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Geschichte des Prinzen von Karisme und der Prinzessin von Georgien.

»Ein König von Karisme, welcher keine Kinder hatte, brachte unaufhörlich dem Himmel Gelübde und Opfer dar, um einen Erben zu erhalten. Der erhabene Gott nahm sein Opfer an und schenkte ihm einen Sohn, schöner als der Tag. Er feierte dessen Geburt durch prächtige Feste; er erteilte einigen Statthaltereien, andern Jahresgehalte; kurz, all seine Völker genossen seiner Freude.

Er vergaß auch nicht, alle Sterndeuter seines Reichs zu versammeln, und befahl ihnen, dem Prinzen das Horoskop zu stellen. Aber ihre Beobachtungen waren dem Könige nicht sehr angenehm; denn sie verkündigten ihm, daß sein Sohn bis zum Alter von dreißig Jahren von zahllosen Unfällen bedroht wäre, und daß Gott allein die Unfälle wüßte, welche ihm zustoßen sollten.

Diese Verkündigung verminderte sehr die Freude des Königs; er empfand einen lebhaften Schmerz darüber: gleichwohl, als wenn er gegen die Sterne ankämpfen wollte, ließ er seinen Sohn unter seinen Augen erziehen und nahm alle erdenklichen Vorsichtsmaßregeln, ihn vor jedem Unfall zu bewahren, und es gelang ihm mehrere Jahre hindurch.

Der Prinz war schon fünfzehn Jahre alt, ohne daß noch ein böses Abenteuer sein Horoskop bestätigt hatte; dennoch, da man vergebens seiner Bestimmung widerstrebt, geschah es eines Tages, indem er am Ufer des Meeres ritt, daß ihn die Lust ankam, auf dem Wasser zu fahren. Er ließ eine Barke bereiten und bestieg sie mit vierzig Personen seines Gefolges. Kaum waren sie in offener See, als ein europäischer Seeräuber herankam und sie angriff; sie taten einigen Widerstand: aber der Korsar war der stärkere, er bemächtigte sich der Barke und führte sie alle nach der Insel der Samsaren, wo er sie verkaufte.

Die Samsaren waren scheußliche Menschenfresser und hatten Menschenleiber mit Hundsköpfen. Sie versperrten den Prinzen von Karisme und seine Leute in einem Hause, wo sie dieselben mit Rosinen und Mandeln fütterten. Täglich führten sie einen von ihnen in die Küche des Königs, wo sie ihn schlachteten und Ragouts von ihm machten, welche Seine Samsardische Majestät höchst vortrefflich fand.

Als die vierzig Mann des Gefolges gefressen waren, erwartete der Prinz von Karisme, welchen man, als den leckersten Bissen, bis zuletzt aufgespart hatte, dasselbe Schicksal. In dieser grausamen Erwartung sprach er bei sich selber: »Ich weiß wohl, daß ich dem Tode nicht entgehen kann; aber warum soll ich mich feige abschlachten lassen? Ist es nicht besser, mein Leben teuer zu verkaufen? Ja, ich will mich wehren, meine Verzweiflung soll wenigstens einigen dieser nach Menschenblut gierigen Ungeheuer verderblich werden.«

Er hatte diesen Entschluß gefaßt, als er die Samsaren eintreten sah. Er ließ sich ohne Widerstand in die Küche des Königs führen; aber sobald er dort war und auf dem Tische ein großes Messer erblickte, womit man ihm die Kehle abschneiden wollte, raffte er all seine Kraft zusammen, zerriß die Bande, welche seine Hände gefesselt hielten, ergriff ungestüm das Messer und schlug damit die Samsaren, welche ihn hergebracht hatten; er tötete einen nach dem andern: dann warf er sie vor die Küchentür hinaus, und alle, die es wagten, ihm zu nahen, fielen unter seinen Streichen. Der ganze Palast war alsbald in Aufruhr und hallte wider von Geschrei und Geheule.

Als der König die Ursache davon vernahm, war er erstaunt, daß ein einziger Mensch so vielen Leuten widerstehen konnte; er ging selber zu ihm hin und sprach zu ihm: »O Jüngling, ich bewundere deinen Mut und schenke dir das Leben; kämpfe nicht mehr gegen meine Untertanen, deren Menge dich zuletzt überwältigen würde. Sage mir, wer ist dein Vater?« –

»Herr,« antwortete der Prinz, »ich bin der Sohn des Königs von Karisme.« – »Die tapfern Taten, welche du eben begangen hast,« antwortete der König, »beweisen hinlänglich deinen edlen Ursprung, fürchte nichts mehr, mein Hof soll fortan nur ein Aufenthalt des Vergnügens für dich sein; du sollst der glücklichste der Menschen werden, weil ich dich zu meinem Schwiegersohn erwähle: ich will, daß du auf der Stelle meine Tochter heiratest; es ist eine liebenswürdige Prinzessin. Alle Prinzen an meinem Hofe sind sterblich verliebt in sie; aber ich halte dich für den ihrer Würdigsten.« – »Herr,« erwiderte der Prinz, wenig erbaut von diesem Antrage; »Euer Majestät tut mir zu viel Ehre an: mich dünkt, ein Samsarischer Prinz würde der Prinzessin anständiger sein als ich.« – »Nein, nein,« sagte der König mit Ungestüm, »ich verlange, daß du sie heiratest, ich wünsche es: widersetze dich nicht länger meinem Willen, sonst könnte es dich gereuen.«

Scheherasade bemerkte den Tag und brach hier ihre Erzählung ab.

 

Siebzehnte Nacht.

In der folgenden Nacht verlangte der Sultan den Verfolg der Abenteuer des Prinzen von Karisme zu hören, und die Sultanin fuhr folgendermaßen fort:

»Der Prinz von Karisme sah wohl ein, wenn er diese Verbindung nicht annähme, so würde der König der Samsaren, durch seine Weigerung gereizt, nicht ermangeln, ihn töten zu lassen, und willigte endlich in diese Heirat. Er vermählte sich also mit der Prinzessin. Sie hatte den schönsten Hundskopf auf der ganzen Insel: gleichwohl konnte er sich nicht daran gewöhnen, und er hatte einen vollkommenen Abscheu vor ihr; je mehr Liebkosungen sie ihm machte, je abschreckender fand er sie.

Dieser Widerwille hätte für den Prinzen verdrießliche Folgen haben können; aber der Engel des Todes kam ihnen zuvor und nahte sich dem Bette der Prinzessin, welche wenige Tage nach ihrer Verheiratung starb.

Der Prinz freute sich in sich selber, sich von einer so abscheulichen Frau befreit zu sehen, als er vernahm, daß es Brauch war auf dieser Insel so wie auf der von Serendib, den Witwer mit seiner verstorbenen Frau lebendig zu begraben, wie die Witwe mit dem verstorbenen Manne. Man sagte ihm, daß die Könige ebenfalls diesem schrecklichen Gesetz unterworfen wären; daß die Samsaren so daran gewöhnt wären, daß sie ohne Kummer den Tag ihres Begräbnisses herannahen sähen; daß dieser Tag sogar ihnen vielmehr ein Tag der Freude denn ein Tag der Traurigkeit schiene, indem die einer solchen Beerdigung beiwohnenden Männer und Frauen dabei tanzten und Lieder sängen, die mehr geeignet wären, Freude als Trauer zu erregen.

Diese Nachricht verursachte dem Prinzen von Karisme einen unaussprechlichen Schmerz: gleichwohl mußte er der Notwendigkeit weichen. Man setzte ihn, wie seine Frau, auf eine offene Bahre, mit einem Brot und einem Kruge Wasser, und trug sie an den Ort des Begräbnisses.

Dieses war eine tiefe und weite unterirdische Höhle, welche man eigens dafür auf dem Felde ausgegraben hatte. Zuvörderst ließ man die Prinzessin mit einem Seile hinab. Hierauf teilten alle Personen des Leichengefolges sich in zwei Reihen, zu tanzen und zu singen. Die Jünglinge mit ihren Geliebten stellten sich auf die eine Seite und auf die andere die Neuvermählten. Die ersten faßten sich bei der Hand, tanzten im Reigen, während in ihrer Mitte einer der Jünglinge folgende persische Verse sang:

»Hier sind die Fesseln der Liebe ewige Fesseln: wenn der Engel der Ehe uns mit unsern Geliebten verbindet, so schwören wir ihnen Treue bis in den Tod; und aus Furcht, unser Gelübde zu brechen, begraben wir uns mit ihnen.«

Die Neuvermählten tanzten paarweise, das heißt, jeder Mann mit seiner Gattin, und jede Frau sang abwechselnd diese Verse:

»Wollen wir nicht, geliebter Gatte, einer des andern Tod fürchten, so laß uns einander beständig lieben; aber so zärtlich muß unsere Liebe sein, daß wir einander nicht überleben können.«

Nach allen diesen Tänzen und Gesängen, welche dem Prinzen von Narisme kein sonderliches Vergnügen machten, ließ man ihn ebenso wie seine Frau in die Höhle hinab, deren Öffnung man sogleich mit einem schweren Steine verschloß.

Als er sich in diesem entsetzlichen Abgrunde sah, rief er aus: »O mein Gott! in welchen Zustand lässest du mich versinken? Ist dies das Los, das du für einen Prinzen aufbehalten hast, der immerdar getreulich die Vorschriften des Korans befolgt hat? Hast du mich nur den Bitten meines Vaters gewährt, um mich dem grausamsten Tode zu weihen?« Indem er also sprach, fing er bitterlich an zu weinen.

Obwohl ohne Hoffnung, aus diesem verhängnisvollen Orte zu entkommen, unterließ er jedoch nicht, sobald er sich auf dem Boden fühlte, aus dem Sarge aufzustehen und tappend längs einer Mauer hinzugehen, die ihm aufstieß.

Er hatte noch nicht hundert Schritte gemacht, als seine Augen plötzlich durch den Glanz eines Lichtes getroffen wurden, welches er vor sich erblickte; er beschleunigte sogleich seine Schritte und kam bald dem Lichte so nahe, daß er bemerkte, daß es eine Frau war, die eine Wachskerze in der Hand hielt.

Er näherte sich ihr noch mehr; aber die Frau, sobald sie den Schall seiner Tritte hörte, blies das Licht aus. »O Himmel!« sagte darauf der Prinz, »sollte ich mich getäuscht haben? Habe ich nicht wirklich ein Licht gesehen? Sollte es nur ein Gespenst meines verwirrten Geistes gewesen sein? Ohne Zweifel, es ist eine Täuschung. Ach, unglückseliger Prinz! Gib für immer die Hoffnung auf, die Sonne wiederzusehen! Da bist du nun in die ewige Nacht hinabgestiegen, noch vor dem von der Natur gesetzten Ziele. O König von Karisme! Unglücklicher Urheber meines Daseins, gib die Hoffnung meiner Heimkehr auf! Ach! dein Sohn wird nicht die Stütze und der Trost deines Alters sein: er muß hier auf die qualvollste Weise umkommen!«

Als er diese letzten Worte aussprach, hörte er eine Stimme, welche zu ihm sagte: »Tröstet Euch, Prinz; da Ihr der Sohn des Königs von Karisme seid, so sollt Ihr hier nicht Eure Tage beschließen: ich will Euch retten unter der Bedingung, daß Ihr mir zuvor versprechet, mich zu heiraten.« – »Herrin,« antwortete der Prinz, »es ist ohne Zweifel eine harte Bestimmung, mit fünfzehn Jahren lebendig begraben zu sein: aber ich will lieber alle Härte derselben erdulden, als Euch dieses Versprechen tun, wenn Ihr meiner verstorbenen Frau ähnlich seid. Habt Ihr, wie sie, einen Hundskopf, so ist es mir unmöglich, Euch zu lieben.« – »Ich bin keine Samsarin,« erwiderte die Frau; »übrigens bin ich nur vierzehn Jahre alt, und ich glaube nicht, daß mein Gesicht Euch Furcht machen wird.«

Indem sie dieses sagte, zündete sie die Wachskerze wieder an und ließ den Augen des Prinzen ein Gesicht entgegenleuchten, dessen Schönheit ihn erstaunte.

»Welche Reize!« rief er mit Entzücken aus, »nichts ist mit dem zu vergleichen, was ich erblicke. Aber um Himmels willen, schönes Fräulein, saget mir, wer seid Ihr? Ihr müßt eine Fee sein, weil Ihr mir gesagt habt, daß Ihr mich aus diesem Abgrunde ziehen könnet.« –

»Nein, Herr,« sagte das Fräulein, »ich bin keine Fee, ich bin die Tochter des Königs von Georgien, und man nennt mich Dilaram. Ich will Euch meine Geschichte ein andermal erzählen; gegenwärtig begnüge ich mich, Euch zu sagen, daß ich durch einen Sturm an diese unselige Insel verschlagen und genötigt wurde, um dem Tode zu entgehen, einen samsarischen Herrn zu heiraten: er starb gestern nach einer langen Krankheit; man begrub auch mich nach dem Landesgebrauche mit einem Brot und einem Kruge Wasser; aber vor meiner Beerdigung verbarg ich unter meinem Rock einen Tschakmak samt Zunder und Wachskerze. Sobald ich in diese Gruft hinabgekommen war und bemerkte, daß man die Öffnung derselben verschlossen hatte, stieg ich aus meinem Sarge und zündete die Kerze an: ich empfand nicht ganz das Grauen, welches mich an diesem schreckensvollen Orte hätte ergreifen müssen; der Himmel, welcher meine Erhaltung wollte, flößte mir ein Vertrauen ein, dem sich mein Herz, ohne zu wissen warum, hingab. Ich verfolgte einen ziemlich schmalen Weg, der sich vor mir zeigte, sowohl um mich von den tausend entsetzlichen Gegenständen, die mein Auge beleidigten, zu entfernen, als um zu sehen, ob ich nicht irgend einen Ausgang finden könnte. Kaum hatte ich hundert Schritte gemacht, als ich etwas Weißes erblickte: es war ein großer Marmorstein, der sich meinen Augen darstellte. Ich näherte mich ihm und geriet in das äußerste Erstaunen, als ich eine Inschrift bemerkte, in welcher auch mein Name vorkam. Kommt, Prinz,« fuhr Dilaram fort, »kommt und lest diese Inschrift; sie wird Euch nicht weniger Überraschung verursachen als mir.«

Indem sie dieses sprach, gab sie die Kerze dem Prinzen, welcher sich dem Steine näherte und auf demselben folgende Worte las:

»Wenn der Prinz von Karisme und die Prinzessin von Georgien hier zusammenkommen, mögen sie diesen Stein aufheben und die Treppe darunter hinabsteigen.«

»Aber wie,« sagte der Prinz, »können wir diesen schweren Stein emporheben? Es würden mehr denn hundert Mann erfordert, um das zu bewerkstelligen.« – »Herr,« sagte die Prinzessin, »wir wollen doch immer unsere Kräfte versuchen; irgend ein Weiser ist bei unsern Angelegenheiten im Spiele, und ich habe eine Vorahnung, daß wir uns von hier aus befreien werden.«

Der Prinz gab die Kerze wieder an Dilaram und schickte sich an, den Stein zu lüften; aber er hatte nicht nötig, all seine Kräfte anzustrengen, denn sobald er ihn nur berührte, schob er sich von selber weg, und darunter erschien eine Treppe.

Beide stiegen sogleich hinab in eine andere Gruft, von wo sie in einen langen Gang traten, der sie bis in eine am Fuß eines Berges ausgehauene Höhle führte; durch diese traten sie wieder ans Licht und befanden sich am Ufer eines Flusses.

Als gute Moslemin, die sie waren, warfen sie sich nieder und beteten; und nachdem sie Gott den schuldigen Dank gesagt, erblickten sie am Ufer des Flusses eine kleine Barke, welche sie zuvor nicht bemerkt hatten. Sie zweifelten nicht, daß es ein neues Wunder wäre, welches die göttliche Güte für sie gewirkt hätte. Das verdoppelte ihre Freude über das Wiedersehen des Tages; und obschon die Barke ohne Ruder und Matrosen war, so traten sie dennoch mit Vertrauen hinein. »Diese Barke,« sagte der Prinz, »wird ohne Zweifel von unserm Schutzengel gesteuert, welcher dafür sorgen wird, uns an irgend einen bewohnten Ort zu führen. Folgen wir dem Laufe des Stromes, und fürchten wir nichts.«

Sie überließen sich der Strömung, deren Schnelligkeit im Fortgange immer zunahm; denn der Fluß verengte sich allmählich immer mehr, um zwischen zwei Bergen durchzudringen, deren Gipfel sich vereinigten und ein unermeßliches Gewölbe bildeten, worin es sehr dunkel war, daß man weder Himmel noch Erde sah. Die Barke wurde in dieses Gewölbe so gewaltig hineingezogen, daß der Prinz und die Prinzessin sich schon verloren glaubten. Sie fingen an zu fürchten, daß der Himmel nicht so viel Sorge für ihr Leben trüge, als sie sich eingebildet hatten. In der Tat, bald wurden sie hoch bis an das Gewölbe emporgehoben, und bald schienen sie in den Abgrund hinabzufahren. Sie sparten bei dieser Gelegenheit keine Gebete, und sie wurden erhört. Die Barke trat endlich aus dem Gewölbe hervor, und der Strom schob sie ans Ufer.

Sie stiegen sogleich ans Land; und wieder Mut fassend, schauten sie nach allen Seiten in den Gefilden umher, ob sie nicht irgend ein Haus entdeckten, wo sie um Erfrischungen bitten könnten. Sie erblickten auf dem Abhange eines Berges einen hohen Dom, welcher dem ähnlich war, den man Kubbay Chiramant nennt. Sie richteten ihre Schritte nach demselben, und als sie sich ihm genähert hatten, sahen sie, daß er sich in der Mitte eines prächtigen Palastes befand, auf dessen Türe mehrere hieroglyphisch-kabbalistische Figuren standen mit dieser arabischen Inschrift:

»O du, der du in diesen reichen Palast einzutreten wünschest, vernimm, daß du nicht hineinkommst, wenn du nicht vor der Tür ein achtfüßiges Tier opferst.«

»Da bin ich in meiner Erwartung betrogen,« sagte die Prinzessin Dilaram, »ich glaubte schon, daß ich das Vergnügen haben würde, das Innere dieses Palastes zu schauen.« – »Prinzessin,« sagte der Prinz, »ich war von derselben Neugier getrieben; aber es ist unmöglich, sie zu befriedigen; wir würden vergebliche Anstrengungen machen, um die Tür zu öffnen. Diese Figuren, welche wir darauf sehen, bilden einen Talisman, der es verhindert.« – »Wohlan denn,« sagte die Prinzessin von Georgien; »setzen wir uns auf diesen Rasen nieder, um uns einen Augenblick auszuruhen und zu überlegen, was wir nun tun sollen.« – »Meine Prinzessin,« erwiderte der Prinz von Karisme, »erzählet mir lieber Eure Geschichte, ich bin höchst ungeduldig, sie zu vernehmen.«

»Ich will sie Euch mit wenigen Worten erzählen, Herr,« antwortete Dilaram. »Der König von Georgien, mein Vater, ließ mich in seinem Palaste mit aller Sorgfalt erziehen, deren nur ein Vater fähig ist, der seine Kinder zärtlich liebt. Ein junger Prinz unsers Hauses, welcher die Freiheit hatte, mich manchmal zu sehen, hegte für mich Empfindungen, die seiner Ruhe gefährlich waren. Er liebte mich, und ich fing an, seine Liebe zu erwidern, als der Großwesir eines benachbarten Königs an dem Hof von Georgien ankam und für seinen Herrn um meine Hand warb. Mein Vater, dem diese Verbindung vorteilhaft schien, willigte ohne Bedenken ein, und ich mußte mich zur Abreise mit dem Wesir anschicken. Der junge Prinz, der mich liebte, war so betrübt über meine Abreise, daß er vor Schmerz starb, indem er mir Lebewohl sagte. Ich beweinte seinen Tod auf eine Weise, die alle Welt überzeugen mußte, daß ich ihn bei seinem Leben nicht gehaßt hatte; gleichwohl, da man wußte, daß ich meinen Vater zärtlich liebte, täuschte man sich über die Quelle meiner Tränen und wähnte mich zärtlicher, als ich war. Indessen reiste ich mit dem Wesir ab. Wir schifften uns in ein kleines Fahrzeug ein, um über einen Arm des Meeres zu setzen, das wir durchschiffen mußten; da erhob sich plötzlich ein so wütender Sturm, daß unsere Matrosen nicht mehr wußten, was sie tun sollten, und das Schiff den Winden und Wellen preisgaben, welche uns an die Insel der Samsaren warfen.

Diese Ungeheuer liefen auf das Gerücht von unserer Ankunft sogleich an den Strand und bemächtigten sich der ganzen Schiffsmannschaft. Das Folgende kann ich nicht ohne Grauen erzählen: sie fraßen den Wesir samt allen Personen unsers Gefolges. Was mich betrifft, so gefiel ich einem alten samsarischen Herrn, welcher mir sagte, wenn ich ihn heiraten wollte, so würde ich dasselbe Schicksal vermeiden, dem ich sonst nicht entgehen könnte. Ich bekenne Euch aufrichtig, ich hatte eine solche Furcht, gefressen zu werden, daß ich mich lieber entschloß, seine Frau zu werden, obgleich sein Hundskopf mich jedesmal grauen machte, wenn ich ihn ansah. Zwei Tage nach unserer Hochzeit ward er krank. Lange hatte seine Krankheit gedauert, bis endlich gestern ihn der Tod ...«

Der Prinz von Karisme unterbrach bei dieser Stelle ungestüm die Prinzessin, weil er eine Tarantel auf sie zulaufen sah. »Nehmt Euch in acht, Herrin,« rief er aus, »ich sehe eine Tarantel auf Euerm Kleide.« Auf diese Warnung stieß Dilaram, welche wußte, wie gefährlich die Taranteln sind, einen durchdringenden Schrei aus. Sie sprang schleunig auf und schüttelte ihr Kleid: die Tarantel fiel herab, und der Prinz trat mit dem Fuße daraus und zerquetschte sie.

Kaum hatte er sie getötet, als sie ein starkes Geräusch vom Palaste her hörten, dessen Pforte sich plötzlich von selber öffnete. Betroffen über diese Erscheinung, sahen sie einander mit äußerster Verwunderung an. Sie schlossen aber daraus, daß die Tarantel acht Füße haben müßte, und daß sie das Tier wäre, dessen Opferung die Inschrift verlangte.

Erfreut über dieses Abenteuer, standen sie auf und gingen nach dem Schlosse. Sie traten zuvörderst in einen großen Garten, wo Bäume von allen Arten aus allen Weltteilen versammelt schienen. Die Zweige dieser Bäume schienen mit reifen Früchten beladen; aber als der Prinz, von Hunger getrieben, sich nahte, um welche abzubrechen, bemerkte er, daß sie von Gold waren. Mitten im Garten rieselte ein Bächlein, dessen reines und klares Wasser auf dem Grunde zahllose Edelsteine sehen ließ.

Nachdem sie den Garten mit aller ihm gebührenden Aufmerksamkeit betrachtet hatten, gingen sie auf den Dom zu, welcher schon beim Aussteigen aus der Barke ihre Blicke aus sich gezogen hatte. Er bestand ganz aus Bergkristall; sie gingen durch denselben und fürder durch mehrere überall von Gold, Diamanten und Rubinen strahlende Zimmer, ohne jemand zu begegnen. Endlich kamen sie an eine silberne Tür, welche sie öffneten. Sie traten in ein prachtvolles Gemach und fanden darin auf einem Sofa einen Greis mit einer Krone von Smaragden auf dem Haupte. Sein weißer Bart hing bis aus die Erde hinab, bestand aber nur aus sechs langen voneinander abstehenden Haaren; ebenso bestand sein Schnauzbart aus drei Haaren auf jeder Seite, welche unter dem Kinne sich mit dem übrigen Barte vereinigten; überdies waren die Nägel seiner Finger wenigstens eine Elle lang.

Diese ehrwürdige Gestalt wandte die Augen auf den Prinzen und die Prinzessin und sagte zu ihnen: »Ihr jungen Leute, wer seid ihr?« – »Herr,« antwortete der Prinz, »ich bin der Sohn des Königs von Karisme, und diese schöne Prinzessin ist die Tochter des Königs von Georgien. Wir wollen Euch mit Eurer Erlaubnis unsere Abenteuer erzählen. Ich bin überzeugt, Ihr werdet Mitleid mit uns haben, und ich schmeichle mir, Ihr werdet großmütig genug sein, uns eine Zuflucht zu gewähren.«

»Ja, Prinz,« erwiderte der Greis, »ich gebe sie euch,' seid mir eins wie das andere willkommen. Da ihr Königskinder seid und glücklich genug gewesen, den Eingang in diesen Palast zu finden, so kommt es nur auf euch an, meine Annehmlichkeiten zu teilen. Bleibt hier bei mir, ihr werdet einer ewigen Glückseligkeit genießen. Der Tod, welcher alle anderen Menschen seine Macht fühlen läßt, wird euch meiden.

Ich war einst König von China. Die Länge meiner Nägel verkündigt euch mein hohes Alter. Eine Umwälzung, die in meinen Staaten vorging, nötigte mich, sie zu verlassen. Ich begab mich in diese Wüste, ich ließ hier einen Palast erbauen durch mehrere Geister, denen ich als Kabbalist zu gebieten habe. Es sind schon tausend Jahre, daß ich hier bin, und ich habe den Vorsatz, ewig zu leben; denn ich besitze das Geheimnis des Steins der Weisen, und folglich bin ich unsterblich. Ich will euch dieses wunderbare Geheimnis mitteilen, wenn ihr einige Jahrzehnte bei mir zugebracht habt. – Meine Rede erstaunt euch,« fügte er hinzu; »aber was ich euch sage, ist allerdings wahr. Ein Mensch, der den Stein der Weisen zu bereiten versteht, kann nicht des natürlichen Todes sterben. Er kann, ich gestehe es, ermordet werden; sein Geheimnis vermag ihn nicht vor einem gewaltsamen Tode zu schützen: aber um die Gelegenheit dazu zu vermeiden, darf er sich nur in eine unterirdische Wohnung zurückziehen oder sich in einer Wüste einen solchen Palast bauen lassen, wie dieser ist. Hier bin ich in Sicherheit; Tollkühnheit und Nachstellung vermögen nichts gegen mich auszurichten. Der Talisman, welchen ihr auf der Tür bemerkt habt, ist auf eine solche Weise zusammengesetzt, daß weder Räuber noch Bösewichte hereintreten können, und wenn sie auch tausend achtfüßige Tiere opferten, wer ein solches Tier tötet, muß ein tugendhafter Mensch sein, sonst öffnet sich die Tür ihm nicht.«

Nachdem der alte König von China seine Rede geendigt hatte, erbot er dem Prinzen und der Prinzessin seine Freundschaft, und beide entschlossen sich, bei ihm in dem Palaste zu bleiben.

Er fragte sie darauf, ob sie nicht Erfrischungen bedürften, und als sie ihm dies bejahten, zeigte er ihnen mit dem Finger zwei Springbrunnen, welche sich in goldene Becken ergossen. Der eine bestand aus köstlichem Wein und der andere aus unvergleichlicher Milch, welche, im Niederfallen gerinnend, zu einer Art von köstlichem Gallert ward. Der alte König rief drei Geister und befahl ihnen, aufzutragen. Sie deckten sogleich einen Tisch für drei Personen und besetzten ihn mit drei Schüsseln der geronnenen Milch. Der Prinz von Karisme und die Prinzessin von Georgien aßen davon mit großer Lust, und von Zeit zu Zeit reichten ihnen die Geister auch von dem Weine in Schalen von Kristall. Der alte König aber, der sich wegen der übergroßen Länge seiner Nägel seiner Hände nicht bedienen konnte, tat nichts weiter, als den Mund zu öffnen, und einer der Geister gab ihm zu essen und zu trinken wie einem Kinde.

Gegen das Ende der Mahlzeit bat dieser gute alte König seine Gäste, ihm ihre Geschichte zu erzählen, was sie auch, sowohl aus Zuneigung, als dem Rechte der Gastfreundschaft zu Ehren, gern taten.

Nachdem sie die Erzählung ihrer Abenteuer vollendet hatten, nahm er das Wort und sagte zu ihnen: »Tröstet euch beide über eure vergangenen Unglücksfälle. Ihr seid jung und liebenswürdig und könnt euch hier durch das Gelübde gegenseitiger Treue das angenehmste Leben bereiten.«

Der Prinz und die Prinzessin, welche sich schon ewige Liebe geschworen hatten, erneuerten ihren Eid und vermählten sich vor Seiner Chinesischen Majestät, welche sie zum Zeugen ihres Bundes nahmen.

Gern hätten diese zärtlichen Gatten jeden Augenblick der Liebe geweiht; aber aus Gefälligkeit für den alten König opferten sie einen Teil des Tages, ihn zu unterhalten, oder vielmehr, alle die Geschichten seiner Zeit anzuhören, welche er nicht müde ward, ihnen zu erzählen.

Unterdessen ward die Prinzessin schwanger und gebar gleich zwei kleine Prinzen, schön von Angesicht wie der Mond. Sie nährte sie selber mit ihrer Milch, und als sie fähig waren, Unterricht anzunehmen, lehrte sie einer der Geister tausend wundersame Sachen.

Schon waren sie zehn Jahr alt, als die Prinzessin, ihre Mutter, zu dem Prinzen, ihrem Gemahle, sprach: »Mein teurer Herr, ich muß dir bekennen, daß ich anfange, in diesem Palaste mich zu langweilen. Umsonst bietet er meinen Augen tausend wunderbare Gegenstände dar. Der Zwang, für immer darin zu bleiben, beraubt ihn für mich aller Reize. Mag der König von China uns immerhin versichern, daß wir niemals sterben werden, diese Versicherung rührt mich wenig. Sein Geheimnis schützt nicht vor dem Alter, und es ist vielmehr ein Unglück denn ein Glück, vom Alter beschwert zu leben. Übrigens möchte ich auch gern meinen Vater wiedersehen, wenn der Schmerz über meinen Verlust ihm nicht das Leben geraubt.«

»Meine Königin,« antwortete der Prinz, »bei dieser Unsterblichkeit, welche man uns verheißen hat, habe ich kein anderes Vergnügen im Sinne als das, dich ewig lieben zu können. Der Himmel ist mein Zeuge, daß auch ich das größte Verlangen trage, den König, meinen Vater, wiederzusehen, dessen Andenken mir oft Tränen entlockt: aber welchen Weg sollen wir einschlagen, um nach Georgien zu gelangen?« – »Herr,« erwiderte die Prinzessin, »unsere Barke steht noch auf dem Strande, an welchen die Fluten sie geworfen haben: laß uns ihr zum zweiten Male unser Schicksal anvertrauen, und folgen wir dem Strome; er bringt uns vielleicht an irgend einen Ort, wo wir eine Gelegenheit finden, an den Hof meines Vaters oder in die Staaten des deinen zu gelangen.«

»Ich willige ein, meine Herrin,« erwiderte der Prinz, »nur dir zu gefallen ist all mein Bestreben. Wir wollen diesen Palast verlassen, weil du dich darin langweilst, und mit den Prinzen, unsern Söhnen, die Barke besteigen. Aber, ach! welche Betrübnis wird unsere Abreise dem Könige von China verursachen! Er liebt uns wie seine Kinder; er glaubt, daß wir ihn nie verlassen werden: er wird untröstlich sein, wenn wir von ihm scheiden.«

»Laß uns hingehen und mit ihm reden,« sagte die Prinzessin; »wir wollen uns verstellen und, um seine Verzweiflung abzuwenden, ihn glauben machen, daß wir nicht für immer von ihm scheiden wollen.«

Nach dieser Unterhaltung begaben sie sich zu dem alten Könige; sie stellten ihm vor, daß sie eine so heftige Sehnsucht hätten, ihre Eltern wiederzusehen, daß sie ihr nicht widerstehen könnten; sie baten ihn, in ihre Heimkehr in ihr Vaterland zu willigen, und versicherten ihn, daß sie binnen einiger Jahre wieder zu ihm kommen würden.

Auf diese Rede fing der König an zu weinen. »O meine Kinder!« rief er aus, »so soll ich euch denn verlieren! Ach! ich werde euch nimmer Wiedersehen.« – »Herr,« sagte der Prinz, »laßt uns den Antrieben des Blutes folgen: wenn wir ihnen genug getan haben, so werden wir in diese Einsamkeit zurückkehren, um mit Euch die Süßigkeit der Unsterblichkeit zu genießen.«

Die Prinzessin wiederholte ihm dasselbe; aber sie mochten ihn immerhin ihrer Wiederkehr versichern: da er die Wissenschaft Mekaschefa besaß, so las er im Grunde ihres Herzens und wußte wohl, daß sie nicht gesonnen waren, ihm ihr Wort zu halten. Der Schmerz, diese von ihm so überaus zärtlich geliebten Personen zu verlieren, machte ihm das Leben unerträglich. Er rief den Engel des Todes, welchen er seit so vielen Menschenaltern durch die Geheimnisse seiner Kunst von sich entfernt hielt; er gab die Sorgfalt auf, an welche er sich gewöhnt hatte, um seine Tage zu verlängern, und ließ sich sterben.

Kaum hatte er den letzten Seufzer ausgehaucht, als seine Geister ihn entrückten. Der Palast verschwand darauf auch plötzlich, und der Prinz mit seiner Gattin und seinen Kindern befanden sich mitten auf dem Felde. Sie konnten sich nicht enthalten zu weinen, wenn sie bedachten, daß sie die Ursache des Todes des alten Königs wären; aber ihr Schmerz wich bald den lockenden Vorstellungen, welche die Hoffnung, ihre Eltern wiederzusehen, ihnen eingab, und sie beschäftigten sich jetzt nur mit ihrer Abreise.

Sie brachen einige Früchte, welche trotz der Unfruchtbarkeit des Bodens die gütige Natur eigens für sie in dieser Wüste hervorgebracht zu haben schien. Sie trugen dieselben in ihre Barke, welche an einen Pfahl gebunden und noch in demselben Stande war, in welchem sie sie verlassen hatten. Sie banden sie los, stiegen alle viere hinein und überließen sich dem Laufe des Stromes, welcher eine Viertelmeile von dort sich in das Meer ergoß.

Ein Seeräuber, welcher vor der Mündung dieses Stromes kreuzte, entdeckte die Barke, nahte sich ihr und rief dem Prinzen zu, sich zu ergeben, wenn er dem Tode entgehen wollte. Der Prinz war ohne Waffen, was konnte er da gegen eine so große Zahl Bewaffneter ausrichten? Anstatt sich unnütz zu verteidigen, übergab er sich den Händen des Seeräubers, indem er ihn bei allem, was heilig ist, beschwor, seiner Gattin nicht die Ehre und seinen Kindern nicht das Leben zu rauben.

Der Räuber, nachdem er sie an Bord genommen hatte, segelte nach einer Insel, wo er den Prinzen von Karisme aussetzen ließ. Darauf suchte er wieder das Weite und nahm die Prinzessin und ihre beiden Söhne mit sich.

Es ist unmöglich, den Jammer des Prinzen und seiner Dilaram zu schildern, als sie sich also getrennt sahen. Solange der Prinz das Schiff noch sehen konnte, hörte er nicht auf, dem Räuber nachzurufen. »Ha, Bösewicht!« schrie er ihm zu, »wähne nicht, daß Gott deine Schandtat unbestraft lassen wird. In welchen Winkel der Erde du dich auch verbergen magst, du wirst nicht der Strafe entgehen, welche seine Gerechtigkeit dir bereitet.« Darauf sich gen Himmel richtend, fuhr er fort: »O du gerechter Himmel! der du mich bisher immer beschützt, hast du mich jetzt verlassen? Hast du es zulassen können, daß man mir meine Gattin und meine Kinder entriß? Wehe mir! Wenn du nicht ein neues Wunder tust, um mir diese so teuern Gegenstände wiederzugeben, so habe ich mich über deine bisherige Gnade mehr zu beklagen als glücklich zu preisen. Warum hast du mich aus so viel Gefahren gerettet? Schobest du mein Verderben nur auf, bis ich alle Bekümmernisse eines Vaters und Gatten empfände?«

Während er solche Reden ausstieß, sah er mehrere Leute auf sich zukommen, welche ihm sehr seltsam schienen. Sie hatten einen Leib wie andere Menschen, waren aber ohne Kopf: sie hatten ein weites Maul in der Brust und ein Auge an jeder Schulter. Diese Ungeheuer bemächtigten sich seiner und führten ihn zu ihrem Könige.

»Herr,« sagten sie zu ihm, »hier ist ein Fremdling von sehr üblem Aussehen, welchen wir auf dem Strande gefunden haben. Er könnte wohl ein Kundschafter unserer Feinde sein.« – »Wohlan,« antwortete der König, »man bereite einen Holzstoß und verbrenne ihn darauf, nachdem ich ihn befragt habe. Junger Mensch,« fuhr er fort, indem er sich zu dem Prinzen wandte, »wer bist du? woher kommst du? und was führt dich her auf diese Insel?«

Der Prinz verschwieg ihm nicht seine Abkunft und machte ihm eine lange und umständliche Erzählung seiner Abenteuer.

Der König verwunderte sich darüber und sagte zu ihm: »Prinz, ich sehe wohl, daß der Himmel Euer Leben in besondere Obhut genommen hat. Wenn die seltsamen Abenteuer, welche Ihr mir erzählt habt, es mir nicht bewiesen, so würden die Regungen des Mitleids, welche sie mir einflößen, mich nicht länger daran zweifeln lassen. Ich folge diesem Antriebe: ja, Ihr sollt leben, ich gebe Euch eine Zuflucht an meinem Hofe, und ich schmeichle mir, daß Ihr mir in dem Kriege, welchen ich mit einem benachbarten König führe, nicht unnütz sein werdet. Ich will Euch die Ursache dieses Krieges sagen. Er und seine Untertanen sind nicht solche Menschen ohne Kopf wie wir, sondern sie haben große Vogelköpfe, und wenn sie sprechen, so gleicht ihre Stimme dermaßen der Vogelstimme, daß wir, sobald einer von ihnen auf unserer Insel ankommt, ihn für einen Strandvogel nehmen und ihn verzehren. Das mißfällt nun ihrem Könige, welcher, um sich zu rächen, von Zeit zu Zeit eine Flotte ausrüstet und hier Landungen versucht. Er hat deren schon mehrere gemacht, die ihm mißlungen sind. Indessen gibt er die Hoffnung nicht auf, uns alle zu vertilgen; und wir unsererseits hoffen nicht minder, ihn samt seinen Untertanen zu fressen.

Das ist der Stand meiner Angelegenheiten,« fuhr der König der kopflosen Menschen fort. »Wir sind auf unserer Hut vor Überfällen, und bisher haben wir noch immer die Oberhand über unsere Feinde behalten.«

Der Prinz von Karisme bot dem Könige seinen Arm an, und dieser machte ihn zum Befehlshaber seines Heeres. Der junge Feldherr säumte nicht, sein Amt auszuüben und zu zeigen, daß er dessen nicht unwürdig wäre.

Es erschien bald darauf an der Küste eine große Anzahl von Schiffen. Es war der König von der Insel der vogelköpfigen Menschen, welcher mit dem erlesensten Teile seines Volkes eine neue Landung versuchte. Der Prinz von Karisme ließ ihm Zeit, die Hälfte der Truppen auszuschiffen; dann aber griff er sie mit den Seinen ungestüm an, brachte sie in Unordnung und zwang sie, wieder auf ihre Schiffe zu fliehen. Viele von ihnen wurden getötet, eine große Menge ertrank, und der vogelköpfige König ward gezwungen, mit den übrigen sich zurückzuziehen.

Niemals hatte der König der kopflosen Menschen einen so glänzenden Sieg davongetragen. Der Prinz hatte alle Ehre davon; die Soldaten gestanden, daß sie noch niemals waren so gut geführt worden, und daß keiner ihrer Feldherren, selbst der berühmteste nicht, so viel Geschicklichkeit gezeigt hatte.

Diese Lobeserhebungen schmeichelten dem jungen Helden, welcher, um sie noch besser zu verdienen, dem Könige vorschlug, auch seinerseits eine Flotte auszurüsten und seinen Feinden daheim Schrecken einzujagen. Der König genehmigte diesen Vorschlag, und eine furchtbare Flotte segelte nach der Insel der vogelköpfigen Menschen unter dem Befehle des Prinzen von Karisme.

Er bewerkstelligte seine Landung in der Nacht und stellte ohne Lärmen seine Leute in Schlachtordnung, und mit Anbruch des Tages rückte er gegen die Stadt vor und überfiel die Einwohner, welche sich eines solchen Angriffs nicht versahen. Er tötete alles, was ihm Widerstand tat. Er nahm den König mit seinem ganzen Hofe gefangen und kehrte siegreich nach der Insel der kopflosen Menschen zurück.

Hier wurde er unter dem Zujauchzen des daheimgebliebenen Volkes empfangen, und es wurden Freudenfeste angestellt, welche einen Monat lang dauerten. Man verteilte die Gefangenen unter den Einwohnern, welche sie mit allen den Brühen verspeisten, womit man Strandvögel zu speisen pflegt. Der besiegte König selber entging nicht eben dieser Todesart: bei einem Feste wurde er der ganzen königlichen Familie der kopflosen Menschen aufgetischt.

Nach diesem Feldzuge, welcher den Krieg vollständig beendigte, begann der Prinz von Karisme ein müßiges Leben zu führen. Er blieb neun Jahre am Hof des kopflosen Königs, welcher ihn so lieb gewann, daß er eines Tages zu ihm sagte:

»Prinz, ich bin alt und habe keinen männlichen Erben: ich will Euch meine Krone hinterlassen unter der Bedingung, daß Ihr sie mit meiner Tochter teilet. Obwohl Ihr eine sehr seltsame und gar lächerliche Gestalt habt, so will ich Euch doch gern zu meinem Schwiegersohn annehmen.«

Der Prinz wich diesem Antrage sehr geschickt aus, aber der König kam immer wieder darauf zurück, und als er bemerkte, daß der Prinz diese Heirat verabscheute, begann er wieder mit verändertem Tone. »Prinz,« sprach er zu ihm, »es steht Euch fein an, die Ehre auszuschlagen, welche ich Euch antun will! Wisset, daß alle Dienste, welche Ihr mir geleistet habt, Euch nicht schützen werden, meinen Zorn zu empfinden, wenn Ihr noch länger zögert, mir zu gehorchen! Ihr möget es wohl bedenken: Ihr müßt morgen meine Tochter heiraten, oder ich lasse Euch diese Kugel abschlagen, welche sich unaufhörlich auf Euern Schultern dreht und ein sehr schnödes Ansehen macht.«

Diese Worte wurden mit einer Miene ausgesprochen, welche dem Prinzen zu erkennen gab, daß er sich entschließen müßte, die Prinzessin zu heiraten oder zu sterben. In dieser peinlichen Verlegenheit rief er traurig aus: »Unglückseliges Gestirn, unter welchem ich geboren bin, kann ich denn nimmer deinen bösen Einfluß erschöpfen? Es ist noch nicht genug, eine Frau mit einem Hundskopf gehabt zu haben, ich muß mich jetzt auch noch mit einem andern Ungeheuer verbinden. O Dilaram! reizende Dilaram, deren Andenken mir einen Schmerz erregt, welchen die Zeit nie abstumpfen wird, wie kann ein Prinz, der Euer Bild so heilig in seinem Herzen bewahrt, mit einem Weibe leben, dessen Augen sich an die Schultern verirrt haben, und die in der Brust einen Mund hat, der mehr gemacht ist, einen Mann zu verschlingen, als seine Küsse zu empfangen.«

Ungeachtet dieses Widerwillens unterließ er jedoch nicht, sich zu dieser Heirat zu entschließen, welche mit allem Pompe gefeiert wurde, welcher der Geburt der beiden sich vermählenden Personen angemessen war.

In der ersten Hochzeitnacht führte man den Prinzen in ein Gemach, wohin die Braut schon zuvor geführt war, und ließ hier beide allein. Sie näherte sich ihm zuerst, und er bebte vor Entsetzen: er wähnte, daß sie, hingerissen von ihrer Begierde und berechtigt durch den Namen der Gattin, seine ersterbende Glut anfachen wollte; aber sie hielt ihm eine Rede, welche ihm seine Ruhe wiedergab, indem sie ihn aus dem Irrtums zog.

»Ich weiß wohl, Herr,« sprach sie zu ihm, »daß ein Mensch wie Ihr eine Frau hassen muß, die mir gleicht. Ich urteile von Euren Empfindungen nach den meinigen, ich habe ebensoviel Abscheu vor Euch, als Ihr nur immer vor mir haben könnt. Wir betrachten uns beide als Ungeheuer, und wir finden uns beklagenswert, daß wir gezwungen sind, uns miteinander zu verbinden, Ihr, um dem Tode zu entgehen, und ich, um dem Könige, meinem Vater, zu gehorchen. Ich muß Euch bei alledem sagen, daß, wenn Ihr als zartfühlender Mann auf die Rechte des Ehegatten verzichten wollt, ich Euer Glück machen kann.«

»Ach, gnädige Frau,« antwortete der Prinz, »ich verzichte darauf von ganzem Herzen, weil Ihr von mir dies Opfer verlangt: aber ich bitte Euch, saget mir, auf welche Weise könnt Ihr mich glücklich machen?« – »Wisset,« fuhr sie fort, »daß ich einen Geist liebe, welchem ich eine heftige Leidenschaft eingeflößt habe. Sobald er vernimmt, daß mein Vater mich verheiratet hat, wird er nicht säumen zu kommen, um mich zu entführen. Ich werde ihn bitten, Euch in Euer Land zu bringen; und ich bezweifle nicht, daß er, hoch erfreut über Eure Ehrerbietung gegen mich, alles tun werde, was Ihr wünschet.« – »Wohlan, schöne Prinzessin,« erwiderte der Prinz von Karisme, entzückt von der Hoffnung, welche ihm gegeben wurde, »ich willige ein und trete Eurem beglückten Geiste alle die Schätze ab, welche diese Hochzeit mir bestimmte; willig überlasse ich ihm den Besitz davon.«

Nachdem er dies gesagt hatte, legte er sich auf ein Sofa und schlief ein, und die Prinzessin tat das nämliche.

Während sie beide so schliefen, erschien der Geist, welcher die junge Frau liebte, nahm sie beide unter die Arme und führte sie durch die Luft davon. Er hielt auf einer Insel, die nicht weit von der Insel der kopflosen Menschen entfernt war, legte hier den Prinzen auf den Rasen nieder und entführte dann die Prinzessin in eine unterirdische Wohnung, welche er eigens für sie erbaut hatte.

Der Prinz war bei seinem Erwachen verwundert, sich auf einer unbekannten Insel zu finden. Er dachte wohl, daß während seines Schlafes der in die kopflose Prinzessin verliebte Geist ihn hierher versetzt hatte, aber es deuchte ihn, daß dieser Geist nicht so erkenntlich wäre, als sie ihn gerühmt hatte, weil er ihn, anstatt ihn in die Heimat zu bringen, auf einer Insel aussetzte, welche vielleicht von ebenso abscheulichen Leuten bewohnt war als den Samsaren.

Er war beunruhigt von allem, was dieser Gedanke Schreckliches mit sich führte, als er am Ufer des Meeres einen alten Mann erblickte, welcher die Abwaschung zu verrichten schien. Er stand schleunig auf und lief zu ihm hin und fragte ihn, ob er ein Muselmann wäre. »Ja, ich bin es,« antwortete der Greis; »und Ihr, junger Mann, wer seid Ihr? Nach Eurem edlen Anstande zu urteilen, seid Ihr nicht von gemeinem Herkommen.« – »Ihr täuschet Euch nicht in Eurer Vermutung,« erwiderte der Prinz, »denn ich bin ein Königssohn.« – »Und welcher König ist Euer Vater?« fragte der Greis. »Öffnet mir Euer Herz: ich schwöre bei unserm großen Propheten, daß keine Arglist hinter meinen Worten steckt; ich bin geeigneter, Euch zu dienen, als Euch zu schaden: redet ohne Rückhalt.«

»Weil Ihr denn meinen Namen zu wissen wünscht,« erwiderte der Prinz, »so sage ich Euch, daß ich der Prinz von Karisme bin.« – »O Gott!« unterbrach ihn der Greis, »ist es möglich, daß Ihr dieser unglückliche Prinz seid, der durch einen europäischen Seeräuber fortgeführt wurde?« – »Wer hat Euch von diesem Ereignis unterrichten können?« fragte der Prinz. – »Ich muß es wohl wissen, Herr,« antwortete der Greis; »ich bin in den Staaten des Königs, Eures Vaters, geboren. Ihr sehet in mir einen der Sterndeuter, welche Euer Horoskop stellten; und um Euch von dem zu benachrichtigen, was Euch angeht, sage ich Euch, daß Euer Vater sich Eure Entführung so zu Herzen nahm, daß er wenige Tage darnach starb. Sein Volk, dessen Wonne er war, beweinte ihn lange Zeit, und die Hoffnung aufgebend. Euch je wiederzusehen, setzte es einen Prinzen Eures Geblütes auf den Thron. Dieser neue König versammelte die Sterndeuter und befahl uns, die Sterne über seine Regierung zu befragen. Wir verkündigten ihm Dinge, welche ihm mißfielen. Er hielt sich an uns wegen der Unfälle, womit der Himmel ihm drohte, und beschloß, uns alle töten zu lassen. Wir aber entdeckten vermittelst der Geheimnisse unsrer Kunst diesen Anschlag, wir verließen unser Vaterland, und jeder begab sich nach dem Winkel der Erde, den er sich zum Aufenthalt wählte. Ich habe mehrere Länder der Erde durchwandelt und habe mich endlich auf dieser Insel niedergelassen, welche von einer so guten Königin beherrscht wird, daß es kein so glückliches Volk mehr gibt, als ihre Untertanen sind.«

Während der Astrolog also sprach, weinte der Prinz von Karisme bitterlich. Die Nachricht von dem Tode seines Vaters verursachte ihm eine so tiefe Betrübnis, daß der Greis genötigt war, seine Rede zu unterbrechen, um ihn zu trösten. »Herr,« sprach er zu ihm, »wenn ich Euch so traurige Nachrichten hinterbringe, so habe ich auch sehr erfreuliche Euch anzukündigen. Ich erinnere mich noch wohl aller unserer Beobachtungen; der Himmel verheißt Euch ein glückliches Los nach dem dreißigsten Jahre. Ihr zählt jetzt einunddreißig, und folglich ist all Euer Unglück vorüber. Folget mir, wenn's Euch beliebt, ich will Euch zu dem Großwesir führen, welcher ein tugendhafter Mann ist. Er wird Euch der Königin vorstellen, welche Euch den gebührenden Empfang bereiten wird, sobald sie von Eurem Stande unterrichtet ist.«

Der Prinz und der Sterndeuter begaben sich beide zu dem Wesir, welcher nicht sobald den Namen des Prinzen vernommen hatte, als er mit allen Zeichen des höchsten Erstaunens ausrief: »O mein Gott, es ist dir allein vorbehalten, solche Wunder zu tun! – Kommt, Herr,« fuhr er fort, indem er sich zu dem Prinzen von Karisme wandte, »und geht mit mir zu der Königin; Ihr werdet die Ursache meines Erstaunens erfahren.«

Indem er dieses sagte, führte er ihn zu dem Palaste, und als sie in die Gemächer der Königin kamen, bat er ihn, einen Augenblick zu verziehen, weil es gut wäre, die Fürstin zuvor zu benachrichtigen, damit sie sich auf den Empfang eines solchen Prinzen vorbereitete.

Der Wesir blieb ziemlich lange bei der Königin, welche endlich in das Zimmer trat, worin der Prinz war. Sie sah ihm ins Gesicht und erkannte ihn. »O mein Gemahl,« sagte sie, indem sie ihm die Arme entgegenstreckte, »gibt's noch eine solche Freude auf der Welt, als die meine ist, dich wiederzusehen?«

Der Prinz betrachtete sie ebenfalls und erkannte in ihren Zügen seine geliebte Dilaram wieder, und ganz entzückt vor Erstaunen, Liebe und Freude rief er aus: »O meine Königin, ist es möglich, daß ich dich wiederfinde! Wie groß auch die Unglücksfälle sind, welche der Himmel mich hat bestehen lassen, so bekenne ich doch, daß seine Güte seine Strenge übertrifft, weil er dich meiner Zärtlichkeit wiederschenkt.«

Sie umarmten sich beide zu wiederholten Malen mit einem Entzücken, das sich leichter empfinden als ausdrücken läßt. Hierauf fragte der Prinz nach seinen Kindern. »Die wirst du bald sehen, Herr,« antwortete die Fürstin; »sie sind auf die Jagd gegangen und werden bald zurückkommen.« – »Aber wie bist du Königin der Insel geworden, Herrin?« fragte der Prinz. »Ich will deine Neugier sogleich befriedigen,« antwortete Dilaram; »höre, wie ich auf diesen Thron gelangt bin, welchen ich gleich morgen verlasse, um dir zu folgen, wenn mein Volk nicht einwilligt, daß ich ihn mit dir teile.

Sobald der Seeräuber, welcher uns gefangen nahm, dich auf der Insel ausgesetzt hatte, stach er wieder in See, wie du weißt; aber wir hatten noch nicht sechs Meilen gemacht, als ein furchtbarer Sturm sich erhob, und trotz der Geschicklichkeit und den Anstrengungen der Matrosen wurde das Schiff mit solchem Ungestüm gegen die Felsen dieser Küste geworfen, daß es in tausend Stücke brach. Einige Matrosen erreichten durch Schwimmen das Ufer; die übrigen samt dem Hauptmann wollten sich ebenso retten, gingen aber zugrunde. Was mich betrifft, ohne den Himmel um die Erhaltung meines so unglücklichen Lebens zu bitten, umarmte ich meine Söhne, um mit ihnen zu sterben, und schon wollten die Fluten uns verschlingen, als mehrere Leute von der Insel, welche von weitem unsern Schiffbruch angesehen und sich in Boote geworfen hatten, um uns zu Hilfe zu eilen, noch zur rechten Zeit herankamen. Sie zogen uns halbtot aus dem Wasser, und als sie bemerkten, daß wir noch atmeten, trugen sie uns in ihre Häuser und brachten uns vollends ins Leben zurück.

Als der König der Insel von unserm Schiffbruche hörte, war er neugierig, uns zu sehen. Er war ein Mann von neunzig Jahren und so geliebt von seinen Untertanen, als er es verdiente. Ich verschwieg ihm nichts, sondern sagte ihm meinen Stand und erzählte ihm meine Geschichte. Er war gerührt von meinen Unglücksfällen und begleitete mit seinen Tränen die meinen, welche ich bei einigen Stellen meiner Geschichte nicht zurückhalten konnte. Endlich, nachdem er mir mit großer Aufmerksamkeit zugehört hatte, nahm er das Wort und sagte zu mir: »Meine Tochter, man muß die Unfälle mit Standhaftigkeit ertragen; es sind die Proben, auf welche der Himmel unsere Tugend setzt: wenn wir geduldig leiden, so läßt er fast immer Freuden auf unsere Leiden folgen. Bleibet bei mir, ich will für die Prinzen, Eure Kinder, sorgen.«

In der Tat, und wenn sie seine eigenen Söhne gewesen wären, so hätte er nicht mehr Liebe für sie haben können; und seine Hochachtung und Ehrerbietung für mich konnte nicht größer sein. Er begnügte sich nicht, mich mit Ehrenbezeugungen zu überhäufen, er zog mich auch über Staatsangelegenheiten zu Rate; er ließ mich an seinem Staatsrate teilnehmen, und um mich zu überzeugen, in welchem Maße er für mich eingenommen war, erhob er mit großem Lobe alles, was ich sagte, wenn es nur irgend passend war.

Ich verlebte fünf Jahre auf diese Weise, nach deren Verlauf er eines Tages zu mir sagte: »Prinzessin, es ist Zeit, Euch einen Vorsatz zu entdecken, welchen ich gefaßt habe: ich will, daß Ihr nach meinem Tode meinen Thron einnehmet, und um ihn Euch zu versichern, muß ich Euch heiraten. Alle meine Völker, von Euren Tugenden eingenommen, werden meiner Wahl Beifall geben und es mir guten Dank wissen, Euch zu meiner Erbin gemacht zu haben.«

Der Vorteil meiner Söhne bestimmte mich, in diese Verbindung zu willigen, welche unter großem Beifall meiner Völker vollzogen wurde. Sie bezeigten nicht minder Freude und Zufriedenheit, als sie nach seinem Hintritte, welcher sehr nah aus unsere Hochzeit folgte, vernahmen, daß er in seinem letzten Willen ihnen befahl, mich als ihre Gebieterin anzuerkennen. Seit dieser Zeit herrschte ich über sie; und ich darf wohl sagen, daß es mein einziges Bestreben ist, sie glücklich zu machen.«

Als die Königin diese letzten Worte gesprochen hatte, sah sie die beiden Prinzen von der Jagd zurückkommen. »Eilet, Prinzen,« rief sie ihnen entgegen, »eilet, Euren Vater zu umarmen, welchen der Himmel Euch erhalten hat!« Die Stimme des Blutes, welche sich in ihnen vernehmen ließ, ließ sie nicht länger an diesem Wunder zweifeln. Sie liefen zu dem Prinzen von Karisme hin, welcher ihnen die Arme entgegenstreckte und sie einen nach dem andern auf die Augen küßte.

Nachdem diese vier von den zärtlichsten Regungen der Natur bewegten Personen sich tausend Zeichen ihrer Zärtlichkeit gegeben hatten, versammelte der Großwesir das ganze Volk, erzählte ihnen die Geschichte des Prinzen von Karisme und ermahnte sie darauf, diesen Prinzen für ihren König anzuerkennen. Das Volk willigte einstimmig ein und rief den Prinzen von Karisme zum Könige aus.

Dieser regierte mit seiner geliebten Prinzessin von Georgien auf eine solche Weise, daß ihre Regierung die glücklichste Regierung genannt wurde.«

*

»Ich habe diese Geschichte erzählt, Herr,« fuhr der neunte Wesir des Kaisers von Persien fort, »um Euer Majestät zu zeigen, daß die Kinder der Könige ihrem Unstern ebenso unterworfen sind wie die andern. Während ein feindseliges Gestirn seine Einflüsse auf uns ausübt, würde das Gold in unserer Hand sich in schwarze Erde und der Theriak in unserm Munde sich in Gift verwandeln. Der Prinz Nurgehan befindet sich in diesem unglücklichen Fall, alles muß er fürchten, alles wird ihm feindselig, sein eigener Vater ist sein Feind geworden.«

Die Erzählung dieser Geschichte und vor allem die Anwendung, welche der Wesir davon machte, machten den Kaiser betroffen, und trotz dem Versprechen, welches er der Sultanin gegeben hatte, schob er die Hinrichtung des Prinzen auf.

Als am Abend der Sultan zurückkam in seinen Palast, beklagte die Königin sich abermals über den neuen Aufschub der Bestrafung seines Sohnes; und um dem Könige zu zeigen, wie weit ein junger Mensch seine Bosheit treiben kann, erzählte sie ihm die folgende Geschichte:


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