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Angriff der Mohren auf Paris (1–9). Astolfs Rückreise von der Insel Logistilla's. Andronice belehrt ihn über die künftige Entdeckung Amerika's und des Seewegs nach Indien sowie über Karls des Fünften Feldherrn, Andreas Doria (10–40). Astolfs Abenteuer mit dem Riesen Caligorant in Aegypten (41–64). Kampf der Zwillinge Aquilant und Grifon mit dem unzerstörbaren Wegelagerer Horril, welchen Astolf schließlich besiegt, (65–90). Astolf und die Zwillinge gehen nach Jerusalem; Samson von Mecca empfängt sie; Grifon erfährt die Untreue seiner Geliebten und verläßt die Gefährten (91–105).
1 | Str. 1–2 enthalten eine Anspielung auf den schon im 3. Ges. Str. 57 erwähnten Sieg des Cardinals Hippolyt über die Venezianer. | Zu siegen galt von je für löblich zwar, Durch Klugheit oder auch durch Glück zu siegen, Indessen wenn der Sieg zu blutig war, Wird das Verdienst des Feldherrn wen'ger wiegen. Glorreich ist Sieg nur, heut und immerdar, Und hat den Gipfel des Triumphs erstiegen, Wenn man des Feindes Heer zu Paaren treibt, Indeß das eigne frei von Schaden bleibt. |
2 | Dies hohe Lob ward euer, mein Patron, Als ihr des Meereslöwen Raubgelüste, Der links und rechts des Po Gestade schon Festhielt von Francolin bis an die Küste, So zähmtet, daß ich sein Gebrüll und Drohn Nie fürchtete, wenn ich euch nahe wüßte. Ihr zeigtet uns des Siegens wahre Art; Den Feind erschlugt ihr und habt uns bewahrt. 2 |
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3 | Der Mohr in seinem blinden Uebermut Verstand dies nicht; er jagte von den Wehren Die seinen in die Schlucht, wo Rauch und Glut Alles mit plötzlicher Gewalt verheren. So viel sind ihrer, daß der Raum nicht gut Sie fassen würd', indeß die Flammen zehren, Zehren das Fleisch und wandeln es in Staub Und schaffen selbst sich Platz für ihren Raub. |
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4 | Es waren ihrer in dies Thal der Schmerzen Elftausend achtundvierzig an der Zahl Hinabgestiegen mit bedrücktem Herzen, Nur weil der tolle Feldherr es befahl. Erloschen sind sie nun bei soviel Kerzen Und dienen der gefräß'gen Glut zum Mahl, Und Rodomont, die Ursach ihrer Leiden, Kömmt heil davon und ohne mitzuleiden. |
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5 | Denn mitten in die Feinde, durch die Luft, Hatt' ihn der wunderbare Sprung getragen, Ans innre Ufer. Stieg' er in die Kluft, So hätt' er heut die letzte Schlacht geschlagen. Er blickt hinunter in die Höllengruft Und sieht die Flamme hoch und höher ragen, Und als er das Gekreisch und Weh vernimmt,. Da lästert er und brüllt, auf Gott ergrimmt. 3 |
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6 | Inzwischen hatte König Agramante Plötzlichen Sturm eröffnet auf ein Thor. Denn während dort die Schlacht so grausam brannte, Wo Rodomont sein armes Volk verlor, Glaubt' er, man werde hier nur schwachbemannte Wachtposten treffen, und so rückt' er vor; Mit ihm Arzilla's König Bambirag Und Baliverz, der jedes Lasters pflag, |
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7 | Und Corinens von Mulga, Prusion, Der reiche Fürst der sel'gen Insellande, Malabuferz, der viele Jahre schon Fizan beherscht in ew'gem Sommerbrande, Und mancher andre Ritter und Baron Und manche wohlbewehrte tapfre Bande, Und viele nackt und wertlos, deren Herz Nicht panzern würde hundertfaches Erz. |
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8 | Sehr täuschte sich Trojans berühmter Sohn, Daß jenen Punkt nur wenig Volk bediene; Das Oberhaupt des Reichs war in Person Zur Stelle, König Karl, auch Paladine, Der Däne Holger, König Salomon, Die beiden Guido's, beide Angeline Und Ganelon und Naims, der Baiern Herr, Otto, Avol, Avin und Berlinger. 4 |
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9 | Unzähl'ge dann von minderem Gewicht Aus Frankreich, Deutschland und Italiens Gauen, Gewärtig ihrem Herrn und all' erpicht Sich heut hervorzuthun und dreinzuhauen. Hiervon geb' ich euch anderswo Bericht; Ich muß nach einem großen Herzog schauen, Der ruft und winkt, daß ich im Dintenfasse Und in der Feder ihn nicht stecken lasse. |
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10 | Laßt sehn denn, wie Astolf die Zeit verbrachte, Der weitverschlagne Prinz aus Engelland. Nach all dem Wandern in der Fremd' erwachte In ihm die Sehnsucht nach dem Heimatland, Und wie zuvor die Fee ihm Hoffnung machte, (Sie, die im Krieg' Alcinen überwand,) So trug sie Sorge jetzt, aus ihrer Pflege Ihn heimzusenden auf dem nächsten Wege. |
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11 | Die stattlichste Galere, welche je Das Meer gepflügt hat, ließ sie ihm bereiten, Und weil sie sorgte, daß die böse Fee Die Fahrt ihm störe, ließ sie ihn geleiten Von einer starken Flott'; Andronice Und Sophrosyne sollen ihn begleiten, Damit kein Schade treffe den Astolf, Bis nach Arabiens oder Persiens Golf. 5 |
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12 | Nabathäer und Erythräer, Völkernamen bei den alten Geographen; die ersteren wohnten im felsigen Arabien, die letzteren an der Küste des roten Meers. | Sie rät ihm an, die Küst' entlang zu gehn Der Scythen, Indier und Nabatäer Und nordwärts dann im Bogen sich zu drehn Nach Persien und dem Reich der Erythräer, Und nicht, wo stets die rauhen Stürme wehn, Das Meer zu suchen, das dem Pole näher Und so verarmt an Sonne häufig ist, Daß man sie manchmal Monde lang vermißt. |
13 | Als sie dann sah, daß alles fertig sei, Entließ die Fee den Herzog nach dem Meere, Nachdem sie ihm Ratschläge mancherlei Ertheilte, was zu lang zu sagen wäre. Auch hatte sie zum Schutz vor Zauberei, Damit er den in Zukunft nie entbehre, Ein schön und nützlich Buch ihm mitgegeben, Um ihr zu Lieb es immer aufzuheben. |
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14 | Wie man den Zaubern wehrt und Schaden wendet, Lehrt dieses Buch, das Logistill' ihm reicht; Was es enthält und wo es steht, das fändet Ihr durch Rubrik und Inder schnell und leicht. Noch etwas andres hatte sie gespendet, Dem nichts an Nützlichkeit auf Erden gleicht; Das war ein Horn von schauderhaftem Schalle, Und die es hörten, flohn voll Schrecken alle. 6 |
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15 | So schauderhaften Tons ist dieses Horn, Daß wer es hört, fliehn muß voll Angst und Beben, Daß Männer selbst vom besten Schrot und Korn Vor diesem Ton sich auf die Flucht begeben. Erdbeben, Donner, Sturm im höchsten Zorn Sind Kinderspiel, ein bloßes Nichts daneben. Mit vielem Dank empfahl sich bei der Fee Der gute Paladin und ging in See. |
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16 | Das Land des Thomas ist die Küste Malabar, wo der Apostel Thomas den Märtyrertod erlitten haben soll. | Mit günst'gem Winde, der von hinten wehte, Verließ er Logistillas Inselstrand Und sah die prächtigen volkreichen Städte An Indiens würzereichem Uferrand Und sah im Meere tausend ausgesäte Eilande liegen, aber als das Land Des heil'gen Thomas sichtbar war geworden, Bog der Pilot das Steuer mehr nach Norden. |
17 | Die goldne Chersones ist der griechische Name für die Halbinsel Malacca, Taprobane dsgl. für Ceylon, Cori ist das Vorgebirge Comorin, Cochin eine Stadt an der Küste Malabar, das »schmale Meer« der Sund zwischen Ceylon und dem Festlande. | Dicht an der goldnen Chersones einher Pflügt durch die Flut die stattliche Armade, Bis, an der reichen Küst' aufsegelnd, er Den Ganges sieht mit weißem Schaumespfade, Dann Taprobane, Cori und das Meer, Das schmal sich hindrängt zwischen zwei Gestade. Nach langer Fahrt sehn sie Cochin, und hier Verlassen sie das indische Revier. 7 |
18 | Wie so Astolf, geleitet von den Damen, Das Meer durchschifft, fragt er Andronice, Ob wohl aus jener Gegend, die den Namen Vom Sonnenuntergang empfangen, je Fahrzeuge segelnd oder rudernd kamen In dieses östliche Revier der See, Und ob man, ohne je Land zu berühren, Ein indisch Schiff nach England könne führen. |
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19 | »Vernimm,« antwortet jene ihm darauf, »Das Meer umfängt die Erd' in weitem Kreise, Daß Well' in Welle fließt, und hört nicht auf, Nicht wo es kocht, nicht wo es starrt im Eise. Weil aber dort vor unsres Schiffes Lauf Das Aethiopenland in solcher Weise Gen Mittag strebt, hat mancher wohl gesagt, Dort sei die Straße dem Neptun versagt. |
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20 | »Drum ward von unsern indischen Gestaden Kein Fahrzeug nach Europa je gesandt, Und keins, das in Europa ward beladen, Hat je den Weg gesucht nach unsrem Strand. Sie kehrten um, weil sich auf ihren Pfaden Die ungeheure Ländermasse fand; Da sie so lang ist, dachte man sie wäre Verbunden mit der andren Hemisphäre. 8 |
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21 | »Jedoch im fernsten West, in künft'gen Jahren Seh' neue Argonauten ich erstehn Und Straßen öffnen, die verborgen waren. Die einen werden Afrika umgehn, Die Negerküst' entlang gen Süden fahren, Bis sie im Rücken jenes Zeichen sehn, Von wo die Sonn' auf ihrer Jahresreise Zu uns zurückkehrt von des Steinbocks Kreise. |
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22 | »So finden sie des langen Welttheils Spitze, Der dieses Meer wie zwei erscheinen läßt, Und sehn die Küsten und die Inselsitze Der Perser, Inder und den ganzen Rest. Die andern segeln durch die schmale Ritze, Wo Hercules das Land zerriß, gen West, Der Sonne Lauf nachahmend, und entdecken Dort neue Welt und neue Länderstrecken. |
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23 | »Ich seh' das heil'ge Kreuz, am grünen Strand Seh' ich die kaiserlichen Banner fliegen; Ich seh' ein Häuflein mit der einen Hand Die Schiffe schützen, mit der andern siegen; Ich sehe tausend fliehn vor zehn, das Land Bis Indien zu Castiliens Füßen liegen; Des fünften Karl Hauptleute sieht mein Geist, Siegreich, wohin er auch sie gehen heißt. 9 |
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24 | »Nach Gottes Rat ist sie verhüllt geblieben, Die neue Bahn, und lange Zeit noch hält Er so verhüllt sie, bis nach sechs, nach sieben Jahrhunderten der Schleier endlich fällt. Gott wird die Kunde bis zur Zeit verschieben, Wo er zur Monarchie vereint die Welt Dem weisesten der Kaiser giebt, dem besten, Die seit Augustus je gethront im Westen. |
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25 | »Am linken Rheingestade« ist in weiterem Sinne zu verstehen als Land links vom Rheine. Karl V wurde in Gent geboren. | »Aus Oestreichs Blut und dem von Aragon Erwächst am linken Rheingestad' ein Knabe, Dem gleicht an Tugenden kein Erdensohn, Von dem ich je gehört, gelesen habe. Asträa setzt er wieder auf den Thron, Vielmehr er weckt sie wieder aus dem Grabe, Und alle Tugenden, die man zugleich Mit ihr vertrieb, führt er zurück ins Reich. |
26 | »Dafür hat Gottes Huld von Ewigkeiten Nicht nur das Diadem ihm zugedacht Des großen Reiches, das August vor Zeiten, Trajan und Titus hatten, sondern Macht Auch über alle Land' auf beiden Seiten, Wo Sonn' und Jahr nie End' und Anfang macht; Und unter diesem Reich soll auf der Erde Ein einz'ger Hirte sein und eine Herde. 10 |
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27 | »Und daß mit leichtrem Gang ins Leben trete, Was in den Sternen längst geschrieben stand, Giebt ihm die ew'ge Vorsicht weise Räte Und Feldherrn, unbesiegt zu See und Land. Ferdinand Cortez seh' ich neue Städte Cäsarn erobern mit gewalt'ger Hand Und Königreich' im Osten, so entfernte, Daß Indien selbst nie ihre Namen lernte. |
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28 | Str. 28–29 feiern drei bedeutende Feldherrn Karls V, Prospero Colonna, Fernando d'Avalos Marquis von Pescara und Alfonso d'Avalos Marquis del Vasto. | »Prosper Colonna und Pescara's Degen Erblick' ich, und ein Jüngling folgt den zween, Ein Vasto. Theuer kömmt einst dieser wegen Den Lilien ihr italisch Land zu stehn. Den dritten seh' ich sich als ersten regen, Um Lorbern ringend, die ihm nicht entgehn, Dem guten Rennpferd' ähnlich, das den Lauf Zuletzt begann und allen fliegt vorauf. |
29 | »Ich seh' Alfons (so nennt sich dieser Held) So treu, so tapfer und so kriegserfahren, Daß frühe schon, bevor er in der Welt Das siebte Jahr erreicht nach zwanzig Jahren, Karl an die Spitze seines Heers ihn stellt, Und ihn bewahrend, wird er alles wahren, Und mehr als das: den Weltkreis zu bezwingen Wird ihm mit solchem Feldherrn leicht gelingen. 11 |
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30 | »Wie er durch sie, soweit der Mensch zu Lande Gehn kann, dem alten Reiche Zuwachs bringt, So wird er auf dem Meer, das heiße Sande Der Mohren und Europa's Küst' umschlingt, Siegreich begegnen jedem Widerstande, Sobald mit Doria ihm der Bund gelingt, Andreas Doria, welcher einst von Räubern Die Meere wird in eurer Zone säubern. |
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31 | »So großes that Pompejus nicht wie der; Der Römer auch verjagte die Korsaren, Doch nur, weil sie zu schwach zur Gegenwehr Wider das stärkste Reich der Erde waren. Der Doria reinigt aber rings das Meer Bloß mit dem eignen Geist, mit eignen Scharen, Und zittern seh' ich, wann sein Nam' erschallt, Die Küsten schon vom Nil bis Calpe's Spalt. |
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32 | Karl V wollte dem Andreas Doria die Herrschaft über Genua, nachdem die Stadt den Franzosen entrissen worden war, übertragen, Doria aber lehnte dies ab und gab der Stadt eine republikanische Verfassung, welche die Dogenwürde immer nur auf zwei Jahre verlieh. | »Geschützt durch sein Geleit und seine Schwüre, Kömmt nach Italien Karl, da wo die Hand Des Doria ihm aufschließen wird die Thüre, Und knüpft sich um die Stirn das Herscherband. Und Doria wünscht, wenn Lohn dafür gebüre, Nicht Lohn für sich, nur für sein Vaterland; Dem wirkt er Freiheit aus; wie viele hätten Vielleicht versucht es für sich selbst zu ketten! 12 |
33 | »Mehr Preis verdient so würdiger Entschluß Als alle Schlachten, die in Spanien, Gallien Und eurem Insellande Julius Gewann und in Aegypten und Thessalien. Die großen Ringer auch, Octavius Und Marc Anton, verdienen von Italien So hohen Ruhm nicht; ihre Ehre trübt, Daß sie Gewalt am Vaterland geübt. |
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34 | Die Stadt in Apulien, welche Doria als Lehn empfing, ist Melfi, einst der Sitz des Normannen Robert Guiscard. | »Sie und wer sonst sein freies Vaterland Zu knechten trachtet, mag vor Scham vergehen, Und wo der Name Doria wird genannt, Sich hüten Männern ins Gesicht zu sehen. Zu jenem Lohn, den Doria's milde Hand Den Bürgern mittheilt, giebt ihm Karl zu Lehen Die reiche Stadt, die einst Normannenmacht Zum Sitz der Herrschaft in Apulien macht. |
35 | »Der große Karl wird diesen nicht allein Mit Huld bedenken, sondern alle Treuen, Die sich der kaiserlichen Sache weihn Und nicht das Opfer eignen Blutes scheuen. Städte verleihn, ein ganzes Land verleihn Solch einem Freund, das wird ihn mehr erfreuen, (Und allen, die des Lohnes würdig sind,) Als wenn er Königreiche selbst gewinnt.« 13 |
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36 | So sprach Andronice von künft'gen Zeiten, Im voraus aller Siege schon gewiß, Die Karls berühmte Feldherrn ihm erstreiten, Indeß die andre Schwester sich befliß Die ostgebornen Wind' am Zaum zu leiten Mit lockerm oder strafferem Gebiß, Bald diesen treibend, bald dem andren wehrend, Sie nach Belieben mindernd oder mehrend. |
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37 | Der Golf der Magier ist der persische Meerbusen, nach der Meinung, daß Persien im Alterthum von den weisen Priestern des Landes regiert worden sei. | Schon haben sie das Persermeer gesehen, Nach allen Seiten weithin ausgespannt; Jetzt lassen sie sich nach dem Golfe wehen, Den man nach alten Magiern hat benannt. Hier laufen sie den Hafen an und drehen Ihr flüchtig Schiff, das Steuer nach dem Land. Astolf, nun sicher vor Alcina's Netzen, Denkt seine Fahrt zu Lande fortzusetzen. |
38 | Er eilt durch Thäler, über Bergesrücken, Durch manchen Wald und manche Flur und Trift, Wo manchmal er im Antlitz und im Rücken, Bei heller Luft und dunkler, Räuber trifft, Auch wilde Thiere, die zu Leib' ihm rücken, Die Löwen und die Drachen voller Gift; Er aber braucht sein Horn nur anzusetzen, So fliehn sie auseinander voll Entsetzen. 14 |
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39 | »Das Land der Heroen« soll den Auslegern zufolge das Land Gosen in Aegypten sein. Warum, wird nicht gesagt. | Durchs glückliche Arabien zieht er hin, An Myrrhen reich und reich an Ambradüften, Das sich der Phönix ausgewählt, darin Zu wohnen, lieber als in andern Lüften. Er schaut die See, Israels Rächerin, Wo Pharao versank in Wassergrüften, Weil Gott mit denen war, die vor ihm flohen. Dann kam er nach dem Lande der Heroen. |
40 | Der Fluß Trajan soll auf alten holländischen Karten als Nebenfluß des Nil vorkommen; andere vermuten, es sei ein von Kaiser Trajan gebauter Kanal gemeint. | Er folgt dem Fluß Trajan in schnellem Ritte Auf jenem Gaul, – kein zweiter war wie der; Er lief so leicht, die Spuren seiner Schritte Im Sande zu entdecken fiele schwer. Nicht Gras noch Schnee sank unter seinem Tritte, Und trocknen Fußes ging er übers Meer. So streckt' er sich im Lauf, daß seine Eile Dem Winde flog vorbei, dem Blitz, dem Pfeile. |
41 | Dies war vor Zeiten Argalia's Pferd, Erzeugt von Wind und Feuer ohne Samen; Nicht Korn und Heu, nur Luft hatt' es genährt, Und Rabican hieß dieses Pferd mit Namen. Der Herzog folgt dem Fluß, solang' er währt, Bis der Trajan und Nil zusammenkamen, Und eh er an die Mündung kömmt, gewahrt Er einen Nachen in geschwinder Fahrt. 15 |
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42 | Ein Eremit saß hinten in dem Kahn, Mit weißem Bart, der auf den Busen wallte; Der lud den Herzog ein, dem Schiff zu nahn, Und »lieber Sohn,« rief schon von fern der Alte, »Wenn dir zu leben noch nicht leid gethan, Wenn du nicht willst, daß dich der Tod behalte, So komm auf jenen Strand in meinem Boot; Denn dieser Weg führt in den sichren Tod. |
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43 | »Verfolgst du deinen Weg zwei Meilen weiter, So langst du bei der blut'gen Herberg' an; Da wohnt ein Unhold, ein vermaledeiter, Vier Ellen höher als der größte Mann, Dem nie der Wandrer noch der schnellste Reiter Lebendig zu entrinnen hoffen kann; Er schlachtet oder schindet sie elendig, Viertheilt sie oder frißt sie gleich lebendig. |
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44 | »Zum Zeitvertreib bei all dem blut'gen Graus Braucht er ein Netz von wunderbarer Stärke; Er legt es in den Weg, nah bei dem Haus, In tiefen Sand, damit es keiner merke, Und wer's nicht weiß, der hat kein Arg daraus So fein ist's, und so schlau geht er zu Werke, Und wild pflegt er die Fremdling' anzuschrein Und jagt sie vor Entsetzen blind hinein. 16 |
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45 | »Und wenn sie zappeln, schleppt er kurz und gut Mit lautem Lachen sie nach seinem Neste. Kein Ritter, keine Dam' entgeht der Wut, Der Feige gilt so viel ihm wie der beste. Er frißt das Fleisch, schlürft das Gehirn und Blut Und giebt der Wüste dann die Knochenreste, Und mit den Menschenhäuten schauerlich Schmückt seine Wohnung dann der Wüterich. |
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46 | »Nimm, lieber Sohn, nimm diesen andren Pfad; Dort kannst du sicher dich ans Meer begeben.« »Ich danke dir, mein Vater, für den Rat,« Versetzt der Herzog, ohne sehr zu beben, »Doch für die Ehre scheu' ich keine That; Denn Ehre acht' ich höher als mein Leben. Vergebens spräche, wer mir Flucht empföhle; Nein, gradeswegs geh' ich nach jener Höhle. |
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47 | »Ich kann mit Schimpf mich retten, wenn ich fliehe, Doch solche Rettung flieh' ich mehr als Tod. Zu sterben, wenn ich dort den kürzern ziehe, Das ist der schlimmste Fall, der mich bedroht; Wenn aber Gott mir seinen Beistand liehe, Ich jenen schlüg' und bliebe frisch und rot, So schüf' ich hier für tausend freie Pfade; Drum ist der Vortheil größer als der Schade. 17 |
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48 | »Für's Heil unzähl'ger Menschen darf ich schon Ein einzeln Leben in die Wage legen.« Da sprach der andre: »Zieh in Frieden, Sohn. Gott sende dir zum Schutz auf deinen Wegen Den Engel Michael vom Himmelsthron.« Der schlichte Klausner gab ihm seinen Segen, Und längs des Nils trieb nun Astolf sein Pferd, Dem Horne mehr vertrauend als dem Schwert. |
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49 | Das Ufer zwischen Fluß und Sumpfgebiet Wird von dem schmalen sand'gen Weg durchschnitten, Bis man das Haus, das einsamsteh'nde, sieht, Das nichts von Gastrecht weiß und milden Sitten. Rings starren Köpf' und manches nackte Glied Von armen Opfern, die des Wegs geschritten; An jedem Fenster, jedem Sims des Bau's Hängt mindstens eins von solchen Zeichen aus. |
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50 | Wie im Gebirgschloß oder Waldcastell Der Weidmann nach der blut'gen Bärenhetze Ans Thor zu nageln pflegt das zott'ge Fell, Die Tatzen und den dicken Kopf der Petze, So zeigte hier der grimmige Gesell Die stärksten, die er fing in seinem Netze. Die Knochen andrer lagen rings in Haufen, Und jeder Graben war voll Blut gelaufen. 18 |
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51 | Auf seiner Schwelle steht Caligorant; Denn diesen Namen führt der gottverhaßte, Der Menschenhäut' an seine Wände spannt Wie andre Goldtapeten und Damaste. Vor Freuden außer sich war der Gigant, Als er Astolf von fern ins Auge faßte; Denn seit zwei Monden (schon begann ein dritter) Kam dieses Weges nicht ein einz'ger Ritter. |
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52 | Hinab zum Sumpf, der dunkel ist und dicht Von grünem Rohr, springt er in raschen Sätzen. Im Bogen laufend will der Bösewicht Von hinten her Astolf in Schrecken setzen, Und in die Schlinge, die im Sande nicht Erkennbar ist, hofft er ihn so zu hetzen. So hatt' er's mit den Fremden stets gemacht, Die ihr Verhängniß an den Ort gebracht. |
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53 | Sobald der Paladin ihn kommen sieht, Hält er den Renner an; denn ihm ist bange, Daß in dem Netz, wovon der Eremit Gesprochen hatte, Rabican sich fange. Zeit ist's, daß er sein Horn zu Rate zieht, Und die gewohnte Wirkung folgt dem Klange: Er trifft ins Herz den Riesen, der ihn hört, Daß er davon rennt, ganz von Schreck verstört 19 |
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54 | Der Herzog bläst und rührt sich nicht vom Flecke; Denn stets klingt ihm ein schnappend Netz ins Ohr. Der Unhold flieht wie blind, da er im Schrecke Sowohl die Augen als das Herz verlor. In seiner Angst wählt er die nächste Strecke, Und in die eigne Schlinge rennt der Thor. Er läuft ins Netz, und das umschlingt die Glieder Ihm ganz und gar und streckt ihn hilflos nieder. |
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55 | Kaum sieht Astolf den Riesen auf der Erde, So weiß er, daß die Schling' ihm nichts mehr thut. Er springt mit dem gezückten Schwert vom Pferde, Und rächen will er das vergossne Blut; Dann denkt er, tödt' er den gefangnen, werde Man's Feigheit nennen, eh als Heldenmut; Denn Arm' und Bein' und Hals des Riesen schnürte Das Netz so fest, daß er sich nimmer rührte. |
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56 | Geschmiedet vom Vulcan war diese Kette Aus Stahldraht von der Feinheit feinsten Haars; Jedoch das Netz hernach zu lösen hätte Der stärkste nicht vermocht, so trefflich war's. Dies war das Netz, womit Vulcan im Bette Gefangen hielt die Venus und den Mars, Und eigens wob der Hahnrei diese Maschen, Um das verliebte Paar zu überraschen. 20 |
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57 | Dem Schmiede hat Mercur das Netz gestohlen; Denn Chloris drin zu fangen war sein Plan, Die schöne Chloris, die auf flücht'gen Sohlen Auroren nachschwebt bei der Sonne Nahn Und aus dem aufgerafften Kleid Violen Und Lilien streut und Rosen auf die Bahn. Mercur verfolgte sie, bis dann die Schlingen Des Netzes in der Luft die Nymphe fingen. |
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58 | Canopus, berühmt durch seinen Anubistempel, lag an der Stelle des heutigen Abukir. | Wo sich ins Meer ergießt der große Nil, Ward, wie man sagt, die Nymph' im Flug gefangen. Das Netz hat im Anubistempel viel Jahrhundert' in Canopus dann gehangen. Caligorant nach diesem überfiel, Als drei Jahrtausende dahingegangen, Das Heiligtum; das Netz hatt' er entwandt, Den Tempel ausgeraubt, die Stadt verbrannt. |
59 | Die Schlinge legt' er in die sand'ge Flur, Und jeder, den er jagte, lief am Ende Ins Netz hinein, und man berührt' es nur, So packt' es Hals und Arm und Knie und Lende. Von diesem nimmt der Herzog eine Schnur Und bindet auf dem Rücken ihm die Hände Und macht ihm Arm' und Brust unlöslich fest, Worauf er ihn vom Boden aufstehn läßt, 21 |
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60 | Aufknüpfend erst des Netzes andre Theile; Denn frommer als ein Kind ward der Gigant. Mitnehmen wollt' er ihn und eine Weile Ihn zeigen in den Städten und im Land. Das Netz desgleichen; Hammer nicht noch Feile Schuf etwas schönres je in kund'ger Hand. Er lud es jenem auf, und im Triumphe Führt' er ihn an der Kette fort vom Sumpfe. |
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61 | Den Helm und Schild gab er ihm auch zu tragen, Wie einem Knecht, und füllte weit und breit Das Land mit Jubel: sicher, ohne Zagen Schritt jetzt der Wandrer durch die Einsamkeit. So zog er weiter und nach ein'gen Tagen Sah Memphis Gräber er vom Weg nicht weit, Memphis, berühmt durch seine Pyramiden, Vom großen Kairo durch den Fluß geschieden. |
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62 | Von allen Seiten kam das Volk heran, Den ungeheuren Riesen zu betrachten. Wie ist es möglich, dacht' und fragte man, Daß dieser Knirps ihn band, den ungeschlachten? Kaum daß Astolf zum Reiten Platz gewann Durch das Getümmel, das die Leute machten, Und alles staunt' ihn an und jeder ehrte Als einen Ritter ihn von hohem Werte. 22 |
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63 | So groß war Kairo nicht zu jener Zeit, Wie wir uns heutzutag' erzählen lassen, Daß achtzehntausend Straßen lang und breit Das Volk, das dort beisammen ist, nicht fassen, Daß Haus an Haus, drei Stockwerk hoch, sich reiht Und tausende doch schlafen auf den Gassen, Und daß der Sultan dort ein Schloß bewohnt, Das größte, reichste, schönste unterm Mond; |
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64 | Und daß er funfzehntausend der Vasallen, Die sämtlich abgefallne Christen sind, Dort unter einem Dach vereint mit allen Den ihrigen, mit Pferden, Weib und Kind. Astolf begehrt den Nil ins Salzmeer fallen Zu sehn und wie der Strom vorüberrinnt An Damiette; denn er hat vernommen, Dort sei noch keiner heil vorbeigekommen. |
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65 | Dort haust am Nil unweit der offnen Rhede In einem Thurm ein räuberischer Mann, Der führt mit Heimischen und Fremden Fehde Und streift und plündert selbst in Kairo's Bann. Niemand entrinnt ihm, und es geht die Rede, Daß ihm kein Mensch das Leben nehmen kann. Schon hunderttausendmal ward er verwundet, Doch nie getödtet, stets war er gesundet. 23 |
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66 | Astolf will sehn, ob er ihm dieses Spiel Nicht legen könn' und doch sich selber rette. Er macht sich also auf und sucht Horril (So hieß der Mann) und kömmt nach Damiette. Von dort begiebt er sich hinab zum Nil Und sieht den hohen Thurm an öder Stätte, Wo der gefeite wohnt am Saum der See. Ein Elf hatt' ihn gezeugt mit einer Fee. |
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67 | Die beiden Zwillingshelden Grifon und Aquilant, welche Ariost hier einführt, sind bekannte Personen der Ritterdichtung. Sie werden als Knaben von einem Geier und einem Adler entführt, von zwei Feen gerettet u. s. w. Gewöhnlich werden Richard, Haimons Sohn, und Gismunde als ihre Eltern genannt; Ariost macht sie zu Söhnen des Paladins und Markgrafen Oliver von Burgund, dessen Gemalin auch Gismunde heißt. | Dort fand er einen wilden Kampf zu dreien; Zwei Krieger fochten mit Horril am Meer. Horril focht gegen zwei, jedoch den zweien Macht' er die Arbeit ungewöhnlich schwer. Und denkt nicht, daß es schlechte Krieger seien, Die beiden Söhne sind's des Oliver, (Und alle Welt versteht ja, was das heiße,) Der schwarze Aquilant, Grifon der weiße. |
68 | Der Zaubrer kam indeß zu dem Turniere Mit einem Vortheil, der die Zahl beglich; Er zog ins Feld mit einem wilden Thiere, Das dort nur lebt, in jenem Himmelsstrich. Es lebt am Ufer und im Flußreviere, Und von den Menschenleibern nährt es sich Der armen Wandrer, welche sich verirrten, Und unvorsicht'ger Schiffer oder Hirten. 24 |
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69 | Jetzt lag im Sande todt das schlimme Vieh, Erschlagen von den brüderlichen Klingen; Kein Unrecht also war's, wenn beide sie Zu gleicher Zeit Horril zu Leibe gingen. Schon war er oft zerhackt, doch starb er nie; Er ist nicht durch Zerhacken umzubringen; Man haut ihm Arm und Bein ab, aber stracks Setzt er sie wieder an, als wär' es Wachs. |
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70 | Mocht' ihm Grifon den Kopf bis auf das Kinn, Mocht' Aquilant ihn bis zur Lunge trennen, Er lacht darüber mit gelassnem Sinn, Indeß ohnmächt'gen Zornes sie entbrennen. Warft ihr wohl einmal jenes Silber hin, Das Alchymisten nach Mercur benennen, Wie es zerspritzt' und wie zusammenrann? Wenn ihr von diesem hört, so denkt daran. |
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71 | Hau'n sie den Kopf ihm ab, steigt er vom Pferde Und tappt umher, bis er ihn wieder hat, Hebt ihn an Haar und Nase von der Erde Und setzt ihn auf, Gott weiß mit welchem Draht. Wirft dann Grifon, damit ein Ende werde, Den Kopf ins Meer, so schafft auch das nicht Rat; Horril schwimmt nach, taucht wie ein Fisch sich nieder Und kömmt mit seinem Kopf ans Ufer wieder. 25 |
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72 | Zwei schöne Frauen, ehrbar anzusehn, Die eine ganz in Weiß, in Schwarz die zweite, Die das Gefecht veranlaßt haben, stehn Und schauen zu dem fürchterlichen Streite. Dies war das Schwesternpaar wohlthät'ger Feen Das einst die Kinder Olivers befreite, Die zarten Knäblein, aus den Krallen zweier Gewalt'ger Vögel, Adler oder Geier. |
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73 | Die Vögel hatten sie der Frau Gismunde Geraubt und von der Heimat weit getrennt. Indeß von diesem braucht ihr keine Kunde, Da jedermann das Abenteuer kennt, Wennschon – ich weiß nicht recht aus welchem Grunde – Der Autor einen andern Vater nennt. Jetzt kämpfen diesen Kampf die beiden Knaben, Um den die Frauen sie gebeten haben. |
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74 | Schon war an diesem Punkt der Tag verstrichen, Der hoch noch auf Fortuna's Inseln stand; Im Dunkel waren Farb' und Licht erblichen, Unsicher schien der schmale Mond ins Land. Horril war in sein festes Schloß entwichen, Als weiße Fee und dunkle Schwester fand, Daß besser man den heißen Kampf verschöbe, Bis sich im Ost die neue Sonn' erhöbe. 26 |
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75 | Astolf erkannt' an Farben und Devisen, Doch mehr noch an den Hieben jene zwei, Grifon und Aquilant, und jetzt, um diesen Willkomm zu bringen, eilt' er gern herbei. Als sie nun sahn, daß jener, der den Riesen Mitführt, der Leopardenritter sei, (Denn also ward Astolf am Hof geheißen,) Eilten auch sie willkommen ihn zu heißen. |
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76 | Die Schwestern nahmen in ein nahes Schloß Die Ritter mit, der Ruhe dort zu pflegen. Ein Zug von Mädchen und ein Pagentroß Kam Fackeln tragend ihnen schon entgegen. Man überließ dem Stallgesind das Roß Und eilte Helm und Harnisch abzulegen. Im schönen Garten fanden sie das Mahl Dicht neben eines Brunnens kühlem Strahl. |
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77 | Der Riese ward im Freien für die Nacht Mit einer zweiten Kette, einer dicken, An einen alten Eichbaum festgemacht, Der nicht aussah, als werd' er leicht zerknicken, Und zehn Trabanten hielt bei ihm Wacht, Damit er sich nicht löse von den Stricken Und über Nacht die Leut' in ihrer Ruhe Nicht überfall' und ihnen Leides thue. 27 |
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78 | Am reichbesetzten Tisch der beiden Feen, Der mehr Genüsse bot als Speis' und Weine, Besprach man hin und her, was heut geschehn, Das Wunder, das beinah wie Traum erscheine, Und alles, was sie von Horril gesehn, Wie man den Kopf ihm abhau', Arm' und Beine, Und er sie wiederhol' und wiederhefte Und weiter kämpf', als ob ihn nichts entkräfte. |
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79 | Schon hatt' Astolf aus seinem Buch ersehn, (Aus dem man lernt, wie man die Zauber meide,) Horril hab' auf dem Kopf ein Glückshaar stehn, Und nie, solang' er das behalte, scheide Die Seel' aus ihm; sie werde von ihm gehn, Wenn man das Haar ihm wegrupf' oder schneide. So sagt das Buch; es giebt jedoch nicht an, Wie man das Haar im Schopf erkennen kann. |
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80 | Dies aber hinderte den Herzog nicht Im Geiste schon sich mit dem Sieg zu schmücken. Er hoffte mit der größten Zuversicht Dem Zaubrer Haar und Seele wegzupflücken. So sagt' er denn, er nehme das Gewicht Des Unternehmens ganz auf seinen Rücken, Und wenn die beiden Brüder ihm das Spiel Abtreten wollten, tödt' er den Horril. 28 |
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81 | Die legten gern die Sach' in seine Hand, Ganz sicher, daß er thörichtes begehrte. Horril kam aus dem Thurm ins offne Land, Sobald Aurora's Glanz den Ost verklärte, Und bald war zwischen beiden Kampf entbrannt. Horril vertraut der Keul', Astolf dem Schwerte. Astolf denkt, unter tausend Hieben reißt Wohl einer auseinander Fleisch und Geist. |
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82 | Er haut die Faust ihm samt dem Keulenschaft, Die Arme haut er samt der Hand herunter; Quer durch den Panzer haut er, daß es klafft, In kleine Fetzen hackt er ihn mitunter; Sein Gegner aber, unermüdlich, rafft Die Glieder auf und bleibt gesund und munter; Hätt' er in hundert Stück' ihn auch zertheilt, Im nächsten Augenblick wär' er geheilt. |
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83 | Schon denkt Astolf, daß er vergebens klopfe; Da endlich trifft ihn unterm Kinn ein Streich Und schlägt das Haupt ab und den Helm vom Kopfe. Horril steigt ab, jedoch Astolf zugleich Und greift den Schädel fest am blut'gen Schopfe, Sitzt wieder auf im Nu und jagt sogleich Und trägt den Kopf zum Nil hinab geschwinde, Damit Horril ihn niemals wieder finde. 29 |
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84 | Der Gimpel sah nicht, wie die Sache stand, Und suchte seinen Kopf im Staub der Erde, Doch als er merkte, daß zum Uferrand Sein Haupt vom Rabican getragen werde, Hatt' er im Nu auch seinen Gaul zur Hand, Stieg auf und folgte dem Astolf zu Pferde. Er wollte rufen: Halt da! Kehrt gemacht! Jedoch sein Mund war in des Herzogs Macht. |
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85 | Weil er indeß noch seine Fersen hatte, So schöpft' er Mut und folgte voll Vertrau'n. Weit, weit vorauf flog über Feld und Matte Der Rabican, ein Wunder anzuschau'n. Astolf indeß sucht' auf der Schädelplatte Vom Halsgelenk bis zu den Augenbrau'n, Er suchte, ob er nicht das Haar erkenne, Kraft dessen sich Horril unsterblich nenne. |
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86 | Keins aber der unzähl'gen Haare schien Mehr als die andern sich hervorzukehren. Nun, welches soll er aus dem Schopfe ziehn, Um den verruchten tödtlich zu versehren? Ich stutz' ihm alle, denkt der Paladin, Und weil er kein Bartmesser hat noch Scheren, So holt er abermals sein Schwert hervor, Das trefflich schnitt, man kann wohl sagen schor. 30 |
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87 | Er hält den Kopf vorn an der Nase fest Und säubert ganz und gar ihn von den Haaren. Er trifft das Glückshaar mit dem andern Rest, Und das Gesicht erblaßt, die Augen fahren Aus ihren Höhlen, jedes Zeichen läßt Aufs deutlichste den Untergang gewahren, Und der geköpfte Rumpf, der ihm zu Pferde Nachsetzt, fällt augenblicklich todt zur Erde. |
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88 | Astolf kam zu den Feen und jungen Leuten Zurück und hielt den Kopf noch in der Hand, Der alle Zeichen trug, die Tod bedeuten, Und zeigte nach dem Rumpfe dort im Sand. Ich weiß nicht, ob sie sich darüber freuten, Wennschon er freundliche Gesichter fand. Ob des entgangnen Siegs – wer kann es wissen? – Hat Neid vielleicht die Brüder doch gebissen. |
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89 | Und auch die beiden Feen, vermut' ich, zollten Ihm wenig Dank, daß er's so gut gemeint; Denn weil sie das Verhängniß wenden wollten, Das harte, das in Frankreich, wie es scheint, Die Zwillingsbrüder bald erleiden sollten, So hetzten sie das Paar auf jenen Feind In Hoffnung, daß er sie beschäftigt halte, Bis statt des bösen Sterns ein guter walte. 31 |
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90 | Kaum hört' in Damiette der Vezier, Horril sei todt, so ließ er gleich vom Strande Die Taube fliegen, die ein Blatt Papier Unter dem Flügel trug an einem Bande. Die flog nach Kairo, andre flogen hier Nach andern Orten, wie es Brauch im Lande, Und ganz Aegypten wußt' in wenig Stunden, Horril hab' endlich seinen Tod gefunden. |
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91 | Der Herzog, nach Vollführung dieses Streiches, Ermahnte das berühmte Zwillingspaar, (Obgleich es selbst den Plan hatt' und obgleich es Sporns oder Stachels nicht bedürftig war,) Zum Schutz der Kirche und des röm'schen Reiches, Die beide schwer bedroht sind von Gefahr, Die Krieg' im Morgenlande dranzugeben Und Ruhm beim eignen Volke zu erstreben. |
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92 | So mußten denn die Feen von Aquilant Und von Grifon betrübten Abschied nehmen; Sie wußten's nicht zu hindern, doch entstand Durch diese Trennung Herzeleid und Grämen. Die Ritter wandten sich zur rechten Hand, Entschlossen, ehe sie nach Frankreich kämen, An den geweihten Stätten erst zu knien, Wo Gott den Menschen einst im Fleisch erschien. 32 |
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93 | Sie konnten auch die Straße links anstatt Der rechten wählen; denn auch die stand offen Und lief die Küst' entlang bequem und platt. Sie aber folgen rechts der wilden, schroffen, Weil dort sie Palästina's hohe Stadt Sechs Tage früher zu erreichen hoffen. Es war ein Weg, der Gras und Wasser bot; An andern guten Dingen litt er Not. |
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94 | Sie hatten also, eh die Fahrt begann, Mit allem sich versehn in Damiette; Damit beluden sie den ries'gen Mann, Der auch wohl einen Thurm getragen hätte. Am Schlusse der mühsel'gen Reise dann Sahn sie vom Berg herab die heil'ge Stätte, Wo einst die ew'ge Lieb' in ihrer Huld Mit ihrem Blut getilgt hat unsre Schuld. |
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95 | Ein junger Held aus adlichem Geblüte Begrüßte vor dem Stadtthor ihren Zug, Samson von Mecca, in des Lebens Blüte, Doch über seine Jahre weis' und klug, Von hoher Ritterschaft, von hoher Güte, So daß sein Volk ihn auf den Händen trug. Roland hatt' ihn bekehrt zu unsrer Lehre Und selber ihn getauft zu Gottes Ehre. 33 |
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96 | Wo sie ihn trafen, legt' er an der Stelle Zum Schutz vor dem Kalifen Schanzen an, Und um den Oelberg wollt' er lange Wälle Aufwerfen, die man schon zu baun begann. Er grüßte sie mit jenem Blick, der helle Einsicht in innre Liebe geben kann, Und führte sie ins Thor und ließ die Gäste Bewirten im Palast aufs allerbeste. |
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97 | Karl hatt' ihm hier das Regiment verliehn Und klug verwaltet' er die festen Plätze. Ihm schenkte jetzt Astolf der Paladin Den großen Fleischkoloß mitsamt dem Netze, Damit er ihm beim Tragen oder Ziehn Von Lasten zehn bis zwölf Kameel' ersetze. Astolf gab ihm den Riesen und daneben Das Netz, das ihn in seine Macht gegeben; |
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98 | Die Sporen gehörten dem ritterlichen Heiligen Sanct Georg, welcher die Königstochter in Cappadocien von dem Drachen befreite. | Wogegen Samson ihm ein wunderbar Und köstlich Schwertgehenk zum Schmuck im Streite Und außer diesem noch ein Sporenpaar Mit goldnen Rädern, goldnen Schnallen weihte, Das einst, so glaubt man, jenes Ritters war, Der von dem Lindwurm die Prinzeß befreite. Als Samson Jaffa nahm, war es mit allen Vorräten in des Siegers Hand gefallen. 34 |
99 | In einem Kloster frommer Ordensväter Empfingen sie die Absolution, Und durch die Tempel wandernd sahn sie später Die Wunder der hochheil'gen Passion, Wo heut die Heiden und die Übelthäter Gott lästern, uns zu ew'gem Schimpf und Hohn. Europa steht in Waffen, Krieg und Tod ist An allen Ecken, nur nicht wo es Not ist. |
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100 | Indeß sie so, dem Himmel zugewandt, Der Buß' und frommen Übungen sich weihten, Stürzte ein Pilgersmann aus Griechenland Grifon in Leid durch bittre Neuigkeiten, Durch Botschaft, die gar schlecht in Einklang stand Mit seinem frommen Plan, für Gott zu streiten, Die einen Brand in seiner Brust entfachte, Daß sich die Andacht bald von dannen machte. |
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101 | Der Ritter liebte – sich zum Schaden nur – Ein Weib, das Orrigille hieß mit Namen, Und dem an Reiz der Züg' und der Statur Nicht zwei von tausend auch nur nahe kamen, Falsch aber und so böse von Natur, Daß unter allen Weibern, allen Damen Des Festlands und der Inseln rings im Meere Nicht ihres gleichen aufzufinden wäre. 35 |
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102 | Er ließ sie in der Stadt des Constantin Am Fieber krank, und während voll Verlangen Er hoffte, daß sie bei der Rückkehr ihn Schöner als je und liebend werd' empfangen, Erfuhr er jetzt, daß ein Rival erschien, Dem sie bis Antiochia nachgegangen. Sie hatt' es als unleidlich angesehn, Jung wie sie sei, allein zu Bett zu gehn. |
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103 | Grifon, seit diesem traurigen Bescheide, Seufzte bei Tag und Nacht wohl tausendmal. Was andern Freude war und Augenweide, Ihm war es nur Verschärfung seiner Qual. Dies fühlt ihm jeder nach, an dessen Leide Amor die Pfeile prüft, ob gut ihr Stahl. Doch schlimmer war als alle andre Plagen, Daß er sich schämte, was er litt, zu sagen. |
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104 | Er schämte sich, weil oft schon Aquilant Geschmält ihn hatt' um dieser Liebe willen; Denn dieser Bruder hatte mehr Verstand Und hätt' ihn gern geheilt von seinen Grillen. Von allen bösen Frau'n auf Erden fand Er keine halb so schlimm wie Orrigillen. Grifon entschuldigt, wo der Bruder rügt, Und meist geschieht's, daß eignes Urteil trügt. 36 |
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106 | So dacht' er denn, ohn' Aquilant zu fragen, Er wolle ganz allein, sich selbst genug, Gen Antiochia und hinweg sie tragen, Die seine Seele mit von hinnen trug, Und künft'ge Zeiten sollten davon sagen, Wie der gestraft ward, der sie unterschlug. Ich werd' erzählen, wie er dies vollbrachte Im folgenden Gesang, und wie sich's machte. 37 |