Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Es war einmal ein König, der hatte einen Sohn, der leidenschaftlich die Jagd liebte. Er erlaubte ihm oft dieses Vergnügen; aber er hatte seinem Großwesire den Befehl erteilt, ihn stets zu begleiten und ihn nie aus den Augen zu verlieren.
Eines Tages hatten auf einer solchen Jagd die Jäger einen Hirsch angeschossen, und der Prinz, im Wahne, daß der Wesir ihm folgte, sprengte dem Tiere nach. Er ritt so lange, und seine Hitze führte ihn so weit weg, daß er sich endlich allein sah. Er hielt an, und als er bemerkte, daß er den Weg verloren hatte, wollte er auf seiner Spur zurückkehren, um wieder zu dem Wesir zu kommen, der nicht schnell genug war, ihm so nahe zu folgen; aber er verirrte sich.
Indem er so, ohne eine bestimmte Richtung zu halten, hin- und herlief, traf er neben einem Wege eine ziemlich wohlgebildete Frau, die bitterlich weinte. Er hielt den Zügel seines Pferdes an und fragte diese Frau, wer sie wäre, was sie so allein an diesem Orte täte, und ob sie seiner Hilfe bedürfte.
»Ich bin,« antwortete sie, »die Tochter eines Königs von Indien. Indem ich auf dem Felde spazieren ritt, bin ich eingeschlafen und vom Pferde gefallen. Mein Pferd ist entlaufen, und ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.« Der junge Prinz hatte Mitleid mit ihr und bot ihr an, sich hinter ihm auf sein Pferd zu setzen, was sie auch annahm.
Als sie zu einer Hütte kamen und die Prinzessin zu erkennen gab, daß sie eines gewissen Bedürfnisses wegen gern absteigen möchte, hielt der Prinz an und ließ sie hinunter. Er stieg auch ab und näherte sich der Hütte, sein Pferd am Zügel haltend. Denkt Euch seine Überraschung, als er die Frau drinnen folgende Worte aussprechen hörte: »Freuet euch, meine Kinder, ich bringe euch einen wohlgebildeten und recht fetten Knaben.« Und andere Stimmen antworteten ihr alsbald: »Mama, wo ist er? damit wir ihn sogleich essen; denn wir haben großen Hunger.«
Der Prinz brauchte nicht mehr zu hören, um die Gefahr zu erkennen, in welcher er schwebte. Er sah wohl, daß die Frau, welche sich für die Tochter eines Königs von Indien ausgegeben hatte, eine Ogerin war, d. h. das Weib eines dieser wilden Geister, welche Oger genannt werden und sich tausend Listen bedienen, um die Vorübergehenden zu fangen und zu fressen.
Er ward von Furcht ergriffen und warf sich schleunigst auf sein Pferd. Die vorgebliche Prinzessin trat in diesem Augenblicke wieder heraus, und als sie sah, daß ihr der Fang fehlgeschlagen war, rief sie dem Prinzen zu: »Fürchtet nichts! Wer seid Ihr und was suchet Ihr?« – »Ich habe mich verirrt,« antwortete er, »und ich suche meinen Weg.« – »Wenn Ihr Euch verirrt habt,« sagte sie, »so befehlet Euch Gott, er wird Euch aus der Verlegenheit ziehen, in welcher Ihr Euch befindet.«
Hierauf hob der Prinz die Augen gen Himmel ...
Aber, Herr,« sagte Scheherasade bei dieser Stelle, »der anbrechende Tag legt mir Stillschweigen auf ...«
Schachriar, neugierig, die Entwickelung dieser Geschichte zu hören, verlängerte abermals das Leben der Scheherasade.
Dinarsade hatte so große Lust, das Ende von der Geschichte des jungen Prinzen zu hören, daß sie in dieser Nacht früher als gewöhnlich erwachte. »Meine Schwester,« sprach sie, »ich bitte dich, vollende die gestrige Geschichte. Ich nehme so großen Teil an dem Schicksale des jungen Prinzen, und ich sterbe vor Furcht, daß er von der Ogerin und ihren Kindern gefressen werde.«
Nachdem Schachriar dasselbe verlangen bezeigt hatte, sagte die Sultanin: »Wohlan, Herr, ich will Euch von dieser Furcht befreien.
Als die falsche Prinzessin von Indien dem jungen Prinzen geraten hatte, sich Gott zu empfehlen, dachte er wohl, daß sie es nicht aufrichtig mit ihm meinte, sondern daß sie ihn schon als ihre gewisse Beute ansah, aber er hob die Hände gen Himmel und sprach: »Herr, der du allmächtig bist, wirf dein Auge auf mich und befreie mich von dieser bösen Feindin.«
Auf dieses Gebet trat das Weib des Ogers in die Hütte zurück, und er entfernte sich schleunig von ihr. Glücklicherweise fand er seinen Weg wieder und kam gesund und wohlbehalten bei dem Könige, seinem Vater, an, welchem er Stück für Stück die Gefahr erzählte, in welche er durch die Nachlässigkeit des Wesirs geraten war. Der König, erzürnt über seinen Minister, ließ ihn auf der Stelle erdrosseln.«
*
»Herr,« fuhr der Wesir des griechischen Königs fort, »um auf den Arzt Duban zurückzukommen: das Vertrauen, das Ihr auf ihn habt, wird Euch verderblich sein; ich weiß von guter Hand, daß Eure Feinde einen Kundschafter ausgeschickt haben, um Euer Majestät nach dem Leben zu trachten. Er hat Euch geheilt, sagt Ihr: aber wer kann Euch das verbürgen? Er hat Euch vielleicht nur scheinbar geheilt und nicht gründlich. Wer weiß, ob dieses Mittel mit der Zeit nicht eine schädliche Wirkung tut?«
Der griechische König, welcher wenig Mutterwitz hatte, war nicht scharfsinnig genug, um die boshafte Absicht seines Wesirs zu durchschauen, noch war er standhaft genug, um in seiner ersten Gesinnung zu beharren. Diese Rede machte ihn wankend. »Wesir,« sagte er, »du hast recht: er kann ausdrücklich deshalb hergekommen sein, mir das Leben zu nehmen, was er sehr wohl durch den bloßen Geruch eines seiner Säfte bewirken könnte. Wir müssen überlegen, was unter diesen Umständen zu tun ist.« Als der Wesir den König in der Stimmung sah, in welcher er ihn haben wollte, sagte er zu ihm: »Das sicherste und das schleunigste Mittel, Euch von dieser Furcht zu befreien und Euer Leben in Sicherheit zu setzen, ist, auf der Stelle den Arzt Duban holen zu lassen und ihm, sobald er kommt, das Haupt abschlagen zu lassen.«
Der König rief sogleich einen seiner Beamten und befahl ihm, nach dem Arzte zu gehen, welcher auch, ohne zu wissen, was der König wollte, eilig in den Palast kam.
»Weißt du wohl,« sprach der König, als er ihn sah, »weshalb ich dich hierher gefordert habe?« – »Nein, Herr,« antwortete er, »und ich erwarte, daß Euer Majestät geruhe, mich davon zu unterrichten.« – »Ich habe dich kommen lassen,« fuhr der König fort, »um mich von dir zu befreien, indem ich dir das Leben nehme.«
Es ist nicht möglich, das Erstaunen des Arztes auszudrücken, als er sein Todesurteil aussprechen hörte. »Herr,« sagte er, »welche Ursache kann Euer Majestät haben, mich töten zu lassen?« – »Ich weiß von guter Hand,« erwiderte der König, »du bist ein Kundschafter und nur deshalb an meinen Hof gekommen, um mir nach dem Leben zu trachten; aber um dir zuvorzukommen, will ich dir das deine rauben. – Hau zu,« sprach er zum gegenwärtigen Scharfrichter, »und befreie mich von einem Verräter, der sich bloß hier eingeschlichen hat, um mich zu ermorden.«
Aus diesem grausamen Befehl erkannte der Arzt wohl, daß die Ehren und Wohltaten, welche er vom König empfangen hatte, ihm Feinde erweckt hatten, und daß der schwache König sich von ihren Vorspiegelungen hatte einnehmen lassen. Es gereute ihn, daß er ihn vom Aussatze geheilt hatte, aber diese Reue kam jetzt zu spät.
»Auf solche Weise also,« sprach er zu ihm, »belohnt Ihr mich für die Wohltat, welche ich Euch erzeigt habe?«
Der König hörte nicht auf ihn und befahl dem Scharfrichter zum zweitenmal, den Todesstreich zu tun.
Der Arzt legte sich nun aufs Bitten. »Ach, Herr,« rief er aus, »laßt mir noch länger das Leben, damit Gott das Eure verlängere: laßt mich nicht töten, aus Furcht, daß Gott Euch nicht dasselbe widerfahren lasse!«
Der griechische König erwiderte ihm hartherzig: »Nein, nein, es ist durchaus notwendig, daß ich dich umbringen lasse. Du könntest mir noch geschickter das Leben nehmen, als du mich geheilt hast.«
Der Arzt zerfloß in Tränen, beklagte sich bitterlich und bereitete sich, den Todesstreich zu empfangen, indem er zum Könige sprach: »Das also ist mein Lohn für den Dienst, welchen ich dir erzeigt habe, und du willst mir deine Erkenntlichkeit auf dieselbe Art beweisen, wie einst das Krokodil tat.«
»Erzähle mir,« unterbrach ihn der König, »die Geschichte dieses Krokodils.« – »In diesem Augenblicke,« erwiderte der Arzt, »kann ich sie dir nicht erzählen: aber laß mir das Leben, und Gott wird es dir vergelten und das deine verlängern.«
»Nein,« rief der König aus, »du mußt sterben.«
Der Scharfrichter verband ihm die Augen, fesselte ihm die Hände und zog sein Schwert.
Da wurden die gegenwärtigen Hofleute von Mitleid bewegt und flehten den König um Gnade für ihn an; sie versicherten, daß er unschuldig wäre, und verbürgten sich für seine Unschuld.
Der König aber war unerbittlich und sprach auf solche Weise zu ihnen, daß sie nichts zu erwidern wagten.
Der Arzt, auf den Knieen, mit verbundenen Augen und bereit, den Streich zu empfangen, der seinem Leben ein Ende machen sollte, wandte sich noch einmal an den König und sprach zu ihm: »Herr, weil Euer Majestät mein Todesurteil nicht widerrufen will, so flehe ich sie an, mir wenigstens die Erlaubnis zu geben, nach Hause zu gehen, um mein Begräbnis anzuordnen, den Meinigen das letzte Lebewohl zu sagen, Almosen auszuteilen und meine Bücher an Personen zu vermachen, welche fähig sind, davon Gebrauch zu machen. Ich habe unter andern ein Buch, womit ich Euer Majestät ein Geschenk machen will: es ist ein kostbares Werk und wohl würdig, in Eurem Schatze sorgfältig bewahrt zu werden.«
»Und wodurch ist dieses Werk so kostbar, wie du sagst?« fragte der König.
»Herr,« erwiderte der Arzt, »weil es unzählige wunderbare Dinge enthält; und um Euch einen Begriff davon zu geben, so sage ich Euch: wenn mein Kopf abgehauen ist und Euer Majestät sich die Mühe geben und das Buch bis zum sechsten Blatte öffnen und die dritte Linie auf der linken Seite lesen will, so wird mein Kopf auf alle Fragen antworten, welche Ihr ihm tut.«
Der König, neugierig, eine so wunderbare Sache zu sehen, verschob seinen Tod bis morgen und entließ ihn unter strenger Bewachung nach Hause.
Der Arzt ordnete während dieser Frist seine Angelegenheiten; und da das Gerücht sich verbreitet hatte, daß nach seiner Hinrichtung ein unerhörtes Wunder vorgehen sollte, so begaben sich am folgenden Tage die Wesire, die Emire, die Offiziere der Leibwache, kurz, der ganze Hof in den Thronsaal, um Zeugen davon zu sein.
Bald erschien der Arzt Duban, welcher sich mit einem großen Buche in der Hand dem Fuße des königlichen Thrones nahte. Hier ließ er sich ein Becken herbringen, über welches er die Decke ausbreitete, womit das Buch verhüllt war; und indem er dem Könige das Buch darbot, sprach er zu ihm:
»Herr, nehmet, wenn es Luch gefällt, dieses Buch; und sobald mein Haupt abgehauen ist, so befehlet, daß man es in dieses Becken auf die Hülle des Buches setze; wenn es dort steht, wird das Blut aufhören zu fließen: dann öffnet das Buch, und mein Kopf wird auf alle Eure Fragen antworten. – Aber, Herr,« fügte er hinzu, »erlaubet mir nochmals, die Gnade Euer Majestät anzuflehen; im Namen Gottes lasset Euch erweichen; ich beteure Euch, daß ich unschuldig bin.«
»Deine Bitten,« antwortete der König, »sind unnütz; und wenn es bloß wäre, um deinen Kopf reden zu hören, so will ich deinen Tod.«
Indem er dieses sagte, nahm er das Buch von den Händen des Arztes und befahl dem Scharfrichter, seine Schuldigkeit zu tun.
Der Kopf wurde so geschickt abgehauen, daß er in das Becken fiel; und kaum war er auf die Decke gesetzt, so stand das Blut still. Darauf öffnete er zum großen Erstaunen des Königs und aller Zuschauer die Augen und sprach folgende Worte:
»Herr, möge Euer Majestät jetzt das Buch öffnen.«
Der König öffnete es, und da er fand, daß das erste Blatt wie festgeleimt an dem zweiten klebte, so brachte er, um es leichter umzuwenden, seinen Finger an den Mund und benetzte ihn mit Speichel. Er wiederholte dasselbe bis zum sechsten Blatte; und als er aus der bezeichneten Seite keine Schrift sah, sprach er zu dem Kopfe: »Arzt, hier steht nichts geschrieben.« – »Wendet noch einige Blätter um,« antwortete der Kopf.
Der König fuhr fort zu blättern, indem er immer den Finger mit dem Munde netzte, bis das Gift, womit jedes Blatt getränkt war, seine Wirkung tat: da fühlte der König sich plötzlich von einem außerordentlichen Schauder ergriffen; es schwindelte ihm vor den Augen, und er stürzte unter heftigen Zuckungen vom Throne ...«
Bei diesen Worten erblickte Scheherasade den Tag und hörte auf zu reden.
»Ach, meine Schwester,« sagte darauf Dinarsade, »wie verdrießt es mich, daß Ihr nicht mehr Zeit habt, diese Geschichte zu vollenden!«
Aber Schachriar, weit entfernt, diesen Tag die Hinrichtung der schönen Scheherasade zu befehlen, erwartete mit Ungeduld die folgende Nacht; so großes Verlangen hatte er, das Ende der Geschichte des griechischen Königs zu hören, sowie den Verfolg der Geschichte des Fischers mit dem Geiste.
Wie neugierig Dinarsade auch war, das Ende der Geschichte des griechischen Königs zu hören, so wachte sie diese Nacht doch nicht so zeitig auf als gewöhnlich: es war selbst beinahe schon Tag, als sie zu der Sultanin sagte: »Meine liebe Schwester, ich bitte dich, die wunderbare Geschichte des griechischen Königs fortzusetzen; aber spute dich ja, denn der Tag wird bald anbrechen.«
Scheherasade nahm ihre Erzählung an der Stelle wieder aus, wo sie dieselbe den vorhergehenden Tag gelassen hatte.
»Herr,« begann sie, »der Fischer fuhr also fort:
»Als der Arzt Duban, oder richtiger zu sagen, sein Kopf, sah, daß das Gift seine Wirkung tat, und daß der König nur noch einige Augenblicke zu leben hatte, rief er ihm zu: »Ha, Tyrann, nun siehst du, wie es den Fürsten ergeht, welche, ihre Gewalt mißbrauchend, Unschuldige umbringen lassen. Gott straft früher oder später ihre Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten.«
Kaum hatte der Kopf diese Worte vollendet, als der König tot niederfiel; und zu gleicher Zeit verlor der Kopf selber noch das wenige Leben, das ihm geblieben war.
Herr,« fuhr Scheherasade fort, »das war das Ende des griechischen Königs und des Arztes Duban. Ich muß jetzt aus die Geschichte des Fischers mit dem Geiste zurückkommen: aber es ist schon Tag ...«
Der Sultan konnte nicht länger zuhören und stand auf.
Und da er durchaus den Verfolg der Geschichte des Fischers mit dem Geiste hören wollte, so deutete er der Sultanin an, sie ihm in der folgenden Nacht zu erzählen.
Dinarsade hielt sich diese Nacht schadlos für die vorhergehende; sie erwachte lange vor Tagesanbruch und bat Scheherasaden, den Verfolg der Geschichte des Fischers mit dem Geiste zu erzählen, welche der Sultan ebensosehr als Dinarsade zu hören wünschte.
»Ich will,« antwortete die Sultanin, »seine und deine Neugier befriedigen.«
Hierauf wandte sie sich zu Schachriar und fuhr fort:
»Herr, sobald der Fischer die Geschichte des griechischen Königs und des Arztes Duban vollendet hatte, machte er dem Geiste die Anwendung davon, welchen er noch immer in dem Gefäße versperrt hielt.
»Hätte der griechische König,« sagte er zu ihm, »den Arzt Duban leben lassen, so würde Gott ihn selber am Leben gelassen haben; aber er stieß die demütigsten Bitten zurück, und Gott strafte ihn dafür. Ebenso verhält es sich mit dir, o Geist: hätte ich dich erweichen und die Gnade von dir erlangen können, um welche ich dich bat, so würde ich jetzt Mitleid haben mit dem Zustande, in welchem du dich befindest; weil du aber trotz deiner so großen Verpflichtung gegen mich, dich befreit zu haben, auf deinem Willen bestandest, mich zu töten, so muß ich meinerseits auch unerbittlich sein. Ich will dich in diesem Gefäße lassen und ins Meer zurückwerfen und dir so den Gebrauch des Lebens benehmen bis zum Ende der Tage: das ist die Rache, welche ich an dir nehmen will.«
»Fischer, mein Freund,« antwortete der Geist, »ich beschwöre dich noch einmal, nicht eine so grausame Handlung zu begehen. Bedenke, daß es nicht wohlgetan ist, sich zu rächen, daß es im Gegenteil löblich ist, Böses mit Gutem zu vergelten. Behandle mich nicht, wie Imma einst Ateka behandelte.« –
»Und was tat Imma an Ateka?« fragte der Fischer.
»Oh, wenn du es zu wissen wünschest,« antwortete der Geist, »so öffne mir dieses Gefäß; meinst du, daß ich aufgelegt sei, in einem so engen Raume Märchen zu erzählen? Ich will dir ihrer so viel erzählen, als du willst, wenn du mich hieraus befreit hast.« »Nein,« sagte der Fischer, »ich werde dich nicht freilassen; es ist schon des Redens zu viel; ich werde dich in den Grund des Meeres schleudern.« – »Noch ein Wort, Fischer,« rief der Geist aus; »ich verspreche dir, dir kein Böses zu tun: im Gegenteil, ich will dich ein Mittel lehren, mächtig reich zu werden.«
Die Hoffnung, sich aus der Armut zu ziehen, entwaffnete den Fischer. »Ich könnte dich wohl anhören,« sagte er, »wenn irgend auf dein Wort zu bauen wäre. Schwöre mir bei dem hohen Namen Gottes, daß du aufrichtig tun willst, was du verheißest, und ich will dein Gefäß öffnen; ich halte dich nicht für so gottlos, einen solchen Eid zu brechen.«
Der Geist schwor, und der Fischer öffnete nun den Deckel des Gefäßes. Sogleich stieg der Rauch wieder daraus empor; und nachdem der Geist seine Gestalt auf dieselbe Weise wie zuvor wieder angenommen hatte, war das erste, was er tat, daß er das Gefäß mit einem Fußtritte in das Meer schleuderte.
Diese Handlung erschreckte den Fischer. »Geist,« sagte er, »was soll das bedeuten? Willst du den Eid brechen, den du mir soeben geschworen hast? Und soll ich dir sagen, was der Arzt Duban zu dem griechischen Könige sagte: »Laß mich leben, und Gott wird deine Tage verlängern?«
Die Furcht des Fischers machte den Geist zu lachen, welcher ihm antwortete: »Nein, Fischer, sei ruhig; ich habe das Gefäß ins Meer geworfen, nur um mich zu ergötzen und zu sehen, ob du dadurch beunruhigt sein würdest; und um dich zu überzeugen, daß ich dir mein Wort halten will, so nimm dein Netz und folge mir.«
Indem er diese Worte sprach, setzte er sich in Bewegung und ging vor dem Fischer her, welcher, mit seinem Netze beladen, ihm noch mit einem gewissen Mißtrauen folgte. Sie gingen an der Stadt vorbei, stiegen hoch auf einen Berg und über denselben hinab in eine weite Ebene, auf welcher sie zu einem Teiche gelangten, der von vier Hügeln umgeben war.
Als sie am Ufer des Teiches standen, sagte der Geist zu dem Fischer: »Wirf dein Netz aus und fange Fische.« Der Fischer zweifelte nicht, daß er welche fangen würde, denn er sah deren eine große Menge in dem Teiche: er war aber äußerst verwundert, als er bemerkte, daß sie von vier verschiedenen Farben waren, nämlich weiße, rote, blaue und gelbe. Er warf sein Netz aus und fing vier Fische, von jeder dieser Farben einen. Da er zuvor nie dergleichen gesehen hatte, so konnte er nicht müde werden, sie zu bewundern; und da er eine ansehnliche Summe daraus zu lösen gedachte, so hatte er große Freude darüber.
»Trage diese Fische hin,« sagte der Geist zu ihm, »und bringe sie deinem Sultan; er wird dir mehr Geld dafür geben, als du in deinem ganzen Leben in Händen gehabt hast. Du kannst alle Tage in diesem Teiche zu fischen kommen; aber ich warne dich, dein Netz öfter als einmal auszuwerfen, sonst würde dir ein Unglück begegnen; nimm dich also in acht. Dies ist die Weisung, welche ich dir gebe: wenn du sie genau befolgst, so wirst du dich wohl dabei befinden.«
Indem er dieses sprach, stampfte er mit dem Fuß auf die Erde, welche sich auftat und sich wieder zuschloß, nachdem sie ihn verschlungen hatte.
Der Fischer, gesonnen, Stück für Stück die Weisung des Geistes zu befolgen, hütete sich wohl, sein Netz zum zweiten Male auszuwerfen. Er begab sich auf den Weg nach der Stadt zurück, sehr zufrieden mit seinem Fischzuge, und stellte tausend Betrachtungen über sein Abenteuer an. Er ging gerade nach dem Palaste des Sultans ...
Aber, Herr,« sagte Scheherasade, »ich erblicke den Tag; ich muß bei dieser Stelle innehalten.«
»Liebe Schwester,« sagte darauf Dinarsade, »wie erstaunlich sind die letzten Abenteuer, welche du eben erzählt hast!« – »Wenn der Sultan, mein Herr, mich noch bis morgen leben läßt,« antwortete Scheherasade, »so bin ich überzeugt, daß du den Verfolg der Geschichte des Fischers noch viel wunderbarer finden wirst als den Anfang und ohne Vergleich viel anmutiger.«
Schachriar, neugierig zu hören, ob das übrige der Geschichte des Fischers wirklich so wäre, wie die Sultanin es verhieß, verschob nochmals die Vollziehung des grausamen Gesetzes, welches er sich auferlegt hatte.
Gegen das Ende der dreiundzwanzigsten Nacht weckte Dinarsade die Sultanin und sagte zu ihr: »Meine Schwester, ich bin äußerst ungeduldig, die Fortsetzung der Geschichte des Fischers zu hören.«
Scheherasade nahm sie mit Erlaubnis des Sultans folgendermaßen wieder auf:
»Herr, ich überlasse es Euer Majestät, zu ermessen, wie groß das Erstaunen des Sultans war, als er die vier Fische sah, welche der Fischer ihm überreichte. Er nahm sie, einen nach dem andern, um sie mit Aufmerksamkeit zu betrachten; und nachdem er sie lange bewundert hatte, sagte er zu seinem Wesir: »Nimm diese Fische und trage sie zu der geschickten Köchin, welche der griechische Kaiser mir geschickt hat: ich bilde mir ein, daß sie nicht minder schmackhaft als schön sein werden.«
Der Wesir trug sie selber zu der Köchin, und indem er sie ihren Händen übergab, sagte er zu ihr: »Da sind vier Fische, welche man soeben dem Sultan gebracht hat; er befiehlt dir, sie ihm zuzurichten.«
Nachdem er sich dieses Auftrages entledigt hatte, kehrte er zu dem Könige, seinem Herrn, zurück, welcher ihm befahl, dem Fischer vierhundert Goldstücke zu geben: was er auch getreulich erfüllte.
Der Fischer, welcher niemals eine so große Summe auf einmal besessen hatte, konnte kaum sein Glück fassen, und es kam ihm vor wie ein Traum. Aber er erkannte in der Folge wohl, daß es wirklich war, durch den guten Gebrauch, welchen er davon machte, indem er es auf die Bedürfnisse seiner Familie verwandte.
Aber, Herr,« fuhr Scheherasade fort, »nachdem ich Euch von dem Fischer erzählt habe, muß ich nun auch von der Köchin des Sultans erzählen, welche wir in einer großen Verlegenheit finden werden.
Sobald sie die Fische gereinigt hatte, welche der Wesir ihr übergeben, setzte sie sie in einem Tiegel mit Öl aufs Feuer, um sie zu braten. Als sie dieselben auf der einen Seite genugsam gebraten glaubte, kehrte sie sie um. Aber, o unerhörtes Wunder! kaum waren sie umgedreht, als die Wand der Küche sich auftat: daraus trat ein Fräulein hervor von bewundernswürdiger Schönheit und herrlichem Wuchse; sie trug ein Kleid von ägyptischem geblümten Atlas, Ohrgehänge und ein Halsband von großen Perlen, goldene, mit Rubinen geschmückte Armbänder und hielt eine Rute von Myrten in der Hand.
Sie nahte sich dem Tiegel zum großen Erstaunen der Köchin, welche bei diesem Anblick unbeweglich dastand, und indem sie einen der Fische mit der Rute berührte, sagte sie zu ihm: »Fisch, tust du deine Pflicht?« Als der Fisch nicht antwortete, wiederholte sie dieselben Worte, und nun erhoben die vier Fische zugleich ihre Köpfe und antworteten sehr deutlich: »Ja, ja; wenn Ihr rechnet, so rechnen wir auch; wenn Ihr Eure Schulden bezahlt, so bezahlen wir auch die unsrigen; wenn Ihr fliehet, so siegen wir und sind wir zufrieden.«
Sobald sie diese Worte ausgesprochen hatten, stieß das Fräulein den Tiegel um und trat in die geöffnete Wand zurück, welche sich sogleich wieder zuschloß und in demselben Zustande erschien wie zuvor.
Als die Köchin, welche alle diese Wunder entsetzt hatten, von ihrem Schrecken wieder zu sich gekommen war, ging sie hin, die Fische wieder aufzuheben, welche in die Glut gefallen waren; aber sie waren alle so schwarz wie Kohlen und gar nicht im Zustande, dem Sultan vorgesetzt zu werden. Sie war darüber bekümmert und fing an zu weinen. »Wehe mir,« rief sie aus, »was soll aus mir werden! Wenn ich dem Sultan erzähle, was ich gesehen habe, so wird er mir sicher nicht glauben; in welchen Zorn wird er nicht gegen mich geraten!«
Während sie sich so betrübte, trat der Großwesir herein und fragte sie, ob die Fische bereit wären. Sie erzählte ihm alles, was ihr begegnet war; und dieser Bericht, wie man sich denken kann, erstaunte ihn höchlich. Aber ohne dem Sultan etwas davon zu sagen, ersann er eine Entschuldigung, welche ihm genügte.
Indessen schickte er auf der Stelle hin und ließ den Fischer rufen; und als dieser gekommen war, sagte er zu ihm: »Fischer, bringe mir vier andere Fische, welche denen, die du schon gebracht hast, ähnlich sind; denn es ist ein eigenes Unglück damit begegnet, welches verhindert hat, sie dem Sultan vorzusetzen.«
Der Fischer sagte ihm nicht, was der Geist ihm empfohlen hatte, sondern, um sich davon loszumachen, diesen Tag noch die verlangten Fische zu liefern, entschuldigte er sich durch die Länge des Weges und versprach, sie am folgenden Morgen zu bringen.
In der Tat machte sich der Fischer während der Nacht auf und begab sich nach dem Teiche. Er warf darin sein Netz aus, und als er es herauszog, fand er darin vier Fische, ganz wie die vorigen, jeden von einer verschiedenen Farbe. Er kehrte alsbald zurück und brachte sie dem Großwesir zu der Zeit, da er sie ihm versprochen hatte.
Dieser Minister nahm sie und trug sie selber abermals in die Küche, wo er sich allein mit der Köchin einschloß, welche sie in seiner Gegenwart zurichtete und sie auf das Feuer setzte, wie sie mit den vier andern den vorigen Tag getan hatte. Als sie auf einer Seite gebraten waren und sie sie aus die andere Seite gedreht hatte, öffnete sich die Wand der Küche abermals, und dieselbe Frau erschien mit ihrer Rute in der Hand; sie nahte sich dem Tiegel, schlug aus einen der Fische, sprach dieselben Worte zu ihm, und sie gaben ihr alle mit aufgehobenen Köpfen dieselbe Antwort.
Aber, Herr,« fügte Scheherasade hinzu, »da bricht schon der Tag an und hindert mich, diese Geschichte fortzusetzen.«
Schachriar dachte wohl, daß ihr Verfolg sehr merkwürdig sein müßte, und beschloß, ihn in der folgenden Nacht zu hören.
»Meine liebe Schwester,« rief Dinarsade wie gewöhnlich, »wenn du nicht schläfst, so bitte ich dich, das schöne Märchen von dem Fischer fortzusetzen und zu vollenden.«
Die Sultanin nahm sogleich das Wort und sprach folgendermaßen:
»Herr, nachdem die vier Fische geantwortet hatten, warf sie den Tiegel mit einem Rutenschlage um und verschwand an derselben Stelle in die Wand, wo sie herausgetreten war.
Der Großwesir, welcher Zeuge von allem gewesen, was vorgegangen war, sagte: »Das ist zu erstaunlich und zu außerordentlich, um dem Sultan ein Geheimnis davon zu machen; ich gehe, ihn von diesem Wunder zu unterrichten.« In der Tat ging er sogleich zu ihm und machte ihm einen treuen Bericht davon.
Der Sultan war sehr erstaunt und bezeigte großes Verlangen, dieses Wunder zu sehen; in dieser Absicht sandte er hin und ließ den Fischer holen. »Mein Freund,« sprach er zu ihm, »könntest du mir nicht noch vier Fische von verschiedenen Farben bringen?« Der Fischer antwortete dem Sultan: wenn Seine Majestät ihm zur Erfüllung ihres Wunsches drei Tage Zeit geben wollte, so verspräche er, ihr zu genügen.
Als ihm dies bewilligt war, ging er zum dritten Male nach dem Teiche, und er war nicht minder glücklich als die beiden vorigen Male; denn auf den ersten Zug fing er vier Fische von verschiedenen Farben. Er säumte nicht, sie sogleich dem Könige zu bringen, dessen Freude darüber umso größer war, als er sie nicht so bald erwartet hatte, und der ihm abermals vierhundert Goldstücke geben ließ.
Sobald der Sultan die Fische hatte, ließ er sie in sein Zimmer bringen samt allem, was zu ihrer Bereitung nötig war. Hier schloß er sich mit seinem Großwesir ein, und dieser richtete die Fische zu, setzte sie in einem Tiegel auf das Feuer, und als sie auf der einen Seite gebraten waren, kehrte er sie auf die andere. Da öffnete sich die Wand des Zimmers, aber anstatt des Fräuleins trat ein Schwarzer daraus hervor.
Dieser Schwarze trug die Kleidung eines Sklaven; er war von riesenhafter Dicke und Größe und hielt einen dicken grünen Stock in der Hand. Er nahte sich dem Tiegel, berührte mit seinem Stock einen der Fische und sprach zu ihm mit furchtbarer Stimme: »Fisch, Fisch, tust du deine Pflicht?«
Auf diese Worte hoben die Fische ihre Köpfe empor und antworteten: »Ja, ja, wir tun unsre Pflicht; wenn Ihr rechnet, so rechnen wir auch; wenn Ihr Eure Schulden bezahlt, so bezahlen wir auch die unsrigen: wenn Ihr fliehet, so siegen wir und sind wir zufrieden.«
Kaum hatten die Fische diese Worte ausgesprochen, als der Schwarze den Tiegel mitten im Zimmer umstieß und die Fische in Kohlen verwandelte. Als dies geschehen war, entfernte er sich stolz und trat in die geöffnete Wand zurück, welche sich wieder schloß und in demselben Zustande erschien wie zuvor.
»Nach dem, was ich soeben gesehen habe,« sprach der Sultan zu seinem Großwesir, »ist es mir unmöglich, ruhig zu sein. Diese Fische bedeuten ohne Zweifel etwas Außerordentliches, worüber ich Aufklärung haben will.«
Er sandte abermals nach dem Fischer; man brachte ihn, und er sagte zu ihm: »Fischer, die Fische, welche du uns gebracht hast, verursachen mir große Unruhe. An welchem Orte hast du sie gefangen?« – »Herr,« antwortete er, »ich habe sie in einem Teiche gefangen, welcher zwischen vier Hügeln liegt, jenseits des Berges, den man von hier sieht.«
»Kennst du diesen Teich?« fragte der Sultan den Wesir. – »Nein, Herr,« antwortete der Wesir, »ich habe nie davon reden gehört! es sind gleichwohl schon sechzig Jahre, daß ich in der Umgegend und jenseits dieses Berges jage.«
Der Sultan fragte nun den Fischer, wie weit der Teich von seinem Palast entfernt wäre; und der Fischer versicherte, daß es nicht mehr als drei Stunden Weges wäre.
Auf diese Versicherung, und weil es noch hoch genug am Tage war, um vor der Nacht dorthin zu gelangen, befahl der Sultan seinem ganzen Hofe, zu Pferde zu steigen, und der Fischer diente ihm als Führer.
Sie ritten den Berg hinauf, und beim Hinabsteigen sahen sie mit großer Verwunderung eine weite Ebene, welche niemand bisher bemerkt hatte. Endlich gelangten sie an den Teich, welchen sie wirklich zwischen vier Hügeln liegen fanden, wie der Fischer berichtet hatte. Das Wasser darin war so durchsichtig, daß sie bemerkten, wie alle Fische darin denen ähnlich waren, welche der Fischer nach dem Palaste gebracht hatte.
Der Sultan hielt am Ufer des Teiches still; und nachdem er die Fische darin einige Zeit mit Verwunderung betrachtet hatte, fragte er seine Emire und alle seine Hofleute, wie es möglich wäre, daß sie diesen so nahe bei der Stadt gelegenen Teich noch nicht gesehen hätten. Sie antworteten ihm, daß sie niemals auch nur davon reden gehört hätten.
»Weil ihr denn alle einstimmig seid,« sagte er darauf zu ihnen, »daß ihr nicht einmal davon reden gehört habt, und da ich nicht minder als ihr über diese neue Erscheinung erstaunt bin, so habe ich mich entschlossen, nicht eher in meinen Palast zurückzukehren, als bis ich weiß, wie dieser Teich hierher kommt, und warum es nur Fische von viererlei Farben darin gibt.«
Nachdem er dieses gesagt hatte, befahl er, sich zu lagern; und alsbald wurde sein Gezelt und die Zelte für seinen Hof am Ufer des Teiches aufgeschlagen.
Bei Anbruch der Nacht begab der Sultan sich in sein Gezelt, besprach sich insgeheim mit seinem Großwesir und sagte zu ihm: »Wesir, ich fühle in mir eine große Unruhe; dieser an diesen Ort versetzte Teich, dieser Schwarze, der uns in meinem Zimmer erschienen ist, diese Fische, welche wir reden gehört haben: alles dies erregt meine Neugier dermaßen, daß ich der Ungeduld nicht widerstehen kann, sie zu befriedigen. Zu diesem Zwecke habe ich einen Plan erdacht, welchen ich durchaus ausführen muß. Ich werde mich allein aus dem Lager entfernen und befehle dir, meine Abwesenheit geheim zu halten: bleib unter meinem Gezelte, und morgen früh, wenn meine Emire und Hofleute sich vorzustellen kommen, weise sie ab mit dem Vorgeben, daß ich von einer leichten Unpäßlichkeit befallen bin und allein sein will. Die folgenden Tage wiederhole ihnen dasselbe, bis ich wieder zurückkomme.«
Der Großwesir machte dem Sultan mehrere Vorstellungen, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen; er erinnerte ihn an die große Gefahr, der er sich aussetzte, und daß er sich vielleicht eine vergebliche Mühe gäbe. Aber wie er auch seine Beredsamkeit erschöpfte, der Sultan ließ nicht ab von seinem Entschlusse, sondern bereitete sich, ihn auszuführen.
Er zog sich ein zum Wandern bequemes Kleid an, versah sich mit einem Säbel, und sobald er sah, daß alles stille war in seinem Lager, machte er sich ohne irgend eine Begleitung aus den Weg.
Er richtete seine Schritte gegen einen der vier Hügel und bestieg ihn gemächlich. Noch leichter stieg er jenseits hinab; und als er in der Ebene war, wanderte er bis Sonnenaufgang darauf fort.
Da erblickte er in der Ferne vor sich ein großes Gebäude und freute sich in der Hoffnung, dort etwas von dem zu erfahren, was er zu wissen wünschte. Als er nahe daran war, bemerkte er, daß es ein prächtiger Palast war, oder vielmehr ein sehr festes Schloß von schönem schwarzen geschliffenen Marmor, mit einem Dache von feinem Stahle, so glatt wie ein Spiegelglas. Erfreut, daß er nicht lange gehen durfte, ohne wenigstens etwas Merkwürdiges anzutreffen, blieb er an der Vorderseite des Schlosses stehen und betrachtete sie mit großer Aufmerksamkeit.
Er näherte sich hierauf der Pforte, welche zwei Flügeltüren hatte, deren eine offen stand. Obgleich er gerade hineintreten konnte, so glaubte er doch anklopfen zu müssen. Er klopfte also einmal ziemlich leise und wartete einige Zeit; da er niemand kommen sah, wähnte er, man hätte ihn nicht gehört; deshalb klopfte er zum zweiten Male etwas stärker, und als er niemand sah noch hörte, noch stärker: aber immer noch erschien niemand. Das verwunderte ihn höchlich; denn er konnte sich nicht denken, daß ein so wohl unterhaltenes Schloß unbewohnt wäre. »Wenn niemand darin ist,« sagte er zu sich selber, »so habe ich nichts zu fürchten; und ist jemand drinnen, so habe ich etwas, mich zu verteidigen.«
Kurz, der Sultan trat hinein; er ging weiter in den Vorhof und rief laut: »Ist niemand hier, einen Wanderer aufzunehmen, der einer Erquickung bedarf?« Er wiederholte dieselbe Frage zwei- oder dreimal; aber so laut er auch sprach, niemand antwortete ihm.
Dieses Stillschweigen vermehrte sein Erstaunen. Er ging weiter in einen sehr geräumigen Hof und blickte sich nach allen Seiten um, ob er jemand entdecken könnte; er erblickte aber nicht das geringste lebende Wesen ...
Aber, Herr,« sagte Scheherasade bei dieser Stelle, »der anbrechende Tag legt mir Stillschweigen auf.«
»Ach, meine Schwester,« sagte Dinarsade, »du läßt uns gerade an der schönsten Stelle!« – »Es ist wahr,« antwortete die Sultanin; »aber, liebe Schwester, du siehst die Notwendigkeit davon ein. Jedoch käme es nur auf den Sultan, meinen Herrn, an, daß du morgen auch das übrige hörtest.«
Es geschah nicht sowohl Dinarsaden zu Gefallen, daß Schachriar die Sultanin nochmals leben ließ, als um seine eigene Neugier zu befriedigen und zu vernehmen, was sich in dem Schlosse zutragen würde.
Dinarsade säumte nicht, die Sultanin am Ende dieser Nacht aufzuwecken. »Meine liebe Schwester,« sagte sie zu ihr, »ich bitte dich, uns zu erzählen, was sich in dem schönen Schlosse zutrug, in welchem du uns gestern ließest.«
Scheherasade nahm sogleich das gestrige Märchen wieder aus, wandte sich zu Schachriar und sprach:
»Herr, als der Sultan in dem Hofe, worin er sich befand, niemand erblickte, so trat er in große Säle, deren Fußteppiche von Seide waren, der Estrich und die Sofas bedeckt mit Stoffen von Mekka und die Türvorhänge von den reichsten indischen Stoffen, reich mit Gold und Silber gestickt.
Er kam weiter in einen wundervollen Saal, in dessen Mitte ein großes Becken stand mit einem Löwen aus gediegenem Golde auf jeder Ecke. Die vier Löwen spieen Wasser aus ihrem Rachen, welches in Diamanten und Perlen niederfiel und harmonisch einen Wasserstrahl begleitete, welcher, aus der Mitte des Beckens emporspringend, fast die Decke der Kuppel berührte, deren Wände bemalt waren.
Das Schloß war auf drei Seiten von einem Garten umgeben, welchen Blumenstücke, Teiche, Lustwäldchen und tausend andere Annehmlichkeiten um die Wette verzierten, und was diesen Ort vollends wonnevoll machte, war eine zahllose Menge von Vögeln, welche die Luft mit ihrem wohllautenden Gesange erfüllten und stets dort blieben, weil die über die Bäume und den Palast gespannten Netze sie verhinderten, wegzufliegen.
Der Sultan wandelte lange von Zimmer zu Zimmer, wo alles groß und prächtig erschien. Als er müde war, weiterzugehen, setzte er sich in einem offenen Gemache, welches die Aussicht über den Garten hatte; und hier, erfüllt von allem, was er schon gesehen hatte und noch sah, stellte er allerlei Betrachtungen an über alle diese verschiedenen Gegenstände, als auf einmal eine klagende Stimme sein Ohr traf und er vernehmlich diese traurigen Worte hörte:
»O Schicksal, laß nicht länger mich leben und schone mein nicht mehr; denn mein Dasein schwebt zwischen Unglück und Gefahr.
Hast du nicht Mitleid, o Gattin, mit einem Manne von hoher Abkunft, der unter die Herrschaft der Liebe erniedrigt wurde? Nicht mit einem der Reichsten, der verarmte?
Ja, ich gestehe es: ich beneidete die Luft, die dich umwehte, aber ich bedachte nicht, daß beim Willen des Schicksals auch der hellste Blick nichts sieht.
Welche Kunst könnte auch den Bogenschützen noch retten, wenn ihm, im Begriff loszudrücken, die Sehne zerreißt?
Wenn feindliche Haufen sich dann auf ihn stürzen, wohin kann er da fliehen vor dem Geschick! Wohin kann er da fliehen!«
Der Sultan, gerührt von diesen Klagen, stand auf und ging nach der Seite, woher sie ertönten. Er kam an die Tür eines großen Saales, öffnete den Vorhang und erblickte einen wohlgebildeten und sehr reich gekleideten Mann, welcher auf einem etwas über den Boden erhabenen Throne saß. Die Traurigkeit malte sich in seinem Antlitze, welches übrigens von einer vollkommenen Schönheit und durch ein kleines schwarzes Mal auf der Wange bezeichnet war. Der Dichter beschreibt auf folgende Weise die Schönheit eines solchen jungen Mannes:
»Sein Wuchs war schlank; sein schwarzes Haar, wenn man es anblickte, versetzte alles um ihn her in Dunkelheit, so wie die blendende Weiße seiner Stirne alles wieder in das Licht setzte.
Aber das schwarze Mal auf der Wange, dieses tadelt nur ja nicht! Ist euch nicht bekannt, daß das Blatt der schönen Anemone auch mit einem schwarzen Punkte geschmückt ist? –«
Der Sultan näherte sich ihm und grüßte ihn. Der junge Mann erwiderte seinen Gruß, indem er ihm mit dem Kopfe eine sehr tiefe Verbeugung machte, ohne jedoch aufzustehen. Deshalb sagte er zu dem Sultan: »Mein Herr, ich erkenne wohl, daß Ihr es verdient, daß ich aufstehe, um Euch zu empfangen und alle mögliche Ehre zu erzeigen; aber eine so schwere Ursache verhindert mich daran, daß Ihr es mir nicht übel deuten müßt.« – »Mein Herr,« antwortete der Sultan, »ich bin Euch sehr verbunden für die gute Meinung, welche Ihr von mir hegt. In Betreff der Ursache, welche Euch verhindert, aufzustehen, nehme ich von Herzen gern jede beliebige Entschuldigung von Euch an. Angezogen von Euren Klagen, durchdrungen von Euren Leiden, komme ich, Euch meine Hilfe darzubieten. Wollte Gott, daß es von mir abhinge, Euren Leiden Erleichterung zu verschaffen, ich würde all mein Vermögen dazu anwenden. Ich schmeichle mir, daß Ihr mir wohl die Geschichte Eurer Unfälle erzählen wollt: aber, ich bitte Euch, belehrt mich zuvor, was dieser Teich hier in der Nähe bedeutet, in welchem man Fische von vier verschiedenen Farben sieht; was dieses für ein Schloß ist; weshalb Ihr Euch darin befindet, und woher es kommt, daß Ihr so allein darin seid?«
Anstatt auf diese Fragen zu antworten, fing der junge Mann bitterlich an zu weinen. »Wie unbeständig ist das Glück!« rief er aus. »Es gefällt sich darin, diejenigen zu stürzen, welche es erhoben hat. Wo sind diejenigen, welche ruhig der von ihm gewährten Glückseligkeit genießen, und deren Tage immer hell und heiter sind?«
Der Sultan, von Mitleid bewegt, bat ihn sehr inständig, ihm die Ursache eines so großen Schmerzes zu sagen. »Ach! mein Herr,« antwortete ihm der junge Mann, »wie sollte ich nicht betrübt sein, und warum sollten meine Augen nicht zwei unversiegliche Tränenquellen sein?«
Bei diesen Worten hob er sein Kleid auf und ließ den Sultan sehen, daß er nur vom Kopf bis zum Gürtel ein Mensch war, die andere Hälfte seines Leibes aber von schwarzem Marmor war.«
An dieser Stelle unterbrach Scheherasade ihre Rede und machte dem Sultan bemerklich, daß der Tag anbräche.
Schachriar war dermaßen von dem bezaubert, was er soeben gehört hatte, und fühlte sich so sehr zugunsten der Sultanin erweicht, daß er beschloß, sie einen ganzen Monat lang leben zu lassen. Er stand jedoch wie gewöhnlich auf, ohne ihr von seinem Entschlusse etwas zu sagen.
Dinarsade war so ungeduldig, den Verfolg des Märchens der gestrigen Nacht zu hören, daß sie ihre Schwester sehr zeitig aufweckte und sie bat, die wunderbare Erzählung fortzusetzen, welche sie gestern nicht vollenden konnte.
»Ich will es gern tun,« antwortete die Sultanin, »höret mir zu:
Ihr könnt wohl denken,« fuhr sie fort, »daß der Sultan höchst erstaunt war, als er den beweinenswürdigen Zustand des jungen Mannes erblickte. »Was Ihr mir da zeigt,« sagte er zu ihm, »erfüllt mich mit Entsetzen und erregt zugleich meine Neugier; ich brenne vor Verlangen, Eure Geschichte zu hören, welche ohne Zweifel höchst seltsam ist; und ich bin überzeugt, daß der Teich und die Fische damit in irgend einem Zusammenhange stehen: also beschwöre ich Euch, sie mir zu erzählen, Ihr werdet eine Art von Trost darin finden, indem es gewiß ist, daß die Unglücklichen eine gewisse Erleichterung darin finden, ihr Unglück zu erzählen.«
»Ich will Euch diese Genugtuung nicht versagen,« erwiderte der junge Mann, »obwohl ich sie Euch nicht geben kann, ohne meinen lebhaften Schmerz zu erneuern: aber ich rate Euch zum voraus, Eure Ohren, Euren Geist und selbst Eure Augen auf Dinge vorzubereiten, welche alles übertreffen, was die Einbildungskraft Außerordentliches ersinnen kann.«