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Unterhalb Engelhartszell erhebt sich am linken Ufer der Donau ein steiler Bergrücken, an dem die munter dahinplätschernde Ranna dem Strom zu vorbeieilt. Kühn schaut inmitten grünender Wälder die stolze Rannaburg von dieser Höhe in das in das Tal hinab. Uralt ist der prächtige Bau; der noch bevor diese Burg stand, erhob sich ein anderes älteres Schloß ein wenig oberhalb auf der Anhöhe, dort wo heute die sogenannte Bastei steht.
Hier lebte ein angesehener Ritter in glücklicher Ehe mit seiner Gattin, dessen Glück vollkommen schien, als ihm seine Ehefrau ein liebliches Söhnchen schenkte. Doch die Zeiten waren unruhig, der Feind drang ins Land und brandschatzte Städte und Dörfer. Auch das sonst so ruhige Donautal widerhallte vom Lärm rauhen Kriegsgetümmels. Feindliche Scharen zogen vor die bisher so friedliche Burg und forderten den Ritter zur Übergabe auf. Aber der war nicht gesonnen, sich mit Weib und Kind auf Gnade und Ungnade den wilden Horden zu ergeben. Alles wurde zur Verteidigung der Burg instandgesetzt, und lange berannten die Feinde vergebens die trotzige Feste. Immer erbitterter wurde der Kampf, und manche Bresche war schon in den Mauern geschlagen. Der Ritter erkannte mit Schrecken, daß das Schicksal der Burg besiegelt sei, aber er wollte im Kampf bis zum letzten ausharren. Freilich, wenn er an sein Kind, an das winzige Knäblein dachte, das mit ihm den Untergang finden sollte, füllte sich sein Herz mit bitterem Kummer, und er beschloß, wenigstens das Kindlein dem grausigen Tod zu entreißen.
Unter dem Burggesinde war eine kräftige, mutige Magd. Diese ließ der Schloßherr zu sich rufen und trug ihr auf, mit dem Kind donauabwärts zu flüchten und es in sicherer Obhut zu behalten. Noch in der gleichen Nacht ließ man die Magd mit dem Kind an einem Seil über eine steile, unzugängliche Stelle des Burgfelsens in die Tiefe hinab, und es war auch wirklich höchste Zeit gewesen, das Kind aus der Burg zu schaffen. Denn schon am nächsten Tag drang der Feind ein; der Burgherr fand im verzweifelten Kampf mit allen Schloßbewohnern den Tod, die Burg aber wurde in Brand gesteckt und bis auf die Grundmauern zerstört, kein Stein blieb auf dem anderen.
Der getreuen Dienerin gelang es wirklich, ungesehen von den Belagerern das Donauufer zu gewinnen, wo sie einen Kahn fand, der sie in Sicherheit bringen sollte. Aber die Feinde steiften auch im Tal umher. Schon hatte die Magd das Kind unter die Ruderbank gelegt und den Nachen von der Kette gelöst, da traf sie ein heimtückischer Pfeil aus dem Dunkeln, und zu Tode getroffen stürzte die treue Beschützerin des Knaben lautlos in den gurgelnden Strom. Das Schifflein aber trieb schaukelnd in die Strommitte hinaus und verschwand, mit den Wellen abwärts ziehend, im Dunkel der Nacht.
Eine Strecke unterhalb der Rannaburg, dort wo sich am Berghang das Schloß Haichenbach erhob, fand am anderen Morgen ein alter Fischer einen Kahn am Ufer angetrieben, in dem ein weinendes Kindlein lag. Der Alte hob das kleine Menschenwesen aus dem schwankenden Fahrzeug und brachte es in das Schloß Haichenbach, wo sich die Schloßfrau des armen Würmchens erbarmte. Sie zog es wie ihr eigenes Kind auf, es wuchs und gedieh prächtig. Auch der Burgherr fand sein Gefallen an dem fröhlichen Knaben. Er unterwies ihn in allen ritterlichen Tugenden und sandte ihn, als er herangewachsen war, an den fürstlichen Hof, damit er höfische Zucht und Sitten erlerne. Frühzeitig schon wurde der Jüngling zum Ritter geschlagen und kehrte mit den goldenen Sporen, dem Gürtel und dem Wehrgehänge in die väterliche Burg Haichenbach zurück. Niemand hatte bisher von seiner wahren Abstammung erfahren, und er selbst hielt sich für einen Sohn des Burgherrn von Haichenbach.
Inzwischen hatte sich in der Gegend das Gerücht verbreitet, daß bei der Zerstörung der Burg Rannariedl ungeheure Schätze verschüttet worden seien, die aber niemand heben könne, da ein grimmiger Burggeist die verborgenen Schätze bewache und jeden verscheuche, der es wage, nach diesen Reichtümern zu suchen. Mancher kühne Geselle, der sein Glück trotzdem versucht hatte, war nicht wieder zurückgekommen, der Burggeist hatte ihn unter Schutt und Mauertrümmern begraben.
Die Kunde von den geheimnisvollen Schützen auf der Rannaburg kam auch dem jungen Ritter auf Haichenbach zu Ohren und ließ ihn nicht mehr zur Ruhe kommen. Und so zog er denn eines Tages aus, um der Sache auf den Grund zu gehen. Frohgemut trabte er das Donautal aufwärts. er war zwar auf einen harten Kampf mit einen starken Gegner gefaßt, aber seinem ritterlichen Wagemut konnte diese Aussicht nicht bange machen. Als er über Schutt und Geröll, durch Gestrüpp und Dickicht in das halbverfallene Gemäuer des Burghofes einritt, ergriff ihn ein seltsam wehmütiges Gefühl. Zögernd stieg er vom Pferd und entdeckte nach längerem Suchen eine mit Moos und Flechten überwachsene Tür an einer Seite der Mauer. Während er sich noch bemühte, die Pforte zu öffnen, stand plötzlich ein kleines altes Männlein mit wallendem Bart, mit grauer Kutte bekleidet, vor ihm, begrüßte ihn freundlich und sagte: »Lange habe ich auf dich gewartet, aber ich wußte, daß du einst kommen würdest. Geh nun mit mir! Ich will dir die Ruhestätte deiner Eltern zeigen und den Schatz deiner Ahnen, den ich lange Jahre hier gehütet habe.«
Hierauf erzählte er dem staunenden Jüngling die Geschichte seiner Abstammung, zeigte ihm den Platz, wo die Leichen seiner Eltern verschüttet waren, und führte ihn bei Fackelschein zu einem reichen Schatz von Gold- und Silbermünzen, der in einem unterirdischen Gewölbe aufbewahrt lag.
»Dieses Gold«, sagte er schließlich, »sollst Du benützen, um deinen Eltern eine würdige Ruhestätte zu errichten und die Burg deiner Ahnen in altem Glanz wiedererstehen zu lassen.«
Als der Jüngling, wie aus einem Träume erwachend, um sich blickte, war der Alte verschwunden. Aber das Gleißen des Goldes, das im Schein der mitgeführten Fackel blinkte, bewies ihm, daß alles kein Traum war. Sinnend stieg er aus dem düsteren Gewölbe wieder in den sonnendurchglänzten Burghof hinauf, schwang sich auf sein Pferd und kehrte nach Haichenbach zurück.
Hier erzählte er sein Erlebnis, und die Pflegeeltern bestätigten ihm, daß er ein Findling sei, den man vor Jahren aus einem Nachen am Donauufer geborgen habe. Nach einigen Tagen ging man an die Hebung des Schatzes, der nach dem Willen des Burggeistes und dem Vermächtnis seiner leiblichen Eltern verwendet wurde.
Wenige Jahre später war Burg Rannariedl etwas oberhalb der Trümmer der alten Burg wieder aufgebaut, und der neue Schloßherr zog mit seiner Gattin, einer Tochter des Haichenbachers, der ihn so liebevoll erzogen hatte, in sein stolzes Schloß, das seitdem bis zum heutigen Tage stolz auf die Donau herabblickt, die seinen Erbauer einst vor den Feinden gerettet hatte.