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»Es war einmal zu Kasbin ein junger Schuster namens Hassan, welcher mit Not von dem Ertrage seiner Arbeit lebte. Eines Tages, als er in seinem Laden war, sah er einen Derwisch vorübergehen, dessen Pantoffeln zerrissen waren. »Guter Derwisch,« sagte er zu ihm, »Euer Schuhzeug ist in schlechtem Stande; tretet bei mir ein, und ich will es Euch ausbessern.« Der Derwisch folgte dieser Einladung, setzte sich und aß von einigen Speisen, welche der Schuhflicker ihm vorsetzte.
Als die Pantoffeln fertig waren, sagte Hassan: »Zum Lohne für meine Arbeit bitte ich Euch um Rat. Ich habe Lust zu reisen, und Ihr könnt besser als jeder andere mir einen guten Rat dazu geben.« – »Mein Sohn,« antwortete der Derwisch, »ich will dir drei Lehren geben, deren ganze Wichtigkeit ich aus Erfahrung kenne:
Erstens: begib dich nie auf den Weg ohne einen guten Reisegefährten; denn der Prophet (mit dem alles Heil sei!) sagt: »Suche dir erst einen Gefährten, und dann begib dich auf den Weg.« Zweitens: verweile nie an einem Orte, wo Wasser mangelt. Endlich drittens: geh nie in eine Stadt nach Sonnenuntergange.«
Kurze Zeit darauf, nachdem Hassan gute Reisegefährten gefunden hatte, begab er sich auf den Weg. Nach Verlauf einiger Tage kommen sie mitsammen an die Tore einer großen Stadt; seine Gefährten gingen hinein: er aber, eingedenk der Lehren des Derwisches, blieb draußen am Ufer eines Stromes; und da er in der Nähe einen Totenacker fand, so hielt er es fürs ratsamste, die Nacht darin zuzubringen.
Es war drei Stunden nach Mitternacht, als er zwei Männer bemerkte, welche über die Stadtmauer etwas hinabließen, was er nicht erkennen konnte, und was sie in eins der nächsten Gräber trugen.
Kaum hatten diese Leute sich entfernt, so eilte Hassan nach dem Orte, wo sie ihre Bürde abgelegt hatten. Er trat hinein, nahm sein Feuerzeug, und bei dem Lichte, das er sich anschlug, erblickte er einen Sarg, aus welchem von allen Seiten das Blut hervorrieselte.
Sogleich bemüht er sich, den Deckel aufzuheben, und findet darin eine Frau von außerordentlicher Schönheit, ganz in ihrem Blute gebadet, in ein Leichentuch gewickelt. Er hielt sie für tot und hob die Leinwand auf. welche sie umhüllte, als er folgende Worte mit schwacher Stimme aussprechen hörte: »Um Gottes willen, beraubet mich nicht meiner Kleider.« Da erkannte er, daß noch einiges Leben in ihr war, zerriß seinen Kaftan und verband ihre Wunden.
Am folgenden Morgen ließ er sie in die Karawanserei der Stadt tragen und gab sie für seine Schwester aus, welche er in einem lebhaften Augenblicke selber so verwundet hätte. Hier widmete er ihr zwei Monate hindurch die allerzärtlichste Sorgfalt.
Nach Verlaufe dieser Zeit war die junge Unbekannte gänzlich hergestellt und ging aus der Karawanserei ins Bad. Als sie zurückkam, forderte sie Feder, Tinte und Papier, schrieb ein paar Worte und sagte zu Hassan: »Nehmet diesen Brief und traget ihn nach dem Basar zum Wechsler Yakub, und nehmet in Empfang, was er Euch geben wird.«
Hassan begab sich in aller Eile zu dem Wechsler. Sobald dieser den Brief geöffnet hatte, küßte er ihn, legte ihn auf sein Haupt und händigte dem Überbringer eine Börse mit fünfhundert Zechinen ein. Unser Reisender war ganz erstaunt, in seinem Leben hatte er keine so große Summe gesehen; und er erkannte aus der Ehrfurcht, welche der Wechsler dem Briefe bezeigte, daß diejenige, die ihn geschrieben hatte, nicht von gemeiner Herkunft wäre.
Bei der Rückkehr in die Karawanserei legte er die Börse furchtsam vor seiner Gefährtin hin, welche in seinen Augen alle die Neugier las, welche ihn quälte. Sie hielt es noch nicht für ratsam, sie zu befriedigen, und begnügte sich, ihm zu sagen, er möchte das Geld nehmen, um sich anständige Kleider und eine schickliche Wohnung zu verschaffen.
Hassan befolgte ihre Befehle; und vermittelst ansehnlicher Summen, welche der Wechsler niemals versagte, ihr zu senden, kauften sie Sklaven und lebten beide einige Zeit im Schoße des Überflusses.
Eines Tages gab die Unbekannte dem Hassan eine Börse in die Hand und sagte zu ihm: »Es kommt drauf an, mir einen Dienst zu leisten, auf welchen ich hohe Wichtigkeit lege. Gehet auf den Basar, dort werdet Ihr leicht den Laden Abdallahs, des Seidenhändlers, auffinden. Laßt Euch ein Stück Atlas vorzeigen, und wie hoch auch der Preis desselben sei, kaufet es, ohne zu handeln.«
Hassan erkannte sehr bald das Warenlager des jungen Kaufmanns, er trat ein, ließ sich ein Stück Atlas vorlegen und kaufte es für den Preis, der ihm abgefordert wurde. Den ihm erteilten Aufträgen zufolge kehrte er mehrmals zu demselben Kaufmanns zurück und machte seine Sache so gut, daß zwischen ihnen eine Verbindung entstand, die vertraulich genug war, um ihn zu einem Mittagsmahle einzuladen, welche Einladung er auch annahm.
Nach der Vorschrift der Unbekannten wurde gegenseitig Abdallah eingeladen, welcher auch sehr verbindlich die Ehre annahm, welche ihm ein so reicher Herr erwies, als Hassan zu sein schien.
»Wie seltsam auch die Dinge sein mögen, deren Ihr Zeuge sein werdet,« sagte die Unbekannte zu Hassan, »verwundert Euch nicht darüber.« Und zu gleicher Zeit ließ sie ein glänzendes Mittagsmahl bereiten.
Zur bestimmten Stunde stellte sich Abdallah ein, mit der größten Pracht gekleidet. Hassan empfing ihn sehr höflich; man trank bis tief in die Nacht; aber als von der Trennung die Rede war und Abdallah von seinem Wirte Abschied nehmen wollte, gab dieser es nicht zu. »Wie?« sagte er, »ich sollte Euch zu dieser Stunde gehen lassen! Nein, ich kann es nicht: Ihr müßt hier schlafen; ich werde Euch ein Lager bereiten lassen.«
Als der Kaufmann sah, daß es vergeblich wäre, länger zu widerstehen, ließ er es sich gefallen und legte sich nieder.
Um Mitternacht, als er im tiefen Schlafe lag, näherte die Unbekannte, welche während des ganzen Mahles nicht zum Vorscheine gekommen war, sich ihm und stieß ihm einen Dolch ins Herz.
Hassan, von dem Geräusch aufgeweckt, lief herbei. »Großer Gott!« rief er aus, indem er den Abdallah den letzten Seufzer aushauchen sah, »von welcher Greueltat habt Ihr mich zum Mitschuldigen gemacht! Ich verlasse Euch auf der Stelle; ich will nicht länger in diesem abscheulichen Hause bleiben: ich will Euch selbst alles zurückgeben, was Ihr mir geschenkt habt.«
»Beruhige dich, Hassan,« antwortete die Prinzessin, »ich habe nur einen Verräter gerechterweise bestraft: ich bin die Tochter des Königs; der, den du gegenwärtig tot hingestreckt siehst, hatte mir eine heftige Leidenschaft eingeflößt; durch Vermittelung meiner Amme und durch Bestechung der zu meiner Bewachung bestellten Personen brachte ich es dahin, ihn in den Harem einzuführen; mehr als einmal ging ich sogar unter dem Schutz der Verkleidung zu ihm und überhäufte ihn mit Wohltaten.
Eines Tages besuchte ich ihn zu einer Stunde, wo er mich nicht erwartet hatte: denke dir mein Erstaunen und meine Wut, als ich ihn bei einer Nebenbuhlerin sitzen fand. Ich machte ihm die lebhaftesten Vorwürfe, ich ließ mich sogar so weit hinreißen, die zu schlagen, die bei ihm war.
Da ging das Ungeheuer hin und holte zwei junge Wüstlinge, und sei es nun, daß er die Folgen meines Zornes fürchtete, oder daß er seine Geliebte rächen wollte, – mit ihrer Hilfe versetzte er mir mehrere Messerstiche, und mich tot wähnend, trug er mich auf den Gottesacker, wo du mich gefunden hast. Jetzt, da ich gerächt bin, eile hin, dem Könige, meinem Vater zu verkündigen, daß seine Tochter noch lebt, und zeige ihm meinen Aufenthalt an.«
Der ganze Hof war voll Freuden, als man vernahm, daß die Prinzessin wiedergefunden war. Der König umarmte sie mit weinenden Augen; und als er hörte, daß Hassan ihr Retter war, gab er sie ihm zur Frau.«
*
»Ihr ersehet aus dieser Geschichte,« fügte die Königin Chansade hinzu, »welcher Greueltaten die jungen Leute fähig sind«; und sie forderte von neuem den Tod Nurgehans. Der König versprach auch, ihr Verlangen zu erfüllen.
Aber am folgenden Morgen, als der Kaiser soeben den Tod seines Sohnes befehlen wollte, trat abermals ein Wesir hervor und flehte für ihn die Gnade des Fürsten an; und um den Einfluß der Sultanin zu schwächen, bestätigte er die Bosheit der Weiber und erzählte folgende Geschichte: