Sagen aus Oberösterreich
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Das Weidenmännlein vom Aubach

An einem Aubach lebte einst ein Weidenmännlein; an welchem Aubach ist kaum zu bestimmen, denn es gibt deren Dutzende im Mühlviertel. Es war ein winziges Männlein, das man deshalb so nannte, weil es in einem großen Weidenstumpf am Rande des Baches lebte. Niemand konnte sagen, wer dies verhuzelte, kleine, uralte Männlein wirklich war und wovon es sich fortbrachte. Die meisten meinten, es wäre eins der Holzmännlein aus den tiefen Wäldern, das von seinen Artgenossen ausgestoßen worden war und deshalb in der Nähe der Menschen an dem Aubach lebte.

Keiner, auch nicht die ältesten Leute, konnte sich erinnern, daß das Männlein einmal jung gewesen. Es mußte sich also bestimmt um ein Geisterwesen handeln.

Nun, das Weidenmännlein tat keinem etwas zuleide, aber es mied auch jeden Umgang mit den Menschen und oft sah man monatelang nichts von ihm. Dann plötzlich hörte man wieder eine feine Flötenmelodie und wußte, daß das Männlein wieder hier war. Es war nämlich so, daß es wohl die Menschen mied, daß aber die Tiere an dem seltsamen Wesen hingen. Immer wieder sah man den Weidenstumpf voller Vöglein, man sah die scheuen Hasen und Rehe um ihn herumstehen, ja selbst die Kühe weideten gern in der nassen Wiese, wo sich die Weide befand. Sie schnupperten dann lange an dem Weidenstumpf herum, ließen sich daneben nieder und hörten stundenlang dem wundersamen Flötenspiel des Gnomen zu.

Das ging Jahrzehnte um Jahrzehnte so und war vielleicht schon seit Jahrhunderten so gegangen.

Da aber übernahm ein junger Bauer den Hof, zu dem die nasse Wiese am Aubach gehörte, und dieser hatte studiert und trachtete nun, das Anwesen modern und ertragreich zu führen. Schließlich machte die Zeit auch vor dem Bauern nicht halt. Der junge Bauer also begann, auch die Wiese trockenzulegen. Er zog Gräben für das Wasser, machte Abflüsse zum Bach hin und begann schließlich auch, die alten, verkrüppelten Weiden am Bach auszugraben. Er wollte das Bachbett gegen seine Wiese zu mit Steinen auslegen, damit kein Hochwasser mehr sein Heu vernichten sollte.

Als der junge Bauer mit seinem Knecht die Weiden zu fällen begann, hörte er plötzlich ein leises Schluchzen. Er ging dem nach und fand das Weidenmännlein, das er selbst kaum noch zu Gesicht bekommen hatte. Es hockte in seinem riesigen, alten, ausgehöhlten Weidenstamm und weinte herzzerbrechend.

»Warum weist du denn so?« fragte der Bauer.

»Weil du mir das Dach über dem Kopfe wegnimmst, wenn du auch meine Weide hier fällst. Und das wirst du tun, wie ich die Menschen kenne. Oh, ich armer, unglücklicher Wicht!«

,Ja, mein Lieber, es tut mir leid, aber ich muß die Wiese in Ordnung bringen. Das mußt du wohl einsehen.

»Laß wenigstens den einen Weidenstumpf hier stehen, nur den einen einzigen«, bat das Männlein.

»Das geht nicht. Ich will das Bachbett hier mit Steinen auslegen und die Wiese trocken machen; mir ist die Weide im Weg.«

Das Weidenmännlein schluchzte noch heftiger und bat immer wieder um seine Weide, aber der Bauer ging schließlich ärgerlich davon, nachdem er noch gesagt hatte:

»Du kannst meinetwegen bei mir auf dem Hof eine Hütte haben oder im Stadel schlafen, wenn du keine Unterkunft hast, aber die Weide muß weg, das ist mein letztes Wort.«

Als der Bauer am nächsten Morgen mit seinem Wagen zur Wiese kam, ,um weiterzuarbeiten und auf dem Wagen die Weidenstrünke wegzufahren, da scheute das Pferd und der Bauer selbst sprang erschrocken zurück: Die ganze Wiese war so voller Frösche und Unken, daß es unmöglich war, auf ihr zu gehen oder gar zu fahren.

Mit Mühe hielt der Bauer das Roß fest, daß es nicht davonraste und sich womöglich die Beine brach, und ihm selbst saß der blanke Ekel in der Kehle, denn wo er hintrat, trat er auf die glitschigen Tiere und zertrat sie.

Schließlich wandte er sich um und verließ die Wiese.

Am nächsten Morgen versuchte er es wieder, die Wiese zu betreten, aber nun war sie voller toter Fische. So viele Fische gab es gar nicht in dem Aubach, als hier lagen. Und wieder mußte der Bauer unverrichteter Dinge abziehen.

Als er am dritten Tag hinkam, waren weder Fische noch Frösche zu sehen, dafür war die Wiese, und nur die eine Wiese von allen rundum, vollkommen kahlgefressen. Das Gras war bis zu den Wurzeln abgenagt. Das moorige Wasser stand darin und diese Wiese war völlig wertlos geworden.

Da gab sich der Bauer geschlagen. Er rief über die Wiese hin:

»Weidenzwerg, komm heraus! Ich will mit dir verhandeln!«

Da erschien das Weidenmännlein ein und trippelte ganz sicher über das sumpfige Land dem Bauern entgegen.

»Willst du mir meine Weide lassen, Bauer? Dann werde ich meine Tiere zurückrufen. Sie gehorchen mir alle, alle rundum in der ganzen Gegend.«

»Du hast mich besiegt. Ich will dir deinen Weidenstamm lassen, aber laß mich in Ruhe meine übrige Wiese in Ordnung bringen.«

»Gut, das ist abgemacht! Wie du mir, so ich dir. Du kannst die Wiese wieder haben und du läßt mir mein Haus.«

Und so geschah es: Der eine Weidenstrunk blieb als ein-ziger auf der ganzen weiten Wiese stehen und in ihm wohnte das Männlein. Die übrige Wiese legte der Bauer trocken, regu-lierte den Bach und die Wiese gab das schönste und beste Gras und das süßeste Heu, daß die anderen Bauern verwundert den Kopf schüttelten und die Tüchtigkeit des jungen Bauern lobten, der aus dem moorigen Grund eine so ertragreiche Wiese ge-macht hatte.

Das Weidenmännlein aber lebte glücklich und unangefoch-ten Jahre um Jahre, und wenn es nicht gestorben ist, so lebt es noch heute an irgendeinem Aubach im Mühlviertel.

Und wenn der Mond aufsteigt, hört man eine süße Flötenmelodie aus dem Wiesengrund. Dann sitzt das Weidenmännlein vor seinem Weidenhaus und die Tiere des Waldes und des Feldes sitzen drum herum und kuschen dem Lied. Dann ist vollkommener Friede auf dieser Welt.

 


 


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