 83 |
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48 | »Ihr könnt euch denken, als er von den Auen Ihn kommen hörte, bebt' ihm Mark und Bein, Und als der Unhold, gräslich anzuschauen, Zur Höhle kam und zu dem großen Stein. Doch war die Treue stärker als das Grauen. Der brannte, gelt, und liebte nicht zum Schein? Der Oger kömmt und hebt den Stein empor, Der König, mit den Ziegen, schlüpft ins Thor. |
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49 | »Sobald er fand, daß alle drinnen seien, Folgt' ihm der Oger nach und schloß das Haus. Er roch nach uns herab und griff nach zweien; Denn rohes Fleisch wollt' er zum Vesperschmaus. Denk' ich an dieser Zähne graus'ge Reihen, So zittr' ich noch und Angstschweiß bricht mir aus. Der Oger geht; der König macht den Leib Frei von dem Bocksfell und umarmt sein Weib. |
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50 | »Statt daß sie nun getrost war und sich freute Ihn hier zu sehn, empfand sie Schmerz und Pein. Sie sah ihn hier, wo sichrer Tod ihm dräute, Und sie vom Tode konnt' er nicht befrein. Bei allem Unheil, sprach sie, das ich heute Erfahren, blieb doch große Freude mein, Daß du nicht bei uns warst, als ich mit diesen Hierher geschleppt ward von dem blinden Riesen. 84 |
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51 | »Zwar, als des Todes Vorhof plötzlich sich Mir aufthat, war es bitter mir und herbe; Doch nur mein eigen Schicksal schmerzte mich, Nach dem Instinkt, der aller Menschen Erbe. Jetzt klag' ich mehr als um mich selbst um dich, Ob ich nun vor dir oder nach dir sterbe. So fuhr sie fort und litt um den Gemal Mehr als um eigne Nöte Herzensqual. |
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52 | »Die Hoffnung führte mich, dir beizustehen, Sprach Norandin, und allen, die hier sind; Kann ich es nicht, dann lieber untergehen, Als leben ohne meine Sonne, blind! Wie ich hereinkam, kann ich wieder gehen, Und ihr mit mir, so daß ihr leicht entrinnt, Wofern ihr den Geruch der garst'gen Häute Nicht scheuen wollt, wie ich ihn auch nicht scheute. |
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53 | »Die List, wie man des Ogers Nase prelle, Erklärt' er, wie die Frau ihn unterwies, Und für den Fall, daß er uns an der Schwelle Betasten sollt', empfahl er uns ein Vließ. Dies leuchtet' allen ein, und auf der Stelle So viel wir unser waren im Verlies, So viele Böcke wurden abgestochen, Die ältesten, weil die am schlimmsten rochen. 85 |
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54 | »Wir salbten mit dem weichen Fett uns dann, Darin verhüllt die Eingeweide liegen, Und zogen uns die zott'gen Kleider an. Aus goldnem Bett war jetzt der Tag gestiegen, Und wie der erste Morgenschein begann, Kam auch der Hirt zurück zu seinen Ziegen, Und Odem leihend dem klangvollen Rohr, Rief er die Herd' aus ihrem Stall hervor. |
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55 | »Er hielt die Hand ans offne Loch der Grotte, Aus Furcht wir möchten mit der Herd' entfliehn. Er hielt uns an, und fühlt' er Haar und Zotte Auf unsern Rücken, ließ er gleich uns ziehn. Wir all' entkamen, Dank dem güt'gen Gotte, Und täuschten mit den woll'gen Pelzen ihn. Bei keinem einz'gen sollt' er Unrat wittern, Bis dann Lucina kam mit Angst und Zittern. |
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56 | »Lucina – sei es daß sie nicht wie wir Gesalbt sich hatte, weil sie Abscheu hegte, Sei's daß sie sich langsamer als das Thier, Das nachgeahmte, durch das Thor bewegte, Sei's daß sie aufschrie, als der Oger ihr Die schweren Tatzen auf den Rücken legte, Sei's daß ihr Haar losging, – er hatte sie Plötzlich entdeckt, ich selber weiß nicht wie. 86 |
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57 | »Wir, ganz beschäftigt mit dem eignen Falle, Gaben aufs Thun der andern wenig Acht. Ich sah mich um bei ihrem Schrei, die Kralle Des Unholds riß ihr schon die zott'ge Tracht Vom Leib' und warf sie in die Felsenhalle. Wir andern gingen in den Pelzen sacht Mit seiner Herd', und arglos trieb der Riese Uns zwischen grünen Höhn auf frische Wiese. |
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58 | »Dort harrten wir, bis unterm Busch im Schatten Der grimme Spürhund eingeschlafen schien. Dann flohn wir sämtlich über Berg und Matten, Und nur der König lehnt' es ab zu fliehn. Zärtliche Liebe fesselte den Gatten; Er wollte mit dem Vieh zur Grotte ziehn Und nicht von hinnen gehn bis an sein Ende, Wenn er nicht Rettung für die Liebste fände. |
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59 | »Denn als vorhin sie hinter jene Mauer Verschwunden war, gefangen sie allein, Wollt' er zuerst in blinder Wut und Trauer Sich selbst dem Ungetüm zum Opfer weihn Und sprang empor und lief bis an die Hauer, Und fast geriet er untern Mühlenstein; Dann aber hielt zurück ihn bei der Herde Die Hoffnung, daß er sie erlösen werde. 87 |
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60 | »Am Abend, als der Oger mit den Geisen Nach Hause kömmt und merkt, was ihm geschehn, Und daß er schlafen soll ohn' erst zu speisen, Da wird Lucin' als schuldig angesehn, Und er verurteilt sie, fortan in Eisen In Wind und Wetter auf dem Fels zu stehn. Der König sieht sie seinethalb in Nöten; Der Schmerz zerreißt und kann ihn bloß nicht tödten. |
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61 | »Des Morgens und des Abends sieht der arme, Wie sie in Qual und Jammer droben steht: Er kömmt des Wegs vorbei im Ziegenschwarme, Wann's auf die Weide, wann's zum Stalle geht. Sie blickt ihn an, die Wangen bleich vom Harme, Und winkt ihm, daß er fliehe, winkt und fleht; Denn immer schwebt er in Gefahr des Lebens, Und ihr zu helfen sucht er doch vergebens. |
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62 | »Auch drang des Ogers Weib in Norandin, Er solle fort, doch war's umsonst gesprochen. Er wollte nimmer ohne Gattin fliehn, Und der Entschluß blieb fest und ungebrochen. Dies Joch, an welches Lieb' und Mitleid ihn Gefesselt, hatten trug er viele Wochen, Bis dann Gradasso kam und Mandricard Und unsre Königin gerettet ward. 88 |
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63 | Lucina's Befreiung durch Mandricard und Gradasso wird von Bojardo ausführlich erzählt. | »Die beiden waren's, die mit kecker Hand Die schöne Frau von ihrem Pfahl befreiten, (Obschon dabei mehr Glück war als Verstand,) Und brachten sie ans Meer mit schnellstem Reiten Zu ihrem Vater, der sich dort befand. Und dies geschah am Morgen so bei Zeiten, Daß Norandin mit seiner Herde noch Beim Wiederkäuen war im Felsenloch. |
64 | »Als aber sich aufthat der Grottenmund Und er vernahm, die Frau sei fortgegangen, (Denn alles that des Ogers Weib ihm kund Und aufs genauste, wie es zugegangen,) Da dankt' er Gott und fleht' aus Herzensgrund, Lucina mög' an einen Ort gelangen, Woselbst mit Waffen oder Bitten man Oder mit reichem Gut sie lösen kann. |
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65 | »Voll Freuden folgt' er dann der zweiten Schar Stumpfnas'ger Ziegen nach der grünen Aue Und harrte, bis im Schatten der Barbar Ins Gras sich leg' und sich dem Schlaf vertraue. Dann lief er rastlos, bis es Abend war, Und sicher endlich vor des Ogers Klaue, Stieg er zu Schiff in Satalia's Port, Und seit drei Monden ist er hier am Ort. 89 |
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66 | »In Städt' und Dörfer sandt' er seine Späher Durch Afrika, Aegypten und Türkei, Lucinen nach, und kam dem Ziel nicht näher. Bis endlich vor zwei Tagen oder drei Die Nachricht ihm zuging von seinem Schwäher, Daß sie wohlauf in Nicosia sei, Nachdem der schlimme Wind sich endlich drehte, Der ihrem Segel lang' entgegenwehte. |
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67 | »Zur Feier dieser frohen Neuigkeit Rüstet der Herr das prächt'ge Fest auf morgen Und will am vierten Neumond alle Zeit Für gleiche Lustbarkeit wie diese sorgen. Der Tag bleibt der Erinnerung geweiht An die vier Monde, wo im Pelz verborgen Er bei des Ogers Herde blieb und dann Um Neumond aus so schwerem Leid entrann. |
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68 | »Was ich erzähle, hab' ich theils gesehn Und theils gehört von ihm, der hundert Tage (Den König mein' ich) alles was geschehn Mit ansah, bis zum Jubel ward die Klage. Und hört ihr je, daß andre Reden gehn, So sagt nur, daß man nicht die Wahrheit sage.« So deutete der Edelmann den Gästen Den hohen Anlaß zu den schönen Festen. 90 |
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69 | Mit Reden solcher Art verfloß die Zeit Bis in die Nacht, und alle drei gestanden, Des Königs seltne Lieb' und Zärtlichkeit Hab' eine große Probe wohl bestanden. Der Wirt gab seinen Gästen dann Geleit Dorthin, wo sie bequemes Lager fanden. Am hellen, heitren Morgen Tags darauf Wachten sie bei dem Schall des Jubels auf. |
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70 | Als Schall der Pauken und Trompetenton Die Stadt durchzog und rings die Schläfer störte Und man von Rossen und von Wagen schon Und von Geschrei die Straßen hallen hörte, Hüllt' in die blanke Rüstung sich Grifon, Die zu den seltnen Rüstungen gehörte; Denn fest und undurchdringlich machte sie Die weiße Fee durch Zauber und Magie. |
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71 | Der Antiochier, ein gemeiner Schranze, Bewaffnete sich auch zur selben Zeit; Der edle Wirt hielt manch gewalt'ge Lanze Und dicke Stange für die zwei bereit Und gab mit seiner Sipp' in vollem Glanze Den beiden Rittern nach dem Platz Geleit. Auch Knappen, wohlgeübt sie zu bedienen, Zu Fuß und auch zu Pferde gab er ihnen. 91 |
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72 | Sie hielten auf dem Platze sich beiseit, Und ohn' im Feld umher zu paradiren, Sahn sie das schöne Volk des Mars zum Streit Anrücken, einzeln und zu zwein und vieren. Da konnte manche Dame Lust und Leid Der Ritter in der Farben Wahl studiren, Und mancher Helmbusch, manch bemalter Schild Verriet, ob Amor hart sei oder mild. |
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73 | Die Syrier pflegten zu Turnier und Schlachten Sich damals ganz wie Franken anzuziehn; Vielleicht daß sie das Vorbild solcher Trachten Von ihren Nachbarn den Franzosen liehn, Die damals noch das heil'ge Haus bewachten, Wo der allmächt'ge Gott im Fleisch erschien, Das heut die stolzen und elenden Christen Den Hunden lassen, dort sich einzunisten. |
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74 | Statt zur Verbreitung unsrer heil'gen Lehre Das Schwert zu ziehn, dort wo es Gott erlaubt, Rennen sie in ihr eignes Fleisch die Speere Zum Untergang des wen'gen, was man glaubt. Ihr Heere Spaniens, ihr Franzosenheere Und Schweizer ihr, gen Osten kehrt das Haupt, Ihr Deutschen auch, zu würdigem Erwerbe; Denn was ihr hier sucht, ist schon Christi Erbe. 92 |
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75 | Wenn ihr »die allerchristlichsten« noch heute, Wenn heut ihr »die katholischen« noch heißt, Wie kömmt es, daß ihr Christi Lehensleute Ermordet und ihr Lehen an euch reißt Und nicht Jerusalem von jener Meute Befreit habt und die Räuberbrut zerschmeißt, Und daß Constantinopel und den besten Theil dieser Welt der Türke darf verpesten? |
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76 | Hast du, o Spanien nicht gerechtre Gründe Afrika als Italien gram zu sein? Statt jenes Kriegs, der dir viel schöner stünde, Mußt du dies arme Land dem Jammer weihn? O stinkende Kloake jeder Sünde, Schläfst du, Italien, ganz berauscht von Wein? Wurmt es dich nicht, daß du der fremden Horden, Die deine Sklaven waren, Magd geworden? |
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77 | Wenn Furcht vor Hunger euch von euren Steinen, Schweizer, herabführt in die Lombardei Und ihr bei uns nur Brod sucht oder einen, Der euch zu schnellem Tod behilflich sei, Der Türken Schatz wär' nahe, sollt' ich meinen. Europa macht, macht nur die Griechen frei: So könnt ihr leicht der Hungersnot entrinnen Und wenigstens ruhmvollen Tod gewinnen. 93 |
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78 | Der Hermus war wie der berühmtere Pactolus als goldführender Fluß in Kleinasien bekannt. Mygdonien war eine reiche Provinz Phrygiens. | Dasselbe sag' ich eurem Nachbarlande, Dem deutschen: aller Reichtum ist noch dort, Den Constantin mitnahm vom Tiberstrande. Er nahm das best' und gab das andre fort. Pactolus, Hermus mit dem goldnen Sande, Mygdonien, Lydien, jener Meeresbord, Der schöne, den so viele Bücher preisen, – Wenn ihr dahin wollt, ist's nicht weit zu reisen. |
79 | Diese Anrede an Papst Leo X beginnt mit einer Anspielung auf Jesaias Cap. 22, V. 22: »und will die Schlüssel zum Hause David auf seine Schulter legen, daß er aufthue und niemand zuschließe, daß er zuschließe und niemand aufthue.« | Du, großer Leo, dessen Schultern Last Und Amt der Himmelsschlüssel auf sich nahmen, Wenn deine Hand beim Schopf Italien faßt, So laß es nicht in dumpfem Schlaf erlahmen. Du bist der Hirt; vom Himmel selber hast Du diesen Stab und deinen Löwennamen, Damit du brüllest und die Arme breitest Und für die Herde wider Wölfe streitest. |
80 | Wie aber hat ein Wort ums andre mich Vom Weg entfernt, auf dem ich wandern müßte! Doch hab' ich mich nicht so verirrt, daß ich Mich schließlich nicht zurückzufinden wüßte. Ich hab' erzählt, daß man in Syrien sich Zu waffnen pflegte wie an Frankreichs Küste; So strahlte denn Damascus' Rennplatz heute Von Helmen und von Panzern reis'ger Leute. 94 |
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81 | Die Damen werfen von Balkon und Halle Blumen auf jene, die zum Rennen gehn; Die Ritter lassen beim Trompetenschalle Die Pferde springen und im Kreis sich drehn. Ein jeder zeigt sich, glänzen wollen alle, Die guten Reiter und die nichts verstehn. Man lobt die einen, die es zierlich machen, Den andern folgt Geschrei und höhnisch Lachen. |
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82 | Ein Harnisch hing als Preis am Waffenstand, Den, als er aus Armenien wiederkehrte, Ein Kaufmann auf dem Weg zufällig fand Und als Geschenk dem Könige verehrte. Zum Harnisch gab der König ein Gewand Aus reichstem Stoff, und dessen Wert vermehrte Besatz von Gold und Perlen und Gestein; Es wär' ein großer Schatz für sich allein. |
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83 | Wüßt' er um diese Rüstung mehr Bescheid, Er hielte höher sie als Goldgeräte Und hätte nie zum Kampfpreis sie geweiht, So gern er sonst den Gästen liebes thäte. Jetzt zu erzählen hab' ich keine Zeit, Wer sie so sehr geringschätzt' und verschmähte, Daß er sie liegen ließ im Straßenstaub, Dem ersten besten Wandersmann zum Raub. 95 |
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84 | Von alle dem geb' ich euch später Kunde. Jetzt sag' ich, als Grifon zum Platze ritt, Lag manche Lanze schon geknickt am Grunde Und schon geführt war mancher Stoß und Schnitt. Acht Freunde waren dort vereint zum Bunde, Die Norandin am liebsten um sich litt, Jung, wohlgeübt in Waffen, kecken Mutes, Und lauter Herren oder edlen Blutes. |
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85 | Für einen Tag lang wollten diese Herrn Den Platz behaupten, jeder gegen alle, Mit Lanze, Degen oder Morgenstern, Solang dem Könige das Spiel gefalle. Durchbohrte Panzer gab's, das glaubt ihr gern; Zur Kurzweil thaten sie in diesem Falle, Was sonst Todfeinde thun, nur daß den Streit Der König trennen konnte jederzeit. |
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86 | Der Antiochier, aller Einsicht bar, (Martan, so nannte man den feigen Gecken,) Als müsse sich, bloß weil er mit ihm war, Die Kraft Grifons nun auch auf ihn erstrecken, Gesellte dreist sich zu der Fechterschar, Und weil gerade zwischen zwei der Recken Ein hitz'ger Strauß begann, hielt er beiseit, Abwartend bis man ende mit dem Streit. 96 |
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87 | Der Erbherr von Seleucia, der nun Als einer jener acht die Bahn besetzte, Maß sich im Kampf gerade mit Ombrun Und traf ihn so, daß er die Stirn verletzte, Und tödtet' ihn. Leid mußt' es allen thun, Weil man ihn sehr als guten Ritter schätzte, Und nicht nur dieses: höflicher und feiner Von Sitten war im ganzen Lande keiner. |
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88 | Martan, der dies gesehen hatt', empfand Angst, etwas gleiches könn' auch ihm geschehen, Und die Natur gewann die Oberhand; Er wünschte nur auf und davon zu gehen. Grifon der sorglich ihm zur Seite stand, Trieb ihn, nach viel fruchtlosem Drohn und Flehen, Auf einen Ritter, der in Trab sich setzt, Wie man den Hund den Wolf zu fassen hetzt. |
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89 | Er folgt ihm zwanzig Schritte, zögernd schon; Dann macht er Halt und bellt und sieht mit Schrecken, Wie in den Augen wilde Flammen drohn Und wie die fürchterlichen Zähne blecken. Vor all den hohen Herrn auf dem Balkon, Vor so viel adlichen und tapfren Recken Entwich dem Kampf der zitternde Martan Und wandte Zaum und Kopf rechts aus der Bahn. 97 |
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90 | Abwälzen konnte man die Schuld aufs Pferd, Wenn man für ihn als Anwalt wär' vereidigt; Doch wie er stümperte mit seinem Schwert, Das hätte kein Demosthenes verteidigt. Er scheint mit Pappe statt mit Stahl bewehrt, So bang ist er, daß ihn ein Hieb beleidigt; Am Ende flieht er und durchbricht die Reihn, Und rings erhebt Gelächter sich und Schrein. |
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91 | Das Hohngeschrei und das Geklatsch der Hände Erhob im ganzen Volk sich wider ihn. Wie ein gejagter Wolf macht' er behende Kehrt, um in seine Höhle zu entfliehn. Grifon blieb da; es kam ihm vor, als schände Auch ihn der Wicht, mit dem er hier erschien, Und lieber säß' er mitten jetzt im Feuer Als auf dem Platz in diesem Abenteuer. |
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92 | Ihm flammt das Herz und seine Wangen brennen, Als träfe dieser Schimpf nur ihn allein; Denn alle Welt erwartet jetzt, sein Rennen Werd' ebenfalls nach diesem Muster sein. Jetzt also muß die Tugend zu erkennen Sich geben, leuchtender als Wetterschein; Denn fehlt' er einen Zollbreit bei dem Ritte, Dem Vorurteil erschienen es zwölf Schritte. 98 |
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93 | Schon auf dem Schenkel hatte seine Stange Grifon, der selten irrt im Waffenspiel. Er spornt sein Roß, und nun im vollen Gange Hebt höher er die Lanz' und nimmt sein Ziel. Dem Herrn von Sidon ward so angst und bange Bei diesem Stoß, daß er kopfüber fiel. Verwundert hob sich alles auf den Zehen, Man hatte sich des Gegentheils versehen. |
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94 | Lodicea statt Laodicea ist das heutige Latakia. | Jetzt mit derselben Stange traf Grifon (Denn in der Hand behielt er heil die ganze) Vorn an des Schildes Nabel den Baron Von Lodicea; da zerbrach die Lanze. Der andre war dreimal am Fallen schon, Denn rücklings lag er mit dem Kopf am Schwanze; Doch rafft' er sich empor und zog den Degen Und kam zurück und ritt Grifon entgegen. |
95 | Grifon, da er gewahrt, daß seinen Mann Auch solch ein Stoß nicht aus dem Sattel bringe, Spricht bei sich selber: was der Speer nicht kann, In sechs bis sieben Streichen thut's die Klinge. Und an die Schläfe saust ein Hieb sodann, Als ob ein Blitzstrahl aus den Wolken springe. Ein andrer folgt sogleich, und noch ein dritter, Und ganz betäubt am Boden liegt der Ritter. 99 |
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96 | Zwei von Apamia waren beim Turnier, Zwei Brüder, die nicht leicht zu fallen pflegen, Corimb und Thyrsis, die sich beide hier Dem Sohn des Oliver zu Füßen legen. Den ersten warf der Speer von seinem Thier, Die Arbeit bei dem andern that der Degen. Schon stand es nach dem Urteil aller fest, Daß er den Preis gewinne bei dem Fest. |
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97 | Der Titel Saliterns lautet bei Ariost Gran diodarro; die Commentatoren sagen nur, dies sei die Bezeichnung eines hohen Amts, was man ohnehin leicht errät. | Jetzt in die Schranken sprengte Salintern, Großdefterdar und Erbmarschall der Krone, Der die Regierung führte für den Herrn, Und einer seiner tapfersten Barone. Unleidlich, meint' er, wär' es doch, wofern Der Fremd' abzöge mit dem Siegerlohne, Und griff zur Lanz' und forderte zum Strauß Mit drohendem Geschrei Grifon heraus. |
98 | Der that Bescheid mit einem Lanzenpfahl, Von zehn dem stärksten, die zur Auswahl lagen. Vorsichtig zielt' er auf den Schild diesmal Und stieß durch den, die Rüstung und den Magen. Glatt durch die Rippen fuhr der grimme Stahl, Um fußweit aus dem Rücken noch zu ragen. Der Stoß war allen lieb, bis auf den Herrn, Denn geizig und verhaßt war Salintern. 100 |
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99 | Dann warf er zwei, die aus Damascus waren, Carmund und Hermophil, mit seinem Speer; Der erstre Hauptmann bei des Königs Scharen, Großadmiral der andre auf dem Meer. Den einen sah man flugs vom Sattel fahren, Und auf den andern stürzte plump und schwer Der schlechte Gaul, dem alle Kraft versagte, Als auf ihn los der starke Gegner jagte. |
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100 | Der von Seleucia saß noch zu Roß, Der beste Mann von den genannten achten; Auch war sein Pferd ein guter Kampfgenoß Und seine Rüstung auch nicht zu verachten. Da wo sich das Visir des Helmes schloß, Da trafen beide Lanzen und zerkrachten; Doch stieß der Franke besser als der Mohr, Deß linker Fuß den Stegereif verlor. |
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101 | Sie warfen weg den Stumpf und schwenkten ein, Den Kampf mit blanker Klinge zu bestehen. Der erste Hieb schlug bei dem Heiden ein, Vor dem ein Ambos müßt' in Stücke gehen. Er spaltete den Schild, so Stahl wie Bein, Den er vor tausend Schilden ausersehen, Und daß der Hieb nicht in die Lende fuhr, Dankt' er dem feinen Doppelharnisch nur. 101 |
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102 | Der von Seleucia schlug ihn aufs Gesicht, Vorn ans Visir und hätt' ihm eine weite Oeffnung hinein gehau'n, wenn Zauber nicht Den Helm, wie auch die andre Rüstung feite. Die Zeit verliert der Heid', indem er ficht, Die Rüstung ist zu hart auf jeder Seite; Des andern Streich' indessen hau'n und bohren Bald hier, bald da, und keiner geht verloren. |
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103 | Ein jeder konnte sehn, wie schlecht die Sache Des von Seleucia stand, und jeder sah, Wenn nicht der König rasch ein Ende mache, So lasse, wer verliert, sein Leben da. Da winkte Norandin und hieß die Wache Den grimmen Kampf abbrechen. Dies geschah, Sie zogen jenen dorthin, hierhin diesen, Und der Befehl des Herrn ward laut gepriesen. |
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104 | Die acht, die aller Welt Stand halten sollten Und hielten nicht einmal dem Einen Stand, – Kein Wunder, daß sie sich vom Platze trollten Und einer nach dem andern still verschwand, So daß für alle, die noch fechten wollten, Sich nirgend mehr ein Gegenkämpfer fand, Weil ja Grifon allein schon das vollbrachte, Was sie vereint thun sollten wider achte. 102 |
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105 | So konnte denn das Fest nicht lange währen; Nach einer Stunde war das Spiel vorbei. Der König aber hatte das Begehren, Es fortzusetzen, bis es Abend sei. Er stieg vom Erker, ließ den Kampfplatz leeren Und theilte nun die ganze Schar in zwei, Nach Rang und Probe Streiter gegen Streiter Abpaarend, und das Kampfspiel ging dann weiter. |
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106 | Grifon war voller Grimm und Wut im Herzen Nach Haus geritten während dieser Zeit. Der Schimpf Martans schien tiefer ihn zu schmerzen Als Freud' ihm macht der Sieg im eignen Streit. Hier setzt Martan, sein Schandmal auszumerzen, Die lügnerische Zung' in Thätigkeit, Und die verschmitzte liederliche Dirne Hilft ihm, so gut sie kann, mit frecher Stirne. |
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107 | Glaubt' ihm der Jüngling oder nicht? genug, Die Ausred' anzunehmen schien verständig; Doch heimlich ohne weiteren Verzug Sich fortzumachen, deucht' ihm jetzt notwendig; Denn wenn Martan, so fürchtet' er mit Fug, Dem Volk sich zeige, werd' es ganz unbändig. So suchten sie die nächsten Straßen aus Und ritten unbemerkt zum Thor hinaus. 103 |
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108 | Ermüdete das Pferd Grifons zu bald, Fühlt' er die Augen schwer und möchte schlafen? Genug, nach einer Stunde macht' er Halt Und blieb im ersten Wirtshaus, das sie trafen. Der Helm und Harnisch wurden abgeschnallt, Er ließ die Pferd' absatteln von den Sklaven, Nahm eine Kammer, schloß die Thüre zu Und legte nackt aufs Bette sich zur Ruh. |
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109 | Kaum lag er fünf Secunden oder sechse So schloß er seine Augen schon, und schwer Und tief befiel der Schlaf ihn; weder Dächse Noch Murmelthiere schliefen je wie er. Martan indeß ging mit der falschen Hexe Im Garten hinterm Hause hin und her, Und dort ward nun der keckste Trug gesponnen, Den je ein menschliches Gehirn ersonnen. |
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110 | Martan beschloß das Pferd Grifons zu nehmen Und alles Zeug, wie er's vom Leibe nahm, Und dann am Hof als der sich zu benehmen, Der heut so glorreich aus den Schranken kam. Dem Plane folgt alsbald das Unternehmen: Er nimmt das Pferd, das weißer ist als Rahm, Schild, Helmzier, Rüstung, Waffenrock desgleichen, Die Kleider des Grifon und alle Zeichen. 104 |
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111 | Mit seinem Fräulein und den beiden Knechten Kam er zum Platze, wo das Volk noch stand, Und war zur Stell', als eben Schwerterfechten Und Rennen mit der Lanz' ein Ende fand. Der König rief, daß sie den Ritter brächten, Der weiße Federn trag' und weiß Gewand Und kenntlich auch durch seines Rosses Weiße; Denn niemand wußte, wie der Sieger heiße. |
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112 | Er, der mit fremdem Leder sich behing Wie jener Esel mit dem Löwenfelle, Vernahm den Ruf, wie er's gehofft, und ging Hinauf zum König an des Siegers Stelle. Der König, der ihn küßt' und ihn umfing, Befahl, daß er sich ihm zur Seite stelle, Und nicht genug daß er ihn pries, er wollte, Daß auch die Welt sein Lob vernehmen sollte. |
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113 | Und mit Trompetenschall nach allen Seiten Ruft man als Sieger des Turniers ihn aus, Und über Erker und Balkon begleiten Den schnöden Namen Jubel und Applaus. Der König läßt zur rechten Hand ihn reiten, Als man zurückkehrt in sein fürstlich Haus, Und so viel Ehr' und Huld ward ihm beschieden, Es wär' genug für Mars und den Alciden. 105 |
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114 | Der König gab ihm prächtige Quartiere Am Hof, und gleiche Huld ließ er ergehn Auch über Orrigillen: Cavaliere Und Pagen mußten ihr zu Diensten stehn. Doch daß ich nicht die Spur Grifons verliere, Der den Gefährten nicht noch irgendwen Verrates fähig hielt, nichts arges dachte, Im Schlafe lag und Abends erst erwachte. |
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115 | Als er nun munter ward und schon das Grauen Des Abends sah, lief er in das Gemach Wo er den falschen Bruder mit der schlauen Spitzbübin erst verließ und schaute nach. Nichts war zu sehn, von Waffen nichts zu schauen, Von Kleidern nichts; da ward sein Argwohn wach Und ward noch stärker, als statt der abhanden Gekommnen sich Martans Abzeichen fanden. |
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116 | Der Wirt kam darauf zu, der ihm erklärte, Schon lange hab' in weißer Rittertracht Mit Fräulein und Gesinde sein Gefährte Sich wieder nach Damascus aufgemacht. Allmählich findet jetzt Grifon die Fährte, Die Amor ihm verbarg bis heute Nacht, Und mit dem größten Herzeleid ermißt er, Daß Buhlen jene zwei sind, nicht Geschwister. 106 |
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117 | O wie er seine Dummheit jetzt bereute! Er wußte durch den Pilger, wie es stand, Und litt, daß Sand ihm in die Augen streute Ein Weib, das er so oft schon falsch erfand! Da er's gekonnt, rächt' er sich nicht, und heute Will er den Feind bestrafen, der verschwand, Und muß, durch eigne Schuld, sich gar bequemen Des feigen Manns Rüstung und Pferd zu nehmen. |
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118 | Viel besser ging' er nackend und in Fetzen Als anzuthun dies schmähliche Gewand, Als den beschimpften Helm aufs Haupt zu setzen, Den Memmenschild zu fassen mit der Hand. Jedoch dem saubren Paare nachzusetzen, Vor der Begier hielt die Vernunft nicht Stand. So kömmt er in die Stadt zurück, als eben Der Tag noch eine Stunde hat zu leben. |
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119 | Nah bei dem Thore, wo Grifon erscheint, Erhebt zur linken Hand sich eine Veste, Nicht stark noch brauchbar gegen einen Feind, Doch eingerichtet und geschmückt aufs beste. Mit hohen Frau'n zu schönem Kranz vereint Saß dort der König, saßen edle Gäste, Die Großen Syriens, in dem luft'gen Saal Beim königlichen, reichen, frohen Mahl. 107 |
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120 | Der schöne Saal mitsamt dem Schlosse trat Gleichsam zur Stadt hinaus am Mauerrande, So daß ihr oben weit die Felder saht Und die verschiednen Straßen rings im Lande. Kaum hatte sich Grifon dem Thor genaht In jenen Waffen memmenhafter Schande, So leitet' ein unfreundliches Geschick Auf ihn des Königs und des Hofes Blick. |
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121 | Sie hielten für den Mann ihn, der er schien, Und Lachen und Gespött empfing den Reiter. Der Schuft Martan, der jetzt bei Norandin In voller Gunst war, saß am Tisch als zweiter, Und seine würd'ge Freundin folgt' auf ihn. Der König sah sie an und fragte heiter Martan und sie, wer jener sei, der feige, Der so gefühllos sich für Ehre zeige, |
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122 | Daß er zurückkomm' ohne Scham und Scheu Nach solcher Prob' und öffentlichen Schande. Er sprach: »Die Sache dünkt mir wirklich neu, Daß ihr, ein Mann vom ächten Ritterstande, Den zum Gefährten habt, dem meiner Treu An Feigheit keiner gleicht im Morgenlande. Ihr denkt vielleicht den Glanz der eignen Ehren Durch solches Gegenstück noch zu vermehren. 108 |
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123 | »Ich schwör' euch aber bei des Himmels Licht, Daß ich nur eurethalb es unterlasse, Wie jedem seines Schlags, auch diesem Wicht Schimpf anzuthun auf öffentlicher Gasse. Vergessen sollt' er es Zeitlebens nicht, Wie unversöhnlich ich die Feigheit hasse. Und wenn er nicht empfängt, was ihm gebürt, So dank' er's euch, weil ihr ihn hergeführt.« |
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124 | Jener, der ein Gefäß war aller Schanden, Versetzte: »Herr, ich weiß nicht, wer er ist. Ein Zufall war's daß wir am Weg ihn fanden, Von Antiochia kommend, wie ihr wißt. Er hat mir als Begleiter angestanden, Soweit man's nach dem äußern Schein ermißt. Nie sah von ihm noch hört' ich eine Probe, Als was er heute that mit wenig Lobe; |
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125 | »Was mir so sehr misfiel, daß ich schon dort Für solche Feigheit ihn abstrafen wollte Und ihm ein Spiel aufführen, daß hinfort Er Lanz' und Schwert nie mehr anrühren sollte; Doch that ich's nicht aus Achtung vor dem Ort Und Ehrfurcht, die ich eurer Hoheit zollte. Nur möcht' ich nicht, daß dies ihm Dienste leiste, Daß er vorhin mit mir zwei Tage reiste, 109 |
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126 | »Was noch ein Fleck mir scheint auf meinem Schilde. Und für mein Herz wär's eine ew'ge Last, Wenn ihr, zum Schimpf der edlen Waffengilde, Ihn straflos ließet ziehn, den frechen Gast. Ihr macht mir mehr Vergnügen als durch Milde, Wenn ihr an eine Zinn' ihn knüpfen laßt. Das wär' ein löblich Werk, das euch zur Ehre Gereichen würd' und Feiglingen zur Lehre.« |
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127 | So sprach Martan, und ohn' ihn anzusehen Stimmt' Orrigill' in seinen Vorschlag ein. »Ums Leben (sprach der König) kann's nicht gehen; So arg scheint mir die Sünde nicht zu sein. Er soll zur Strafe für sein schwer Vergehen Dem Volk das Fest erneuern, er allein.« Und einen der Barone ließ er kommen Und trug ihm auf, was er sich vorgenommen. |
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128 | Da ließ in aller Eile der Baron Bewaffnete zum Thor hinunterrücken Und harrte da im Stillen, bis Grifon Das Thor betrat, und fiel ihm in den Rücken, So unversehens, daß der Jüngling schon Gefangen war inmitten beider Brücken, Und hielt ihn mit Gespött und Hohn und Possen In finstrer Zelle bis zum Tag verschlossen. 110 |
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129 | Als kaum der Sonnengott sein goldnes Haupt Emporhebt aus dem Schooß der alten Amme Und auf den Bergen rings die Herschaft raubt Dem Dunkel und die Gipfel taucht in Flamme, Nimmt auch Martan schon Abschied; denn er glaubt, Daß leicht die Schuld dahin, woher sie stamme, Sich wenden könne, weil Grifon sein Wort Kühn führen werde. Darum eilt er fort. |
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130 | Beim König schützt' er vor, durch seine Reise Sich dem bestellten Schauspiel zu entziehn. Noch andre Gastgeschenke zu dem Preise Des fremden Sieges hatt' ihm Norandin Und einen Gnadenbrief solenner Weise, Der ihn mit höchsten Ehren krönt, verliehn. So zieh' er seines Wegs; ich steh' dafür, Daß ihm sein Lohn zu Theil wird nach Gebür. |
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131 | Grifon ward schimpflich auf den Markt gebracht, Der voll von Leuten war, ihn anzustarren, Des Helms beraubt, beraubt der Rittertracht, In dürft'gem Wämschen, zum Gespött der Narren. Als hätten sie die Staup' ihm zugedacht, Fuhr man ihn durch die Stadt auf hohem Karren, Und langsam, langsam zogen ihn mit Mühe Ein Paar verhungerter armsel'ger Kühe. 111 |
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132 | Ein Schwarm von Vetteln und von Huren drängte Sich schamlos um das schnöde Zwiegespann. Die eine bald und bald die andre lenkte, Und alles fiel mit gift'gem Hohn ihn an. Am ärgsten war's, wie ihn die Jugend kränkte, Die mit unflät'gen Worten erst und dann Mit Steinen angriff, und sie würd' ihn tödten, Wenn nicht verständ'ge Leute Ruh geböten. |
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133 | Die Rüstung, welche Schuld an allem trug, Die fälschlich als Inzicht ward angesehen, Ward nachgeschleift am Wagen, um mit Fug Im Straßenkot die Strafe zu bestehen. Vor einem Tribunal hielt dann der Zug; Da mußt' er seine Schmach für fremd Vergehen Anhören; ins Gesicht ihm, von den Stufen Ward sie vom Stadttrompeter ausgerufen. |
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134 | Worauf sie ihn zur Schau von Ort zu Ort Vor Tempel, Häuser und Gewölbe brachten, Und so gemein und schändlich ist kein Wort, Von dem sie nicht Gebrauch zum Schimpfen machten. Zuletzt geleitet' ihn der Haufe fort Zur Stadt hinaus; da sollt' er, wie sie dachten, Mit Knittelschall abziehen frank und frei; Denn keiner wußt' und ahnte, wer er sei. 112 |
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135 | Kaum ist er losgekettet von den Knechten Und frei die eine wie die andre Hand, Greift er zum Schild und faßt mit seiner Rechten Das Schwert, das lange Zeit gepflügt den Sand. Nicht gegen Lanz' und Spieß hatt' er zu fechten, Weil waffenlos der tolle Pöbel stand. Das weitre, Herr, im folgenden Gesange; Denn dieser, dünkt mich, währt schon allzu lange. 113 |