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Astolf zerstört den Zauberpalast des Atlas und findet das Flügelroß wieder (1–30). Roger und Bradamante finden sich (31–36) und beschließen einen Jüngling zu befreien, den die Mohren verbrennen wollen, müssen aber erst vor dem Schlosse Pinabels gegen Guidon, Aquilant und Grifon und Samson fechten. Bradamante erkennt den Pinabel und tödtet ihn. Roger beendet mit Hilfe des Zauberschildes den Kampf gegen die vier Ritter und versenkt dann den Schild (37–98).
1 | Ihr liebenswürd'gen Frau'n, die ihr zufrieden Euch einem einzigen Geliebten weiht, (Obwohl ihr von der Mehrzahl sehr verschieden Und ohne Zweifel äußerst selten seid,) Was ich vorhin gesagt, im Übersieden Des Zornes, von Gabrina, das verzeiht, Auch wenn ich ein'ge Verse noch verfasse, Um sie zu züchtigen, wie ich sie hasse. |
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2 | Hypermnestra heißt die eine tugendhafte von den funfzig Danaiden, welche ihren Gatten nicht ermordete. | Sie war so, und daß ich nur Wahrheit bringe, Verlangt mein Herr, und wenig schaden kann es Dem Ruf der wenigen, die arger Dinge Unfähig sind. Die Missethat des Mannes, Der unsren Herrn um dreißig Silberlinge Verkauft hat, trifft nicht Petrus noch Johannes, Und nicht geringer schätzt man Hypermnestren, Weil sie umgeben war von bösen Schwestern. 290 |
3 | Für eine, der ich schlimme Namen gebe, Weil die Geschicht' und Wahrheit es verlangt, Giebt's hundert, deren Ruhm ich gern erhebe, Bis ihre Tugend wie die Sonne prangt. Doch jetzt zurück ans Werk, daran ich webe, Das vielen auch gefällt, Gott sei's gedankt, Zurück nun zu Zerbin, der, wie ich sagte, Geschrei vernahm und nach der Stelle jagte. |
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4 | Er bog in einen Hohlweg tief und schmal, Dem Lärmen folgend, und auf raschem Pferde Gelangt' er in ein abgeschlossnes Thal, Da lag ein todter Ritter an der Erde. Wer's ist, erfahrt ihr; aber erst einmal Werd' ich nach der Levante gehn und werde Mich umschaun nach Astolf dem edlen Britten, Der seines Wegs gen Abend kam geritten. |
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5 | In jener Mörderstadt verließ ich ihn, Wie er die gottvergeßnen Weiberscharen Durch grausen Schall des Hornes zwang zu fliehn Und so entrann aus tödtlichen Gefahren Und seine Freund' ihr Segel aufzuziehn Veranlaßt hatt' und schimpflich abzufahren. Hier also fahr' ich fort und theil' euch mit, Daß er zuvörderst durch Armenien ritt 291 |
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6 | Und bald in Anatolien sich befand. Von dort gen Brussa lenkt' er seinen Zügel Und reiste weiter an den andren Strand Des Meeres, überschritt dann Thraciens Hügel, Ging längs der Donau quer durch Ungarland Und kam, als hätten Roß und Reiter Flügel, In kaum drei Wochen über Mähren, Böhmen In jenes Land, das Main und Rhein durchströmen. |
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7 | Durch den Ardenner Wald ging er nach Aachen Und nach Brabant, in Flandern dann an Bord. Der Südwind, als in See die Schiffer stachen, Schwellt' ihre Segel so und trieb sie fort, Daß Englands Küsten durch den Nebel brachen, Eh Mittag war. Bald war Astolf im Port Und sprang aufs Pferd, und unermüdlich trabend, Kam er nach London schon denselben Abend. |
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8 | Als er vernahm, sein alter Vater weile Bereits seit vielen Monden in Paris, Und auch der Adel sei zum größten Theile Dem Weg gefolgt, den ihm der König wies, Wollt' er nach Frankreich auch in aller Eile Und ritt alsbald zurück zur Thems' und ließ Die Segel aufziehn und die Anker lichten Und gen Calais den Kiel des Schiffes richten. 292 |
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9 | Ein Lüftchen wehte links her ganz gelinde Und lockte sie hinaus mit sanftem Spiel; Doch wuchs es langsam erst und dann geschwinde Und ward dem Schiffer endlich doch zuviel. Gezwungen lief er grade vor dem Winde, Sonst bliebe kaum im Gleichgewicht der Kiel; Dicht an den Wind mußt' er das Steuer legen, Der Absicht, die er erst gehabt, entgegen. |
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10 | Sie strichen hin und her die Küst' entlang, Bald rechts, bald links, wohin der Sturm sie führte, Und schließlich landet' er unweit Rouen. Sobald sein Fuß das liebe Land berührte, Ließ er den Rabican sich satteln, schlang Den Degengurt sich um die Hüften, schnürte Den Harnisch fest, und mit dem Horn sodann, Das mehr ihm gelten mußt' als tausend Mann, |
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11 | Ritt er davon. In einem wald'gen Thale Kam er an eines Bronnens klare Flut. Die Stunde war es, wo das Schaf vom Mahle In Hürden oder Felsengrotten ruht. Besiegt vom Durst und heißen Mittagsstrahle Zog er vom Haupt den schweren Eisenhut, Band seinen Gaul an eine schatt'ge Stelle Und trat zum Trinken an die kühle Welle. 293 |
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12 | Noch hat kein Tropfen seine Lipp' erquickt, Da schlüpft aus dem Versteck im dichten Laube Ein Bäuerlein hervor und schwingt geschickt Sich auf das Roß und macht sich aus dem Staube. Astolf, der bei dem Lärmen um sich blickt Und jenen flüchten sieht mit seinem Raube, Vergißt das Trinken und verläßt den Bach Und setzt dem Dieb aus Leibeskräften nach. |
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13 | Sehr eilig hatte jener Dieb es kaum, Sonst würd' Astolf ihn bald verloren haben; Er kürzte bald, bald lockert' er den Zaum Und ließ Galopp gehn oder mäßig traben. So ging der Wettlauf bis zum Waldessaum, Bis beide sich an jenen Ort begaben, In den so viele Herrn schon eingegangen, Ohne Gefängniß schlimmer als gefangen. |
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14 | Auf jenem Renner, der von Luft sich nährte, Flog jetzt der Dieb in den Palast hinein. Astolf, den Panzer, Helm und Schild beschwerte, Kam, freilich ganz von weitem, hinterdrein. Indeß auch er kam an, jedoch die Fährte, Der er gefolgt war, schien entrückt zu sein; Denn weder Rabican noch Bauer fand er, Und ganz umsonst im Kreise sucht' und rannt' er. 294 |
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15 | Er rannt' umher und sucht' in allen Ecken, In Saal und Kammer, Galerie und Flur, Jedoch den Bauer zu erspähn, den kecken, War all sein Mühn verlorne Arbeit nur. Auch Rabican ist nirgend zu entdecken, Der schneller ist als alle Creatur. Den ganzen Tag, ohn' etwas zu gewinnen, Sucht er wohl auf und ab und drauß und drinnen. |
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16 | Vom ew'gen Kreislauf mürb' und matt genug, Merkt er zuletzt, hier müss' ein Zauber walten, Und denkt des Büchleins, das er bei sich trug, Seitdem er es von Logistill' erhalten, Zur Hilfe, wenn ein neuer Zaubertrug Ihn wieder fangen sollt' in seinen Falten. Er sucht im Index, und der zeigt ihm an, Wo er im Buch das Mittel finden kann. |
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17 | Von dem Palaste handelt eine Stelle Des breitern, und der Mittel wird gedacht, Wie man ein Bein dem Hexenmeister stelle Und die Gefangnen lös' aus seiner Macht. Ein Geist liegt unter des Portales Schwelle, Der alles Blendwerk und die Täuschung macht, Und nur den Schwellstein braucht man wegzuwälzen, So muß das ganze Schloß in Luft zerschmelzen. 295 |
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18 | Der Paladin, den der Gedank' entzückt, So ehrenvolle Arbeit zu beenden, Verliert die Zeit nicht lang' und steht gebückt, Des Marmors Last zu prüfen mit den Händen. Wie Atlas sieht, daß jener nahe rückt, Um ihm sein ganzes Kunststück zu verschänden, Erschreckt ihn, was daraus entstehen kann; Drum greift er ihn mit neuen Zaubern an. |
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19 | Er zeigt den andren jetzt Astolfs Gestalt Mittels der Teufelslarven, die ihm dienen, Bald einem Riesen gleich, als Bauer bald, Und bald als reis'gen Mann mit grimmen Mienen, Kurz einem jeden so, wie ihm im Wald Der Zaubrer Atlas selber war erschienen, Und jeder heischte drum das Beutestück, Das Atlas raubte, von Astolf zurück. |
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20 | Roger, Irold, Gradasso, Bradamante, Prasild und Brandimart, kurz Mann für Mann Der ganze Schwarm, dem Truge folgend, rannte Wider den Paladin voll Zorns heran. Jedoch ihr Feuer, das so drohend brannte, Erlosch, als er sich auf sein Horn besann. Hätt' ihm der Schall, der mächt'ge, nicht geholfen, So ging' es jetzt zu Ende mit Astolfen. 296 |
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21 | Wie er das Horn an seine Lippen setzt Und anhebt mit dem schauderhaften Schalle, Da, wie beim Knall der Jägerbüchs' entsetzt Die Tauben flüchten, fliehn die Ritter alle. Jetzt muß der Zaubrer selbst entfliehen, jetzt Kömmt er hervor aus seiner Mausefalle Und läuft so lange, zitternd und verstört, Bis er die Schreckenstöne nimmer hört. |
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22 | Der Wächter brach mit den Gefangnen aus, Und aus dem Stalle brachen los die Pferde; Sie festzuhalten reicht' ein Strick nicht aus; Den Herren nach stob die erschrockne Herde. Im Schloß blieb keine Katze, keine Maus; Es klang, als ob zum Mord geblasen werde. Auch Rabican wär' eilends durchgegangen, Hätt' ihn Astolf im Thor nicht eingefangen. |
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23 | Kaum sah Astolf sich von dem Zaubrer frei, Hob er im Thor die schwere Marmorplatte. Darunter lag Bildwerk und allerlei, Wovon ich weiter nicht Bericht erstatte. Behufs Zerstörung all der Hexerei Zerschmettert' er, was er gefunden hatte, Wie ihm das Buch gelehrt, und nun zerfloß In Rauch und Nebel das verwünschte Schloß. 297 |
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24 | Und siehe da, im leergelassnen Raume, Mit goldnen Ketten festgebunden, stand Das Pferd, das Roger einst zum fernsten Saume Der Welt entführte nach Alcina's Land, Das Logistilla mit Gebiß und Zaume Versehen hatt' und das von Indiens Strand Bis Irland seinen Herrn im schnellen Flug Ums ganze rechte Halb der Erde trug. |
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25 | Entsinnt ihr euch, wie, an den Baum gebunden, Der Greif sich losriß, als Angelica Vor Rogers Augen plötzlich war verschwunden? Zum Staunen eines jeden, der es sah, Hatt' er hernach sich wieder eingefunden Bei seinem Herrn und war, seit dies geschah, Bei ihm geblieben bis zu diesem Tage, Wo Bann und Zauber wich mit einem Schlage. |
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26 | Nie könnt' Astolf den Zufall froher preisen Als heut, wo er ihm solchen Fund beschert; Denn um den Rest der Erde zu bereisen, Den ihm noch fremden, wie er oft begehrt, Und diese Welt im Fluge zu umkreisen, Kam wie gerufen dies beschwingte Pferd. Er wußte schon wie gut das Pferd ihn trage; Hatt' er es doch erprobt an jenem Tage, 298 |
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27 | Als ihn Melissa's Hand der Schmach entriß Und den Betrug der schändlichen entwirrte, Die ihn in ihres Waldes Finsterniß Verwandelt stehn ließ in Gestalt der Mitte. Auch hatt' er wohl gesehn, wie mit Gebiß Und Zügel Logistilla dann ihm schirrte Sein trotzig Haupt, und wie, belehrt von ihr, Roger es tummelte, dies Flügelthier. |
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28 | So viel stand fest, den Greif wollt' er nicht missen. Er sattelt' ihn (der Sattel lag dabei) Und macht' ihm aus verschiedenen Gebissen Eins so zurecht, daß es bequem ihm sei. Denn von den Pferden, die sich losgerissen, Fand er die Zäume dort in langer Reih. Nur Sorg' um Rabican ließ ihn noch weilen Und hielt ihn ab im Fluge fortzueilen. |
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29 | Er liebte Rabican mit gutem Fug, Der nie im Rennen seines gleichen fände, Und der ihn treu vom fernsten Indien trug Bis an Europa's allerletztes Ende. Ihm deuchte, wie er alles überschlug, Das beste sei, wenn er ihn Freunden sende Als ein Geschenk, eh Fremd' am Wege ihn Antreffen und mit ihm von dannen ziehn. 299 |
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30 | So bleibt er noch und schaut, ob nicht vielleicht Ein Jäger oder Hirt den Wald durchschreite, Der, bis er irgend eine Stadt erreicht, Den Rabican ihm führ' und ihn begleite. Indeß er so vergeblich harrt, verstreicht Ein voller Tag, und schon beginnt der zweite, Da ist es ihm, im grauen Dämmerschein, Als komm' ein Ritter durch den dunklen Hain. |
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31 | Eh ich jedoch das weitre melden kann, Muß Roger erst herbei und Bradamante. Nachdem das schöne Paar dem Schloß entrann Und nun der Schall des Horns verstummt war, wandte Sich Roger um und sah, was er im Bann Des Zauberers bis dahin nie erkannte. Denn bis zu dieser Stunde hatten sie Sich nicht erkannt, geblendet durch Magie. |
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32 | Er sah das Mädchen an, das Mädchen ihn, In tiefem Staunen, wie es zugegangen, Daß solche Blindheit (wie es ihnen schien) Die Augen und die Seele hielt gefangen. Und Roger eilte sie ans Herz zu ziehn, Davon sie röter ward, als Rosen prangen; Dann pflückt' er von den Lippen ihres Mundes Die ersten Blumen dieses Herzensbundes. 300 |
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30 | Und tausendmal umarmen sie und drücken Sie sich ans Herz und halten sich umfaßt, Die beiden glücklichen, so voll Entzücken, Daß ihre Brust kaum all die Wonne faßt. Sehr schmerzt es sie, daß durch des Zaubers Tücken In jenem irrtumstiftenden Palast Sie all die Zeit nichts von einander wußten Und so viel frohe Tag' einbüßen mußten. |
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34 | Gern räumte Bradamant' ihm alles ein, Was eine kluge Jungfrau dem Getreuen Gewähren soll, um seine Herzenspein Ohn' Abbruch ihrer Ehre zu zerstreuen. Wenn er nicht wolle, daß sie hart wie Stein Sich ewig weigre, voll ihn zu erfreuen, So soll' er (sprach sie) ihre Hand verlangen Vom Vater, aber erst die Tauf' empfangen. |
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35 | Nun wäre Roger nicht nur gern bereit Der theuersten zu lieb als Christ zu leben, (War doch sein Vater und seit alter Zeit Sein ganzes Haus der wahren Kirch' ergeben,) Sie zu erfreun, hätt' er mit Freudigkeit Verzichtet auf sein ganzes künft'ges Leben. Er sprach: »Nicht nur ins Wasser, auch ins Feuer Steckt gern den Kopf für dich dein vielgetreuer.« 301 |
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36 | Sich taufen lassen also, und sodann Die Braut gewinnen, das ward unternommen. Er trat die Reise mit dem Fräulein an Nach Vallombrosa, dem nicht minder frommen Als reichen Kloster, wo gar höflich man Die Gäste pflegt, so viel auch ihrer kommen, Und als sie kamen an des Waldes Rand, Sahn sie ein Mädchen, das dort traurig stand. |
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37 | Roger, der immer freundlich, immer fein Zu jedem Menschen war, vorab zu Frauen, Als er sie sah so traurig und allein Und Thränen sah aufs zarte Antlitz thauen, Da stellten Mitleid und der Wunsch sich ein, Sie mög' ihm ihren Kummer anvertrauen. Er grüßte sie und frug mit sanfter Stimme, Weshalb ihr Antlitz so in Thränen schwimme. |
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38 | Und sie antwortet' artig und beflissen Und schlug die schönen feuchten Strahlen auf Und gab den Grund von ihren Kümmernissen Ihm deutlich an; denn er bestand darauf. »Ach, lieber Herr, (so sprach sie) du mußt wissen, Ich lasse diesen Thränen ihren Lauf Aus Mitleid mit dem Jüngling, dem die Mohren In einem nahen Schloß den Tod geschworen. 302 |
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39 | »Er liebt das schönste Mädchen hier zu Lande, Die königliche Tochter des Marsil, Und ging im Schleier und im Fraungewande, Den Ton verstellend und der Mienen Spiel, Unangefochten durch die Wächterbande Zu ihr des Nachts, so oft es ihm gefiel. Indeß so heimlich geht kein Mensch zu Werke, Daß nicht zuletzt jemand es seh' und merke. |
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40 | »Einer bemerkt' es und verriet es zwein; Dann hörten andre, dann Marsil die Sache. Vorgestern drang sein Scherge bei uns ein Und griff die Liebenden im Schlafgemache, Und hält im Thurm sie eingesperrt, allein Und streng geschieden, unter scharfer Wache, Und, ach, ich glaube, daß vor Tages Schluß Der Jüngling bittren Tod erleiden muß. |
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41 | »Ich bin geflohn, damit ich es nicht sehe, Wenn sie lebendig ihn dem Feuer weihn, Und nichts kann mir so leid thun, nichts so wehe Wie dieses schönen Jünglings Todespein. Ach, jede Freude wird, was auch geschehe, Hinfort für mich wie eitel Jammer sein, Wenn ich im Geist das grimm'ge Feuer wieder Erblick' und die verbrannten zarten Glieder.« 303 |
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42 | Dies hörte Bradamante, die daneben Zu Pferde hielt, und es verdroß sie schwer. Sie fürchtete für jenes Jünglings Leben, Als ob er einer ihrer Brüder wär', Und daß die Furcht in dieser Rücksicht eben Nicht ohne Grund war, wird man sehn nachher. Auf Roger blickend sprach sie: »Unsre Waffen, Bedünkt mich, sollten hier Abhilfe schaffen,« |
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43 | Und sprach zu der betrübten: »Geh zur Hand Uns beiden, daß wir in die Burg gelangen. Hat man bis jetzt den Jüngling nicht verbrannt, So tödtet keiner ihn, sei ohne Bangen.« Als Roger sie so menschenfreundlich fand Und von barmherz'ger Sorge ganz befangen, Da flammt' er vor Begier dabei zu sein Und jenen vom Verderben zu befrein. |
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44 | Zum Mädchen, dem die Augen überfließen, Gewendet, spricht er: »Worauf warten wir? Zu helfen gilt's, nicht Thränen zu vergießen. Führ' uns zu deinem Freund, wir folgen dir. Aus tausend Schwertern und aus tausend Spießen Befrein wir ihn, doch können wir's nicht hier. Beschleun'ge deinen Schritt, daß nicht, indessen Die Hilfe zögert, ihn die Flammen fressen.« 304 |
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45 | Das kriegerische Aussehn und der kecke Zuspruch des kühnen Paares konnten zwar Die Hoffnung wohl zurückziehn nach dem Flecke, Von welchem sie schon ganz geflohen war, Das Mädchen aber fürchtete die Strecke Des Weges nicht so sehr wie die Gefahr, Daß man gesperrt die Straße finden werde, Und stand wie festgewurzelt in der Erde. |
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46 | Dann sagte sie: »Stünd' uns der Weg noch offen, Der flach und grade nach dem Orte führt, So dürften wir dort anzukommen hoffen Zur rechten Zeit, eh man das Feuer schürt. Nun aber müßt ihr den gewundnen, schroffen Einschlagen, und eh ihr das Ziel berührt, Vergeht der Tag, und trefft ihr endlich ein, So wird der Jüngling schon getödtet sein.« |
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47 | »Und wie, wenn man die kürzre Strecke ritte?« Frug Roger, und das Mädchen gab Bescheid: »Die Herrn von Pontier haben in der Mitte Des Wegs ein Schloß, woselbst seit ein'ger Zeit Ein schnöder Brauch gilt, eine böse Sitte, Den Rittern und den Fraun zum Herzeleid. So will es Pinabel, der arge Schelm, Der Sohn des Hohensteiners, Graf Anselm. 305 |
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48 | »Ob Ritter oder Dame dort passirt, Es endet stets mit Schimpf und Schaden beider. Zu Fuß ziehn beide ab; der Herr verliert Die Waffen dort, das Fräulein ihre Kleider. Kein bessrer Ritter hat jemals turnirt In Frankreich als die tapfren vier, die leider Dem Pinabel geschworen, mit den Waffen Dem schnöden Brauche Geltung zu verschaffen. |
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49 | »Auch weiß ich, wie es seinen Anfang nahm, Da seit der Zeit drei Tage kaum vergingen, Und urteilt selbst, ob triftig oder lahm Der Grund war, jene vier zum Schwur zu zwingen. Er hat im Haus' ein Fräulein, ohne Scham, Bösartig, lasterhaft in allen Dingen; Jüngst ritt sie mit dem Liebsten über Land Und ward beschimpft von eines Ritters Hand. |
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50 | »Den höhnte sie mit Worten und Geberde, Weil er mit einem alten Weibe ritt, Und jener warf den Pinabel zur Erde, (Dem gab Natur mehr Stolz als Stärke mit,) Und nötigte das Fräulein auch vom Pferde, Zu prüfen, ob sie hinkte, wenn sie schritt. So ließ er sie zu Fuß und nahm vom Leibe Ihr noch das Kleid und gab's dem alten Weibe. 306 |
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51 | »Sie, die zu Fuß blieb, ward ob ihrer Schmach Von Rachedurst verzehrt und gift'gem Grolle. Mit Pinabel, deß Hilfe nie gebrach, Sobald er merkte, daß sie böses wolle, Sann sie auf Unheil Tag und Nacht und sprach, Wofern sie noch einmal froh werden solle, So müss' er ihr die Pferde, Röck' und Waffen Von tausend Frau'n und tausend Rittern schaffen. |
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52 | »Nun suchten Nachts darauf zufäll'ger Weise Vier große Ritter dort bei ihm Quartier, Die eben erst von weiter weiter Reise Gekommen waren, tüchtig alle vier, Wie kaum vier andre sind im ganzen Kreise Der Ritterschaft, zu Kampfspiel und Turnier; Grifon und Aquilant und Samson kamen Ins Schloß, und einer heißt Guidon mit Namen. |
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53 | »Erst hatte Pinabel sie gut empfangen In dem besagten Schloß, von dem ihr wißt; Nachts aber nahm er sie im Bett gefangen Und zwang sie zu dem Schwur durch Hinterlist, Daß sie, bis Jahr und Monat sei vergangen, (Dies war genau die ausbedungne Frist) Da bleiben wollten, um wenn Ritter kämen, Die Pferd' und Waffen ihnen abzunehmen, 307 |
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54 | »Und kämen etwa Damen mit, auch ihnen Den Zelter wegzunehmen und das Kleid. So schworen sie, so müssen sie ihm dienen, Wennschon mit Ingrimm und mit Herzeleid. Bis jetzt, so scheint's, ist keiner noch erschienen, Der nicht vom Sattel kam bei diesem Streit. Unzähl'ge kamen, aber jeder Streiter Zog ohne Waffen und zu Fuße weiter. |
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55 | »Die Regel gilt, daß einer erst allein Den Kampf beginnt, wie es das Loos ergeben; Sollt' aber allzu stark der Gegner sein Und statt zu fallen ihn vom Sattel heben, So müssen dann die übrigen zu drein Eintreten ins Gefecht auf Tod und Leben. Nun denkt, wenn ihrer jeder solch ein Held ist, Wie wird es gehn, wenn erst die Schar gesellt ist. |
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56 | »Auch habt ihr bei der Eil' und Dringlichkeit, Die keinen Aufschub, keine Rast mehr leiden, Zu diesem Strauß wahrhaftig keine Zeit. Nehm' ich auch an, der Sieg verbleib' euch beiden, (Denn wohl erkennt man, daß ihr Helden seid) Doch könnt ihr's nicht in einer Stund' entscheiden, Und um des Jünglings Leben ist's geschehn, Wenn ihr den Tag verliert, ihm beizustehn.« 308 |
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57 | Roger versetzt: »das laß uns nicht bedenken. Was möglich ist zu thun, das sei gewagt. Das weitre mag der Herr des Himmels lenken Oder das Glück, wenn er danach nicht fragt. Wenn wir zum Zweikampf erst die Lanze senken, Dann wirst du sehn, ob wir zu viel gesagt, Daß Manns genug wir sind, den zu befreien, Der braten soll um solche Kindereien.« |
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58 | Ohn' andre Antwort schritt das Mädchen vor, Den Weg entlang, der kürzer war und eben. Nach einer Stunde sahen sie das Thor Und sahn die Brücke mit dem Platz daneben, Wo man die Rüstung und den Rock verlor Mit äußerster Gefahr für Leib und Leben. Kaum zeigten nun die drei sich auf dem Wege, So tönten in der Burg zwei Glockenschläge. |
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59 | Und aus dem Thor kömmt, grau und misgestaltet, Auf einer Mähr' ein Mensch und jagt wie toll Und fährt sie an mit Schreien »Haltet, haltet! He, holla, hier bezahlt man erst den Zoll. Und kennt ihr den Gebrauch nicht, der hier waltet, So werd' ich ihn erklären, ganz und voll.« Und der Gebrauch ward ihnen nun verkündet, Den Pinabel an diesem Ort gegründet. 309 |
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60 | Zum Schlusse gab er seinen Rat den beiden, Wie seine Art mit allen Rittern war: »Kinderchen, laßt das Mädchen sich entkleiden Und reicht mir eure Pferd' und Waffen dar. Vier solchen Kriegern gegenüber meiden Wir doch wohl besser Zweikampf und Gefahr. Rock, Pferd und Waffen findet man schon wieder, Doch nicht das Leben und die heilen Glieder.« |
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61 | »Genug, (sprach Roger) gründlich schon belehrt Bin ich in allen Punkten. Ich erscheine Hier, um zu sehen, ob ich so viel wert In Wahrheit bin, wie ich's im Herzen meine. Ich gebe niemand Waffen, Rock und Pferd, Wenn ich nur Drohung höre wie die deine. Auch mein Begleiter, wie ich sicher bin, Giebt nicht auf Worte bloß die seinen hin. |
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62 | »Bei Gott, führ' uns die Männer, die uns Rosse Und Rüstung nehmen wollen, vors Gesicht. Wir müssen heut noch, ich und mein Genosse, Dort über jenen Berg, und Zeit gebricht.« Der Alte sprach: »Er kömmt schon aus dem Schlosse, Der dies besorgen wird.« Auch log er nicht. Ein Ritter kam in rotem Oberkleide, Mit Blumen drein gestickt von weißer Seide. 310 |
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63 | Nun hätte Bradamante gar zu gern Gesehen, Roger hätt' ihr nachgegeben Und ihr vergönnt den schöngeschmückten Herrn Samt seinen Blumen aus dem Sitz zu heben. Doch daß sie es verlangte, das war fern: Was Roger wollte, dabei blieb es eben, Und Roger wollt' allein den Kampf bestehn Und überließ es ihr ihm zuzusehn. |
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64 | Roger erfragte von dem alten Boten Wer jener Ritter auf der Brücke sei; Und der versetzte: »Samson; denn den roten Rock kenn' ich mit der weißen Stickerei.« Nun stellten sie zum Kampfe sich und drohten Nicht erst mit Worten lang' und mit Geschrei. Sie suchten sich mit den gesenkten Schäften Und spornten ihre Ross' aus Leibeskräften. |
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65 | Inzwischen kam aus seines Schlosses Thoren Auch Pinabel, mit Fußvolk um ihn her, Um dem besiegten, der den Sitz verloren Rasch abzuziehn die ritterliche Wehr. Das kühne Paar kömmt an und braucht die Sporen, Fest ruht im Arm der ungeheure Speer, Zwei Spannen dick, vom derbsten Eichenpfahle Und fast von gleichem Maß bis vorn zum Stahle. 311 |
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66 | Von solchen ließ sich Samson mehr denn zehn Aus dem lebend'gen Eichenstamme schlagen Im nahgelegnen Wald', und ihrer zween Hatt' er jetzt mitgebracht, und wer es wagen Und solchen Stößen wollte widerstehn, Der mußte diamantne Rüstung tragen. Den einen hatt' er Rogern, als er kam, Geschickt, indeß er selbst den andern nahm. |
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67 | Mit diesen Lanzen, diesen scharfgespitzten, Der kaum ein Ambos widerstünde, nahn, Des Gegners Schild erzielend, die erhitzten Und treffen sich genau auf halber Bahn. Dem Schild, bei dem einst nackte Teufel schwitzten, Dem Schilde Rogers ward kein Leids gethan. Ich rede von dem Schild, den Atlas stählte, Von dessen Kraft ich öfter schon erzählte. |
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68 | Ich hab' erzählt, mit welcher Macht und Helle Der zauberhafte Glanz ins Auge schlägt, Wie er, enthüllt, dem Menschen auf der Stelle Die Sehkraft nimmt und ihn zu Boden legt; Daher auch (außer für die schlimmsten Fälle) Er ihn verdeckt in einem Tuche trägt. Auch war er undurchdringlich, glauben viele, Weil nichts an ihm zerbrach bei diesem Spiele. 312 |
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69 | Der andre, dessen Schmied nicht so gelehrt Gewesen war, bestand nicht vor dem Schafte. Er sprang in Stücke wie vom Blitz versehrt Und ließ das Eisen durch, das schauderhafte. Er ließ das Eisen durch, und sieh, es kehrt Wider den Arm sich, dessen Panzer klaffte, Und schwer verwundet aus dem Sattel muß Samson zu seinem Ärger und Verdruß. |
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70 | Von jenen vier war er der erste Mann, Die für den schnöden Brauch hier Kampfes pflogen, Der erste, der kein Beutestück gewann, Der erste, der vom Sattel war geflogen. Wer lacht, der muß auch weinen dann und wann, Und freundlich Glück wird manchmal ungezogen. Der auf dem Thurme gab zum zweiten Mal Mit Glockenschlag den Rittern das Signal. |
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71 | Graf Pinabel war in der Zwischenzeit Herangetrabt und fragte Bradamante, Wer jener sei, der so beherzt im Streit Den Kämpen seiner Burg zu Boden rannte. Ihn führte göttliche Gerechtigkeit, Die den verdienten Lohn ihm zuerkannte, Auf Bradamante's eignem Pferd herbei, Das er vordem ihr nahm durch Büberei. 313 |
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72 | Heut endete der achte Monat eben, Seit unterwegs sie auf den Mainzer stieß Und er sie, wie ihr wißt, nach kurzem Schweben Ins Grab Merlins hinunterfallen ließ. Ein Ast, der mitfiel, rettet' ihr das Leben, Vielmehr ihr Glück, das gnädig sich erwies. Er aber, der sie dort im Schooß der Erde Begraben wähnte, floh mit ihrem Pferde. |
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73 | Sie hatt' ihr Pferd erkannt, und nun erkannte Sie in dem Schloßherrn jenen Bösewicht, Und als er sprach und sie zu ihm sich wandte Und scharf ins Auge faßte sein Gesicht, Rief sie: »Der Schelm, der mich ins Unheil sandte, Dies ist er, mein Gedächtniß täuscht mich nicht. Die eigne Sünde hat ihn hergeführt, Wo man ihm lohnen wird, wie ihm gebürt.« |
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74 | So sprach sie, und die Hand griff nach dem Degen Und ohne weitres warf sie sich auf ihn, Doch sorgte sie die Straß' ihm zu verlegen, Damit er nicht zum Schlosse mög' entfliehn. Nicht konnte Pinabel die Hoffnung hegen, Sich wie der Fuchs ins Loch zurückzuziehn, Und schreiend, ohne Widerstand zu wagen, Floh er dem Walde zu in vollem Jagen. 314 |
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75 | Bleich und geängstigt spornt der arme Wicht; Denn nur auf Flucht allein kann er noch bauen. Das kühne Mädchen, mit der Klinge dicht Ihm an den Rippen, droht darein zu hauen. Stets ist sie bei ihm und verläßt ihn nicht. Groß ist der Lärm; es dröhnen Wald und Auen. Im Schloß bemerkt man nicht, was ihm geschieht, Weil Roger aller Augen auf sich zieht. |
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76 | Die andern drei Genossen nämlich ritten Inzwischen aus der Burg ins offne Feld. Mit ihnen kam das Weib von schlechten Sitten, Das den verruchten Brauch hier aufgestellt. Den Kriegern, die den Tod viel lieber litten, Statt so zu leben, schimpflich vor der Welt, Brennt das Gesicht vor Scham, das Herz vor Pein, Daß ihrer drei sind und ihr Feind allein. |
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77 | Das böse Weib erlaubt es ihnen nicht Den schlechten Brauch, den sie ersann, zu brechen. Sie mahnt die Ritter an Vertrag und Pflicht, Die sie beschworen hatten, sie zu rächen. »Wenn meine Lanz' allein vom Pferd' ihn sticht, Warum verlangst du, daß ihn andre stechen?« So sprach Guidon; »lös' ich dies Wort nicht ein, So köpfe mich, ich will's zufrieden sein.« 315 |
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78 | So sprach Grifon, so sprach auch Aquilant. Mann wider Mann will jeder gern turniren, Doch lieber sterben als durch Überhand Mit vielen über einen triumphiren. Das Fräulein aber sprach: »Wozu der Tand? Wozu mit Worten eure Zeit verlieren? Ihr seid hier, um mir Waffen zu erbeuten, Und nicht Verträg' und Satzungen zu deuten. |
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79 | »Als ihr in Fesseln lagt, da war es Zeit, Den Dienst zu weigern; jetzt begebt euch dessen. Ihr müßt mir liefern, was ihr schuldig seid, Nicht hinterdrein mit kurzer Elle messen.« Und Roger rief: »Hier ist mein Waffenkleid! Hier ist der Gaul, ganz neu Geschirr und Treffen! Auch das Gewand der jungen Dam' ist hier; Wenn ihr es holen wollt, was zögert ihr?« |
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80 | Oliver, der Vater Aquilants und Grifons, ist Markgraf von Burgund. | Das Fräulein auf der einen Seite hetzt, Dort höhnt der Gegner sie mit scharfen Glossen; So setzen sie sich denn in Trab zuletzt, Vereinigt, ganz von Schamröt' übergossen, Und so erscheinen sie im Felde jetzt, Voran Burgunds berühmte Zwillingssprossen. Guidon, deß Pferd ein wenig schwerer war, Kömmt ein'ge Schritte hinter diesem Paar. 316 |
81 | Denselben Speer, der Samson aus dem Sitze Geworfen, hatte Roger noch zur Hand, Und jenen Schild, den einst auf hoher Spitze Der Pyrenäen trug der Necromant, Den Zauberschild, vor dessen Glanz und Blitze Das Auge keines Sterblichen bestand, Zu welchem Roger, wenn's zum schlimmsten kam, Als letztem Mittel seine Zuflucht nahm. |
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82 | Doch braucht er dreimal nur dies lichte Feuer, Und nur als äußerste Gefahr ihn zwang: Zum erst und zweiten Mal, als er zu neuer Thatkraft dem Reich der Wollust sich entrang, Zum dritten, als das Meeresungeheuer Mit ungesättigtem Gebiß versank Und so das schöne nackte Weib verschonte, Das dem Erretter dann so grausam lohnte. |
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83 | Dreimal gebraucht' er ihn, sonst allezeit Trug er den Schild in einem Tuch verborgen. Doch war er ihn zu zeigen stets bereit, Sobald es Not sei, seine Kraft zu borgen. Mit diesem also kam er jetzt zum Streit, So mutig, wie gesagt, und ohne Sorgen, Daß jene drei gewappneten ihm minder Furcht machten als drei kleine Ammenkinder. 317 |
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84 | Er traf Grifon, wo an des Helmes Wange Der Schildrand stieß, und jener schwankte tief Nach beiden Seiten, und nicht währt es lange, So lag er fern vom Pferd, das weiter lief. Auch Rogers Schild traf jener mit der Stange, Doch kam der Stoß nicht grade, sondern schief, Und auf den Stahl, den glattpolirten, treffend, Glitt er am Schilde hin, den Kämpfer äffend. |
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85 | Das Tuch zerriß, darin der Schimmer steckte, Der fürchterliche, zauberische Strahl, Der jeden Menschen blind zu Boden streckte, Da gab es kein Entrinnen keine Wahl. Als Aquilant den Rest, der ihn verdeckte, Vollends zersetzte, loderte der Stahl, Und beide Brüder traf der Wetterschein, Und auch Guidon, denn der ritt hinterdrein. |
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86 | Hier stürzt der eine, dort der andre nieder. Der Schild verdunkelt nicht nur ihr Gesicht, Er lähmt auch alle Sinn' und alle Glieder. Roger, der diesen Schluß des Kampfes nicht Gesehn hat, schwenkt und kömmt zum Fechten wieder Und zieht das Schwert, das trefflich haut und sticht, Doch keinen sieht er nun, der weiter stritte; Denn alle sind gestürzt beim ersten Ritte. 318 |
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87 | Die Ritter und desgleichen auch die Knappen, Die Knechte, beide Mädchen liegen da, Nicht minder auch die Schimmel und die Rappen, Dahingestreckt, als wär' ihr Ende nah. Erst war er ganz erstaunt, bis er die Lappen Des roten Tuchs vom Arme hangen sah, Den seidnen Schleier mein' ich, der die Helle Bisher verschloß, des ganzen Unheils Quelle. |
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88 | Schnell wandt' er sich, und während er sich wandte, Suchte sein Blick die schöne Kriegerin, Die, während er zuerst mit Samson rannte, Beiseit geblieben war. Er schaute hin Und fand sie nicht und meinte, Bradamante Sei fortgeeilt, weil sie in ihrem Sinn Besorge, jener Jüngling werde brennen, Indeß sie sich aufhielten bei dem Rennen. |
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89 | Das Mädchen, das ihn nach dem Schloß gebracht, Sah er am Boden mit betäubten Sinnen. Er hob sie vorn aufs Pferd, eh sie erwacht, Und ritt bekümmert seines Wegs von hinnen. Dann nahm er ihren Mantel mit Bedacht Und legt' ihn um den Schild und barg den drinnen, Und bald kam jene wieder zu Verstand, Als aus der Luft der böse Glanz verschwand. 319 |
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90 | Er eilt dahin mit glühendem Gesichte Und wagt vor Scham nicht in die Höh zu sehn. Vor aller Welt glaubt er in schlechtem Lichte Als Sieger ohne Ehre dazustehn. »Durch welche Sühne kann ich dem Gerichte, Dem Vorwurf so schmachvoller Schuld entgehn? All meine Siege seien Zauberwerke, Wird jeder sagen, nicht Beweis von Stärke.« |
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91 | So in Gedanken ritt er traurig fort, Da fand er das, was er zu finden trachtet. Auf halbem Weg kam er an einen Ort, Woselbst ein Brunnen war, tief ausgeschachtet; In heißer Mittagsstunde rastet dort Die satte Herde, die nach Wasser schmachtet. Da sagte Roger: »Halt, hier sorg' ich erst, Daß du, o Schild, nie wieder mich entehrst. |
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92 | »Du gehst nicht weiter mit mir; diese Schande, Die du mir zufügst, soll die letzte sein.« So redend stieg er ab, und aus dem Sande Hob er sich einen dicken, schweren Stein Und band ihn an den Schild und trat zum Rande Des tiefen Schachts und warf den Schild hinein Und sprach: »In diesem Grabe bleib nun liegen Und neben dir mein Schimpf, tief und verschwiegen.« 320 |
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93 | Tief und voll Wassers war der hohle Schlund, Schwer war der Schild, schwer zog der Stein ihn nieder. Er sank hinab bis unten auf den Grund, Darüber schloß die leichte Flut sich wieder. Und nicht verschwieg Fama's geschwätz'ger Mund Die edle That; sie schüttelt' ihr Gefieder Und stieß ins Horn, und man vernahm den Schall In Frankreich, Spanien und überall. |
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94 | Als das Gerücht von all dem wundersamen Von Mund zu Munde ging, von Ort zu Ort, Machten sich viele Ritter auf und kamen, Den Schild zu suchen, rings von Süd und Nord. Doch wußte keiner jenes Waldes Namen, Wo in dem Brunnen liegt der Zauberhort, Weil sie, die von der That die Kunde brachte, Den Brunnen und den Ort nie kenntlich machte. |
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95 | Als Roger fern schon war von dem Castelle, Wo er den leichten Sieg gewann und wo Die vier gewalt'gen Kämpen vor der Schwelle Er liegen ließ, als wären sie von Stroh, Und nun der Schild verschwand, vor dessen Helle Das Aug' erlosch und die Besinnung floh, Begannen jene, die wie Todte lagen, Erstaunt die Augen wieder aufzuschlagen. 321 |
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96 | Und unter ihnen ward von andrem nicht Als von dem wunderbaren Fall gesprochen, Und wie es zuging, daß sie vor dem Licht, Dem schrecklichen, hinstürzten wie zerbrochen. Indeß sie sprachen, langte der Bericht Im Schloß an, Pinabel sei todtgestochen. Daß Pinabel todt sei, erfuhren sie, Doch wußten sie noch nicht, durch wen und wie. |
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97 | Die Tochter Haimons war ihm nachgeritten, Bis er in enger Schlucht sich festgerannt, Und hundertmal wohl hatte dort sie mitten Durch seine Brust ihr spitzes Schwert gesandt. Als sie die Eiterbeule weggeschnitten, Die eine Pest war für das ganze Land, Verließ sie rasch die Stätte des Gerichtes Mit dem gestohlnen Roß des Bösewichtes. |
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98 | Sie wollte jetzt zurück zu Rogern reiten, Jedoch die Straße war ihr unbekannt. Sie ritt durch Berg und Thal, nach allen Seiten Durchzog sie suchend fast das ganze Land. Ihr Unstern wußte stets sie so zu leiten Daß sie den Weg zu Rogern nimmer fand. Zum folgenden Gesang ist der willkommen, Den die Geschicht' ergetzt, die er vernommen. 322 |