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Drittes Sigfrids-Lied

Sigurdarquiđa Fafnisbana þriđja

1

Als Gast begab sich zu Gibichs Söhnen,
Als der Wurm erwürgt war, der junge Wölsung.
Die boten ihm beide getreuen Bund an,
Und die tatfroh Tapferen tauschten Eide.

2

Man versprach ihm Gudrun, die Gibichstochter,
Der Jungfraun schönste, und große Schätze.
Tagelang tranken und plauderten traulich
Mit dem jungen Sigfrid die Söhne Gibichs.

3

So wurde der Wölsung als wegeskundig
Überredet, mitzureiten
Auf die Brautfahrt, Brunhild zu holen,
Die er selbst zu besitzen gesonnen gewesen.

4

Sein scharfes Schwert legte scheidend
Zwischen sich und sie der deutsche Sigfrid,
Da der hünische Held die Maid zu umhalsen
Und zärtlich zu küssen sich keusch versagte,
Die er Gunther zur Gattin zu geben verheißen.

5

Nicht Makel noch Mißtat drückt' ihr Gemüte;
Nicht wirkliche Schuld noch der Schein einer solchen
Zwang sie, verzweifelnd ihr Leben zu lassen;
Nur furchtbarer Fügung fiel sie zum Opfer.

6

Einsam draußen voll Unmut abends
Saß sie, so mit sich selber sprechend:
»Mit meinen Armen den mannhaften Sigfrid
Muß ich umschmiegen oder verschmachten.

7

Kaum heraus ist das Wort, so reut mich's schon wieder!
Er ist Gudruns Gatte, Gunther der meine.
Mit solchem Lose legten uns langes
Unnennbares Leid auf neidische Nornen.«

8

Über Gletscher und Eis, wann der Abend verglommen,
Schritt sie vergrämt und dachte grollend,
Wie Gudrun indes zu Bette gegangen,
Wie der hunische Held in die Decken sie hülle
Und freudestrahlend sein Frauchen streichle.

9

»Mir sind Lebensmut und Gemahl verloren;
Nichts ergötzt mir den Geist, als Vergeltung zu brüten.«

10

So wuchs ihr Mißmut zu Mordgedanken.
»Du mußt auf mich und meine Marken
Nun ganz und gar verzichten, o Gunther,
Denn zu leben mit dir ist die Lust mir verleidet.

11

Zu 11. Im Schlußverse dämmert etwas auf von der hier sonst vergessenen Hauptschuld in der Nibelungentragödie: davon, meine ich, daß nach dem Gestaltentausch Sigfrid Brunhilden dem Sohne Gibichs durch Kampf mit ihr gewonnen und ihr so die Täuschung beigebracht, Gunther sei jener Stärkste, der sich »nicht fürchten könne«, er also der Mann, welchen sie nach ihrem Gelübde vor Odin heiraten müsse.

Hinweg dahin, wo ich weiland wohnte,
Zu Verwandten und Vettern fahr' ich wieder,
Mein trauriges Dasein dort zu verträumen,
Es sei denn, daß Sigfrid von dir entseelt wird
Und du dich als stärker denn er mir bestätigst.

12

Zu 12. Hiernach sind die Gibichsöhne schuld am Tode Sigmunds, haben deshalb in Sigfrid den Rächer seines Vaters zu fürchten. Es ist das eines von den alten Zeugnissen, auf Grund deren ich im Nibelungenepos den Helden als den Vetter Gunthers und thronberechtigten Erben des gestürzten und ermordeten Sigmund einführe und behaupte, damit nicht sowohl, wie sich viele meiner Beurteiler ausdrücken, den »glücklichsten Griff« getan, die »ergiebigste Erfindung« gemacht, als vielmehr ein ursprüngliches Hauptmotiv der Sage wiedergefunden zu haben. Auch darf ich hinzufügen, daß in gleicher Weise alle unentbehrlichen Binderinge in der Kette der entscheidenden Handlungen nicht aus selbstgeschürftem Erze geschmiedet, sondern, wie von Mime der Balmung aus Resten des Wodanschwertes der Wölsunge, geschweißt sind aus den altechten Bruchstücken und Splittern, welche von der groezisten Gescicht diu zer werlde je gescach auf dem ungeheuern Trümmerfelde der Sage über das gesamte arische Sprachgebiet zerstreut lagen.

Laß folgen den Sohn dem gefällten Vater,
Erzieh' nicht den Welp des erschlagenen Wolfes.
Nie rechne beruhigt, du seiest vor Rache
Durch Sühne gesichert, solange der Sohn lebt.«

13

Bestürzt war Gunther und stöhnte verdrossen.
Versunken in Sinnen saß er bis Abend
Und schwankte ratlos in schwerer Sorge.
Gleich schlimm erschien ihm jede Entschließung.
Den Sigfrid sollt' er entseelen lassen
Und bitterlich bald seinen Beistand entbehren!

14

Noch stundenlang fand er's nicht minder unstatthaft
Und die Schmach unerhört, daß des Herrschers Gemahlin
Beleidigt das Land und den König verlasse.
So holt' er sich Hagen, den treuen Helfer,
Und frug, was der Freund ihm Rettendes riete.

15

»Teuer vor allen ist mir die Tochter
Bothels, Brunhild. Ihrer entbehren –
Unleidlich wär' es. Lieber das Leben
Als die Gemahlin und Mitgift verlör' ich.

16

Hilf mir den Helden des Horts berauben!
Mit unerschöpflichem Schatze schaltend
Säßen wir sorglos und froh des Besitzes,
Wenn wir das Rheingold ihm entrissen.«

17

»Geht nicht an!« entgegnete Hagen
Ohne Zögern. »Uns nicht ziemt es,
Geschlossnem Vertrage treulos zu werden,
Geschworenen Eid mit dem Schwerte zu brechen.

18

Wenn wir vier dem Volk als Fürsten gebieten
Und der hunische Held unser Heer befehligt,
Dann kann sich auf Erden der Könige keiner
An Macht und Glück mit uns vergleichen.
Die Sonne sähe nicht stolzere Sippe,
Wenn wir unsere fünf dazu fähigen Söhnchen
Zu gleich vorzüglichem Zuwachs erzögen.«

Gunther.

19

Unwiderstehlich bestürmt mich Brunhild,
Und ich wüßt' einen Weg zum erwünschten Ende.
Den Mord zu vollbringen, mut' ich dem Bruder
Gunthwurm zu. Mit Geistesgaben
Ist er schwach bedacht, auch hat er den Schwerteid
Beim Vertrag mit dem Schwager nicht mit beschworen.

19ᵃ

Zu 19 a. Diese zweifellos hierher gehörige Strophe ist uns ziemlich unversehrt in der Völs. S. 39 erhalten. – Waldfisch = Schlange.

Sie versprachen dem Gunthwurm Gold in Fülle,
Kochten ihm Waldfisch, Aas vom Wolfe
Und Geierfleisch. Betörendes Gift auch
Mischten sie ihm hinein in den Met.

20

So zu wölfischer Wut zu leicht nur verwildert
Stieß er dem Sigfrid den Stahl in die Brust.
Um sich rasch noch zu rächen, reckt vom Bette
Der Wölsung sich auf und wirft gewaltig
Nach dem fliehenden Schurken sein scharfes Eisen.

21

Mitten zerschnitt es den Meuchelmörder,
Daß die obere Hälfte mit Haupt und Armen
Nach der einen Seite sank, nach der andern
Die mit den Beinen zu Boden kippte.

22

Sorglos schlafend an Sigfrids Seite
Lag seine Gattin, die Gibichstochter.
Überströmt vom Blute des streitbaren Helden
Wachte sie auf, – wonneberaubt.

23

Zu 23. Keineswegs trösten, wie schon der Verfasser der Völs. S. unseren Text mißverstand, will Sigfrid seine Gemahlin. Vielmehr meint er: wie Entsetzliches dich auch betroffen hat, du darfst dir vom Schmerz nicht alle Fassung rauben lassen; denn du mußt rasch und klug handeln, um wenigstens unseren Sohn zu retten. Einer deiner Brüder, mein Mörder, liegt zwar dort getötet, aber du hast noch andere, die alsbald auch dem Erben des Ermordeten nach dem Leben trachten werden.

Jammernd, rasend rang sie die Hände,
Da richtet' er sich vom Ruhelager
Noch empor mit gewaltiger Willensstärke:
»Nicht so ganz der Verzweiflung ergib dich, Gudrun,
Geliebtes Weib! Dir leben [leider
Noch andere] Brüder [und brüten Unheil].

24

Aus dem Reich der Verruchten sich selbst zu retten,
Ist mein einziger Erbe zu zarten Alters.
Sie verschworen sich mir zu schwarzer Untat,
Und ein Nachtwerk beschließen sie nächstens.

25

Einst zum Rachegericht mit ihnen zu reiten,
Wird schwerlich ein anderes Schwestersöhnchen
Sich besser eignen, gebörest du ihrer
Auch sieben weitre. Vergleiche, was in betreff dieser Strophe im Vorwort gesagt ist. Ach, sicher weiß ich's,
Dies Schauergeschick verschuldete Brunhild!

26

Mir galt allein ihr Liebesverlangen;
Doch gegen Gunther verging ich mich niemals;
Mir war mein Schwur und die Schwägerschaft heilig,
Und dennoch ward ich verdammt als verdächtig,
Mit der Frau des Gebieters gebuhlt zu haben.«

27

Der König starb. Seine Gattin stöhnte
Und schlug sich so laut mit den Händen die Schläfen,
Daß auf den Borden die Becher klirrten
Und gellend im Garten die Gänse kreischten.

28

Als bis zum Bette der Bothelstochter
Gudruns schrecklicher Schrei gellte,
Da brach noch einmal die Königin Brunhild
Aus in ein lautes, letztes Lachen.

29

Zu 29. haustaldr, Habichtsträger, heißen Fürsten von ihrer Gewohnheit, den Lieblingsfalken stets auf der linken Schulter zu tragen und ihn nicht bloß auf die Beize mitzunehmen. Es scheint das ausschließliches Ehrenrecht und Zeichen fürstlichen Standes gewesen zu sein. Hier also sind mit den h. wohl die Brüder und nächsten Verwandten des Königs gemeint.

Das mißfiel dem Gefolgsherrn der Falkenträger:
»Lache nicht leidfroh, Erbarmungslose,
Als kläng' in die Kammer freudige Kunde. –
Was entfärbt dir so plötzlich fahl dein Antlitz,
Unheilstifterin, wie zum Sterben?

30

Dir, Schadenfrohe, geschähe dein Recht nur,
Wenn wir den Atli vor deinen Augen
Blutüberströmt niederstreckten
Und du, o Brunhild, deinem Bruder
Die Beulen und Wunden verbinden müßtest.«

31

Ihm entgegnete Brunhild, die Bothelstochter:
»Du bist reichlich gerächt, und niemand mehr reizt dich.
Gar wenig vollends um deine Feindschaft
Braucht sich zu kümmern König Atli.
Mit ihm an Macht kannst du nimmer dich messen,
Auch wird er länger leben als Ihr.

32

Vernimm jetzt noch, so genau du das selbst weißt,
Wie in sträfliche Frevel Ihr früh Euch verstricktet:
Als junge Maid, unbemüht um Vermählung,
Doch reich an Brautgut, wohnt' ich beim Bruder.

33

Nach keinem Gatten stand mein Begehren,
Bis hoch zu Roß aus dem Reiche Gibichs
Ihr drei Erlauchten in unser Land kamt.
Ach – hättet ihr nimmer die Fahrt unternommen!

34

Geneigt ward mein Herz dem herrlichen Helden,
Der den Grani beladen mit lauterem Golde.
Gar vornehm als Fürsten fühltet auch ihr euch,
Doch glicht ihr ihm weder im Glanze der Augen
Noch in einem Stück seiner stolzen Gestalt.

35

Angesagt aber hatte mir Atli:
Weder das Gold noch die Äcker und Gaue
Teil' er mit mir; selbst die Taler behielt' er,
Die von ihm ich bekommen, als ich noch Kind war,
Wenn ich aus Hochmut nicht heiraten wolle.

36

So ward ich wankend, ob seinen Wunsch ich
Fügsam erfüllen sollt' oder ferner
Schlachtmaid bleiben, auf dem Blachfeld
Einherier küren und jetzt gar im Kampfe
Gegen den Bruder die Brünne tragen.
Die Lust am Leben so manchem verleidend
Und weltkund wäre die Wahl geworden.

37

Es kam zum Ausgleich durch unsern Ehbund,
Obwohl ich bei weitem inniger wünschte,
Die roten Ringe vom Sohne Sigmunds
Zu empfangen als Malschatz und Morgengabe.
Kein Reichtum andrer konnte mich rühren.
Ihn liebt' ich allein, unverlockt von andern;
Denn kein wankelmütiges Mädchen war ich.

38

Das alles wird Atli endlich einsehn,
Wenn er hört, daß Brunhild sich umgebracht hat,
Weil beim anders gearteten Mann ein edles
Weib ohne Liebe zu leben nicht aushält.
Dann sorgt er für Sühne der Sünden an mir.«

39

Auf sprang Gunther. Um seine Gattin
Schlang er den Arm. Von ihrem Entschlusse
Sie abzuwenden, eilten alle
Herbei und baten. Doch Bothels Tochter
Schob sie zurück, unerschüttert entschieden
Den langen letzten Weg zu wandern.

40

Er ging zum Hagen, sich Rat zu holen.
»Versammle du, sagt' er, im Saal dort alle
Unsere Mannen, deine und meine,
Daß, bevor ihr Wort zu wehvoller Tat wird,
Sie zu hindern versuchen der Herrin Selbstmord;
Hernach mag geschehn, was das Schicksal bestimmt hat.«

41

Drauf hatte Hagen nur eine Antwort:
»Ihre Fahrt ins Nachtreich verzögere niemand!
O, würde sie dorther zu zweitem Dasein
Nun und nimmer nochmals geboren!
Nur zum Schaden schuf sie der Schoß ihrer Mutter;
Sie ward gebildet zu Bösem einzig
Und so manchem Menschen zum Mißvergnügen.«

42

Ratlos den Rücken nach dieser Rede
Wies ihm der König und kehrte eiligs
Zurück ins Gemach, wo seine Gemahlin,
Umgeben von gierig gaffenden Leuten,
Ihren Dirnen und dienenden Frauen
Aus ihrem Schatze Geschenke verhieß.

43

Zu 43. Das ist der bisher verkannte Sinn von vara gott î hug. Um im Waffenschmuck der Walküre nach Walhall zu gelangen, legt sie die Brünne an, also nicht in der für sich guten Absicht, unverwundbar zu sein, welche man sonst hegt, wenn man das Maschenhemd anzieht, sondern im Gegenteil, um sogleich zu sterben.

Sie tat um die Brust die goldene Brünne,
Doch nicht, sie zu schützen. Ihr scharfes Messer
Bohrte sie sich alsbald in den Busen.
In die Pfühle sank sie, seitwärts fallend;
Doch zu reden verstand noch die Stahldurchstochne:

44

»So gehe nun mit, wer Gold begehrt
Und andere Dinge als Angedenken.
Ich gebe jeder ein gülden Halsband,
Ein Busentuch mit buntem Gebilde
Und ein Schleppgewand, das mit Schleifen besetzt ist.«

45

Zu 45. Für die zaghafte Blödigkeit der bisherigen Textkritik liefern sämtliche Ausgaben und Übersetzungen einen auffälligen Beweis, indem sie für die von mir in 45 und 46 nachgebildeten, in K. E. als XLVII und XLVIII, bei H. Lüning als 48. und 49., bei S. Bugge als 50. und 51. gedruckten Strophen die herkömmliche Versfolge verdachtlos beibehalten. Mir ist es, wie bezüglich dieser Stelle schon im Vorwort bemerkt, schwer verständlich, wie man die Verwerfung auch nur einen Augenblick hat verkennen können. Daß die Verse:

vilkat ek man trauþan
nê torboenan
um ôra sök
aldri tyna,

das ist: »ich will keinen sich widerwillig Sträubenden meinetwegen um das Altwerden bringen«, von Brunhild gesprochen werden, ist freilich unzweifelhaft. Ebenso unzweifelhaft aber ist es auch, daß die als Einführung ihrer Rede unmittelbar vorhergehenden:

unz af hyggjandi
hörskrydd kona
ung at aldri
orđ viđr um quađ

»bis nach Besinnung eine in noch jungem Lebensalter stehende, in Leinwand gekleidete Frau erwiderte«, unmöglich von Brunhild ausgesagt sein können, dagegen, wie noch zusammenzahnend mit beiden Bruchstellen, Fortsetzung sind von

þögđu allir – liugđu at rađum
ok allir senn andsvör veittu
unz af
usw. wie oben.

»Sie schwiegen alle, sannen auf Rat, obgleich alle miteinander schon Antwort wußten«, d. h. in dem, was sie dachten, aber noch nicht auszusprechen wagten, einig waren, bis eine usw.

Da standen sie lange stumm und verlegen,
Was sie sagen sollten, obwohl im Sinne
Alle schon einig über die Antwort,
Bis nach vielem Bedenken eine der Dirnen,
An Jahren noch jung, in leinener Joppe,
Der Herrin ein Wort zu erwidern wagte:
»Zu heiß noch hungert uns, hier zu leben.
[Was der Königin freisteht], für Kammerfrauen
Schickt sich das nicht. Sich plagen und schaffen
Muß sie als Magd, was Mägden geziemt«.

Brunhild.

46

Zu 46. Brunhild meint: Mit eurem Lebenshunger verzichtet ihr auf den mit dem Goldmehl Menjas geschmückten Freudensaal der Freya (den sternbesäten Himmel), in den ihr als mein Gefolge mit aufgenommen würdet, wenn ihr mit mir stürbet. Vgl. Grottasöngr, wo Menja eine der jotischen Jungfrauen ist, welche dem Frodi auf der Wundermühle Gold, Glück und Frieden mahlen müssen.

Nicht wer sich weigert, soll meinetwegen
Entleibt das Leben verloren geben.
Doch ungeschmückt dann mit goldnem Geschmeide
Bleibt euch der Holzstoß nach eurem Heimgang,
Und mit mir der Menja schimmernde Schätze
Beseligt zu schaun, wird euch dann nicht beschieden.

47

Nun setze dich her, o Gunther, o höre,
Was eine dir meldet, welche des Morgens
Leuchtendes Nahen nicht erlebt. Ergänze: daher Künftiges vorschaut und richtig verkündet.
Nicht in sicherem Sunde zu segeln wähne
Mit deinem Schiffe, nachdem ich verschieden.

48

Zu 48. Diese Strophe ist weder besonders dunkel noch durch fehlerhafte Überlieferung erheblich, wenn überhaupt geschädigt. Gleichwohl ist sie bisher, wie schon im Vorwort bemerkt, gänzlich unverstanden geblieben. K. E.: habet mulier nota cum rege trista monumenta defuncto marito, die bekannte Frau hat beim König traurige Erinnerungszeichen, nachdem ihr Gemahl gestorben. Danach Simrock mit kleiner Änderung: »Die kluge Königin hat bei dem König trübe Gedanken an den toten Gemahl.« Dieser König soll, auch nach H. Lüning, Alf sein, der Pflegevater Sigfrids, bei welchem Gudrun nach dem Tode ihres Gatten Zuflucht gefunden. Bei Bergmann, der das Wort hefir etwas genauer und nicht für einfaches »hat« nimmt, könnte man deshalb wenigstens einen Schimmer des richtigen Sinnes vermuten, wenn er, im weiteren ebenfalls irrig, übersetzt: »Auf hebt die dem König verwandte Frau die traurige Erinnerung an den verstorbenen Gatten.«

Nun bedeutet aber hefja heben, aufheben, auch erziehen, aufziehen, erwachsen lassen. viþ konungi ferner heißt hier nicht beim, sondern vom K. ala, eiga, geta ... börn viþ = Kinder ernähren, haben, empfangen von jemand. Vgl. Hyndlul. 36, Sigurđarqu. II, 11, und viele andere Stellen. Der betreffende König ist Sigfrid. Ja, wenn man kunn ansähe als verschrieben statt kund, so hätte man geradezu, der folgenden Strophe entsprechend, Tochter; denn wie kundr, Sohn, ist kund Tochter, und nicht nur in Zusammensetzungen wie tröllkund, Trollentochter, Ynglingasaga 16, sondern auch alleinstehend, z. B. at kundar Nörva, bei der Tochter Nörvis, der Nacht, Hrafnagaldr 17. Aber es bedarf gar nicht dieser Korrektur; denn kyn und kun, althochdeutsch kunne und chunni, mittelhochdeutsch künne, ist Geschlecht, Stamm, Familie. hefir kunn kona vipþ konnugi heißt also: die Frau hegt, hebt auf, bewahrt, läßt erwachsen in sich Familienzuwachs vom Könige. Aus der folgenden Mehrheitsform daprar minjar darf man keinen Einwand herleiten; denn das im Sing. seltene minja und menja wird oft gebraucht wie ein plurale tantum, das zwar zugleich die entsprechende Deklination des Beiworts wirkt, aber dennoch nur ein einzelnes Andenken meint. daprar, eigentlich traurig, ist wohl kaum zu beziehen auf das der Tochter Schwanhild einst bevorstehende Schicksal; vielmehr dürfte es bedeuten, was wir umschreibend ausdrücken würden: Wehmut weckend, obgleich willkommen.

Unverhofft geschwind versöhnst du die Schwester.
Sie trägt vom König ein Kind unterm Herzen,
Ein teures Vermächtnis des toten Gemahls.

49

Zu 49. Hinweis auf die den Wölsungen eigenen, an Sigfrid oft erwähnten und von ihm der Tochter vererbten Strahlenaugen Schwanhilds, vor deren scharfem Blick sogar Pferde zurückscheuen. Er ist in meiner Nachbildung deutlicher ausgefallen, als ihn der knappe Vers und Stabreim dem nicht hervorragend sprachgewandten Verfasser des Liedes gelingen ließ.

Ein Mädchen gebiert und erzieht die Mutter.
Der heitre Himmel wird nicht holder
Als Schwanhilds Schönheit, der Schein der Sonne
Nicht blendender strahlen als ihre Blicke.

50

Eine Schadenschützin für Scharen von Männern
Gibst du in Gudrun fort einem Gatten.
Nicht zum Heil dir gereichen wird ihre Heirat.
Atli ist's, der sie nimmt zur Ehe,
Mein Mitgeborner, der Sohn des Bothel.

51

Ihm hätt' ich so manches erinnernd zu melden,
Was mich betraf, was Ihr betrüglich
Mir angetan mit arger Täuschung;
Denn die Widerwillige habt ihr gewaltsam
In lebenslängliches Leid gerissen.

52

Oddrunen wirst du zur Ehe begehren,
Doch sie zu besitzen, versagt dir Atli.
Euch beide verbindet heimliche Buhlschaft;
Sie bezeigt sich dir zärtlich – wie mir das geziemte,
Hätt' ein anderes Los mir erlaubt, dich zu lieben.

53

Atli wird dir Arges antun,
In den Schlangenzwinger dich schließen lassen;
Doch gleich darauf ist auch ihm seines Glückes
Und seines Lebens Verlust beschieden.

53

Im Bette durchbohrt die erbitterte Gudrun
Ihren Gemahl mit dem scharfen Messer.
Würdiger also und weise miede
Unsere Schwester so schweres Verhängnis,
Wenn sie, besser beraten, nach meinem Beispiel
Und mit meiner Denkart, sich selbst erdolchend,
Dem Heldengemahl auf den Holzstoß folgte.

54

Zu 54. Oört maeli, ek nú bedeutet nicht, wie nach K. E., tarde nunc loquor, Simrock übersetzt: ich spreche schon schwer. ora = wütend, unsinnig, rasend sein, orar = delirieren, oraverk, Mord im Wahnsinn, oraferđ, aus Aberwitz unternommene Reise. ôört also = nichtdelirierend.

Des Lebens beraubt – nicht irr' schon red' ich –,
Wird sie gleichwohl nicht unsertwillen:
Auf geschwollenen Wogen schwimmend gelangt sie
Ans Ufer der Marsch in Ionakurs Marken.

55

Zu 55. Wörtlich: Zweifel ist im Rate der Söhne Jonakurs. Die unverbundenen, wie auf Stichworte beschränkten und absichtlich dunkeln Sätzchen dieser Weissagung der Sterbenden werden erst verständlich aus Guđrunarvhöt und Hamdismal. Sörli und Hamdir, die Söhne Jonakurs, weigern sich anfangs, das ihnen von der Stiefmutter zugemutete Rachewerk zu übernehmen. Was sie rächen sollen, wird erst nachgebracht: eben das Schicksal ihrer Stiefschwester Schwanhild. Nach der prosaischen Einleitung zu Guđrunarvhöt und der ausführlicheren Erzählung der Nornagestsage wird Schwanhild dem Jormunrek zur Gemahlin gegeben oder doch bestimmt, von dessen Ratgeber Bicki zur Buhlschaft mit Ramwer, dem Sohne des Königs, verleitet oder doch derselben angeklagt und dafür verurteilt, von Pferden zerstampft zu werden.

Was sie sinnt, versagen ihr Ionakurs Söhne;
Fort sendet sie Schwanhild, die Sigfridstochter.
Ein böses Los bereitet ihr Bicki,
Iormunrek ein jämmerlich Ende.
Ganz vernichtet ist Sigfrids Nachwuchs,
Gudruns Gram grausig vergrößert.

56

Bewillige mir nur einen Wunsch noch,
Den allerletzten in diesem Leben:
Laß den Hag mit dem Holzstoß so hoch sich erheben,
Daß reichlich darauf für uns alle Raum ist,
Die wir mit Sigfrid zusammen gestorben.

57

Mit Decken und Schilden umdache die Scheite,
Mit prächtig gewirkten Prunkgewanden
Und lege sie voll mit Leichengefolge.
Den hünischen Helden laß auf dem Holzstoß
Seiner Brunhild zur Seite brennen.

58

Ihm zur Linken leget meine
Mit güldenen Ketten geschmückten Kämmrer,
Je zweie ferner zu seinen Füßen
Und ihm zu Häupten auch Habichte zween.

59

Wenn so alles besorgt ist nach Brauch uud Sitte,
Dann leg' uns zweien zwischen die Leichen
Die mit Gold gestanzte stählerne Klinge,
Wie sie neben uns lag, als nur der Name
Von Gatten uns beiden gegeben wurde
Und zum Beilager wir das Bett bestiegen.

60

Nicht sofort auf die Ferse fällt dem Sigfrid
Die Klappe der Tür mit Ring und Klinke
Nach Eintritt ins wölbige Tor von Walhall,
Wenn mein Gefolge die Fahrt so mitmacht
Und so stattlich stolz unser Sterbezug ist.

61

Denn ihm folgen ferner fünf Jungfraun
Und acht Gesellen aus edler Sippe,
Die mir einst als Spiel- und Speisegenossen,
Als ich geboren ward, Bothel beigab.

62

Manches vernahmst du. Es muß genug sein.
Manches mehr noch sagen möcht' ich –
Zu karg bemessen ist die Muße.
Die Wunde schwillt, – die Stimme schwindet, –
So gewiß ich sterbe, – Wahrheit sprech' ich.«


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