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Cloridans Tod, Medors Verwundung und Rettung durch Angelica. Liebe und Vermählung Angelica's und Medors (1–42). Marfisa und ihre Gefährten werden vom Sturme nach der Amazonenstadt verschlagen; Marfisa's Kampf mit Guidon (43–108).
1 | Niemand vermag zu sagen, wer ihn liebt, Solange seines Glückes Rad im Steigen; Denn alles nennt sich Freund, was ihn umgiebt, Und jeder wird dieselbe Treue zeigen. Wenn aber Trauer kömmt und Glück zerstiebt, Dann kehrt sich ab der schmeichlerische Reigen, Und wer von Herzen liebt, der theilt die Not Und liebt den theuren Herrn bis in den Tod. |
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2 | Ja, sähe man das Herz wie die Geberden, Gar mancher große Mann im Fürstenschloß Vertauschte dann vielleicht sein Loos auf Erden Mit einem, der nur wenig Gunst genoß. Der niedre würde bald der größte werden, Der große bliebe beim gemeinen Troß. Doch sehn wir, was sich mit Medor begeben, Der seinen Herrn geliebt in Tod und Leben. 179 |
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3 | Durch tiefes Dickicht, Rettung suchend, windet Der arme Jüngling sich, jedoch die Wucht Der Bürde, die sein Rücken schwer empfindet, Vereitelt jeglichen Versuch der Flucht. Er kennt das Land nicht, und der Weg verschwindet, Und er verwickelt sich in dorn'ger Schlucht. Weitab von ihm, geborgen vor Gefahren, War Cloridan, deß Schultern leichter waren. |
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4 | Der fand, wo er vom Lärmen nichts vernahm Und vom Getümmel, eine Zufluchtsstätte, Doch ward ihm bald, als sein Medor nicht kam, Als ob er's eigne Herz verlassen hätte. »O, (rief er aus) wie war ich unachtsam! Wie bin ich blind, daß ich mich selber rette Und berge hier mich ohne dich, Medor, Und weiß nicht, wann und wo ich dich verlor!« |
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5 | So spricht er, und auf den gewundnen Wegen Stürzt er dahin den dunklen Wald entlang, Nochmals dieselbe Bahn zurückzulegen, Und folgt der Spur zum eignen Untergang. Er hört Geschrei und Hufschlag allerwegen Und rauher Feindesstimmen droh'nden Klang. Jetzt hört er auch Medor, sieht ihn inmitten Zahlreicher Pferd', allein und unberitten. 180 |
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6 | Hundert zu Roß, und gehen ihm zu Leibe, Denn ihn zu fangen ist Zerbin erpicht. Der ärmste dreht sich wie des Töpfers Scheibe Und drückt, so gut es eben gehn will, dicht Sich hinter Eich' und Ulm' und Buch' und Eibe, Doch von der theuren Bürde läßt er nicht. Zuletzt, da sie zu schwer wird, legt er leise Sie hin aufs Gras und irrt umher im Kreise, |
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7 | Wie eine Bärin, wann sie eingedrungen Den Jäger sieht, im Lager, wo sie ruht, Unschlüssig dasteht über ihren Jungen Und knurrt im Ton des Mitleids und der Wut: Bald haben Zorn und Wildheit sie bezwungen, Daß sie die Tatzen reckt und lechzt nach Blut; Bald rührt die Liebe sie; dann blickt sie wieder Mitten im Zorn auf ihre Kleinen nieder. |
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8 | Nicht wußte Cloridan ihm beizustehn Und wollte sterben doch mit dem Gespielen; Nicht aber mocht' er eher untergehn, Bevor nicht etliche der Feinde fielen. Den schärfsten Pfeil erlas der Saracen Und wußt' im Hinterhalt so gut zu zielen, Daß einer von den Schotten, den er traf, Vom Sattel stürzte mit durchbohrtem Schlaf. 181 |
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9 | Die andern alle schau'n nach jenem Flecke, Wo seinen Flug der Todespfeil begann; Da fliegt ein zweiter schon aus dem Verstecke Und streckt zum ersten einen zweiten Mann. Just wollt' er eifrig fragen, welcher kecke Den Schuß gethan, und hob zu schreien an, Da kam der Pfeil und stak ihm schon im Schlunde Und schnitt das Wort ihm mitten durch im Munde. |
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10 | Zerbin, in dessen Dienst die beiden waren, Hatt' erst Geduld geübt, doch riß sie hier. Wild kam er auf Medor daher gefahren Und rief: »Du büßest für die Leute mir.« Er packt' ihn bei den goldnen Lockenhaaren Und riß ihn her zu sich voll Rachbegier; Da blickt' er in das liebliche Gesicht Und fühlt' Erbarmen und erschlug ihn nicht. |
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11 | Und flehend nun begann der schöne Knabe: »Bei deinem Gott, sei nicht so grausam, Christ! Bis ich die Leiche meines Herrn begrabe, Vergönne mir die eine Stunde Frist. Um dies nur bitt' ich, nicht um andre Gabe. Denk' nicht, daß mir's zu thun ums Leben ist. Mir liegt so viel nur und nicht mehr am Leben, Als Not ist, meinem Herrn ein Grab zu geben. 182 |
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12 | Medor nennt den Creon, weil dieser die Bestattung des erschlagenen Sohnes des Oedipus verbot. | »Und willst du ja, daß Rab' und Wolf sich nähre, Sprichst du wie Kreon aller Milde Hohn, Wirf ihnen meinen Leib hin und gewähre Begräbniß jenem dort, Almonte's Sohn.« So sprach der Jüngling, und ein Felsen wäre Gerührt von seinen Worten, seinem Ton. Zerbin war so erschüttert im Gemüte, Daß er vor Mitleid und vor Lieb' erglühte. |
13 | Ein grober Reiter war indeß genaht, Der seinen Herrn und Hauptmann wenig ehrte, Und eben als Medor so rührend bat, Auf seine zarte Brust die Lanze kehrte. Gar sehr misfiel dem Herrn die rohe That, Zumal er sah, daß der vom Stoß versehrte Bewußtlos hinsank mit erblaßtem Haupte, So daß er todt ihn und verloren glaubte, |
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14 | Und zürnte sehr, und schmerzt' ihn bitterlich, Und rief: »Du sollst nicht ungestraft entrinnen,« Und wandt' im Unmut wider jenen sich, Der sich vermaß so arges zu beginnen. Doch der nahm seinen Vortheil wahr und wich Dem Prinzen schleunig aus und floh von hinnen. Wie Cloridan sieht, daß der Knabe fällt, Stürzt er zu offnem Kampfe sich ins Feld, 183 |
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15 | Und wirft den Bogen weg und stürzt voll Wut Sich auf die Feind' und schwingt sein Schwert behende, Mehr um zu sterben als damit die Glut Des Zorns in würd'ger Rache Kühlung fände. Der Sand wird rot von seinem eignen Blut, Der Klingen sind zu viel, er fühlt sein Ende, Und wie er merkt, daß alle Kraft versiegt, Fällt er dahin, wo sein Medor schon liegt. |
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16 | Die Schotten folgen ihrem Herrn und Leiter, Der finster hintrabt durch den finstren Raum. Er läßt die Mohren dort und fragt nicht weiter, Den einen todt, den andern lebend kaum. Geraume Zeit lag so Medor, aus breiter Speerwunde blutend, unter einem Baum, Und sicher wär' sein Leben bald verglommen, Wenn nicht noch zeitig Hilfe wär' gekommen. |
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17 | Ein Mädchen kam zufällig in den Wald, Gekleidet wie die Hirten bei den Herden, Doch schön von Antlitz, fürstlich von Gestalt, Von edlem Anstand, züchtig von Geberden. Mein letzter Vers von ihr ist schon so alt, Daß euer wen'ge sie erkennen werden. Es war Angelica, wenn ihr's nicht wißt, Die aus Katai des Großchans Tochter ist. 184 |
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18 | Seitdem sie ihren Ring, der ihr vor Zeiten Geraubt war von Brunel, zurückempfing, Schien alles Maß ihr Stolz zu überschreiten, Und aller Welt den Rücken wendend ging Sie einsam ihres Wegs; sie zu begleiten War der berühmteste noch zu gering. Mit Scham gedachte sie an Sacripante, An Roland, die sie einst Liebhaber nannte. |
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19 | Und schlimmer schien als alle andre Schuld, Daß weiland sie ihr Herz Rinalden schenkte. Entwürdigt fühlte sie sich durch die Huld, Die ihren Blick so tief hinunter senkte. Nicht länger hatte Amor jetzt Geduld, Als sie mit solcher Anmaßung ihn kränkte; Dort wo Medor lag, nahm er seinen Stand Und harrt' auf sie den Bogen in der Hand. |
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20 | Sobald sie sah, wie dort der holde bleiche Verschmachtend lag, zerfleischt vom scharfen Erz, Und mehr um seines Herrn grablose Leiche Wehklagend als um seinen eignen Schmerz, Da ward ihr wunderbar zu Mut, als schleiche Ein ungewohnt Erbarmen in ihr Herz, Daß drinnen alles Eis zerschmolz und thaute, Zumal als er sein Schicksal ihr vertraute. 185 |
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21 | Und eingedenk, was man in frühern Tagen Ihr in Katai von Chirurgie gelehrt, (Denn dort ist diese Kunst ja, wie sie sagen, Vornehm und angesehn und hochgeehrt, Vom Vater auf die Kinder übertragen, Ohne daß man sich viel an Bücher kehrt,) Beschloß sie so mit Kräutersaft zu walten, Daß er dem reifren Leben bleib' erhalten. |
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22 | Und sie entsann sich, daß sie zwischen Klee Ein Kraut gesehen hab' im Wiesengrunde, Ob es nun Diptam war, ob Panacee, Ob irgend sonst eins, das in der Secunde Den Blutlauf stillt und von dem scharfen Weh Und bösem Krampfe heilt die schwerste Wunde. Sie fand das Kraut (es war nicht weit zum Glück) Und schnitt es ab und kam geschwind zurück. |
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23 | Auf diesem Weg begegnet' ihr zu Pferde Ein Hirte, der daherkam durch den Wald, Um eine Kuh zu suchen, die der Herde Abhanden kam, zwei Tage waren's bald. Den nimmt sie mit dahin, wo auf die Erde Die Kraft Medors mit seinem Blute wallt Und schon so tief ringsum den Boden rötet, Daß die Erschöpfung ihn beinahe tödtet. 186 |
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24 | Angelica stieg flugs von ihrem Roß, Der Hirt mußt' auch des Gaules Sattel lüften. Mit Steinen quetschte sie das Kraut; da floß Saft in die weiße Hand mit frischen Düften. Den tröpfelte sie in die Wund' und goß Ihn über Brust und Leib bis an die Hüften, Und solche Tugend war in diesem Saft, Das Blut stand still, und wieder kam die Kraft |
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25 | Und macht' es möglich ihm sich zu erheben, Aufs Pferd zu steigen, das der Hirte hielt; Doch wollte sich Medor nicht fortbegeben, Eh nicht sein todter Herr ein Grab erhielt. Man gräbt ihn ein und Cloridan daneben; Dann folgt Medor des Wegs, den sie befiehlt. Sie aber bleibt im niedern Haus des armen Gefäll'gen Hirten bei ihm, aus Erbarmen. |
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26 | Sie schätzte so ihn, daß sie sich verstand Bei ihm zu bleiben, bis die Wunde heile; Denn jenes Mitleid, das sie erst empfand, Als sie ihn liegen sah, wuchs mittlerweile. Dann, als sie ihn so schön und sittig fand, War ihr's, als ob am Herzen etwas feile, Als feil' am Herzen ein verborgen Erz, Und leis' entbrannt' in Lieb' ihr ganzes Herz. 187 |
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27 | Der Hirt bewohnt' ein hübsches Haus im Grunde Des Waldes, rings von Hügeln eingehegt, Mit Weib und Kind, und just zur rechten Stunde Hatt' er das Haus erneuert und gefegt. Hier wurde von Angelica die Wunde Medors in kurzer Frist gesund gepflegt, Doch merkte sie in kürzrer noch, sie habe Viel tiefre Wund' im Busen als der Knabe. |
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28 | Sie merkt die Wunde, die viel tiefer war, Die Wunde von dem Pfeil, dem ungesehnen, Den Amor abschoß aus dem blonden Haar Und schönen Augen ihres Saracenen. Das Feuer schlug empor, sie nahm es wahr, Doch statt um eignen Schmerz sorgt sie um jenen, Sie sorgt nicht um sich selbst, ihr ist's genug, Wenn er genest, der ihr die Wunde schlug. |
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29 | Ach, ihre Wunde ward nur tiefer, schlimmer, Je mehr die andre sich verengt' und schwand. Medor genas, sie schmachtete nur immer In neuem Fieber zwischen Frost und Brand. Zusehends blüht' er auf in Jugendschimmer; Sie schmolz dahin, wie an der schrägen Wand Des Bergs der spätgefallne Schnee verschwindet, Wann ihn die Sonn' auf ihrem Wege findet. 188 |
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30 | Und will sie nicht an ihrer Sehnsucht sterben, So helfe sie sich selbst, wie sie's versteht; Denn will sie warten auf des andern Werben, So sieht sie wohl, daß zuviel Zeit vergeht. Also zerbricht der Zaum der Scham in Scherben, Kühn werden Zung' und Augen, und sie fleht, Er soll der Wunde Mitleid nicht versagen, Die er, vielleicht unwissend, selbst geschlagen. |
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31 | O großer Roland, König Sacripant, Was hilft es euch, daß man euch Kränze streue? Was gilt all euer Ruhm und Heldenstand? Und welchen Dank habt ihr für eure Treue? Zeigt mir doch eine Gunst, die ihre Hand Euch je erwies, sei's alte, sei es neue, Als Lohn, als Anerkennung oder Preis Für euren ihrethalb vergossnen Schweiß. |
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32 | O würdest du aus deiner Gruft beschworen, Wie würd' es hart sein, König Agrican, Dem sie vor Zeiten hinter Schloß und Thoren Grausam verwehrt hat, werbend ihr zu nahn? O Ferragu, o all ihr tausend Thoren, Die tausend Wunder ihrethalb gethan, Der undankbaren, – ach ihr wärt entrüstet Wenn ihr sie jetzt in diesen Armen wüßtet! 189 |
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33 | Sie ließ Medor die erste Rose pflücken, Die unberührt noch war von Menschenhand; Denn keinem je auf Erden wollt' es glücken, Daß er den Weg zu jenem Garten fand. Die Sach' indessen ehrbar auszuschmücken, Ward feierlichst das heil'ge Eheband Geknüpft, und Amor gab den Segen ihnen, Die Hirtin mußt' als Hochzeitsmutter dienen. |
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34 | Und feierlich, so gut sie konnten, gaben Die Hirten dann das Hochzeitsfest zum Schluß. Still und verborgen, noch fünf Wochen, haben Sie dort geweilt in friedlichem Genuß. Nicht weiter sah die Braut als ihren Knaben, Und nie empfand sie Reu' und Überdruß; Ob sie auch stets an seinem Halse hing, Nie fühlte sie, daß ihr die Lust verging. |
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35 | Draußen im Freien wie in Daches Schatten, Stets zog sie ihrem schönen Jüngling nach. Morgens und Abends suchten sie die Matten Lustwandelnd auf und den und jenen Bach; Mittags kam eine Höhle sehr zu statten, Bequem und freundlich wie das Felsgemach, Von dem beschirmt, indeß die Wasser tosten, Aeneas einst und Dido heimlich kosten. 190 |
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36 | Bei solchen Freuden, – wenn sie dann an Quellen Und klarem Bach hochstämm'ge Bäume fand Und minder hart Gestein in Felsenwällen, War Messer oder Bohrer flugs zur Hand; Geschrieben stand im Wald' an tausend Stellen, An tausend andren auf des Hauses Wand »Angelica und Medor«, mit vielen zarten Knötlein verknüpft auf mannigfalte Arten. |
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37 | Als sie nun fand, sie sei schon allzu lange Daselbst verweilt, entschloß sie sich sogleich Ostwärts zu ziehn und mit dem höchsten Range Medor zu krönen in dem schönen Reich. Am Arme trug sie eine goldne Spange, Reich von Juwelen und ein Pfand zugleich Der Zärtlichkeit, die Roland für sie hegte, Ein Kleinod, das sie stets zu tragen pflegte. |
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38 | Die Geschichte von Ziliants Befreiung aus der Gewalt der Fee Morgana, welche den schönen Knaben entführt hatte, findet sich bei Bojardo. Ziliant war der Sohn des Königs Monodant von Dagomir und somit Bruder Brandimarts. | Morgana schenkt' es einst dem Ziliant, Als sie ihn festhielt in dem Seegehege. Der, als er dann zum Vater Monodant Heimkam, befreit durch Rolands tapfre Schläge, Gab es dem Roland; Roland, liebentbrannt, Litt, daß man um den Arm den Reif ihm lege, Entschlossen, seine Herrin mit dem Ringe Zu schmücken, eben die, von der ich singe. 191 |
39 | Nicht um des Grafen willen als vielmehr Weil es die schönste war von allen Spangen, Hing die Prinzeß an diesem Schmuck so sehr, Wie je ein Mensch an einem Schatz gehangen. Sie rettet' ihn sogar am Thränenmeer, (Doch weiß ich selbst nicht, wie es zugegangen,) Als jenes Räubervolk sie mitleidlos Dem Riesenfische preisgab nackt und bloß. |
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40 | Weil nun kein andrer Lohn sich für den Hirten Und für des Hirten wackre Gattin fand, Die ihnen, seit sie sich hieher verirrten, Mit treuem Dienste stets zur Seite stand, Nahm sie den Reif und gab ihn ihren Wirten, Ihn zu verwahren als ein Liebespfand. Dann nach den Bergen wandten sich die beiden, Den Bergen, die Frankreich und Spanien scheiden. |
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41 | Valencia oder Barcelona war Ihr erstes Ziel, und dort nach kurzem Halte Ein Schiff zu finden hofft das junge Paar, Das zur Levantefahrt bereit sich halte. Den Bergkamm übersteigend sahn sie klar Das Meer, das unterhalb Girona's wallte, Und ritten dann, zur Linken das Gestade, Gen Barcelona auf dem ebnen Pfade. 192 |
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42 | Am Ufer aber sahn sie einen Narren, Der dort im Sande lag, am Wasser dicht; Dem Schweine gleich schien er von Kot zu starren, Von wüstem Schlamm Brust, Rücken und Gesicht. Der sprang auf sie, wie aus des Zaunes Sparren Ein böser Hund los auf den Wandrer bricht, Und wollte sie behelligen und quälen. Doch von Marfisa muß ich jetzt erzählen. |
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43 | Von ihr und von Astolf und Aquilant Und von Grifon und ihren Schiffsgefährten, Die jetzt, den Tod vor Augen, übermannt Von Müdigkeit, des Meers sich kaum erwehrten; Denn immer drohender und trotz'ger stand Das Wetter gegen sie. Drei Tage währten Schon seine Tücken, und man sah noch immer Von Besserung nicht den geringsten Schimmer. |
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44 | Vor grimmen Winden und erzürnten See'n Zersplittert und zerbirst Castell und Schanze Und läßt der Sturm noch etwas aufrecht stehn, Der Schiffer kappt's und giebt dem Meer das ganze. Gebückten Hauptes in einer Koje sehn Die einen sich die Karten an beim Glanze Der Schiffslaterne mit besorgter Miene, Und andre thun's im Raum beim Schein der Kiene. 193 |
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45 | Im Vordertheil und hinten unterm Heck Stehn immer zwei, die Sanduhr zu befragen, Halbstündlich tretend auf denselben Fleck, Richtung und Lauf des Schiffs zu überschlagen. Dann steigt ein jeder auf das Mitteldeck Mit seiner Kart', um, was er denkt, zu sagen, Wohin der Schiffer zu gemeinem Rat Die ganze Schiffsmannschaft berufen hat. |
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46 | Limissó auf Cypern, Tripolis in Syrien, Satalia in Kleinasien. | Der eine meint: wir laufen mit dem Schiffe Gerad' auf Limisso und seinen Sand. Ein andrer: Tripoli's scharfkant'ge Riffe Sind nahe, wo schon manches Schiff verschwand. Der dritte: zu ersaufen im Begriffe Sind wir an Satalia's Unglücksstrand. Vielfältig sind die Meinungen und Reden, Jedoch die gleiche Furcht beängstigt jeden. |
47 | Am dritten Tage sollte sich die Wut Des Sturms und Meers noch schrecklicher erheben. Der Wind nahm den Besanmast fort, die Flut Das Steuer und den Steuermann daneben. Marmorne Herzen haben die, ihr Mut Ist fester als der Stahl, die jetzt nicht beben; Marfisa, die noch nie erschrak, gestand, Daß sie an diesem Tage Furcht empfand. 194 |
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48 | Ettino, ein Wallfahrtsort, der seinen Ruhm verloren zu haben scheint; man weiß nicht recht, welchen Platz Ariost gemeint hat. | Wallfahrt zum heil'gen Grab gelobten sie, Nach Compostella, Cypern und Sanct Peter, Zur Jungfrau von Ettin, zum Sinai Und andren Sammelplätzen frommer Beter. Das Schiff indessen flog, so sehr man schrie, Hin durch das Meer und oft sehr nah am Aether. Schon kappte zur Erleichterung der Last Der Schiffer auch den großen Mittelmast. |
49 | Die Kisten und die Ballen und die Bütten Warf er vom Deck ins Wasser und entlud Die sämtlichen Kajüten, Kojen, Hütten Und gab der gier'gen See das reiche Gut. Hier pumpte man, das Wasser auszuschütten, Und goß ins Meer zurück die Meeresflut; Dort flickte man im Raum die morschen Stellen, Wo Holz vom Holze barst im Drang der Wellen. |
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50 | So blieben sie in Drangsal, Not und Pein Vier volle Tage, hilflos, ohne Steuer; Der Sieg des Meeres schien gewiß zu sein, Kam zu den vier Sturmtagen noch ein neuer. Doch Hoffnung auf nicht fernen Sonnenschein Gab ihnen jetzt Sanct Elms ersehntes Feuer, Das sie auf einer Stang' am Bugspriet sahen; Denn längst verschwunden waren Mast' und Raen. 195 |
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51 | Kaum sahen sie die schöne Fackel glimmen, Fiel alles auf die Knie' und lag umher; Mit nassen Augen und mit bangen Stimmen Flehten sie Frieden und ein stilles Meer. Der wilde Sturm, der erst in seiner grimmen Hartnäckigkeit nicht abließ, wuchs nicht mehr; Nordwest und Wirbel waren abgezogen Und nur der Süd noch blieb Tyrann der Wogen. |
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52 | Der bleibt auf See so mächtig und beginnt So stark zu blasen aus dem schwarzen Rachen, Und so gewaltig strömen mit dem Wind Die wilden Wasser, die sich rasch verflachen, Daß nun das Schiff dahinfliegt pfeilgeschwind; Kein Wanderfalk könnt' es so hurtig machen. Der Schiffer denkt, daß es zum Rand der Erde Getrieben oder jählings sinken werde. |
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53 | Der wackre wußte Rat für solche Fälle: Schwimmbojen warf er aus und ließ am Seil Den Anker schleppen, und des Laufes Schnelle Ward so gemindert auf den dritten Theil. Dies Mittel und noch mehr des Lichtes Helle, Das Gott am Bugspriet zeigte, brachte Heil: Das Schiff, das sonst vielleicht verloren wäre, Lief sicher nun dahin auf offnem Meere. 196 |
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54 | Gen Syrien in den Golf Lajazzo war Das Schiff vor eine große Stadt verschlagen, So nah dem Ufer, daß man schon ein Paar Castell' erkannte, die am Hafen lagen. Kaum nahm der Schiffer diese Küste wahr, So schaut' er aus, als woll' er schier verzagen: Hier landen wollt' er nicht, und mislich schien In See zu bleiben, noch auch konnt' er fliehn. |
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55 | Wie hätt' er fliehn und weiterfahren sollen? Denn alle Mast' und Raen büßt' er ein; Gebälk und Planken waren von dem Rollen Der See zerdrückt, gesprungen, kurz und klein. Hier aber landen hieße sterben wollen Oder sich einer ew'gen Knechtschaft weihn; Denn wen sein Unglück führt in diesen Hafen, Der wird getödtet oder wird zum Sklaven. |
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56 | Und wenn er zauderte, lief er Gefahr, Daß man vom Lande mit Kriegschiffen käme Und seins, das nicht mehr segeln oder gar Krieg führen konnte, mit den Waffen nähme. Indeß in solcher Not der Schiffer war, Fragt' ihn der Prinz von England, was ihn gräme, Weshalb er so unschlüss'gen Sinnes stehe Und nicht schon längst in jenen Hafen gehe. 197 |
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57 | Der Schiffer sagt', es hersch' an diesem Strande Der Weiber mordbegieriges Geschlecht, Nach deren alter Satzung, wer hier lande, Getödtet werde oder ewig Knecht, Und dies zu wenden sei nur der im Stande, Wer erst zehn Männer umbring' im Gefecht Und dann die Nacht im Bette zur Genüge Zehn Mädchen mit dem Minnespiel vergnüge. |
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58 | Und wer den ersten Kampf mit heilem Leibe Besteh' und unterlieg' im zweiten dann, Der sterb', und jeder, der ihm folgte, bleibe Zurück als Kuhhirt oder Ackersmann. Wer aber beides mit Erfolg betreibe, Befreie zwar die seinen von dem Bann, Doch nicht sich selbst; er bleib', und man vermähle Zehn Mädchen ihm, wie sein Geschmack sie wähle. |
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59 | Nicht ohne Lachen hörte Otto's Sohn Den wunderbaren Brauch in diesen Reichen; Indeß kam Aquilant, es kam Grifon, Marfisa kam, und Samson kam desgleichen, Und ihnen auch erklärte der Patron Die Gründe, diesem Hafen auszuweichen. »Viel besser (sagt' er) daß ich hier ersaufe Als mich ins Joch der Sklaverei verkaufe.« 198 |
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60 | Die Ansicht schien das Schiffsvolk auch zu hegen Und was von Reisenden an Bord sich fand. Marfisen und den Rittern schien dagegen Das Wasser nicht so sicher wie das Land; Sie sähen sich von hunderttausend Degen Viel lieber als vom zorn'gen Meer berannt; Wo Raum war sich der Waffen zu bedienen, War ihnen noch kein Ort furchtbar erschienen. |
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61 | Die Krieger sehnten sich ans Land zu kommen, Und kecker schien Astolf als irgendwer. Er weiß, der Klang des Hornes, kaum vernommen, Macht rings die ganze Küste menschenleer. Den einen dünkt der Hafen sehr willkommen, Den andren nicht; man streitet hin und her; Vom stärkren Theil genötigt, wendet schließlich Der Schiffer nach der Stadt, wennschon verdrießlich. |
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62 | Zuvor schon, als man aus dem offnen Meer In Sicht der blut'gen Stadt geriet, erkannte Man eine Kriegsgaler' in voller Wehr, Die viele Ruder führt' und Segel spannte. Geradesweges kam sie jetzt daher Aufs arme Schiff, wo Zwist und Hader brannte, Band an ihr niedres Heck den hohen Bug Und barg es vor dem Seesturm schnell genug. 199 |
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63 | Zum Hafen rudert sie das Schiffsgesinde, Denn ihre Segel sind jetzt wenig wert; Rechtsum und links zu wechseln mit dem Winde, Hatt' ihnen längst des Sturmes Wut gewehrt. Inzwischen greifen nach der Eisenrinde Die Ritter und nach dem getreuen Schwert Und sind bemüht dem Schiffer und den schwachen Furchtsamen Leuten etwas Mut zu machen. |
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64 | Der Hafen ist gestaltet wie ein Mond Und vier Seemeilen wölbt er sich nach innen; Sechshundert Schritt die Einfahrt, und es thront Auf jedem Horn ein Schloß mit hohen Zinnen. Von jedem Sturmanfall bleibt er verschont, Es müßte denn aus Süd zu wehn beginnen. Wie ein Theater breitet sich sodann Die Stadt im Kreis' und steigt den Berg hinan. |
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65 | Kaum liefen nun die beiden Schiffe binnen, (Man wußt' es in der Stadt schon längst vorher,) So standen dort sechstausend Kriegerinnen, Den Bogen in der Hand, in voller Wehr, Und gegen jede Hoffnung auf Entrinnen Versperrte man von Burg zu Burg das Meer; Durch Schiff' und Ketten sperrte man die Strecke, Die in Bereitschaft lagen zu dem Zwecke. 200 |
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66 | Ein Weib, wie Hectors Mutter hochbetagt, Wie die Sibylle Cumä's anzuschauen, Rief den Patron zu sich und frug ihn: »Sagt, Ob lieber ihr sofort euch niederhauen Laßt oder lieber Sklavenketten tragt, Wie es Gebrauch ist in dem Reich der Frauen? Sonst giebt es keine Wahl; für eins von beiden, Tod oder Knechtschaft, müßt ihr euch entscheiden. |
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67 | »Zwar, wenn ein Mann sich unter euch befände, So stark zugleich und so von Mut entflammt, Der zehn von unsern Männern überwände Und sie im Kampfe tödtet' insgesamt, Und dann in einer Nacht die Kunst verstände, Zehn Weibern zu versehn das Gattenamt, Der bliebe hier als Fürst, ihr aber zöget Frei eures Wegs, wohin und wie ihr möget. |
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68 | »Auch hier zu bleiben stünd' in eurer Wahl. Wer aber vorzieht hier bei uns zu bleiben Und frei zugleich, der muß als Ehgemal Geschickt sein, mit zehn Fraun sich zu beweiben. Gesetzt jedoch daß von der Überzahl Sich euer Mann läßt aus dem Felde treiben, Gesetzt, der zweite Sieg wird ihm zu schwer, So müßt ihr Sklaven sein und sterben er.« 201 |
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69 | Die Alte denkt, sie werd' im Blick der Streiter Furcht sehn, und sieht statt dessen kühnen Glanz. Denn jeder hält sich selbst für einen Reiter, Der beides leisten könn' und beides ganz. Marfisa auch blieb wohlgemut und heiter, Obwohl nicht tauglich für den zweiten Tanz; Sie wußte, was ihr die Natur verwehre, Das könne sie gut machen mit dem Speere. |
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70 | Der Schiffer mußte den Bescheid ertheilen, Den sie in ihrem Kriegsrat festgestellt: Sie hätten jemand, der in beiden Theilen Die Probe wag', im Bette wie im Feld. So wird der Pact geschlossen; drauf mit Seilen Befestigt man das Schiff, die Brücke fällt, Auf der die Ritter ans Gestade schreiten, In Waffen, und die Pferd' am Zügel leiten. |
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71 | Dann ziehn sie durch die Stadt auf nächsten Wegen Und sehn erstaunt die stolzen Mädchen hier Hochaufgeschürzt der edlen Reitkunst pflegen, Dort auf dem Platz sich tummeln im Turnier. Nicht Sporn am Fuße noch am Gurt den Degen Trägt dort ein Mann, noch andre Waffenzier, Als nur zu gleicher Zeit zehn auserwählte, Von wegen jenes Brauchs, wie ich erzählte. 202 |
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72 | Die andren sind mit Wolle, Flachs und Seide Bei Rad und Kunkel auf ihr Werk bedacht, In langem, falt'gem, frauenhaftem Kleide, Das weichlich sie und unbeholfen macht. Auch manchen findet man auf Feld und Weide, Der dort in Ketten pflügt und Vieh bewacht. Nur wenig Männer giebt's, auf tausend Frauen Wohl hundert kaum in Städten und in Gauen. |
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73 | Die Ritter meinten, daß man losen wolle, Wer unter ihnen jene ersten zehn Zum allgemeinen Heil umbringen solle Und dann der zweiten Schar zu Leibe gehn. Marfisa spielt' im Plane keine Rolle; Ihr könnten, schien es, Hinderniss' entstehn In dem Turnier am Abend ohne Waffen; Denn da zu siegen war sie nicht geschaffen. |
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74 | Sie aber wollte losen mit den vieren, Und schließlich kam das Loos in ihre Hand. Sie sprach: »Ich muß das Leben erst verlieren, Eh euch verloren geht der freie Stand. Den Degen aber (und sie wies auf ihren) Stell' ich als Bürgschaft euch und Unterpfand, Daß ich das Netz zu lösen mich getröste, Wie Philipps Sohn den gordischen Knoten löste. 203 |
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75 | »Ich will, daß nie Fremdlinge wieder zittern Vor dieser Stadt, solang' die Welt noch währt.« So sprach sie, und ihr konnte von den Rittern Geraubt nicht werden, was das Glück gewährt. Den Ausgang also, guten oder bittern, Man überließ ihn ihr und ihrem Schwert, Und schon geharnischt und von Eisen starrend Erschien sie auf dem Platz, des Kampfes harrend. |
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76 | Es lag ein Platz im höchsten Stadtquartiere, Den rund ein Kreis gestufter Bänk' umfing, Und nur für Scheingefecht' und für Turniere, Ringkämpf' und Hetzen diente dieser Ring, Und eherne Thore hatt' er, ihrer viere. Dorthin nun mit verworrnem Brausen ging Der Zug behelmter Frau'n in dichten Massen. Dann ward Marfisa in den Ring gelassen, |
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77 | Sie und der Schimmelhengst auf dem sie saß, Der bunt gefleckt war gleich dem Pardelfelle, Von stolzem Gang und edlem Ebenmaß, Mit kleinem Kopf, die Augen mutig-helle. Als besten, schönsten, rüstigsten erlas Aus tausend andren Hengsten seiner Ställe Der König von Damascus kürzlich diesen Und gab ihn fürstlich aufgezäumt Marfisen. 204 |
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78 | Von Mittag her kam durch das Süderthor Die Jungfrau und sie wartete nicht lange, Da scholl Trompetenschmettern ihr ins Ohr, Erst ferner, dann mit scharfem, hellem Klange. Von des Polarsterns Gegend rückten vor Zehn, ihre Gegner in dem Waffengange; Im Zug der erste war ein hoher Reiter, Der so viel wert schien wie die neun Begleiter. |
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79 | Auf hohem Rappen kam er durch die Hecke; Kein finstrer Rabe konnte schwärzer sein Als dieser Gaul, und nur zwei weiße Flecke Hatt' er, an Stirn und linkem Hinterbein. Des Rosses Farbe trug er selbst, der Recke, Zum Zeichen, daß, so winzig und so klein, Wie hier das Weiß im Schwarz, so drin im Herzen Das Lachen war verglichen mit den Schmerzen. |
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80 | Als das Signal ertönte zum Gefecht, Da senkten flugs neun Krieger ihre Speere, Dem Schwarzen aber deucht' es ungerecht; Er that, als ob er sich ans Spiel nicht kehre. Denn lieber wollt' er, daß dem Landesrecht Abbruch gescheh' als seiner Ritterehre. Er hielt allein und wartete der Dinge, Die eine Lanze gegen neun vollbringe. 205 |
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81 | Der Schimmel – sanfter ging kein Gaul als der – Trug schnell das Mädchen jenen neun entgegen. Sie, im Galopp, senkt ihren mächt'gen Speer, Den nur mit Müh vier Männer fortbewegen. Sie hatt' als stärksten ihn gewählt vorher Aus allen Stangen, die im Schiff gelegen. Wie sie daher flog, bebten rings im Kreis Die Herzen, und die Wangen wurden weiß. |
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82 | Der erste, den sie traf, ward so durchstochen, Als trüg' er statt des Eisens Linnen bloß. Erst ward der dicke Schild entzwei gebrochen, Durch Panzer dann und Stahlhemd ging der Stoß, Und noch zwei Schuh weit fuhr am Schulterknochen Der Speer heraus, – so ritt sie ihn auf ihn los. Den läßt sie aufgespießt am Schafte liegen, Um auf die andren im Galopp zu fliegen, |
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83 | Und jagt den zweiten um, und jähen Falls Stürzt auch der dritte vor dem wilden Laufe, Und beide müssen mit gebrochnem Hals Vom Leben scheiden und vom Sattelknaufe: So furchtbar war die Wucht und Kraft des Pralls, So enggeschlossen kam der Reiterhaufe. Ich sah Kartaunen wohl Fußvolk und Reiter Zersprengen wie Marfisa diese Streiter. 206 |
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84 | Wohl trafen Lanzen sie und brachen alle, Sie aber hatte sich nicht mehr bewegt, Als auf dem Ballhof die vom dicken Balle Getroffne Mauerwand sich rührt und regt. Ihr Harnisch war vom härtesten Metalle, Auf das der Feind vergebens stößt und schlägt; Gekocht mit Zaubern war's in Höllengluten Und dann gestählt in des Avernus Fluten. |
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85 | Sie kam bis an die Pfort' und hielt im Reiten Ein wenig an, und nun mit neuer Wut Kam sie zurück und hieb nach allen Seiten Und färbte bis zum Heft ihr Schwert mit Blut. Dem nahm sie seinen Kopf, den Arm dem zweiten, Und einen gürtelte das Schwert so gut, Brust, Kopf und Arme fielen auf die Erde, Der Bauch mit seinen Beinen blieb zu Pferde. |
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86 | Sie theilt' ihn, sag' ich, quer wie nach der Schnur Im Strich der Rippen und der Hüftgelenke Und macht' aus ihm so eine Halbfigur, Wie man sie Gnadenbildern auf die Schränke (Theils silbern, theils und öfter wächsern nur) Zu setzen pflegt, dem Heil'gen zum Geschenke, Um Dank, den man gelobt hat, darzubringen, Wenn Wünsch' und Bitten in Erfüllung gingen. 207 |
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87 | Einer entfloh; sie wußt' ihn zu erjagen, Eh er des Platzes Mitte noch gewann, Und trennte dergestalt den Kopf vom Kragen, Daß kein Chirurg ihn neu befest'gen kann. Kurz, einer nach dem andern ward erschlagen Oder gestutzt, daß ihm die Kraft zerrann Und sie gewiß war, daß er von der Erde Nicht aufstehn und den Krieg erneuern werde. |
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88 | Noch immer hielt der Ritter sich beiseite, Der an der Spitze der zehn Kämpen stand, Weil er mit solcher Überzahl zum Streite Zu gehn unehrenhaft und garstig fand. Jetzt da er sein gesamtes Heergeleite Dahingestreckt sah von der einen Hand, Jetzt, um zu zeigen, daß ihn edle Regung, Nicht Furcht zurückhielt, kam er in Bewegung. |
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89 | Er winkte mit der Hand, als möcht' er ihr Erst etwas sagen, eh der Kampf begönne, Und ahnungslos, daß eine Jungfrau hier In dieser Kriegsgestalt sich bergen könne, Begann er: »Ritter, wer so viele mir Erschlug, dem ziemt, daß er sich Ruhe gönne, Und wollt' ich dich, da du schon müde bist, Noch mehr ermüden, wär' es Hinterlist. 208 |
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90 | »Bis morgen magst du ausruhn ohne Scheu Und hinterdrein mit mir zum Kampfe schreiten. Mir brächt' es wenig Ehre, meiner Treu, Jetzt, da die Arbeit dich erschöpft, zu streiten.« »Ich bin in Waffenarbeit nicht so neu, Daß müd' ich wär' nach solchen Kleinigkeiten, (Versetzt Marfisa) und das hoff' ich nun Auf deine Kosten gleich dir darzuthun. |
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91 | »Dein höflich Anerbieten dank' ich dir, Zu ruhen aber find' ich noch nicht nötig; Noch viele Stunden Tages haben wir Und die in Muße zu verthun erröt' ich.« Der Ritter drauf versetzte: »Würde mir Doch jeder Wunsch erfüllt, wie ich erbötig Bin, deinen zu erfüllen! Gieb nur Acht, Daß nicht dein Tag vergeht, eh du's gedacht.« |
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92 | So sprach er, und die Diener brachten dann Zwei dicke Lanzen, richt'ger Segelstangen; Zur Auswahl bot er die Marfisen an Und nahm die andre, die sie übergangen. Sie stehn bereit, auf nichts mehr wartet man Als auf das laute Zeichen, anzufangen. Sieh da, die Luft, das Meer, die Erde dröhnt, Von ihrem Ritt, wie die Trompete tönt. 209 |
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93 | Kein Auge zuckt, sprachlos und atemlos Schau'n rings die andren, die den Platz umgeben; Starr in Erwartung, wer das Siegesloos Gewinnen werde, sitzen sie und beben. Marfisa – weil der Schwarze vor dem Stoß Hinstürzen soll und nimmer sich erheben – Zielt scharf, und er, der Schwarze, ebenfalls Bräche gar gern Marfisen jetzt den Hals. |
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94 | Die Lanzen schienen Weiden, dürr und fein, Nicht dickes Eichenholz, kernfest und zähe, So sprangen sie in Splitter kurz und klein. Den Pferden kam der Anprall allzu jähe; Es war als ob im Nu durch jedes Bein Und alle Sehnen eine Sense mähe, So stürzten sie zugleich; doch wie der Blitz Machten sich beide Kämpfer los vom Sitz. |
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95 | Marfisa hatte schon in ihrem Leben Wohl tausend Ritter auf den Sand gesetzt Und ließ sich selbst nie aus dem Sattel heben, Und, wie ihr hört, verließ sie doch ihn jetzt. Ob dieses Wunders, das sich so begeben, War sie verstört, beinahe dumm zuletzt. Dem Schwarzen auch erschien es wundersam, Da er nicht eben leicht zu Falle kam. 210 |
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96 | Kaum haben sie den Sand berührt, so springen Sie auf die Füß', und neu beginnt der Streit. Da wechselt Hieb und Stoß und Vorwärtsdringen Und Deckung durch den Schild und Sprung beiseit. Ob voll der Hieb, ob leer ist, von den Klingen Pfeift hell die Luft und dröhnt es weit und breit. Die beiden Schild' und Helm' und Panzerröcke Erwiesen sich so fest wie Eisenblöcke. |
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97 | Schwer fiel des Mädchens Arm bei jedem Schlage, Doch auch der Arm des Ritters fiel nicht leicht; Man wog einander zu mit gleicher Wage, Was einer gab, das ward ihm auch gereicht. Sucht ihr ein stolzes Paar, das nie verzage? Hier habt ihr eins, das keinem andern gleicht. Sucht ihr Gewandtheit, sucht ihr Kraft? wohlan, Die beiden haben, was man haben kann. |
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98 | Die Weiber, die so schauderhaften Schlägen Zuschauten und nach so geraumer Zeit Kein Zeichen noch gewahrten, als erlägen Die beiden kämpfenden der Müdigkeit, Belobten sie als die zwei besten Degen, So man auf Erden finde weit und breit; Wenn sie nicht über Riesenkraft geböten, So müßte ja die Arbeit schon sie tödten. 211 |
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99 | Marfisa dacht' indeß in ihrem Sinn, Ein Glück für mich, daß der zurückgeblieben! Ich wäre todt vielleicht, hätt' er vorhin Im Bunde mit den neun das Spiel getrieben; Hab' ich doch meine Not, so wie ich bin, Um Stand zu halten so gewalt'gen Hieben. So sprach Marfisa, aber ohne Pausen Ließ sie derweil ihr Schwert im Kreise sausen. |
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100 | Ein Glück für mich, sprach auch ihr Widerpart, Daß der nicht Zeit gehabt hat zu verschnaufen! Mich seiner zu erwehren fällt mir hart, Obschon er müd' ist von dem frühern Raufen; Hätt' er nun gar die Nacht in Ruh verharrt Und sich erholt, wie wär' es dann verlaufen? Ich hatte Glück, wie man es selten sieht, Daß jener nicht befolgt hat, was ich riet. |
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101 | So fochten sie bis Abend, aber nicht Der eine noch die andre schien zu weichen, Und keiner hätte ferner ohne Licht Sich schützen können vor des Gegners Streichen. Jetzt ist es völlig Nacht, und höflich spricht Der Ritter zu der ruhm- und ehrenreichen: »Was thun wir, da bei unentschiednem Spiel Die unwillkommne Nacht uns überfiel? 212 |
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102 | »Mir scheint es besser deine Lebensfrist Ein wenig zu verlängern, bis es tage, Da mehr zu geben mir unmöglich ist Als eine Nacht zur Summe deiner Tage. Und daß du schon so nah dem Ende bist, Das leg' nicht mir zur Last, vielmehr verklage Die blut'ge Satzung, die als Landesrecht Hier aufrecht hält das weibliche Geschlecht. |
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103 | »Daß du mich dauerst, du und deine Leute, Weiß jener, dessen Blick die Welt umfaßt. Du kannst bei mir mit all den deinen heute Verweilen; keiner sonst gewährt' euch Rast; Denn schon verschwört sich wider dich die Meute, Der du die Gatten hier getödtet hast. Denn jeder Mann, dem du den Tod gegeben, Hatt' ihrer zehn als Fraun, und diese leben. |
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104 | »Für den Verlust, den du verschuldet hast, Verlangen neunzig Witwen jetzt nach Rache; Drum halt auf einen Angriff dich gefaßt, Wenn du nicht einkehrst unter meinem Dache.« Marfisa sprach: »Wohlan, ich bin dein Gast Und leg' in deine Hand die ganze Sache, Ganz sicher, daß dein Herz so treu und gut ist, Wie deine Stärke groß und kühn dein Mut ist. 213 |
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105 | »Doch wenn's dich grämt, daß du mich tödten müßtest, So könnt' auch Grund zu andrem Grame sein. Noch seh' ich nicht, wie du mit Recht dich brüstest, Als wärest du der härtre von uns zwein. Ob du nach Kampf, ob nach Verzug gelüstest, Ob Kampf bei Mondlicht oder Sonnenschein, Ich bin bereit zu thun, was dir bequem ist, Zu jeder Zeit und wie es dir genehm ist.« |
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106 | So ward der Kampf verschoben vor der Hand, Bis neuer Tag den Ganges überschreite, So daß man noch im Zweifel sich befand, Wer von den beiden besser sei im Streite. Der edle Herr trat nun zu Aquilant Und zu Marfisa's übrigem Geleite Und bat, sie möchten ihm die Ehr' erzeigen, Zur Nacht in seiner Wohnung abzusteigen. |
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107 | Die Ladung ward ohn' Argwohn angenommen, Und bald, bei weißer Fackeln hellem Licht, War man an einen Königsbau gekommen, Und da gebrach's an reichen Kammern nicht. Erstaunt, als sie die Helme abgenommen, Sahn sich die beiden Kämpfer ins Gesicht, Denn jener Ritter, wie die Züg' ergaben, Konnt' achtzehn Jahre kaum vollendet haben. 214 |
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108 | Die Jungfrau staunt, wie man mit Schwert und Speer So tüchtig sein kann in so jungen Tagen. Der andre staunt, als an den Haaren er Erkannt hat, gegen wen er sich geschlagen, Und beide fordern Namen und Woher, Und diese Schuld wird schleunig abgetragen. Zu hören, wie des Jünglings Name klang, Erwart' ich euch zum folgenden Gesang. 215 |