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Es ist wohl schon lange her, da hauste auf der Burg Rauhenstein bei Baden ein Ritter Wolf, der eine tapfere Klinge führte und vor den verwegensten Taten nicht zurückschreckte, der aber ein so rauhes Gemüt und ein so steinernes Herz hatte, daß man ihn nicht den »Rauhensteiner«, sondern den »rauhen Stein« hieß. Mächtig und kühn wie er war, meinte er, gegen den Armen und Niedrigen sei ihm alles erlaubt, besonders wenn ein solcher seinen Zorn auf sich gezogen hatte.
Da wagten es einmal zwei Badener Bürgersöhne in den Forsten des Ritters ein Stück Wild zu erlegen. Sie wurden dabei ertappt, vor den Ritter gebracht und nach kurzem Verhör in den Turm geworfen. Ihre Tat sollten sie mit dem Tod büßen.
Der alte Vater der beiden Gefangenen war ein reicher Mann und bot dem Schloßherrn ein hohes Lösegeld an, wenn seine Söhne begnadigt und in Freiheit gesetzt würden. Aber der Ritter war reich genug, um dieses Angebot abzulehnen. Darüber geriet der Alte in größte Erbitterung und brach in wilde Verwünschungen aus. Nun wandte sich der Zorn des stolzen Ritters auch gegen den unglücklichen Greis, und er ließ ihn ebenfalls in den Kerker werfen.
Da aber der greise Bürger ein kunstfertiger Glockengießer war, wie man einen zweiten nicht so leicht finden konnte, legte sich die Badener Bürgerschaft ins Mittel und erhob für den Alten und seine beiden Söhne Fürsprache bei dem hartherzigen Burgherrn. Nach langen Unterhandlungen ließ sich der Ritter Wolf zu einer teilweisen Begnadigung herbei, die aber so furchtbar und grausam war, daß nur ein steinernes Herz sie ersonnen haben konnte. Der Ritter bestimmte: »Der Vater soll als Lösegeld für sich und einen Sohn eine Glocke gießen, die zum erstenmal von diesem beim Tod seines Bruders geläutet werden muß.«
Dabei setzte der Schloßherr eine sehr kurze Frist für den Guß der Totenglocke fest, um den Alten bei seiner Arbeit zur Eile anzutreiben. Der Glockenguß sollte im Hof der Burg Rauhenstein erfolgen. Verzweifelt machte sich der unglückliche Vater ans Werk, um wenigstens das Leben eines Sohnes zu retten.
Da die festgesetzte Zeit kurz war und das nötige Material nicht so rasch beschafft werden konnte, brachten die Verwandten und Bekannten dem Meister alles Metall, das sie auftreiben konnten. Darunter befand sich manches Heiligenbild, das aus edlem Metall getrieben war.
Mit zitternden Händen, Tränen in den Augen, machte sich der alte Mann an die Arbeit, eine Glocke zu gießen, deren erster Ton den Tod seines Sohnes künden sollte. So sehr ihm bisher jeder Arbeitsauftrag Freude bereitet hatte, so groß war nunmehr die Trauer, und er verwünschte seine Kunst, die ihm Zeit seines Lebens das Liebste auf Erden gewesen. Endlich war es so weit, die Glocke war vollendet und wurde ihm Schloßturm aufgehängt.
Kaum war sie mit Klöppel und Seil versehen, so befahl der grausame Ritter, sie zum Tod des Sohnes zu läuten. Da übermannte den armen Vater die Verzweiflung; sinnlos vor Jammer und Angst stürmte er die enge Wendeltreppe im Turm empor und begann, wie wahnsinnig am Seile zu ziehen. Die Glocke ertönte, der Greis aber stieß ein entsetzliches Jammergeschrei aus, flehte Gott und alle Heiligen an um Rache und Strafe für den unbarmherzigen Burgherrn und verfluchte die Glocke mit gräßlichen Worten. »Nimmer möge dein Totenruf verstummen«, rief er, »solange der Name des grausamen Geschlechtes des Burgherrn auf Erden genannt wird!«
Das Blut des Sohnes war geflossen, die furchtbare Tat vollzogen; droben aber auf dem Turm stürmte der greise Glöckner weiter, den Geist vom Wahnsinn umnachtet. Der Sturmwind brauste in sein Geläut und trieb ein furchtbares Gewitter herbei, das sich über der Burg des unmenschlichen Ritters entlud. Ein Blitzstrahl fuhr in den Turm und streckte den alten Glockengießer tot hin; die Burg aber ging in Flammen auf.
Doch der reichte Ritter war in der Lage, sein Schloß wieder neu aufzubauen. Nach mehreren Jahren war der Bau vollendet, und nun sollte das Hochzeitsfest des Burgfräuleins begangen werden. Mit Musik und Glockenklang wurde der einziehende Bräutigam feierlich begrüßt. Die bräutlich geschmückte Tochter des Schloßherrn stand auf dem Söller der Burg und winkte dem nahenden Geliebten Willkommensgrüße entgegen. Dabei neigte sie sich so weit vor, daß sie über die Brüstung in die Tiefe stürzte, wo sie tot liegen blieb. In diesem Augenblick schlug die Totenglocke von selbst an.
Das war der erste der vielen Unglücksfälle, die nun über die Burg und das Geschlecht der Rauhensteiner hereinbrachen. Und jedesmal ertönte die Glocke im Turm. Man erwog, das verhaßte Gebilde zu zerschlagen, aber schon hatte sich der Glaube verbreitet, die Dauer des Geschlechtes hänge von dem Bestand der Glocke ab. Um aber ihren unheilverkündenden Mund zum Schweigen zu bringen, nahm man den Klöppel ab und vermauerte alle Öffnungen des Turmes.
Aber damit war der Fluch, der über dem Geschlecht der Rauhensteiner schwebte, nicht behoben. Das Unglück blieb dem Haus treu, und sooft den Herren der Feste Unheil drohte, regte sich die Glocke im Turm, und ihre dumpfen, prophetischen Töne klangen durch alle Mauern. Wie ein metallenes Käuzchen ließ sie in solchen Zeiten ihren Ruf durch die Stille der Nacht ertönen, und die Furcht vor ihrem Unglückston brachte die Schloßherren so weit, daß sie zuletzt die Burg verließen und ihr Stammhaus einem andern Rittergeschlecht verkauften.