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Zum aller-allererstenmal hatte er sie zu einer sehr frühen Morgenstunde vor dem Schaufenster einer Blumenhandlung am Kurfürstendamm gesehen. Ein schlanker Rücken, im Nacken goldene Löckchen, vom Lufthauch mutwillig bewegt; grausilbernes Schleiergewölk, das wie Nebel um einen Stern schwebte und schwoll – Mit drei Schritten war er neben ihr gewesen, um ebenfalls – Blumen zu betrachten.
Sie hatte geradezu kokettiert mit den Veilchen, den Narzissen, den Orchideen, – schon streckte sie die Hand nach dem Türgriff aus, wollte eintreten –, da drängte sich ein vor Alter zitterndes Weib an sie heran, ihr einen regenverwaschenen Korb hinhaltend: »Maikätzchen, Maikätzchen, scheenes Freilein. Koofen Se mir wat ab, – hab' noch keen Handjeld –«
Sofort hatte sie sich umgedreht; Schelmengrübchen vertieften sich in ihren Wangen, die Flügel ihres kurzen Näschens vibrierten, – sie sah aus, als sei ihr etwas Lustiges eingefallen.
Flink griff sie in ihre Geldtasche, nahm ein blankes Dreimarkstück heraus und ließ es in den Blumenkorb gleiten. »Her mit dem ganzen Segen,« rief sie lachend, umspannte geschickt die große Garbe und schritt weiter, die Wimpern senkend vor dem Sonnenstrahl und – dem Blick, der sie soeben getroffen.
Die Maikätzchen pendelten um sie her wie graue Schweifchen, – ihre Locken hoben und senkten sich –, langhin wehte der silberne Schleier.
Der junge Mann fing an, seine Verfolgung ein wenig bemerklich zu machen. Er eilte vorwärts, drehte sich dann plötzlich um, einen feuerbeladenen Augenpfeil abschießend, – aber alles in ritterlichster, gehaltenster Form, voller Ehrerbietung, – wie gezwungen.
Sie schien nicht böse zu sein, wenn sie auch eilte, als habe sie Flügel an den schmalen, grauen Lackschuhen. Freilich, ihr Weg war der weiteste, führte sie bis in die Grunewald-Kolonie hinein, an stolzen und schlichten Landhäusern vorüber, – vorüber an roten Fichtenstämmen, die mit Maiwuchs prunkten und prahlten.
Plötzlich machte sie vor einem Eisengitter halt, lief behend durch ein Vorgärtchen und verschwand unterm Portikus einer von Kastanien beschatteten Villa, ohne sich nur einmal umzuschauen.
Wie festgewurzelt stand der junge Mann. Die Kastanien hatten unzählige Blütenkerzen aufgesteckt, als wollten sie einen Geburtstag feiern mit ihrer weißen und roten Pracht; auch an den Fenstern der Villa blühte es von allerlei Sträußen. Vielleicht hatte die junge Schönheit Geburtstag heut – – Maikätzchen!
Da schien es, als würde leise, ganz leise eine Balkontür geöffnet – eine grausilberne Garbe schob sich durch den Spalt – es pendelte wie von neckisch bewegten Schweifen – – Maikätzchen! –
Über das Gesicht des jungen Mannes glitt ein Leuchten. Er atmete tief – Frühling! Frühling! Lenzespracht! Sonnenwunder! –
Von da an belagerte er die Grunewald-Villa förmlich. Zeit genug hatte er, – war er doch gerade aus dem Assessorexamen gestiegen. Nun konnte er abermals eine Prüfung ablegen, – in der Geduld. Acht Tage dauerte es, ehe er sein »Maikätzchen« wiedersah.
Der Schleier wehte nicht mehr; auf einem durchsichtigen Hut wiegten sich Blumen, – ein ganzes Beet. Das junge Mädchen öffnete sofort den Sonnenschirm, obgleich sie sich auf der Schattenseite hielt. Heut ging sie lässig, kein lustiger Blick streifte ihren jungen Verfolger. Als sie seine Anstrengungen, sich bemerklich zu machen, wahrnahm, rief sie ein leer vorüberfahrendes Auto an und stieg mit der Würde einer beleidigten Königin ein.
Entgeistert stand der Assessor, doch nicht entmutigt. Maikätzchen pendeln im Wind –! Frauenlaunen, – wer wäre ihnen je entronnen –!
Bereits der nächste Morgen sah ihn die Villa umkreisen. Am Himmel hing leichtes Gewölk, – ein paar Tropfen sprühten –, da brach die Sonne durch. Maikätzchen lief munter durch den Vorgarten, silbrig umschleiert. An der Gittertür hielt sie sich einen Augenblick auf, – als sie ihren jungen Verehrer bemerkte, vertieften sich die Schelmengrübchen in ihren Wangen, – etwas spitzbübisch wollte es ihm scheinen.
Nun begann ein regelrechter kleiner Flirt. Heut ging sie auf der Sonnenseite, – alle Wolken hatten sich zerstreut, – ein Duft von Jugend umflog sie, – sie wiegte sich in den Hüften, sie schwebte.
Vor der Auslage der Blumenhandlung am Kurfürstendamm machten die flinken Füßchen zum ersten Male halt. Veilchen, Narzissen, – Orchideen –!
Einer Erleuchtung folgend, trat der Assessor in den Laden. Eine Garbe wundervoller, halbaufgesprungener Rosen im Arm kehrte er zurück und überreichte sie mit bittendem Lächeln dem »Maikätzchen«.
Wie ihr die Augen leuchteten! Sie neigte stumm den Kopf. Dann eilte sie weiter, die Blumen im Arm. Als wären Lebensschleusen in ihr geöffnet, so eilte sie. Die Sonne zog Funken aus ihrem Haar und ihren Augen.
* * *
Drei Tage später.
Maikätzchen tritt aus der Gartentür, schlendert die Straße entlang. Diesmal geht sie nicht stadtwärts, – schlägt die Richtung nach dem Wald ein, verliert sich in den Kuscheln.
Dem jungen Menschen, der sich hinter einem Baumstamm etwas versteckt gehalten hat, schlägt das Herz zum Zerspringen. Ob sie ihm Gelegenheit geben will, sie anzusprechen? – Ob sie ihm danken will für die Rosen?
Sonnenlichter tanzen über den Weg, den Maikätzchens Sohlen streifen, – geschmeidig schiebt sie sich durchs Unterholz. Jetzt tritt sie auf eine Lichtung.
Den Hut ehrfurchtsvoll lüftend, murmelt der Assessor seinen Namen – –
Da trifft ihn ein Blitz aus weit offenen, zu Tode erschrockenen Augen, – ein gellendes Angstgeschrei ertönt, – er sieht ein goldenes Kreuz funkeln auf stürmisch atmender Brust. »Zu Hilfe, zu Hilfe –!« Ein Davoneilen, ein Sichretten – –
Vor Schreck erstarrt steht der junge Mann.
Da geschieht das Unerhörte.
Während die Flüchtende noch in voller Deutlichkeit wahrnehmbar ist, tritt aus blühenden Büschen – das Maikätzchen. Mutwillig flattern ihre Locken, wie Nebel um einen Stern schwebt und schwillt der graue Schleier – –
Langsam greift der Assessor an seine Stirn. Steht er im Begriff, den Verstand zu verlieren?
Da klingt eine junge, helle Stimme an sein Ohr. Die Worte tragen Gelächter, kaum zu bändigen. »Sie, – ach Sie, – Sie haben sich meiner Schwester vorgestellt! Wir – wir sind doch Zwillinge, – Maikätzchen – einander so ähnlich, daß selbst die Eltern uns verwechseln! Neulich hatten wir Geburtstag, da hing die Mutter zur Unterscheidung der Mieze ein Kreuz um den Hals, und mir – ein Herz –«
Er wirft seinen Hut hoch in die sonnenfunkelnde Luft. »Und heut bekommen Sie noch ein zweites, – meins, meins! Hier leg' ich's Ihnen zu Füßen –« langsam läßt er sich aufs Knie nieder, – »wollen Sie's aufheben und mich dazu?«
Der Duft des keuschen Waldes über zwei jungen Stirnen, neckender Wind, Sonnenglast. Zitternde Atemzüge, aufrauschende Blutströme, – Frühling! Frühling!