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Hamdismal
1
Zu 1. Graeti alfa. Die Nachtwesen, Zwerge, Alfen, gespenstischen Riesenweiber, kommen um, aufgelöst oder versteinert, wenn die List eines Gottes oder Helden sie verleitet, in der Oberwelt zu weilen, bis sie vom ersten Sonnenstrahl getroffen werden. (Vgl. Alvismal 36 und Helg. Hörv. 29 und 30.) Sie hassen daher den Tagesanbruch, das Morgenrot. Auf Grund dieser Vorstellung bedeutet in der verzwickten Rätselsprache der Skalden, deren Anwendung in der Edda Merkmal spätester Entstehung ist, »Bekümmernis der Nachtelbe« lediglich Tagesanbruch, Morgenfrühe, ohne daß an Mitspiel eines Alfen auch nur gedacht wäre. Der Ausdruck ist erstarrt zur Rune, zur sprachlichen Hieroglyphe, wie z. B. »Fenris Futter« nur noch »Sonne« besagt, oder in der ägyptischen Schrift Adler und Gans nicht mehr diese Vögel, sondern lediglich Buchstabe oder Begriff sind. Das Gespräch, welchem ein Unternehmen von verhängnisvollem Ausgang entsprießt, der Zug zur Rache für Schwanhild, ist das des vorigen Liedes zwischen Gudrun und den Söhnen Jonakurs. Hier wird es teilweise wörtlich wiederholt.
Unheil entsproßte jenem Gespräche,
Das bei freudeschädlichem Frührot stattfand;
Denn der Morgen, der Mahner an Mißgeschicke,
Vergrößert den Gram, macht wilder das Weh.
2
Es hatte sich begeben, nicht heut erst, noch gestern,
Sondern Tage zuvor, daß die Tochter Gibichs
Ihre rüstigen Söhne aufgerufen,
Den Tod der Schwester Schwanhild zu rächen:
3
»Jene Jungfrau, die Jormunrek grausam
Den von Reisigen rasend gepeitschten Rossen
Auf dem Heerweg unter die Hufe geworfen: –
Eure Schwester Schwanhild war sie.
4
Als zuletzt und allein mir noch lebende Söhne
Und als Völkerfürsten – wozu unfehlbar
Nach solcher Fluchtat seid ihr verpflichtet?
5
Ich bin so verwaist wie die Espe des Waldes;
Wie der Kiefer, der man die Äste kappte,
So entriß mir das Schwert Geschwister und Kinder.
Wie, vom Sommer versengt, ihr Laub die Linde,
So hab' ich verloren die Lust am Leben.
5ᵃ
Zu 5 a. Eine dieser Strophe 3 aus Gudrunarhvöt mindestens ähnliche ist hier vom Abschreiber ausgelassen. Die folgende, mit Gudrunarhvöt 4 fast gleichlautende, beweist es.
Ihr schlaget mir nicht in Gibichs Geschlecht ein,
Euch Memmen mangelt der Mut eines Hagen.
Ihr würdet nicht schwanken, die Schwester zu rächen,
Wenn ihr in der Brust von meinen Brüdern
Einen Trieb noch trügt; wenn vom heldischen Trotze
Des hünischen Sigfrid ein Hauch euch beseelte.«
6
Drauf entgegnete Hamdir, der Hochgemute:
»Hagens Lob unterließest du, denk' ich,
Als man im Schlafe erschlug den Sigfrid;
Du saßest im Bett, und der Bösewicht lachte.
7
Das Linnen des Lagers war rot überrieselt
Vom warmen Mordblut deines Gemahles.
Entseelt war Sigfrid; du saßest beim Toten, –
Nicht lusterweckend, noch löblich schien dir,
Was dein guter Gunther dir damals gönnte.
8
Den Atli durch Erps und Eitils Ermordung
Zu strafen, sannst du und straftest dich selbst
Weit schwerer als ihn. Wer da greift zum Schwerte,
Der sollte doch sorgen, daß nicht er selber
Sich aus Ungeschick mit der Schärfe beschädigt.«
9
Besonnen hierauf versetzte Sörli:
»Nicht streiten' möcht ich mit meiner Mutter.
Auf
das Wort nur wart' ich, das du vor Weinen
Nicht aussprichst, Gudrun. Was begehrst du?
10
Du trauerst um Brüder und traute Kinder
Und spornst in den Kampf doch uns Spätgeborne.
Uns beide bald auch wirst du beweinen,
Die wir jetzt hier sitzen. Entseelt aus den Sätteln
Fallen wir wohl im fernen Lande.«
11
Sie zogen aus, mit den Zähnen knirschend,
Und ritten fürbaß durch feuchte Gefilde
Auf hunischen Rossen, den Mord zu rächen.
12
Zu Strophe 12 bis 14. Ich gebe zu, daß sich Hamdismal von den älteren Eddaliedern wesentlich und nicht zu seinem Vorteil unterscheidet. Auch wo es nicht durch entstellende Überlieferung Not gelitten, sind Vers und Stabreim oft gequält mittelst unerhörter Wortbildungen und sogar mit groben Sprachfehlern behaftet. Gleichwohl muß ich das Lied wenigstens seiner Anlage nach in Schutz nehmen gegen das wegwerfende Urteil H. Lünings. Er vergißt, daß für den Zustand des Textes, namentlich im Anfange, schwerlich der Verfasser verantwortlich zu machen ist. Dieser hat einiges aus dem vorhergehenden Stück für sein Gedicht als Voraussetzung übernommen, sogar etliche Verse daraus fast wörtlich eingeflochten. Dadurch hat er schon die Sammler und Abschreiber verführt zu dem Irrtum, daß alle Voraussetzungen von Gudrunarhvöt auch hier gelten, und damit zu nachträglicher Einflickung von Reminiszenzen. Auf diese Weise ist namentlich auch die Erwähnung des Atlisohnes Erp eingefälscht, die sehr störend und verwirrend wirken muß, weil von einem solchen der Dichter nichts weiß oder wissen will, wenn er einen Erp als den Sohn Gudruns von Jonakur in einer Rolle von oberster Wichtigkeit auftreten läßt. Demselben Irrtum ist Lüning verfallen.
Wirklich unsinnig ist allerdings der Gang der Erzählung in 12 bis 14 des Originals. Aber dieser Unsinn ist entstanden durch eine mit aller Sicherheit erkennbare Verwerfung. Ohne Änderung des Wortlauts, lediglich durch Umsetzung einiger Zeilen läßt sich guter Sinn herstellen. Die wie zerscherbt durcheinander gestreuten und hernach falsch gekitteten Verse dieser Strophen hatten ursprünglich folgende Anordnung:
Fundu â straetti storbrögđôttan
maerr um lêk a mars baki.
Þa quađ þat Erpr einu sinni:
»ilt er blauđum hal brautir kenna«.
Kôđu harđan miök hornung vera:
»hvê mun iarpskamr okr fultingja?«
Svarađi hinn sundrmoeđri:
»Sua quaz veita mundu
fulting froendum, sem fotr öđrum
eđa holdgrôin hönd annari«.
Hvat megi« usw.
So ist der Wirrwar beseitigt, Handlung und Gespräch folgerichtig erzählt.
Zum Hauptvorwurf aber verleitete die Meinung, daß Hamdismal ganz dieselben Verwandtschaftsverhältnisse, wie Gudrunarhvöt und namentlich dessen prosaische Einleitung voraussetze. Weil die letztere Sörli, Erp und Hamdir als Söhne Jonakurs von Gudrun bezeichnet, meinte man, die genannten drei seien auch hier rechte Brüder. So mußte man es widersinnig finden, daß Erp hier im Dialog hornung, »Bankert« gescholten, in der Erzählung »Stiefbruder« ( sundrmoeđi, andersmuttrig) genannt wird. Man verkannte, daß der Verfasser von seinem Poetenrecht zu glücklichem Griff Gebrauch macht, wenn er Sörli und Hamdir vorgefundene Stiefsöhne der Gudrun sein läßt. Für sie also führt die ermordete Schwanhild nur als zugebrachtes Kind der Stiefmutter den Namen Schwester. Keine Blutsverwandtschaft macht ihnen die Rache zur unbedingt heiligen Pflicht. Motiviert ist damit ihr mürrisches Sträuben, ihr verzögerter Aufbruch unter Zähneknirschen und Todesahnungen. Erp dagegen, der noch knabenhaft kleine, hat von seiner Mutter Gudrun nicht nur das rote Haar, sondern auch die Kühnheit der Gibichunge geerbt. Als leiblicher Halbbruder Schwanhilds ist er tapfer entschlossen vorausgeritten. Als ihn die Stiefbrüder einholen, verspottet er sie als Feiglinge. Ohnehin eifersüchtig auf den natürlichen Liebling der Mutter, werden sie darüber wütend, schmähen ihn Bankert und begehen in ihrem Zorn das törichte Verbrechen, ihn zu erschlagen. – Ist das so übel erfunden?
Sie holten den Erp auf der Heerstraße ein,
Den kleinen, doch klugen und kecken Kobold,
Der munter voran auf der Mähre getrabt.
13
Dreist heraus nun rief er: »Ein mißlich Bemühen,
Als Führer Furchtsamen vorzureiten.«
»Du boshafter Bankert,« schalten die beiden,
»Du fuchsiger Knirps, wie kannst
du uns fördern?«
14
Ihr Stiefbruder sprach: »Ich kann Unterstützung
Verwandten gewähren und willigen Freunden,
Wie der eine Fuß den anderen fördert
Und eine Hand der anderen hilft.«
Hamdir.
»Vermag dir ein Fuß nun den andern zu fördern,
Wie hier eine Hand der anderen hilft?«
15
Aus den Scheiden dabei die scharfen Eisen
Zogen, zückten die Zornbetörten,
Stießen in den Staub den Stiefbruder
Und minderten sich um ein Drittel die Macht.
16
Sie säuberten sich die Gewande; die Säbel
Schnallten sie fest, und Fürstensöhnen
Geziemende Kleidung zogen sie an.
So ritten sie weiter, bis sie am Wege
Garstiges schauten: Da hing am Galgen,
Nahe der Burg, schon zerbissen von Raben,
Der Stiefsohn der Schwester.
Ramwer. Im Winde schwankt' er
Hin und her am Querholz – ein qualvoller Anblick.
17
Lustig und laut war der Lärm in der Halle.
Den Hufschlag der Hengste hörte niemand,
Bis der wachsame Turmwart tönend ins Horn stieß.
18
Nun kamen Mannen dem Jormunrek melden,
Bewaffnete seien draußen in Sicht.
»Was euch zu schützen geschehn soll, entscheidet.
Zur Fehde gerüstete Feinde erscheinen,
Die von Rossen zerstampfte Maid zu rächen.«
19
Der König kicherte, strich sich den Kinnbart;
Wein um die Wette weiter zu zechen,
Paßte ihm besser, als sich zu panzern.
Den fuchsigen Scheitel schüttelnd, schielt' er
Zwar nach dem Schilde, schaukelte aber
Hin und her in der Hand den goldenen Humpen.
20
»Baß ergötzen,« begann er, »soll's mich,
Im Saal hier zu sehen den Sörli und Hamdir,
Die beiden zu binden mit Bogensehnen
Und die Gibichensippe zum Galgen zu senden.«
21
Zu 21. Dieser Strophe annehmbaren Sinn abzugewinnen, haben sich alle mir bekannten Ausleger außerstande erklärt. Auch meine Übersetzung beruht auf notbehelflichen Konjekturen, denen an offenbar verderbter Stelle weiter Spielraum gestattet sein muß.
Daß weiter unten, 24, mit inn regin-kunngi, der den Rat gibt, die Brüder zu steinigen, Odin gemeint ist, unterliegt keinem Zweifel. Saxos einschlägige Erzählung nennt ihn ausdrücklich, und Völs. S. bezeichnet ihn als »alten einäugigen Mann«. Daraus schloß J. Grimm mit Recht, daß schon hier Odin eingeführt sei und änderte Hrođr – glauđ in Hroptr glađr. Ich erreiche dasselbe Ziel, indem ich nur einen Buchstaben einschalte und lese Hriođr-g. – hriođr ist Himmel, Snorris E. I 470. 592,2, und Sonne, ebendaselbst II 485. 568. 627. – Ferner übersetze ich uf hleđom absichtlich minder bestimmt mit »in der Höhe«. Es kann nämlich sowohl den Hochsitz im Saal als die Mauerfirst, die Zinne der Burg bedeuten, und es läßt sich nicht entscheiden, ob die Erscheinung als noch im Saal oder als schon im Burghof geschehen vorgestellt ist. Statt des nirgends sonst vorkommenden und unerklärlichen mefingr lese ich me-fengr, Mädchenfänger, -räuber, -mörder (da fa, fengja und fenga auch Erlegen, z. B. des Wildes, bedeutet). Odin erscheint dem in sorgloser Verblendung angesichts der nahenden Rächer weiter zechenden Jormunrek als deus ex machina und beginnt den Zuruf, der den Berauschten erschreckend lähmen und vollends wehrlos machen soll, mit dem Vorwurf der Missetat an Schwanhild. – Daß nach Halbvers 4 viđ maug þenna etwas ausgefallen sein müsse (vitio librarii vel temporum injuriâ) hat schon K. E. erkannt. Der dazu überleitende Gedanke dürfte der gewesen sein, den mein eingeklammerter Zusatz ausdrückt. Doch scheint mir das Fehlende nicht verloren, sondern nur verworfen und in den Schluß geschoben als Halbvers 9 und 10 binda eđa beria i borg inni ha.
Da sprach von der Höhe der Himmelsglutherr:
»Mädchenräuber, nimmer vermagst du's,
Hier in der Burg für den Henker zu binden
[Wie zu tun du gedroht] die Männer draußen,
Die das Nimmererhörte doch unternahmen:
Zu zweit gegen tausend Tapfre zu streiten.«
22
Im Metsaal entstand Tumult; es stürzten
Von den Tischen krachend die Krüge herunter,
Und Streiter lagen in Strömen Blutes.
23
Zu 23. K. E.: eadem matre procreati, Simrock: Vollbrüder, sprachlich unanfechtbar; denn richtig gebraucht ist sammaeđri in der Tat das Gegenteil jenes sundrmaeđri in 14. Aber eben diese sprachlich richtige Auslegung verbieten die oben nachgewiesenen Voraussetzungen des Liedes. Sammaeđra ist eine der sprachlichen Keckheiten des Verfassers und meint: zusammengemuttert.
Rief da Hamdir, der Hochgemute:
»In deiner Burg die Herbeigewünschten
Hast du nun, Jormunrek, eben jene
Durch den Gemahl der Mutterstochter
Zugebrachten beiden Brüder.
Abgehauen sieh deine Hände
Und Füße fliegen ins flammende Feuer.«
24
Zu 24. Durch den Mord ihres Bruders Erp haben auch sie, obwohl von Odin begünstigt bis zur Züchtigung Jormunreks, sofortigen Tod nach Erfüllung ihre Rachepflicht verdient.
Wie der Bär schnarcht, rief der Gebieter des Himmels,
Der mächtige Streiter im Maschenhemde:
»Da kein Eisen versehrt die Jonakursöhne,
Kein Speer sie sticht, so steinigt die beiden.«
25
Nochmals rief Hamdir, der Hochgemute:
»Unheil gebracht, o Bruder, hat es,
Daß du dem Zorne die Zunge geliehen.
Übel ist's oft, den Mund zu öffnen.«
Sörli.
26
»Mut auch hättest du mehr, o Hamdir,
Wenn du Besonnenheit auch besäßest;
Denn es entbehrt das Wichtigste, Beste,
Wer an Mannwitz Mangel leidet.
27
Zu 27. Nach Snorris E. hatte Gudrun geraten, den Jormunrek im Schlafe zu überfallen. Sörli und Hamdir sollten ihm Hände und Füße, Erp den Kopf abhauen.
Auch des Kopfes beraubt jetzt wäre der König,
Wenn Erp noch atmete, unser Bruder,
Der so schlachtkühn auszog, als wir ihn erschlugen.
Uns dangen dazu verderbliche Dysen,
Den uns Geheiligten niederzuhauen.
28
Nicht unser ist würdig die Art der Wölfe!
Nicht uns geziemt es, einander zürnend
Mit feindlichem Vorwurf anzufallen
Wie der grimmigen Nornen graue Hunde,
Die hungergequält auf öder Heide
Aus Mangel an Raub einander zerreißen.
29
Wir stritten löblich, wir stehn auf Leichen,
Die unser Stahl in den Staub geworfen,
Wie auf dem Aste der Adler ausruht.
Ob die Sterbestunde, anstatt erst morgen,
Uns heut erscheint, – was schadet's weiter,
Wenn wir reichlichen Ruhm errungen haben?
Wem's die Norne verneint, erlebt keine Nacht mehr.«
30
Sörli fiel am Giebel des Saales,
Auf der hinteren Seite des Hauses Hamdir.