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Zweites Lied von Helgi dem Hundingstöter

Quiđa Helga Hundingsbana en siđari

König Sigmund, der Sohn Wölsungs, hatte Borghild aus Bralund zur Frau. Ihren Sohn nannten sie Helgi nach jenem Helgi, dem Hörwardsohne. Den Sigmundsohn Helgi erzog (als Pflegevater) Hagal. Hunding hieß ein mächtiger König, derselbe, nach welchem Hundland benannt ist. Der war ein großer Speermann und hatte mehrere kriegstüchtige Söhne. Unfriede und Feindschaft herrschten zwischen den Königen Hunding und Sigmund. Sie erschlugen einander ihre Verwandten und Anhänger. König Sigmund und die Seinen hießen Wölsunge und Wülfinge. Helgi machte sich auf, und es gelang ihm, den Hof Hundings insgeheim auszukundschaften. Häming, ein Sohn des Königs Hunding, war daheim. Als Helgi fortging, traf er einen Hirtenjungen und sagte:

1

Sage dem Häming: den sonst in den Harnisch
Der Helden gehüllten Helgi vermummte
Der graue Kittel. Ihn hattet ihr greifbar
Da drinnen im Hof; der König Hunding
Wähnte, dem Hamal Herberg zu geben.

Zur ersten Prosaeinschaltung: Blindr. Das Folgende beweist nicht Blindheit, sondern sogar Scharfblick des Redenden. Der Zusatz inn bölvisi soll ihn also wohl bezeichnen als urteilsblöde bei guten Augen, vorwitzig zur Unzeit, nahezu Enfant terrible.

Hamal nämlich hieß ein Sohn Hagals. Nun schickte König Hunding Leute nach dem Wohnsitz Hagals, den Helgi zu suchen. Da Helgi anders nicht zu entrinnen vermochte, zog er sich die Kleider einer Magd an und ging die Handmühle drehen. Jene suchten umher, fanden ihn aber nicht. Da sagte Blind, der Dummkluge:

2

Wie hellsichtig Hagals Magd umheräugt!
Ihm scheint sein Korn nicht das Kind eines Kätners
Zu zerquetschen und quirlen auf seiner Querne.
Die beiden Steine bersten in Stücke,
In Lappen löst sich der lederne Beutel.
Ein hartes Geschäft ist dem Helden beschieden!
Der den Gër so gut schwingt, muß Gerste mahlen.
Den starken Händen stünde besser
Der Griff des Schwerts als der Schwengel der Mühle.

3

»Daß die Steine stöhnen, ist wenig erstaunlich,
Wenn die Königstochter die Kurbel handhabt.
Über den Wolken schwebte sie weiland
Und wagte zu streiten nach Wikingerweise,
Bis sie in Helgis Haft geraten.
Sie ist die Schwester Sigars und Högnis,
Und jeder weiß, daß der Wülfinge Jungfrau'n
Zu schauen pflegen aus scharfen Augen.«

Helgi entkam und unternahm Fahrten auf Kriegsschiffen. Er erlegte den König Hunding und hieß seitdem Helgi der Hundingstöter. Mit seinem Heer lag er in der Bucht Brunawag. Am Strande hatten sie eine Viehschlächterei und aßen Rohfleisch. Högni hieß ein König. Dessen Tochter Sigrun war Walküre und ritt Luft und See. Sie war die wiedergeborene Swawa. Sigrun ritt zu den Schiffen Helgis und sprach:

4

Wer ließ ans Gestade die Flotte steuern?
Gebieter des Heeres, wo seid ihr heimisch?
Was erwartend weilt ihr bei Brunawage?
Wohin zu segeln sucht ihr den Seeweg?

Helgi.

5

Ans Gestad' hier zu steuern bestimmte uns Hamal;
In Hlesey haben wir unsere Heimat.
Wir warten im Wiek hier auf günstige Winde
Und suchen gen Morgen die weitere Meerfahrt.

Sigrun.

6

Wo wecktest du Hilde, die Walstattfrohe?
Wo gabst du ein Gastmahl den Geiern der Schlachtfeen?
Bepurpurt mit Blut ist dein blinkender Panzer;
Behelmt und gerüstet esset ihr Rohfleisch.

Helgi.

7

So wisse denn, Maid, daß im westlichen Meere
Der junge Wülfing nach Beute jagte,
In Bragis Bannwald Bären erlegte
Und Aarbrut ätzte mit scharfem Schafte.

8

Die Neugierfrage ist nun befriedigt;
In See hat man selten Gesottnes zu essen.

Sigrun.

9

Daß du Kämpfe bestanden, bekennst du verständlich.
Von Helgis Hand ist Hunding gefallen.
Verwandte zu rächen, gab's Ringen in Waffen,
Und Blut überschwemmte des Schwertes Schneide.

Helgi.

10

Das nimmt mich wunder! Von wem vernahmst du,
O weise Jungfrau, wer jene waren,
Die in Waffen gerungen, Verwandte zu rächen?
Tausende gibt's ja tapferer Krieger
Und solcher auch, die an unserer Sippe
Sühnenswertes zu sündigen trachten.

Sigrun.

11

Ich war nicht fern, o Führer im Vorkampf,
Als dem König Hunding zum Kampf mit Helgi
Zum letzten Male der Morgen geleuchtet;
Doch mit sinnigem Spruch gab Sigmunds Sprößling
In erratbaren Runen Bericht von der Tat.

12

Dann erblickt' ich dich stehend am blutigen Steven
Als Gebieter der Barken zum Beutezuge,
Überspült vom Sturme mit kalter Sturzflut.
Den Erlauchten gelüstet, sich mir zu verleugnen,
Doch Högnis Tochter ist nicht zu täuschen.

Granmar hieß ein mächtiger König, dem das Land um Swarins Grabmal gehörte. Er hatte viele Söhne; einer hieß Hödbrod, der zweite Gudmund, der dritte Starkadr. Hödbrod ließ sich im Familienrat des Königs die Tochter Högnis, Sigrun, anverloben. Als sie davon Kunde bekam, ritt sie mit Walküren Luft und Wasser und suchte den Helgi. Helgi verweilte am Feuergebirge, wo er mit den Söhnen Hundings gekämpft, den Alf und Eyolf, den Hörward und Herward gefällt hatte. Müde von der Schlacht saß er am Aarstein. Da traf ihn Sigrun, fiel ihm um den Hals und bekannte ihm unter Küssen ihre Wünsche, wie das im älteren Wölsungenliede erzählt ist.

13

Den siegfrohen Fürsten suchte Sigrun,
Ergriff seine Hände, zog ihn ans Herz,
Und küßte den König, bevor er vom Kopfe
Den Helm gelüftet. Liebesverlangen
Nach der herrlichen Maid zog in Helgis Gemüt.

14

So bekannte sie kühn, den Sohn des Sigmund
Von ganzer Seele schon vor der Begegnung
Zu ihrem Gatten begehrt zu haben.

Sigrun.

15

»Hierher verheißen dem Hödbrod ward ich,
Doch anderem Edlen will ich mich eignen.
Ich ziehe mir zu den Zorn der Verwandten,
Denn ich breche des Vaters Brautkauf-Handschlag.«

16

Unverhohlen erklärte so Högnis Tochter,
Nur in Helgis Huld ihr Heil zu finden.

Helgi.

17

Sei ohne Zagen vor Högnis Zorne,
Laß fahren die Furcht vor Öhmen und Vettern;
Mit mir vermählt, o Mädchen, lebe;
Denn ich merke dir an die edelste Abkunft.

Nun sammelte Helgi ein großes Schiffsheer und segelte nach Frekastein. Auf dem Meere aber ereilte sie ein verderbendrohender Sturm. Blitze zuckten über ihnen, und Wetterstrahle schlugen in die Schiffe. In der Luft sahen sie neun Walküren reiten und erkannten Sigrun. Der Sturm legte sich, und sie erreichten unversehrt das Land. Während die Schiffe dem Ufer zusegelten, saßen die Granmarsöhne auf einem Hügel. Gudmund schwang sich aufs Roß und ritt von der Höhe nach dem Meeresstrande auf Kundschaft. Da zogen die Wölsunge die Segel ein. Nun rief Gudmund, wie das oben im Helgiliede geschrieben steht:

18

Wer gebietet der Flotte und läßt vom Buge
Die vergoldete Flagge des Krieges flattern?
Das Vorschiff, dünkt mir, bedeute Feindschaft;
Die Recken umrieselt Röte der Schlacht.

Sinfiötli.

19

Hier mag Hödbrod den Helgi finden,
Den Fluchtverächter, inmitten der Flotte;
Er fordert für sich das Försungenerbe,
Deiner Sippe gesamtes Besitztum.

Gudmund.

20

Die Frage wird besser am Frekasteine
Von unseren Scharen entschieden werden.
Zögre nicht, Hödbrod, Zeit ist's, zu kämpfen!
Es wird sich ja zeigen, ob es uns zufällt,
Ein lästiges Los auf die Länge zu tragen.

Sinfiötli.

21

Du solltest, Gudmund, lieber die Geiße,
Hüten, in der Hand ein Haselstöckchen,
Berge umklettern, Klüfte durchklimmen!
Geschickter scheinst du zu diesem Geschäfte
Als zur Entscheidung mit scharfem Schwert.

Helgi.

22

Sittiger wär' es, o Sinfiötli,
Mit Waffenwerk zu bewirten die Aare,
Als nutzlos zu necken und närrisch zu prahlen;
Obwohl im Herzen streitender Helden
Nicht ungeziemend auch Zorn sich einstellt.

23

Nicht huldvoll grüß' ich die Granmarsöhne,
Doch nenn' ich sie neidlos namhafte Helden.
Was auf ihren Schilden mit schimmerndem Golde
Gezeichnet steht, das gibt ja Zeugnis,
Daß sie Schwerterschwung nicht schwächlich üben
Und als rüstige, rasche Helden berühmt sind.

Gudmund ritt heim mit der Kriegsansage. Die Granmarsöhne sammelten Mannschaft. Viele Könige kamen, unter ihnen der Vater Sigruns, Högni, und dessen Söhne Bragi und Dag. Es gab eine große Schlacht. Die Söhne Granmars und ihre Haupthelden fielen sämtlich bis auf Dag. Dieser wurde verschont und schwor den Wölsungen Treue. Sigrun ging auf die Walstatt und fand da den Hödbrod im Sterben. Sie sagte:

24

Zu 24. Griđa heißt die Mutter Widars; vgl. Snorris  E. I 286; doch kann das Wort auch Riesin, Zauberhexe, wie jene auf schlangengezäumtem Wolf reitende, in Helgaqu. Hörvards., Prosaeinschaltung und Strophe 35, bedeuten. Verbinde: granstođ griđar opt hreifi nain Granmarsona, d. i. Gs. Graustuten, die Wölfe, ergreifen oft (d. h. heut in vielen Fällen) Leichen der Granmarsöhne. Sigrun meint also: dein Leben geht zu Ende, und wie viele deiner Brüder, werden auch dich bald die Wölfe fressen.

Nicht du wirst Sigrun vom Sevagebirge
Als Gattin umhalsen, o König Hödbrod.
Die Zeit deines Lebens ist abgelaufen.
Die grauen Stuten Gridas, [die Wölfe],
Ergreifen schon viele Granmarsöhne.

Da begegnete ihr Helgi und war hoch erfreut. Er sprach:

25

O Weissagemaid, das Unerwünschte
Vorher zu schaun, war auch dir nicht beschieden;
Doch schieb' ich die Schuld auf die Schicksalsschwestern.
Von meiner Hand ist Bragi und Högni
Am Frekastein in der Frühe gefallen,

26

Nicht minder bei Styrkleif der König Starkad,
Und am Leeberg liegt der Recke Rollaug.
In ihm überwand ich den wildesten Wütrich,
Denn auch hauptlos schwang sein Rumpf noch das Schwert.

27

Die meisten der Deinen decken die Erde;
Verwandelt in Leichen sind deine Geliebten.
Doch dir war unabwendbar die Waffenentscheidung.
Am wehvollen Wettstreit werbender Fürsten
Schuldig zu werden, beschied dir dein Schicksal.

Da weinte Sigrun; er aber sagte:

28

Zu 28. Hilde, die Rachegöttin. Daß Helgi die Sigrun so bezeichnet, ist, wie sich aus dem alsbald Folgenden ergibt, für ihn selbst tragische Ironie.

Beruhige dich. Erregerin wardst du
Des heißen Kampfes und unsere Hilde;
Doch der unwiderstehlichen Vorbestimmung
Sich fügen zu müssen, ist Fürstenlos.

Sigrun.

Gern zurück ins Leben rief ich die Leichen,
Wenn ich dann auch dürfte in deinem Arm ruhn.

Zu der Prosaeinschaltung nach 28 und Strophe 29, at und und Fiöturlundi. Gegen diese in allen Handschriften übereinstimmende Schreibart ist der an sich plausible Vorschlag, Fjöþrlundi, Speerwald, zu lesen, um so weniger aufrechtzuhalten, als den überlieferten Namen ein Zeuge von Gewicht zu stützen scheint.

In den übel durcheinander gewürfelten Fragmenten dieser drei Helgilieder stoßen wir auf manches Zeichen, daß in ihnen eine Sage, die ihre deutsche Herkunft schon in den Namen Sigmund, Atli, Högni (Hagen) verrät, in die Vorstellungsweise der nordischen Vikinge übertragen und nach den Inseln zwischen Jütland, Schleswig und Skandinavien lokalisiert worden ist. Einen eben dahin gerichteten Fingerzeig gibt die Benennung »Fesselwald«. Sie läßt sich erklären aus einer Angabe des Tacitus. Nachdem er berichtet vom heiligen Hain, in welchem die Stämme der Semnonen (quos inter et Naharvales erant) zu gewissen Zeiten Menschenopfer dargebracht, fügt er hinzu: Est et alia luco reverentia: nemo nisi vinculo ligatus ingreditur (Anders noch bewies man heilige Scheu vor diesem Hain: niemand betrat ihn ohne angelegte Fessel). – Beiläufig sei erwähnt, daß Laharvales vielleicht aus naïr, Leichen, und valr, Schlachttote, für Odin Auserwählte, zu erklären wäre.

Helgi führte Sigrun heim und hatte Söhne von ihr. Aber er wurde nicht alt. Dag, der Sohn Högnis, brachte dem Odin Opfer für Vaterrache, und Odin lieh ihm seinen Speer. Er traf seinen Schwager Helgi im sogenannten Fesselwalde und durchbohrte ihn da mit dem Spieß. So fiel Helgi. Dagi ritt nach Sevaberg und brachte Sigrun die Zeitung.

Dag.

29

Betrübt, o Schwester, meld' ich dir Trauer.
Mich trieb die Pflicht, dir Tränen zu wecken.
Gefallen ist heut im Fesselwalde
Der trefflichste Held, den die Erde getragen,
Der Fürst, von welchem gar viele Krieger
Die Ferse des Fußes im Nacken gefühlt.

Sigrun.

30

Zerfräßen als Schwären dich alle die Schwüre,
Die du dem Helgi heilig geschworen
Beim lauteren Wasser der leuchtenden Blitze,
Beim vom Froste zu Stein erstarrten Sturzbach!

31

Unter dir schaudernd stehe das Schiff still,
Ob auch noch so erwünscht der Wind dir wehe.
Regungslos halte das Roß, das du reitest,
Dich vor verfolgendem Feinde zu retten;
Stumpf sei der Stahl des Schwerts, das du schwingest,
Scharf – dir den Schädel umklirrende Klinge.

32

Wärst du ein Wolf doch draußen im Walde,
Aller anderen Ätzung und Lust bar
Als Luder zu fressen, bis dir der Leib platzt –
Dann wäre gerächt dein ruchloser Mord.

Dag.

33

Schwindlig vor Wut, o Schwester, bist du,
Solch Fluchgeschick zu erflehen dem Bruder.
Alles Unheil verursachte Odin,
Der uns Runen gestreut zum Geschwisterstreite.

34

Dir bietet der Bruder rote Baugen,
Ganz Wandilswé und die Fluren von Wigdal.
Zu dem goldenen Schmuck als Schmerzvergütung
Nimm so für dich selbst als für deine Söhne
Zur Sühnung an mein halbes Besitztum.

Sigrun.

35

Der Seligkeit bar in Sewaberg sitz' ich
Und verlebe genußlos Nächte, Tage,
Bis aus dem Hügel des Heldenkönigs
Ein Klirren erklingt und hierher auf dem Hengste,
Der ihn goldgetrenst in die Treffen getragen,
Mein Helgi reitet, daß ich ihn umhalse.

36

Wie, vom Wolfe verfolgt, von der Felswand flüchten
Die zitternden Ziegen, so zagten die Feinde
Und ihre Genossen, wo Helgi nahte.

37

Zu 37. Auch aus dem Trümmerwerk unseres Liedes erkennt man den Dichter von hoher Begabung. Nimmer einem solchen, nur einem Abschreiber oder späten Sänger, der die halbvergessenen Verse dem Sammler diktierte, ist der Unsinn zuzutrauen, einem Hirschkälbchen hohes Geweih wie das geschilderte auf den Kopf zu setzen. Auch liegt für die unabweisliche Korrektur ein zuverlässiges Muster vor in der sehr ähnlichen Stelle Gudrunarquida II 2: Sua var Sigurþr of sonom Giuka sem ... eþr hiörtr hábeinn um hvössom dyrom. »So war Sigfrid unter den Söhnen Gibichs wie ..., oder wie der Hochbeinhirsch unter anderem Wilde.« So behaupte ich denn mit großer Sicherheit, daß für dyrkalfr ursprünglich gestanden hat dyraþror, Hirsch, Snorris  E. I 590, 30 oder duraþror ebenda I 74 und 478, und Grimnismal 33. An letzter Stelle ist Duraþror der Name eines der Hirsche, die an den Knospen der Esche Yggdrasil nagen. Dieser Name wird dort von einigen Kommentatoren »Thorbrech« ausgelegt, was ich für die Alliteration benutzt habe. Indes ist Þror auch einer der Beinamen Odins. So kann denn das Wort sehr wohl den jetzt ausgestorbenen Riesenhirsch meinen, den man wegen seiner Größe als einen Odin unter den Hirschen bezeichnen mochte.

Über die Helden erhob sich Helgi,
Wie die Krone der Esche aus Kraut und Dornen,
Wie das wilde Getier im Tann bei weitem
Der Hirsch überragt mit dem Riesengehörne,
Das, vom Tau umglänzt, um die Wette zu glühen
Mit dem Himmel scheint, zu dem sich's erhebt.

Ein Hügel ward aufgebaut über Helgi. Als dieser nach Walhall kam, bot Odin ihm an, in allem sein Mitberater zu sein. Helgi sprach [dort]:

38

Zu 38. Wenn diese Strophe vom Dichter der Helgilieder herrührt, dann wird sie dem Sinfiötli in den Mund gelegt gewesen sein. In der Tonart und selbst in einzelnen Ausdrücken stimmt sie zu dessen Part im Schimpfduett mit Gudmund (Helg. Hund. I, 32–41). Vielleicht war ursprünglich auch die erste Heldentat, die dem Helgi seinen Beinamen eingetragen, ausführlich berichtet und ebenfalls eingeleitet mit einem Wortstreit zwischen Hunding und dem Stiefbruder Helgis, dem unbezähmbar wilden Geschwistersohn. Diesem verweist ja Helgi solches Gezänk als unschicklich. Selbst sein Kampfgrimm, erklärt er, könne ihn nicht verleiten, den Gegnern den wohlerworbenen Ruhm der Tapferkeit abzusprechen. Einen so edel gezeichneten Helden kann derselbe Dichter unmöglich den einst von ihm Besiegten so schmähen lassen, am wenigsten bei der Begegnung in Walhall, wo er doch den Hunding nur als aufgenommen nach erprobter Würdigkeit voraussetzen darf.

Hole nun, Hunding, jedem gehorsam,
Im Zuber das Fußbad, zünd' ihm das Feuer,
Kopple die Hunde, warte die Hengste,
Und geh erst schlafen, nachdem du die Schlempe
Den Säuen besorgt und zu saufen gegeben.

Gegen Abend sah eine Magd Sigruns, da sie dem Hügel Helgis vorüberging, den Helgi mit vielen Mannen zum Grabmal geritten kommen. Da sagte sie:

39

Ist's nichts als Blendwerk, was ich erblicke?
Ist der jüngste Tag da? Reiten die Toten?
Mit spitzen Sporen spornt ihr die Rosse!
Erhalten Einherier Urlaub zur Heimkehr?

Helgi.

40

Nicht Blendwerk ist es, was du erblickest.
Noch wankt die Welt nicht; doch wirklich siehst du
Uns spornen die Rosse mit spitzen Sporen.
Ja, Helden erhalten zur Heimkehr Urlaub.

Da ging die Magd nach Hause und sprach zu Sigrun:

41

Säume nicht, Sigrun vom Sewaberge,
Wenn's dich verlangt nach dem Ländergebieter.
Die Tür steht auf zum Totenhügel,
Angekommen ist König Helgi.
Er fleht, was ihm fließ' aus den Spuren der Speere,
Das rote Geträufel, solltest du trocknen.

Sigrun ging in den Grabhügel zu Helgi und rief:

42

Wie des warmen Mahls auf der Walstatt froh sind
Die begierigen Falken und Geier Odins;
Wie mit Gefunkel in tausend Farben
Seine Lust am Lichte des Tages der Tau zeigt:
So wonniglich ist mir's, dich wieder zu haben.

43

Ich küsse dich, mein entseelter König,
Bevor du die blutige Brünne ablegst.
Helgi, dein Haar ist voll schwarzen Schweißes,
Mit Todestau bist du ganz umgossen;
Eiskalte Hände hat Högnis Eidam!
Wie erlös' ich dich, Liebster, aus diesem Leide?

Helgi.

44

Du selbst, o Sigrun vom Sewaberge,
Bist schuld, daß Harmtau den Helgi umrieselt,
Denn du, o Südmaid von sonnigem Glanze,
Du mit goldnem Geschmeide so reich Geschmückte,
Du weinst stets bitterlich, eh' du zu Bett gehst:
Der verletzten Brust das Blut entlockend
Träufelst du Jammer mit jeder Träne
Und scharfe Betrübnis ob deiner Trauer
In mein eisig erstarrtes, stockendes Herz.

45

Doch vom Wunderweine Walhalls trink' ich.
Drum, ob ich auch Land und Leben verloren,
Ob auch tief und weit die Todeswunde
In der Brust mir klafft: – ich will nicht beklagt sein.
Mir ward ja der Malberg zum Ehegemache,
Und ich Toter küsse die Königstochter.

Sigrun bereitete ein Bett im Grabhügel.

Sigrun.

46

Hier, o Helgi, erhabener Wülfing,
Bereit' ich das Lager zum Leidvergessen.
Als ob er noch lebe, von meines Geliebten
Armen umschlungen will ich da schlafen.

Helgi.

47

Zu 47. Hier ist das Lied auf seinem Scheitelpunkt angelangt. Darum ist es äußerst unwahrscheinlich, daß der Vers siþ ne snimma at Sevafiöllum nur eingeflickt wurde als ein die Strophenregel erfüllendes Stabreimgeklingel, wie es den Anschein hätte nach der herkömmlichen und, soviel ich weiß, von niemand beanstandeten Übersetzung »nicht spät noch früh zu Sevafiöl«. Vielmehr schließe ich aus dieser Stelle zumeist, wenn auch keineswegs aus ihr allein, daß Sevafiöll ein sagenberühmtes Gebirge meint, in welchem sich schon in der Vergangenheit Wunderbares zugetragen habe und noch erstaunlichere, geweissagte Ereignisse in der Zukunft erfüllen sollten. Sevo nennt Plinius 4, 13 einen gewaltigen Berg in Germanien, dem die Sitze der Ingävonen zunächst lägen. Doch nicht schon hier mag ich beibringen, was uns an unser Siebengebirge mit dem benachbarten Drachenfels zu denken gestattet.

Nun dürfen wir nichts mehr undenkbar nennen,
Was aus alter Zeit und von ferner Zukunft
Vom Sewagebirge gesagt, offenbart ist,
Da im Totenhügel die Tochter Högnis,
Die geborene Fürstin, warm und lebendig
In den Armen schläft des erschlagenen Gatten.

48

Abgelaufen ist nun mein Urlaub.
Nun muß ich reiten morgenrote
Vogelpfade auf fahlem Pferde
Zur Westfahrt über die Brücke Windhelm,
Bevor der Hahn im Einherierhofe
Den Kriegern Walhalls den Weckruf krähte.

Helgi ritt mit seiner Schar von hinnen, und die Frauen gingen heim. Am nächsten Abend ließ Sigrun die Magd am Grabmal Wache halten. Als um die Tagesneige auch Sigrun am Malberg eintrat, sagte jene:

49

Wenn der Sigmundsohn aus den Sälen Odins
Zu kommen gedächte, wär' er schon da.
Laß fahren den Wahn; er kehrt nicht wieder,
Auf dem Aste der Esche rastet der Adler,
Und Ermüdung treibt die Menschen nach Traumheim.

50

Drum sei nicht so tollkühn, Fürstentochter,
Dich allein zu wagen ins Larvenspukhaus;
Denn gefährlicher stets in finsterer Nacht sind
Als am lichten Tage die Totengespenster.

Trauer und Sehnsucht machten dem Leben Sigruns bald ein Ende. In der Vorzeit bestand der Glaube, daß Menschen wiedergeboren würden; doch nennt man das jetzt Altweiberwahn. Von Helgi und Sigrun ging die Sage, daß sie wiedergeboren seien, er als Helgi der Haddingenfürst, sie als Kara, Halfdans Tochter, die auch Walküre gewesen, wie das im Karaliede erzählt wird.


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