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Der Kriegsheld.
Novellette von Peter Rosegger

Ich hatte über vierzig Jahre lang einen Freund, der mich beständig verachtete. Das erstemal verachtete er mich im Jahre 1866, als ich ausgerufen hatte: »Gott sei Dank, daß ich nicht Soldat bin. Sonst müßt ich in den Krieg!« Er, der Malm, wäre so gern dabei gewesen, war aber noch viel zu jung. Ob es gegen Franzosen ging oder gegen Deutsche, das war ihm gleich – nur raufen! – Im Jahre 1870 ging der Malm zu Fuß nach Bayern, kam aber zu Fuß wieder heim. Er war noch immer zu jung und fremde Freiwillige konnten sie nicht brauchen. Mich lobte er, daß ich den deutsch-französischen Krieg besang, und verachtete mich, daß ich nicht dazugehen wollte. – Bei der bosnischen Okkupation endlich da war er dabei, war in wenigen Wochen Leutnant, erstürmte mit Bravour eine Bosnabrücke, bekam bei der Einnahme von Serajewo einen Schuß in den Oberarm und kehrte als Hauptmann heim mit strahlendem Gesicht. – Der Arm heilte so gründlich wieder, daß er eine kleine Näherin umarmen konnte. Das war ein niedliches Persönchen, voll friedfertiger Heiterkeit, und dieses verachtete er nicht. »Der Mann,« sagte er, »muß kriegerisch sein, sonst ist er kein Mann; das Weib aber muß sanft sein, sonst ist es kein Weib.«

Der Hauptmann Malm hätte die Näherin gleich geheiratet, wenn er nur schon fünfzig Jahre alt gewesen wäre. »Vor dem fünfzigsten Jahr hat der Mann nicht Zeit für die Weiber, da muß er Krieg führen.« Nun war aber verzweifelt lange kein Krieg. In den Balkanländern ging's wieder einmal los. Der Hauptmann zog hin und kam nach einem Jahr wieder zurück mit gespaltener Nase und einem Tapferkeitszeichen an der Brust, das ihm Fürst Battenberg persönlich angeheftet hatte. Die Nase heilte, behielt aber eine Form, die des Kriegers Gesicht noch martialischer machte. Die kleine Näherin bestand auch schon fest auf ihrer Sache und sagte, sie wolle endlich heiraten, ehe man ihr den Mann vollends zerfleische! So verlobten sie sich, und es waren schon die Hochzeitsspielleute bestellt, da brach unten im heißen Afrika der Burenrummel los. Der Hauptmann packte zusammen und fragte mich allen Ernstes, ob ich nicht mitwolle. Ich würde doch meinen lieben deutschen Bauern dort zu Hilfe kommen wollen. Wollte ich aber lieber Kultur nach Süden tragen, so könnte ich ja mit den Engländern gehen. Ich blieb bei Muttern daheim, und da verachtete er mich wieder. Auf meine Abschiedsfrage, ob er es mit den Engländern oder mit den Buren halte, lautete seine Antwort, das wisse er noch nicht; bei denen es halt am meisten zum Zuschlagen geben werde.

Nach sechzehn Monaten kam der Hauptmann Malm zurück. Er brachte nur einen Fuß mit, der andere lag irgendwo im Wüstensande. Er war im Transvaal mit noch dreiundzwanzig Buren von den Engländern gefangen genommen worden. Da hatte er die zwei Wächter seines Extrazimmers erwürgt, in Freiheit sofort einen Trupp Buren gesammelt und die übrigen dreiundzwanzig Gefangenen herausgeschlagen. Nun, und dabei war sein linkes Bein futsch gegangen. – Es war ein dreifüßiges Paar, das nun zu Falkenbach getraut wurde; die Näherin stand neben ihm wie ein Mäuslein neben dem Kater. – Sie hatten eine kleine Landwirtschaft, und statt Gewehr und Säbel wollte der Hauptmann nun in Gottes Namen den Spaten in die Hand nehmen. Aber die Kleine litt es nicht. Er habe sein Lebtag zugehauen genug, er solle es sich mit dem Stelzfuß aus der Ofenbank gut sein lassen; sie werde die Wirtschaft schon besorgen. Dagegen lehnte sich der alte Soldat heftig auf, aber er wurde zurückgeschlagen. Wo er eine Arbeit anfassen wollte, da war sie schon getan; wo er kommandieren wollte, da war die Sache schon ausgeführt. Allerdings nicht immer genau nach seinem Dafürhalten. Ihm blieb nichts übrig, als zu essen, zu trinken und auf der Ofenbank zu liegen. Nun erst merkte der Hauptmann Malm, in welch schimpfliche Gefangenschaft er geraten war. Er riß zornig an der Kette, aber sie war nicht von Eisen, das zerspringen kann, sie war weich wie Gummi, gab jedem Riß stille nach, um sich nachher allemal wieder fest zusammenzuziehen. So sorgte das Weibchen mit sanftmütiger Heiterkeit für alles, was er brauchte, so deichselte sie die Wirtschaft im großen wie im kleinen ganz nach ihrem Willen, immer in scheinbar größter Nachgiebigkeit und Güte, »um ihn zu schonen und sein Leben zu versüßen«.

Da brach der russisch-japanische Krieg aus. Und eines Tages humpelte der Hauptmann in den Kuhstall, wo die kleine Frau mit dem Sechter unter dem Kuheuter saß, und sagte: »Lina, gib mir das Geld!« – »Wirst es schon einmal kriegen,« antwortete sie. »Lina, ich brauche es jetzt. Brust, Aug und Hand ist mir noch gesund, ich gehe mit den Russen. Gib mir Geld!« – »Aber Kind, du weißt ja, es ist keins mehr da, ich habe doch die Wiese gekauft!« Jetzt brach die Soldatenwut los; aber die Kleine fing den schweren Arm auf, zog ihn herab, zog herzig lachend den ganzen Mann zu sich herab, legte ihm die Arme um den Hals, befeuchtete alle Gegenden seines Gesichtes mit Tränen und mit Küssen und schluchzte: »Mein lieber, herzallerliebster Mann, du darfst mir nimmer fort, nimmer, nimmer, schau, du bist mein allerliebster Mann!« Da blieb er und war etliche Minuten sehr glücklich.

So lebten die beiden Leute dahin im tiefsten Frieden. Alle Nachbarschaft beneidete den Hauptmann um sein häusliches Glück, wie es nicht jeder genoß. Und einmal, als ich ihn besuchen wollte, fand sich sein Haustor versperrt. Er schaute zum vergitterten Fenster heraus und berichtete, daß seine Frau, die auf dem Felde sei, ihn eingesperrt habe, weil er ihr liebster Schatz wäre, der ihr leicht gestohlen werden könnte. Als wir durch das Fenster so ein wenig geplaudert hatten, sagte der Hauptmann jäh: »Mußt mir verzeihen, alter Freund, daß ich oft gesagt habe: ich verachte dich. So schmählich ist ja doch keiner in die Gefangenschaft geraten als ich. Hilf mir zur Flucht.« Das braune Antlitz des Kriegers war weinerlich entstellt, aber ich wußte für sein Elend keinen Rat als den boshaften, erst die Kriegsgefangenen auszutauschen, so daß er sie und sie ihn freigibt. – Er sie? Er sie freigeben?! – Jetzt war's gut, daß das Tor verschlossen und das Fenster vergittert war, er stürzte drinnen nach seinem Säbel, er hätte mich gespalten. – Daraufhin bin ich beruhigt meines Weges gegangen.

Seither getraue ich mich nicht mehr zu ihm. Was man aber so nebenbei erfährt, hat der tapfere Hauptmann vor seiner kleinen Frau endgültig kapituliert.


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