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Am Waldbach.
Novelle von Charlotte Steinau

»Glück auf den Weg, Lieber, führe ein fein sittiges Leben unter den ehrwürdigen Vätern deiner Stadt. Gedenke, daß du den Ruf der Brüder › in dulci jubilo‹ wieder zu Ehren bringst.«

»Jeder Lockruf, teurer Mentor, soll von nun an tauben Ohren klingen. Die Geister der Folianten sollen mir vertraut werden, daß die ›Burschen‹ klagen sollen um den Abtrünnigen.«

»Jetzt und immerdar?« fragte lächelnd der Freund.

»Kato, soll ich's beschwören, daß ich mir gelobt habe, mit dem Schluß dieses Semesters mich der Wissenschaft in die Arme zu stürzen, daß ich absagen will allem, was mich anklagen könnte am Tage der Vergeltung?! Er kommt, kommt so sicher, wie dort die rollenden Räder.«

»Einsteigen!« rief der Schaffner.

Ein herzlicher Händedruck, Mützenschwenken, und der Zug fuhr davon.

Karl Herbing winkte noch einmal zum Fenster hinaus, lehnte sich dann gemächlich in eine Ecke des Coupés und pfiff leise eine von den Melodien, die ihm vom Abschiedskommerse noch in den Ohren summten.

Bald schlief er ein, so fest, daß ihn weder das Türenschlagen, noch die Abschieds- und Begrüßungsrufe auf den Stationen störten. Erst der sonnenhelle Morgen weckte ihn.

»Das nenne ich schlafen,« bemerkte der Schaffner, dem er für einige Zigarren die ungestörte Ruhe verdankte.

»Gut organisierte Spezies der Arctomys,« murmelte er schlaftrunken und tastete lange vergeblich nach einer kleinen Spiegelbürste.

»Bald haben wir's erreicht,« rief im Vorübergehen der redselige Beamte, »fünfzehn Minuten Aufenthalt hier, und dann noch eine Station.«

Kopf und Gliedern würde die frische Morgenluft wohltun, dachte Herbing, während seine Blicke vom blauen Himmel zum dunkeln Wald schweiften. Poetisch wär's auch, sich von den Waldvögeln den ersten Willkommengruß zu holen.

Eilig nahm er sein weniges Gepäck, übergab es auf der Station und rüstete sich, die letzte Strecke zu wandern.

Schön war es in diesem anmutigen Tale, das die Elbe sich zur Rast erkoren, nachdem sie mühsam Höhen zerklüftet und in jähem Lauf über Geröll und massiges Gestein gestürzt.

Blätter rauschten, Tannen dufteten. Blumen und Gräser mit tausend blitzenden Tauäuglein nickten und lächelten.

»Tage der Wonne,
Kommt ihr so bald,
Schenkt mir die Sonne
Hügel und Wald.«

stimmte er in seiner Herzensfreude an, ja, zu einem Jubelruf, der weithin tönte, wurden die letzten Strophen des Goetheschen Liedes:

»Mächtiger rühret
Bald sich ein Hauch,
Doch er verlieret
Gleich sich im Strauch,
Aber zum Buben
Kehrt er zurück,
Helfet, ihr Musen,
Tragen das Glück!«

»Blüht morgen dir ein Röslein auf,« klang es zurück aus dem Walde. Ein wunderbares Echo. Er lauschte, und selbst die Worte des Volksliedes ergänzend, ging er dem Klange nach.

Üppiges Waldesgrün deckte noch die Sängerin, die am Waldbach einen Kranz aus Eichenblättern flocht. Der Hund an ihrer Seite schnappte gähnend nach Mücken und Fliegen, die erbarmungslos seinen Schlummer störten.

Plötzlich knurrte er. Eine Lazerte, angelockt von Waldesluft, hatte raschelnd ihr Köpfchen aus dürrem Laub hervorgesteckt.

»Still, Nero,« rief Hedwig, »sei doch nicht solch ein alter Griesgram!«

Gehorsam legte er den Kopf auf die Seite, doch nur einen Augenblick; dann sprang er auf, schüttelte Halme und Blätter von seinem zottigen Fell und sah unverwandt nach der Richtung, wo jetzt der Wanderer sichtbar wurde.

Nero lief ihm entgegen und bellte, als müßte er um Leben und Sterben das Nähertreten verhindern.

Vergeblich mühte sich Herbing, den Zudringlichen abzuwehren.

Auch Hedwigs »Hierher!« blieb ungehört. Durch Widerstand nur noch mehr gereizt, wurde das Tier so wütend, daß Karls Glieder und Garderobe gefährdet waren.

Eilig warf das junge Mädchen Kranz und Blätter auf die Erde, lief hin, faßte des Lästigen Halsband und zerrte ihn, seinen Eifer scheltend, zurück.

Karl stand wie angewurzelt.

Waren die längst, heimatlosend Elfen und Dryaden noch einmal zurückgekehrt in den deutschen Wald? O, diese törichten Jungfrauen, irrten sie sich so in der Zeit! – Nein, nein! Vielleicht war sie der Musen eine, die er soeben angesungen! Die Eigentümlichkeiten der »Neun« waren ihm vertraut, er kam ja aus München. Keine von ihnen naht, Sterbliche von ergrimmten Bestien zu befreien.

Irdisch oder aus den Höhen, Pflicht blieb es, Dank zu sagen und – weiterzugehen.

»Der Bösewicht läßt sich die Unarten nicht abgewöhnen,« sagte Hedwig, freundlich den Gruß erwidernd. »Der Onkel meint, er wäre so scheu und mißtrauisch, weil Fremde so selten zu uns kommen.«

»Als Ihr Beschützer, mein Fräulein, hat er nur seine Schuldigkeit getan,« antwortete Herbing; »auf einen Paß schwört er vorsichtigerweise nicht, da bleibt ihm nichts übrig, als nähere Bekanntschaft mit solch einem Landstreicher zu machen. Der Schuldige bin ich. Hätte ich aber Ihres Reiches wohlgehütete Grenze gekannt, würde ich nicht gewagt haben, bis hierher vorzudringen. Nun ist's geschehen, mit Lebensgefahr sogar –, und ich vermag nur noch um Gnade zu flehen.«

Wie ein Muselmann kreuzte er die Hände über der Brust und verbeugte sich tief. Hedwig hatte den Kranz wieder aufgehoben, und Herbing sammelte die auf dem Boden verstreut liegenden Blätter.

Wieder gab der Hund Beweise seines Mißbehagens.

»Überhört man diesen Ton auch ungestraft?« fragte schelmisch Karl. »Vor gewetztem Stahl zittere ich nicht,« er deutete mit der linken Hand auf die gerötete Narbe, die vom Ohr bis zum linken Mundwinkel lief. »Wie aber, wenn der Störer der Waldruhe plötzlich zu einem Dornenstrauch würde, oder gar sich in ein dürres Reisigbündel verwandelte, damit der Waldfriedensbruch in den Flammen gesühnt werde?«

»Könnte ich zaubern,« sagte Hedwig, auf den neckischen Ton eingehend – –

»Hieße es jetzt: auswandern aus dem teuren ›Ich‹,« unterbrach er sie schnell.

»Jetzt dacht' ich an mich,« plauderte sie weiter. »Der krächzende Rabe dort müßte gleich zum Vogel Greif werden und fortfliegen, sehr weit, über den Ozean. Diesen Kranz sollte er mir auf einen Hügel tragen. Mein Mütterchen hat heut' Geburtstag,« fügte sie hinzu, als er sie fragend ansah.

Ja, es war noch der liebe, alte deutsche Wald mit all seinem Zauber, seinem schimmernden Glanz, dem tausendfachen Leben, das, sich selber treu, unangefochten blieb im bunten Wechsel der Zeiten.

Fürchtest sie wohl nicht, munteres Eichhörnchen, die beiden Menschenkinder. Zutraulich, wie zu seinesgleichen, kommt es herab vom Wipfel, setzt sich auf einen Ast dicht über ihren Köpfen, schaukelt die Zweige, daß die Blätter tanzen im Sonnenschein.

Einen Augenblick sahen sie schweigend dem Spiele zu, dann nahm Hedwig den Kranz, schlang ihn um den Hals, setzte den Hut auf und wandte sich zum Gehen.

»Darf ich Sie erinnern, mein Fräulein,« sagte Karl, »daß Sie dem Walde den Schlußvers des unterbrochenen Liedes schuldig geblieben sind?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, stimmte er mit seiner volltönenden Stimme an:

»Nun mußt du mich auch recht versteh'n,
Wenn Menschen voneinandergeh'n.«

und Hedwig fiel ein, erst leis und zögernd, aber dann klang es so fröhlich, so herzinnig aus den jugendlichen Kehlen: »Auf Wiederseh'n, auf Wiederseh'n!«

Die Vögel sangen es ihnen nach, und von den Wellen des Waldbaches klang es: »Auf Wiederseh'n!«

Sie waren an den Pfad gekommen, der Hedwig in wenigen Minuten zur Försterei führte.

»Nach Ost und West,« bemerkte Herbing, mit den Blicken die Richtungen der Wege andeutend.

Und nun? Ja, sie mußten sich trennen, würden wieder fremd sein, wie sie es gewesen bis zu den eben verronnenen Minuten, die so schön waren und doch nicht verweilten.

Sie reichten sich die Hand, sprachen noch fröhliche Worte und mußten nun doch scheiden.

Als die letzten Waldbäume kamen, zögerte Hedwig, schaute sich um mit glückseligem Lächeln, als wolle sie einem Rufenden Antwort geben – und doch war niemand da! – Nur der Wind ging durch den Wald, und Blätter und Blüten schauten nach ihm um. Wellen und Libellen erzählten wundersame Mär!

Das waren Laute, so fremd, so schön, unsagbar schön.

Längst zog der Frühling in das Land, und doch war es, als hätte er jetzt erst seine ganze Blütenfülle ausgeschüttet, ausgeschüttet über sie. Und in ihrem Herzen wirkte und schaffte es, als webe sich aus all der Wonne ein Fädchen, die kommende Zeit zu verknüpfen mit dieser wunderseligen Stunde.

Sie faltete die Hände, sah hinauf zu der lichtblauen Höhe und flüsterte leis und innig: »Auf Wiederseh'n!«

* * *

O Kato, würdest du in dem sinnenden Wanderer den Freund erkennen, der trotz seiner heiligen Semesterzahl noch bis gestern Streiche vollführte, daß nicht nur Philistern die Haare zu Berge standen.

Er sieht sie gar nicht, die schmucken Mädchen, die an ihm vorübergehen.

Die Köhlerliese hat den Suppentopf mit dem Zinnlöffel schnell ins Moos gestellt, biegt die Zweige auseinander, den »propren Burschen« noch einmal zu sehen. Die anderen kichern, er soll es sogar hören; aber still, als ginge es zur Beichte, geht er weiter.

Hört auch gar nicht das »Glück auf!« der schwarzen Bergleute, die von der Nachtschicht kommen und sich freuen des rosigen Lichts!

Überrascht blickt er auf, als plötzlich die staubige Landstraße im grellen Mittagslicht vor ihm liegt.

Kurz entschlossen wendet er sich seitwärts, sucht sich ein dichtbelaubtes Plätzchen zur Rast.

Er streckt die Glieder, legt die Hände unter den Kopf und sieht träumend in die grünen Wipfel. Aber nur wenige Augenblicke, dann richtet er sich auf, nimmt ein weißes Blättchen aus der Brieftasche und schreibt:

Kato, Kato!

Abgewichen! Vom Schienenwege nämlich. Seit ich mich nicht mehr allein mit dem ganzen beschwerlichen Ballast, Gewissen genannt, herumschleppe, sondern ein gut Teil davon in Deine brüderliche Brust gesenkt, bin ich mitteilsam wie eine Selektanerin. Diese Stunden! d. h. mit dem Examenproviant haben die Errungenschaften derselben nichts zu schaffen. Vermutest Du auch nicht, Teurer; denn dazu hätte ich der verschwiegenen Wände mit Regalen und Folianten, der Verkörperung irdischer und himmlischer Weisheit bedurft. Stümperwerk der Jahrtausende!! Hier leuchtet Gottes Sonne, woran jedes Titelchen – Wahrheit ist. – Statt der Bücher nur Buchen, grün und schimmernd wie Smaragd. Still ist's auch, stiller fast wie weiland im Löwenbräukeller beim fünften Maßkrügel. Und doch höre ich tausend süße Stimmen, tausend und eine!

Wie ich hierher gekommen? »Der Zorn der Götter ist's wahrlich nicht, der mich hierher verschlug.«

»Wanderlust lockte mich in den Schattenhain, dorthin, wo am Waldbach lieblicher Gesang ertönte.«

Hier fand ich sie – »einer Unsterblichen gleich an Wuchs und reizender Bildung. »Mentor, Teuerster, hörst Du, begreifst Du, was ich sage: Ich habe sie gefunden, Nausikaa, die Herrliche, der keine gleicht. – Und da daheim keine Penelopeia webt und wartet! – – –

Ich verstopfe mir die Ohren, still, still, weiß ja, was Du sagen kannst, mußt! Still doch von der Rosi, der Lieserl, in den bayrischen Bergen! Wer hat sie nicht geküßt?

Wie das weise Haupt sich wiegt, wie die Donnerlocke die schwellende Stirnader freigibt.

Vergeblich!

»Sie ist geflossen in das Herze min
Und muß immer darinnen sin.«

* * *

»Wie ausgetauscht ist die Hedwig seit einiger Zeit,« sagte der alte Förster Behrend zu Frau Lisbeth. »Die alten Augen müßten mich sehr täuschen, wenn nichts Besonderes mit ihr vorgegangen ist. s' ist was Fremdes. Ist dir's nicht auch, als hätte sie lange im Sonnenlicht gestanden und die Strahlen nicht wieder herausgegeben?«

»Die glückliche Jugend ist's,« versicherte Tante Lisbeth, »mit dem Schatten hat sie, gottlob, noch nichts zu tun gehabt.«

»Verruf's nicht,« sagte hastig der Alte, »muß jetzt gar zu oft an die Margret denken, und dann faßt mich eine ordentliche Angst. 'S ist sonderbar, seit zwanzig Jahren ist mir der Name kaum über die Lippen gekommen, und jetzt ertappe ich mich oft, daß ich sie so rufe.«

»Aber, Alterchen,« entgegnete vorwurfsvoll Frau Lisbeth, »bei lichtklarem Himmel Unwetter befürchten, ist doch wahrlich eine Sünde.«

»War bei meiner Schwester auch nichts zu befürchten, bis das Wetter hereinbrach, wie der Blitz.«

»Wenn's nach meinen Wünschen ginge,« sagte er sich räuspernd, »würde unsere Hete eine ebenso tüchtige brave Förstersfrau wie – –«

»Deine Alte,« sagte sie lächelnd, »'s freut mich, Fritz, daß du's nicht bereut hast, daß sie den Franz nimmt, glaube ich nicht. Könnte ja auch noch ein anderer kommen, wäre nicht das erstemal, daß« – »ein Försterskind – eine Prinzessin geworden,« sagte Behrend spöttisch. »Wollte Gott, du hättest weniger hochfliegende Pläne, sicher tut's nicht gut, wenn sie's merkt. Gerad' so ein Kernfester, Biedersinniger müßte es sein, damit sie's von ihm lernen kann, daß die Füße keine Flügel sind, sondern hübsch auf dem Erdboden bleiben müssen. Träumt mir viel zuviel, das Mädel, und das taugt nicht fürs Leben.«

»Hast du je dein Los zu beklagen gehabt, Lisbeth?«

»Ich nicht,« sagte sie, freundlich ihn anblickend, »aber es läßt sich doch nicht alles Eisen in eine Form gießen. Den Franz nimmt sie nicht, so gern sie ihn sonst auch hat.« – –

»Immer den Flitter für das Echte, wenn's nur gleißt,« sagte er bitter. »Ja, ja, man hat's vergessen können in all den Jahren, daß das herzige Ding des leichtfertigen Musikanten Kind ist.«

Allen weiteren Erörterungen aus dem Wege zu gehen, stand Frau Lisbeth auf. »Wo bleibt das Mädchen nur; bald wird's in Raden Feierabend läuten, und morgen ist's Sonntag.«

»Hete, Hete,« rief sie durch das Haus. Oben öffnete sich knarrend eine Tür. Tante Lisbeth stieg die schmale Treppe hinauf. »Ei, sieh' mal Kind,« sagte sie beifällig mit dem Kopfe nickend, »da kommt einem ja der Sonntag schon entgegen. Alles hübsch aufgeputzt, just wie bei einem Stadtfräulein. Sieh, zu meiner Zeit lag wohl der Strickstrumpf und das Weißzeug auf dem Tisch, höchstens noch ein Gesangbuch. Kann's ohne Brille gar nicht lesen,« sagte sie, sich zu dem aufgeschlagenen Gedichtbuch niederbeugend. »Der Abendsegen scheint mir's aber nicht zu sein. Wie schön doch die Reseda in dem Topfe duftet! Hast ja um das liebe Christusbild einen welken Kranz?!« Hedwig wendete sich verlegen ab.

»Komm', Kind,« sagte sie freundlich, »s' gibt noch zu tun, morgen kommen Gäste, Franz und seine Mutter, er hat's dem Onkel in der Forst gesagt.«

Am nächsten Tage erwartete Onkel Behrend und Hedwig die Gäste am Ausgang des Kirchhofes.

»Endlich,« sagte Franz, Hedwig die Hand reichend. »Zweimal habe ich bei euch vorgesprochen und habe dich nicht gesehen, freute mich aber, wenn ich dachte, daß mir's heut nicht fehlen könnte. Bald kann ich dir auch den Falken bringen, ich denke, in einigen Tagen wird er gelernt haben, sich in sein Schicksal zu fügen, wenigstens so weit, daß er nicht mehr um sich beißt.«

»Laß das Tier fliegen, Franz,« bat sie, »ich würde an dem armen Gefangenen keine Freude haben.«

Befremdet sah sie der junge Förster an; wie oft hatte sie sich einen Falken gewünscht.

Nachdem sie unter dem Nußbaum zu Mittag gegessen hatten, zog der Onkel sich für ein Weilchen zurück. Die beiden Frauen setzten sich in die Geißblattlaube. Sie schienen Wichtiges zu besprechen, heimlich war's auch, denn sie sprachen so leis, daß durch die dichten Blätter nicht ein Ton hindurchdrang. Frau Wehling ließ die Hände mit dem Strickstrumpf müßig im Schoß ruhen, sie schienen zu zittern. Tante Lisbeth klapperte immer emsiger mit den Nadeln und wandte kein Auge von dem künstlichen Rande des weißen Strumpfes. »Wenn du Lust hast, ein bißchen den Talweg zu gehen,« sagte Franz zu Hedwig, »kann ich dir auch den Grundriß von Reineckes Bau zeigen. Er ist in der Arbeit gestört worden und wird es in der Nähe nicht wieder wagen.«

Bei seinen Mitteilungen hatte er nicht bemerkt, daß sie zögerte und ihm nur folgte, weil sie augenblicklich keinen Grund zur Absage fand.

»Sind lange nicht hier draußen beisammen gewesen, Hete,« sagte er plötzlich, so recht erfreut über den gemeinsamen Spaziergang. »Du glaubst gar nicht, wie ich mich danach gesehnt habe, war dir doch auch wohl wundersam, daß wir uns jetzt so oft verpaßten. Ich weiß auch gar nicht, wie es zuging.« Hedwig schwieg.

»Du bist so still,« sagte er stehenbleibend,, »fehlt dir etwas?«

»Nein,« sagte sie, sich zur Fröhlichkeit zwingend.

»Dein »Nein« klingt mir nicht überzeugend,« sagte er immer ernster werdend. »Hast mir doch sonst nichts verschwiegen von dem, was in dem kleinen Kopfe steckte. Habe ich dir etwas getan, oder wärst du lieber zu »Pastors« gegangen, und bist unzufrieden, daß wir dich daran gehindert haben? Sonst freutest du dich, wenn wir kamen!« »Aber Franz,« sagte sie bedrückt, »zum Springen bin ich doch zu groß, und daß – daß euer Besuch mir lieb ist, bedarf doch keiner Versicherung.« Die letzten Worte hatte sie so erregt gesprochen, daß Franz erschrocken stehen blieb.

»Euer Besuch,« wiederholte er traurig. »Wie gern, Hedwig hätte ich anderes von dir gehört,« fügte er zaghaft hinzu.

»Laß uns zurückgehen,« bat sie ängstlich, »zu Hause werden sie nicht wissen, wo ich so lange bleibe.«

»Seit wann,« fragte er traurig, »sorgt man sich um dich, wenn ich bei dir bin. Hedwig sage mir doch, was dich drückt.«

Sie bückte sich, hier und dort, eine Blüte zu brechen; nicht einmal Bärlauch und Wolfsmilch verschonte sie, so wenig sonst das Unkraut in ihrer Gunst stand. Daß die Stacheln des goldgelben Ginsters ihre Hand ritzten und die Blutstropfen die weißen Ärmelspitzen färbten, merkte sie gar nicht. Horch, das war des Onkels langgezogener Pfiff, und mit lautem »Hallo« antwortete sie. Eilig lief sie die kleine Anhöhe herab, dem Kommenden entgegen. Franz folgte langsam.

»Nun,« sagte der alte Förster, sie verwundert ansehend, »habt ihr einen bösen Geist gesehen, seht ja aus als hättet ihr über die Todesstunde mit ihm verhandelt?«

Verlegen suchte Hedwig seinem forschenden Blick auszuweichen, und Franz spannte schweigend immer aufs neue seine Haselgerte zum Bogen.

»Bei blauem Himmel und Sonnenschein die Petersilie verhagelt? s' ist noch schöner, wenn euch junges Volk schon die Grillen plagen. Was hat's denn gegeben, du Blitzmädel, wirst doch die Schuldige sein, wenn es zum Zank kam.«

»Die Tante wird schon warten, daß ich den Kaffee besorge«, sagte sie errötend, »es ist besser, ich gehe schnell voran«.

»Ein wunderbares Mädchen«, sagte der Alte, den Kopf schüttelnd.

»Und du«, wandte er sich zu dem jungen Manne, »sag' mir doch, was es gegeben hat, hab' euch ja im Leben noch nicht beisammen gesehen. Weiß nicht, ob ich's treffen werde, was sollte es aber anderes sein: Schaust dich halt um nach einer Försterin und läßt dir nun von einem Kindskopf das Leben schwer machen. Bist doch sonst der Mann, der nach dem ersten Fehlschuß nicht gleich davonläuft. Tapfer auf dem Anstand geblieben. Wird sich noch ein bißchen zieren, das Herz sagt sicher schon »ja«.

Die Schlecht'sten sind's nicht, die's dem Weidmann nicht gar zu leicht machen! Sieh' hier, 's ist nur ein Mittelstamm, aber mit einem Axthieb wird's keiner schaffen. Mutig, Junge, dem Mutigen gehört die Welt und – die Braut.«

Eine Woche war vergangen.

Hedwig und Franz hatten sich nur auf Minuten im Beisein der Tante gesprochen. Die Mißstimmung zwischen ihnen schien vergessen und auf Hedwigs Stirn hatte sich wieder heiterster Sonnenschein angesiedelt.

»Es geht nach dem Eichenhain« rief ihr der Onkel zu, als er sich rüstete, »hast du Lust, mitzugehen?« Schnell stellte sie die gepflückten Erbsen beiseite, rief der Tante einen Abschiedsgruß zu und war an seiner Seite.

»Ganz wie die Mutter,« sagte er, sie anschauend, »war auch in ihrem Element, wenn's mit dem Vater in den Wald ging.«

»Warum ist sie denn von euch gegangen« sagte Hedwig, das Thema festhaltend – der Onkel erwähnte ja so selten ihr Mütterchen.

»Weil – weil sie ein ungestümes Herz hatte,« antwortete er hastig, »doch Kind, das verstehst du nicht, und wollte Gott, du lerntest es nie. Wie glücklich wäre sie wohl geworden, hätte die Leidenschaft sie nicht blind gemacht, daß sie den schwanken Birkenstamm für den wetterfesten Eichbaum eingetauscht. Der Stürme gibt's viel im Leben, und der erste hat ihn gebrochen.«

»Hast du mein Mütterchen nicht lieb gehabt?« fragte sie zaghaft.

»Ob ich sie lieb gehabt! – Jahre meines Lebens hätte ich gegeben, hätte ich damit einen Tag aus dem ihrigen streichen können. Und – ein anderer war ihr gut, herzlich gut, aber mit all seiner Liebe hat er nichts vermocht, hat's mit ansehen müssen, wie sie fortging, geradeswegs ins Verderben.«

»Da sind wir ja schon,« sagte er schnell abbrechend, »wenn ich drüben in der Schonung fertig bin, lange dauert's nicht, können wir uns hier wieder treffen.«

Da stand sie, still und unbeweglich an der Stelle, wo der Onkel sie verlassen hatte, faltete die Hände und schaute hinauf zu den fernen Bergen. Ob sie die zarten goldumsäumten Wolken sah, die des Zuges müde, auf den Kuppen der Berge rasteten? – »Ein anderer hatte sie lieb,« wiederholte sie halblaut. – – –

Sie hörte Franzens flehende Worte. – Ob auch er sie liebte, wie »der andere« einst ihr Mütterchen? –

Wie traurig hatte er sie angesehen, als sie ihm leere Worte sagte, auf das, was so warm, so innig aus seinem Herzen kam:

Ja, so innig klang es, das: »Auf Wiedersehen«, aber das war ja gar nicht Franz, der es ihr in das Herz gesprochen, daß es nicht wieder schweigen wollte. Ein anderes Bild stand wie durch Zauber vor ihrer Seele und erfüllte sie mit Wonne! Jetzt waren die Wolken zerronnen und hatten die Sonne frei gegeben.

Glückselig, als hätte der Himmel sich geöffnet zur unendlichen Herrlichkeit, stand Hedwig im sonndurchglänzten schimmernden Grün. Dann brach sie Blüten vom Brombeerstrauch, einen Zweig vom Eichbaum, band einen Halm darum und warf den Strauß in den fröhlich rinnenden Waldbach. »Für ihn,« sagte sie leise und lächelte, als die Wellen ihn weiter trugen. »Für wen, schönes Waldfräulein?«

Es war kein neckisches Spiel ihrer Sinne. Da stand er neben ihr, schaute sie so lieb, so innig an, als wären all ihre Gedanken zu ihm gezogen, und er wäre gekommen, Antwort zu geben, auch auf das, was ihr Herz leis, ganz leis gefragt hatte!

»Hedwig,« sagte er, »der Name ist mir so vertraut, wie sonst keiner mehr. Ich frage nicht, darf ich ihn nennen.« Er hatte ihr seine Hand gereicht, und ohne Zögern hatte sie die ihre hineingelegt.

»Hete, Hete,« rief jetzt der zurückkommende Onkel.

Nur noch ein Blick, so freudig, so jubelnd, als hätten sie die Versicherung all des ersehnten, erhofften Glücks, und Hedwig eilte dem Rufenden entgegen.

»So erregt, Kleine,« sagte er, verwundert sie anblickend, »bist wohl den Schmetterlingen nachgelaufen oder gar auf einen Baum geklettert und hast versucht, ob dir die alten Künste noch geläufig sind?«

»Nein, nein,« lachte sie.

»Gesteh's nur, Wildfang,« neckte er, »'s ist ja keine Schande für ein Försterskind, das unter Eichhörnchen groß geworden ist. Aber bald,« er drohte bedeutungsvoll mit dem Finger, »bald muß es anders werden. Die Tante hat nicht umsonst den Myrtenstock so sorgsam gepflegt. Sie war auch in deinem Alter, als ich sie mir in den Wald holte.«

»Weißt sicher schon, wie gern der Franz dich zur Försterin will, gehörst ihm ja eigentlich schon seit der Zeit, als du eben so groß warst,« er legte die Hand an einen Baumstamm. »Komm', wollen uns hier ein bißchen auf den Stamm setzen, die Füße können nicht mehr, wie sie möchten. Merk's doch immer mehr, wenn der »Alte« mit der Axt kommt, hat er nicht schwere Arbeit; alles morsch da drinnen.«

»Hörst du,« sagte er plötzlich aufhorchend, »da fiel wieder einer, der's noch ein Weilchen ausgehalten hätte. Hab' den Ton oft hören müssen, und immer ist er mir ans Herz gegangen! 's war drüben in der Schlucht.«

»Ja, ja, bald kommt die Reih' an mich. Werde auch nicht gefragt, ob ich gern noch bei euch bliebe; der Herrgott hat uns die Tage zugezählt, und darüber hinaus geht's nicht.«

»Deinetwegen könnt' ich ruhig sterben; kenne den Franz wie den Waldboden unter unsern Füßen. Sein Herz ist warm und treu und wird unsere kleine Hete glücklich machen.« Zärtlich strich er über ihr schönes, blondes Haar. Aber erschreckt hielt er inne, als er in ihre todblassen Züge sah. Zitternd, unfähig ein, Wort zu sprechen, saß sie da.

»Kind, Kind,« rief er entsetzt, streichelte ihre eiskalten Hände mit seinen knochigen Fingern, bis die Starrheit sich löste und sie mit lautem Schluchzen ihren Kopf an seine Schulter lehnte.

»Wein' dich nur aus, kleiner Hitzkopf, just wie die Mutter,« murmelte er leise; seine Stimme bebte.

»Heut' und morgen braucht's ja nicht zu sein. Du hast doch nichts gegen den Franz,« sagte er plötzlich, »nein, nein, kannst nichts gegen ihn haben,« fügte er wie zur eigenen Beruhigung hinzu. »Was ist dir nur, 's ist doch wirklich nicht zum Jammern, wenn so ein braver, schmucker Mann kommt und dir das beste Herz, was je geschlagen, schenken will.«

Einen Augenblick schwieg er. Dann stand er mühsam auf, es war, als wären die Füße noch widerwilliger geworden. »Die Sonne steht tief,« unterbrach er das Schweigen, und sein bekümmerter Blick folgte der sinkenden Sonne. »Morgen ist auch noch ein Tag. Hab' nimmer gedacht, daß es dich so außer Fassung bringen könnte, hatte mich in all den Jahren so an den Gedanken gewöhnt, daß ich meinte, es käme nur noch auf den Hochzeitstag an.«

»Onkel,« sagte Hedwig bittend, aber Tränen erstickten ihre Worte.

»Laß nur, Kind,« fiel er ein, »es hat ja Zeit bis morgen, bis Sonntag, dann sagst du mir, was ich ihm antworten soll, oder du sagst es ihm selbst, nicht wahr?«

Schweigend gingen sie die letzte Strecke.

»Endlich,« rief ihnen Frau Lisbeth entgegen, »habt mich lange mit dem Abendbrot warten lassen, wer konnte aber auch denken, daß ihr jetzt erst kommen würdet.«

Erstaunt blickte sie von einem zum anderen, als niemand sich anschickte, die Verzögerung aufzuklären. Ein ernster Blick ihres Mannes gab ihr zu verstehen, die Frage, die sie auf den Lippen hatte, nicht laut werden zu lassen.

»Geh' nur bald zur Ruh',« wandte er sich zu Hedwig, »es war ein heißer Tag, und nicht einmal der Wald hatte Kühle.«

* * *

Sonnabend war es. Die Stege des Gartens waren sauber geharkt. Auf den frisch gescheuerten Fliesen des Hausflurs kräuselte sich weißer Sand, und die Strahlen, die durch die kleinen Scheiben der Haustür fielen, stahlen sich bis zu den Köpfen mit den stolzen Geweihen, als wollten sie ihnen erzählen von Waldesgrün und Waldeslust.

»Soll ich noch »hinein«, Tante,« fragte Hedwig, »und einen Waldstrauß holen?«

»Geh', Kind,« antwortete sie freundlich, »die Arbeit ist ja getan, und Blumen – dürfen dir morgen nicht fehlen.«

Eilig, als könnte der Wald ihr entfliehen, ging sie dahin.

Wollte er nicht heut' kommen, Abschied von ihr zu nehmen? – –

Der Bach rauschte wie damals, und durch die Wipfel der Eichen schimmerte das Himmelsblau wie an jenem Tage. Noch war es rege in den Kronen, und auf dem Grunde schwirrte, summte und sang es, daß die Sorge in ihrem Herzen verstummte. Die Waldeslüfte schlichen sich sanft herbei und verwehten alle Angst, alle quälenden Gedanken, die sie fast erdrückt in den verflossenen Tagen. Nur ein Wunsch, ein Hoffen und Sehnen hielt ihre Seele gefangen. Sie breitete die Arme aus, und Welt und Wald um sich vergessend, rief sie: »O, wärst du da!«

Und er kam, war bei ihr, sie zu sehen, ihr zu sagen, daß sein Herz ihr gehöre.

»Sag' mir's, Hedwig, ehe ich hinausziehe in die weite Welt, daß du mein bist,« flüsterte er leis, als wären Lauscher in der Nähe. »Weißt du auch, daß meine arme Seele verzaubert ist, daß ich ruhelos umherirren müßte bis ans Ende der Tage, wenn ich bei meiner Rückkehr dich nicht fände? Wirst du mich nicht vergessen?«

»Vergessen, Karl?« sagte sie schüchtern, »glaubst du, es könnte eine Stunde kommen, in der ich dich nicht so von ganzem Herzen lieb hätte, wie jetzt?«

»Nun hast du's gesagt,« jubelte er, »daß du mein bist, mein für immer und ewig, und all die tausend Blätter und Blüten ringsum haben dich gehört.«

Er schloß sie in seine Arme, küßte ihren Mund und die von Glück und Liebe strahlenden Augen. Dann löste er von der Uhrkette einen Ring. Er war zierlich gearbeitet und trug einen Rubin, umgeben von Perlen.

»Nimm ihn, Geliebte, zum Andenken an das selige Heut,« bat er. »Ich hatte eine Großmutter, die den wilden Burschen trotz seiner tollen Streiche herzlich liebte. Vor einem Jahre, als ich nach den Ferien die Heimat verließ, sie ahnte, daß wir uns nicht wiedersehen würden, schenkte sie ihn mir. Ich sollte ihn bewahren – zum Brautgeschenk.«

»Auch die letzte Minute ist jetzt verronnen,« sagte er, nach der Uhr sehend, in einer Stunde muß ich auf der Station sein.« Sie mußten scheiden. Noch einmal wandte er sich um und rief: »Leb' wohl, herztausiger Schatz, leb wohl!«

Ob auch er noch gehört: »Auf Wiederseh'n!«

An den Stamm einer Birke gelehnt, blickte sie ihm nach und träumte weiter den schönen, seligen Jugendtraum.

Ein Abendstrahl glitt durch das Geäst, legte sich auf ihren Scheitel, als wollte er sie trösten in ihrem Trennungsweh!

Sie löste das blaue Band aus dem Haar, knüpfte den Ring daran, schlang es um den Hals, drückte das Kleinod an die Lippen und verbarg es. Dann wollte sie gehen. Aber der Strauß! Blumen für »morgen«, hatte die Tante gesagt. Sie hatte ja nicht mehr an das »morgen« gedacht, und doch stand es so fest, so unverrückbar vor ihr. Das Glückeshoffen ist ein gar starker Bundesgenosse des jugendlichen Herzens. Alles Bangen, Sorgen zieht dahin wie leichte Wölkchen, welche die Sonne nicht auslöschen, nur verschleiern, damit die Helle nicht blendet.

Sie ging tiefer hinein in die Schlucht, aber der dürre Waldboden hatte nur wenig Blumen. Mühsam mußte sie suchen, eh' sie die Hand voll gefunden.

»'s blüht kärglich hier,« rief Franz ihr entgegen, »sieh, ich habe für dich gepflückt.« Er löste von seinem Hut den sorgfältig befestigten Strauß. »Du solltest ihn morgen haben, aber es ist besser so, denn manche vergeht an der Trennung von ihrem Ort.«

»Morgen, morgen,« rief ihr alles zu, immer lauter, immer dringender. Flüchtig streiften ihre Augen den zarten Strauß mit den seltensten Pirolas, die nur fern auf einer schattigen Höh' so kurze Zeit blühten.

Wie hatte sie sich sonst über diese Blumen gefreut.

»Gelt, du hast sie gern,« fragte er, die etwas matt gewordenen Köpfchen aufrichtend.

»Ja,« sagte sie befangen, »sie werden aber auch deine Mutter erfreuen, ich habe ja schon für mich gepflückt.«

Schweigend sah er sie einen Augenblick an, dann schleuderte er den Strauß von sich, als wären es Nesseln, die seine Hand gebrannt.

Wortlos ließ sie es geschehen. Die Blumen in ihrer Hand bebten.

»Nicht den Strauß verschmähst du,« sagte er bitter, »'s ist nur um die Hand, die ihn pflückte. Hedwig,« stieß er heftig hervor, »soll's denn wirklich vorbei sein, vorbei mit all meinem Glück? Kannst du mir nicht ein ganz klein wenig gut sein? Es war ja so schön, ach, gar zu schön, zu glauben, daß wir zusammengehörten.«

»Franz,« klang es wie ein Angstruf von ihren Lippen, dann verstummte sie wieder.

Er wollte das zitternde Mädchen an seine Brust ziehen, aber wie zu Tode erschrocken wandte sie sich ab.

»Ich bin dir noch heut gut wie in meiner Kindheit, Franz,« sagte sie, alle Kraft zusammenraffend, »habe nichts gewünscht, nichts gehofft – –, aber in dem Augenblick – – als er vor mir stand, da ist's gekommen, daß ich ihn so lieb, so herzlich lieb haben muß – und als er fortgegangen ist – da habe ich ...«

Eine heiße Blutwelle stieg auf in ihrem Herzen und ergoß sich über ihre Züge.

»Ein anderer, ein anderer,« stöhnte er, sein Kopf neigte sich auf die hastig atmende Brust, die Arme hingen schlaff herab, als wäre jede Spannkraft gelähmt.

Still war's um sie her; selbst der Wind war zur Ruh' gegangen.

Fühlte die alte Föhre das Weh der Menschenkinder? Sie ächzte, daß im Wipfel ein Vogel darüber erwachte, noch schlaftrunken, sanft und klagend sein Stimmchen erhob.

»Franz,« sagte sie, des noch immer Schweigenden Hand erfassend, »kannst du mir's nicht verzeihen?«

»Verzeihen?« lachte er kurz und spöttisch, »verzeihen, daß du so glücklich bist? – Eitler Tor, der ich war!! Gelt, er ist gekommen, der Prinz, von dem du früher so gern gehört, ja früher, jetzt ist das vorbei, vorbei mit all dem Zauber, vorbei für immer. Sollt 's mir auch besser ergehn wie dem Vater?!«

»Warum bist du noch hier,« sagte er, sie kummervoll anblickend, »geh', daß ich's lerne, wie's Leben ist, ohne dich!« – – »Aber«, fügte er hinzu, als sie zögerte, ich schulde dir noch den Glückwunsch: Sage deinem Prinz –, daß er dich immer und ewig lieben soll, wie – ihn wirst du doch nicht heimschicken, weil er nicht lassen kann, dich zu lieben – oder habe ich noch anderes verbrochen?

Ich möchte dir Freundlicheres sagen, aber welcher ehrliche Mensch vermag das, wenn der Dolch ihm in der Brust sitzt!«

Noch einmal streckte sie ihm bittend die Hand entgegen, und mechanisch reichte er ihr die eiskalte Rechte.

* * *

Als am Abend im Forsthause alles still geworden, saß Tante Lisbeth am Bett des fieberhaft erregten Kindes. Nur abgerissene Mitteilungen hörte sie, aber sie genügten, sich ein Bild zu fügen von ihrer Qual und ihrem Glück.

»Mag Gott geben, daß der Franz es überwindet,« sagte sie kummervoll! »Bete ein Vaterunser, Kind, und versuche zu ruhen. Ich hoffe, der Onkel schläft, es ist besser, er erfährt's erst morgen bei Sonnenlicht.«

* * *

Winter und Sommer hatten gewechselt, und wieder war es Herbst geworden. Still war's im Walde. Blätter, Blüten und Gräser, sie alle starben dahin!

Wohl grünte der Efeu an der Giebelwand des Forsthauses, aber die Schwalben, die am First genistet, hatten zögernd, traurig Abschied genommen von der trauten Heimstätte, und der Spatz, nicht achtend der mühsam gefügten Mauern des fremden Hauses, flog ein und aus.

Bei Försters war es vorbei mit all dem Frohsinn.

Onkel Behrend schien seine lustigen Waldgeschichten vergessen zu haben.

»Der Tag war mir so schwer, wie keiner mehr, seit die Margret aus dem Hause ging, hatte er gesagt, als er an jenem Tage aus Raden zurückkam.«

Es war, als wäre er kleiner geworden, und seine Worte klangen müd'!

Einen eigenen Sohn hätte er ja nicht lieber haben können wie den Franz. Und das Mädchen wollte nicht ablassen von seinem »tollen Wahn«! Wollte nicht? Wer hatte ihr in das Herz geblickt, gesehen, wie sie gerungen?

Aber wie am ersten Tage zog ihr Sinnen hin zu dem Geliebten, der immer noch nicht kam, keinen Gruß, keine Botschaft sandte. »Könnte ich die Gedanken an ihn dir aus dem Herzen nehmen, dann wollte ich ruhig sterben,« sagte Tante Lisbeth leis, als Hedwig an ihrem Krankenlager saß.

»Gott weiß, ob's nicht anders gekommen wäre, wenn auch ich auf des Onkels Seite gestanden hatte. Aber ich ließ mich bestechen. Er war ja vornehm. – –

Man vergißt's ja auch hier im Walde, daß es da draußen Menschen gibt, die sich's nicht anrechnen, wenn sie ein Kinderherz betören, nur, um sich eine müßige Stunde zu verkürzen.«

»Tante, Tante,« wehrte Hedwig, »klage nicht dich, nicht ihn an. Laß mir den Glauben, daß er's treu gemeint. Kann es nicht tausenderlei sein, was ihn von mir trennt? Will's Gott, daß es sich nicht fügt, wie ich gehofft, werde ich's tragen, aber Tante, nicht wahr, er hat's ehrlich gemeint.« – –

In bangen Sorgen um die Kranke vergingen die dunklen Wintertage.

Als die ersten Frühlingsstrahlen kamen, knospeten an geschützten Waldstellen die Leberblümchen und Anemonen, die Frau Försters Hügel schmücken sollten!

»Müssen nun sehen, Kind,« hatte der Onkel mit zitternder Stimme gesagt, »wie wir das Leben ohne sie ertragen. Schwer, sehr schwer ist's, wenn die getrennt sind, die so nah beieinander standen wie zwei Waldbäume, deren Wurzeln so verzweigt sind, daß über mein und dein nicht mehr gerichtet werden kann.«

Unter den Trauernden an der offenen Gruft hatte auch Franz gestanden. Nachdem er einmal wieder im Forsthause eingekehrt war, kam er öfter, dem hinfälligen Alten die langsam rinnenden Stunden zu kürzen.

Niemand hätte es merken können, daß die beiden jungen Leute eine Schranke trennte, die heiße Liebe und schmerzliches Versagen aufgetürmt. Oft schien es, als hätte die Trauer um die teure Tote die Vergangenheit ausgelöscht. Häufiger wurden die Besuche, als Franz des leidenden Försters Revier mit übernehmen mußte. So kamen die letzten Tage des Septembers, mild und schön, wie selten. Späte Knospen, denen sonst kein Blühen beschieden, entfalteten sich. Eine emsige Geschäftigkeit war in der Natur, als gälte es sonnigem Leben, aber nicht dem Tode entgegenzugehen.

Das freundliche Wetter tat dem Alten wohl. Er saß auch heut so frohgemut bei Hedwig unterm Nußbaum, und wußte »diesen späten Tagen« immer neue Tugenden nachzurühmen.

»Ja, wenn ich den Winter umgehen könnte,« bemerkte er, »würde es ganz leidlich um mich stehen. Wenn man jung ist, möcht' man ihn nicht missen, so wenig wie den Frühling. Der Wechsel tut's. Wer's daheim traulich hat, kann ihn schon ertragen. Spielt aber jeder Windstoß, jede Schneewolke einen Schabernack, bleibt er besser fort.« Hedwig stand auf, holte eine wollene Decke und wollte sie dem Onkel über die Füße breiten.

»Laß das Ding fort,« sagte er gereizt, »hatte mal einen Augenblick nicht an den gebrechlichen Alten gedacht. War mir so leicht zu Sinn, als wäre ich aus der verwitterten Haut geschlüpft, und nahm mir gerade vor, mich morgen einmal »da draußen« umzusehen. Lange werde ich ohnehin dort nichts mehr zu suchen haben. Die Arbeit wird bereits von anderen getan, gebe ja nur noch den Namen dazu her. Wenn der Franz nach mir hier sitzen könnte! Nun, sieh',« sagte er vergnügt, »da hinterm Zaun schimmert ja der grüne Rock.«

»Nur näher,« rief er, »eben sprach ich von dir.«

Bald saßen sie beisammen auf der Steinbank, wie in früheren Tagen. Hedwig erzählte, daß der Onkel wieder neuen Mut habe und hinaus in den Forst wolle.

»Ja,« sagte er, »mir ist's wirklich heut, als hätte ich mir ein Jahrzehnt abgeschüttelt! Weißt du, Hete,« wandte er sich zu dem jungen Mädchen, »ein guter Tropfen wird dem Franz nach seinem tüchtigen Marsch nicht übel bekommen. Hol' uns eine Flasche Johannisbeerwein.«

Sie war kaum über die Schwelle, als der junge Förster ein Schreiben hervorzog und es schweigend dem Alten reichte.

»Wie mich das freut, mein Sohn,« rief er mit zitternder Stimme, als er die ersten Zeilen gelesen hatte, »Gott gesegne es dir!«

.

Dann las er mit froher Miene zu Ende und reichte ihm die Hand. »Nur her, mit dem Trunk,« rief er fast übermütig, als Hedwig die Gläser brachte, »jetzt gilt es dem neuen Grabower Förster zuzutrinken!«

»Bist du es wirklich geworden,« sagte Hedwig freudig überrascht.

»Schwarz auf weiß steht's da,« sagte der Onkel, ihr das Schriftstück reichend. Noch lange plauderten sie miteinander, und manchmal leuchtete es freudig auf in des Alten Augen. Die schönen Tage von einst schienen zurückgekehrt zu sein, und unwillkürlich schaute er sich um, als warte er, daß seine Lisbeth über die Schwelle trete.

Der nächste Morgen war schön wie der vorhergehende.

»'s ist wirklich kein Tag, der einem das Abschiednehmen da draußen leicht macht,« sagte er wehmütig, »aber fort mit solchen Gedanken; ich will lieber dem Herrgott danken, daß er's Ende so schön bedacht.

Hast du mir auch ein Mahl fürs Getier eingesteckt? Wird's lange genug gemerkt haben, daß der Alte nicht mehr auf dem Platze ist. Halt' gut Haus, Kind, lange bleibe ich nicht aus. Mag's mit dem Nebel nicht mehr aufnehmen, würde doch den kürzeren ziehen.«

Hedwig schaffte emsig im Hause, und die Tagesstunden gingen ihr schnell dahin.

»Er hat's so gern,« sagte sie zur Mine, »wenn ich ihm ein Stückchen entgegengehe. Jetzt ist's fünf Uhr, in einer Stunde werden wir zurück sein.«

Längst war die Zeit verstrichen. Die Sonne hatte den Wald verlassen, selbst die Wipfel der höchsten Bäume standen im Dämmerschein. Der Onkel kam immer noch nicht.

Wie schade, daß wir uns verfehlt haben, dachte sie, plötzlich stehen bleibend, er wird den ebeneren Weg durch die Tannen gegangen sein. Eilig ging sie zurück, trat klopfenden Herzens in das Haus, den Onkel fand sie nicht.

Ohne auf die Vorstellungen der alten Mine zu hören, lief sie wieder hinaus in den Wald.

Auf dem Grunde war es längst dunkel. Dichte Nebel, die vom Elbstrom herüberzogen, verschleierten jetzt auch den Abendhimmel.

Jeden Nerv gespannt, tastete sie sich weiter, wenn knorrige Wurzeln und Gestrüpp den Weg versperrten.

Unerhört verhallte jeder Ruf. Regte sich's in ihrer Nähe, so war es ein Häschen, das im Lauf die dürren Waldblätter streifte, oder ein Raubvogel, der über dem Horst seine Schwingen prüfte.

Weiter und weiter lief sie in namenloser Angst. Ihre Füße versagen, aber sie darf nicht ruhen. Sie will rufen, aber der Ton erstickt. Wunderbar wird ihr zumut'; sie muß sich mit beiden Händen anklammern an den Buchenstamm, der gerad' im Wege steht, muß den Kopf anlehnen und dann gleitet sie zu Boden. Die marternden Gedanken sind verstummt. Sie sah es nicht mehr, daß ein flackerndes Flämmchen mühsam durch den Nebel schimmerte, sich hob und senkte, um nach Augenblicken aufzutauchen. Hörte auch nicht Neros schauerliches Winseln.

Langsam näherten sich jetzt Männer, die, einen leblosen Körper tragend, sorgsam auf den von einem Kienspan matt beleuchteten Weg achteten.

Plötzlich wurde das Winseln zu einem unheimlichen Geheul. Der Hund jagte vorwärts, bis er niederstürzte, wo seine Herrin still und stumm lag und all seine Liebkosungen unerwidert ließ. Erschrocken und unheilahnend hatten die Männer einander angeblickt.

»Wilmer,« rief Franz einem Holzknechte an seiner Seite zu, »komm' du an meine Stelle!«

Sanft ließ er den Kopf des Verunglückten in Wilmers Arme gleiten.

»Auch sie,« klang es erschütternd von seinen Lippen, als er bei dem huschenden Schein der Fackel die Züge der Ohnmächtigen erkannte.

Er zog seinen Rock ab, deckte ihn über sie zum Schutze gegen die feuchte Nachtluft.

Dann hob er sie auf und trug sie in seinen Armen dahin. Rief sie bei Namen, drückte sie an seine Brust, als könnte er an dem eigenen Leben den erlöschenden Funken wieder entzünden.

Endlich schlug sie die Augen auf, aber nur, um sie, wie ein im Schlummer gestörtes Kind, gleich wieder zu schließen.

Plötzlich wandte sie den Kopf, und ein herzzerreißender Schrei hallte durch die Waldesstille.

Erst matt, aber immer klarer, immer greller tauchte das Entsetzliche wieder vor ihrer Seele auf.

»Hedwig,« sagte Franz bewegt, »ich bin's, der Onkel lebt.«

Als hätten diese Worte ihr den Vollbesitz der Kräfte wiedergegeben, richtete sie sich auf; entwand sich seinen Armen und versuchte zu gehen. Aber der Wille war stärker als die Kraft, und hilflos mußte sie sich anlehnen, mußte es dulden, daß er sie hielt und stützte.

»Er lebt,« schluchzte sie leise, »nicht wahr, Franz, du täuschest mich nicht?!«

»Sei ruhig,« tröstete er sie, »du wirst ihn matt, sehr matt von seinem Unfall finden, aber wir dürfen hoffen, daß er's überwindet.

Gott sei's gedankt, daß der Hund meine Nähe witterte und mich zu ihm führte. Jetzt, liebe Hedwig, halte dich ruhig, später sollst du alles hören.«

Nacht war's, als endlich der Kranke auf seinem Bett lag.

Der Arzt hatte die Kopfwunde, auch nicht den Blutverlust für tödlich befunden, wohl aber gefürchtet, daß der Schlaganfall, der die Ursache des Falles gewesen, sich wiederholen könne.

Bleich saß Hedwig an dem Lager des Onkels, kühlte seine Stirn mit frischem Wasser, welches Franz unermüdlich herbeitrug.

Die alte Mine war von dem verzweiflungsvollen Warten auf den Herrn und ihr herziges Fräulein so erschöpft, daß sie zusammengekauert auf einer Fußbank in einer Ecke des Krankenzimmers eingeschlafen war.

Bang klang das »Piu« des Käuzchens, das, vom Lichtschein angelockt, auf dem Nußbaum vor dem Fenster nach Beute spähte.

Jetzt fuhr ein Windstoß durch die Blätter. Klang es dem Kranken wie Waldesrauschen!?

Er wandte den Kopf, als wollte er lauschen.

»Es wird besser,« sagte Hedwig leise zu Franz. Wieviel hatte sie dem treuen Freunde zu danken.

Der Kranke schlug die Augen auf! Jetzt durfte sie hoffen und mit innigstem Dankgefühl reichte sie dem Freunde die Hand.

Der Kranke sah es. Ein glückliches Lächeln verklärte seine Züge. Er hob die Hand, als wollte er die Teuren, die er vereint gesehen, segnen, aber matt fielen sie auf die Kissen, und wieder schlossen sich die Augen zum Schlummer.

»Ruhe dich jetzt ein wenig, Hedwig,« bat Franz, »augenblicklich bedarf es deiner nicht; die kommenden Tage werden noch viel von dir fordern.« Sie mußte sich fügen. Die Bilder der letzten Stunden verblaßten, wurden matter und matter, bis in sanftem Schlummer alles Leid vergessen war. Kaum ein Stündchen war verflossen, als Mine vor ihr stand, sie rüttelte, daß sie erwachte. Ohne auf ihre Worte zu hören, eilte sie an ihr vorüber in das Krankenzimmer.

Der Kopf des Sterbenden lehnte an des jungen Freundes Brust. Die Augen waren geschlossen, und nur ein leises Röcheln verriet, daß das Leben noch nicht geschieden war.

Stirn und Hände mit Küssen bedeckend, schlang sie die Arme um seinen Hals. Noch einmal regte er seine Lippen, aber sie blieben stumm.

Der Teure ging heim! – – –

* * *

»Kommen Sie zu uns, liebe Hedwig,« sagte der Pfarrer Reimann, als er mit der Trauernden vom frischen Hügel des Entschlafenen zurückkehrte.

»Wenn Sie ruhiger geworden sind, wollen wir gemeinsam an Ihre Zukunft denken. Getrost, Kind, der Vater droben wird Sie nicht verlassen.«

Vermag Teilnahme den Schmerz zu lindern, so mußte es hier im Pfarrhause geschehen.

Und doch war es, als müsse die Arme zusammenbrechen unter der Last des Kummers.

War es nicht ein Wahn, mit dem der teure Tote von ihr geschieden? Mußte sie nicht das, was das Sterben ihm erleichtert, seine Züge im Todeskampf verklärt hatte, zur Wahrheit machen?

Heilige Pflichten hatte sie gegen den, der einst die arme Waise aufgenommen, ihr Liebe, unaussprechlich viel Liebe geschenkt.

Alles, was sie sann, waren Worte, die sie Franz sagen wollte, morgen, heut', sobald er kam. Sie konnte ihnen nicht mehr entfliehen, den stürmenden Gedanken, die von Tag zu Tag drohender wurden, in den schlummerlosen Nächten sie ängsteten, daß sie matt, todesmatt war.

Stand er vor ihr, bebte sie zurück vor dem, was sie vor Stunden so fest gelobt hatte. Wie sollte dieser heiße Kampf in ihrem Herzen enden?

Wieder hatte sie eine Nacht durchwacht. Wie mit eisernen Griffen hatten die quälenden Gedanken sie erfaßt. Heut', heut' mußte es geschehen.

Sie sah ihn kommen, wollte ihm entgegengehen, ihm sagen: »Hier, nimm dieses elende Stückwerk; das fröhliche, liebende Herz, welches du einst begehrt, hat ein anderer mit hinausgenommen in die weite Welt, und immer und ewig wird's sein bleiben.« Ach, waren es wirklich so grausame Worte, die sie sagen mußte, ihm, dem Guten, Treuen? Wenn sie es ihm verschwieg, daß ihr Herz noch dem anderen gehörte! Wenn sie ihn glauben ließ, daß er ihre Liebe errungen? Ihn täuschen?

Nein, nein, nimmermehr! Sollte ihr Herz brechen in all der Qual, wahr mußte es bleiben! Jetzt stand sie vor ihm. Ihre bleichen Lippen bebten –, aber – sie blieben stumm!

* * *

Schon blühten die ersten Rosen, und am weißgetünchten Giebel des Pfarrhauses nickten die zierlichen Weinranken.

»Jetzt mußt du fangen, Tante Hedwig,« rief der kleine Ernst, seinen Ball in das offene Fenster werfend, an dem Hedwig und Johanna mit einer Handarbeit beschäftigt saßen.

Plötzlich ließ er den Ball im Stich, lief nach der knarrenden Gartenpforte und rief: »Onkel Förster, Onkel Förster,« hängte sich an seinen Arm und begleitete ihn bis in die Studierstube des Vaters.

»Tante,« rief er nach einiger Zeit hinauf, »Papa möchte dich sprechen.«

»Neckst du wieder, kleiner Schelm?« sagte sie, mit dem Finger drohend.

»Papa hat es wirklich gesagt,« versicherte er würdevoll.

Die beiden jungen Mädchen wechselten Blicke, und errötend beugte Johanna sich auf ihre Arbeit.

»Also übers Meer soll's gehen, mein Töchterchen,« redete der Pfarrer die Eintretende scherzend an. »Müssen's nun schon aufgeben, daß wir Sie als Trägerin der Zivilisation zu den »höhern Töchtern« der Kameruner senden.

Einige Briefe, von denen ich Ihnen bis heut nichts verraten durfte, und das, was unser lieber Förster mir mitgeteilt, lassen mich nicht mehr zweifeln, daß der Inhalt dieser Zeilen Sie beglücken wird.

So, Kind,« sagte er, ihr einen geschlossenen Brief reichend, »dieser ist für Sie. Lesen Sie ungestört, wir werden in der Zeit nach der Baumschule sehen.«

Da stand sie nun, das Siegel war geöffnet, und aus den Zeilen brach's hervor wie eine Flut goldnen Sonnenlichts.

Auge und Herz vermochten kaum die Worte zu fassen. Und doch, es war kein Traum, sondern Wirklichkeit, glückselige Wirklichkeit.

»Heut' darf ich sagen, Geliebte, so Gott will, auf Wiedersehen, bald, recht bald.

Ich frage nicht, ob Du mir folgen willst, bis hierher, wo ein stilles Häuschen unter lichten Baumkronen steht, fast so einsam, wie in Deinem Walde. Ich weiß es. Ob Deine Zeisige und Amseln es mir zugetragen?

Als wir vor Jahren schieden, ahnte ich nicht, daß mein Schifflein, welches damals so leicht auf den Wellen schaukelte, so bald zerschellen würde an den Schicksalsschlägen, die mein Vaterhaus trafen. Mein Studium mußte aufgegeben werden.

Was sollte ich hier anfangen mit den Lappen und Läppchen meines Wissens, die nimmer einen anständigen Examenfrack geben konnten.

»Nach drüben« war die Losung der Tage –, und ich ging.

Laß mich schweigen von allem Elend, von den Enttäuschungen, die oft stärker waren als ich. So Gott will, stehe ich jetzt fest. Mir fehlt nur noch meine traute Kleine, die mir treu geblieben, wie sie's gelobt!« – – –

* * *

Als Hedwig den Brief zu Ende gelesen, ihn immer und immer wieder an die Lippen gedrückt, kniete sie nieder, und auf ihre gefalteten Hände fielen Freudentränen. –

»Im Frühling wird er dich holen?« fragte Franz, als sie nach einigen Tagen am Grabe des Onkels standen.

»Kurze Zeit,« sagte sie sinnend, »wenn ich denke, daß ich dann die Heimat für immer verlassen soll, aber,« fügte sie zögernd hinzu, »lang genug, um ein junges Mädchen zu unterweisen in dem, was – – einer braven Förstersfrau unentbehrlich ist.« Sie lachte so fröhlich, als wären sie beide Kinder. »Siehst du, Franz, heut' danke ich dem lieben Gott so innig, daß für das, was ich dir geben konnte, ein Herz dir gehören wird, das deiner würdig ist. Nicht wahr, mir deine Freundschaft und – – einer andern – deine Liebe!«

* * *

Wieder hatte der Wald sich geschmückt. Dunkles Eichengrün wölbte sich über üppigen Talgrund. Birken mit ihren wehenden biegsamen Zweigen trieben ihr neckisches Spiel mit den Lüften, daß die Alten darob ihre Häupter wiegen.

Wundern sie sich der jugendlichen Kurzweil? Oder denken sie der Zeit, da sie mit den Anemonen und Glockenblumen Liebesworte eingetauscht? Ernst schauen sie von dem bunten Leben zu ihren Füßen hinauf zu dem unerreichbaren Gezelt, dem sie die Sonne verdanken.

An der Fahrstraße, die den Wald durchschneidet, hält ein Wagen. Ein junges Paar steigt aus. Schweigend gehen sie den kurzen Weg zum Waldbach.

»Hier, unter diesem Eichbaum,« jubelte Karl, »fand ich meine kleine Waldfee!« Innig schloß er sein junges Weib in die Arme.

»Wollen wir nicht einen Zweig abbrechen für unser Mütterchen,« sagte er, ihr in die feuchtschimmernden Augen blickend. »Auf unserer Hochzeitsreise werden wir den Hügel finden, auch ohne den Zaubervogel.«

Hand in Hand gingen sie zum Wagen, und noch einmal rückwärts schauend sangen sie mit voller Stimme:

»Schirm' dich Gott, schirm' dich Gott,
Du deutscher Wald!«

Sommerfäden, Verlag F. Fontane & Co., Berlin.


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