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38
Wer seine Waffen weggelegt hat,
Hebe den Fuß nicht zu fernerem Schritt;
Denn niemand weiß unterwegs, wie nötig
Ein wenig später sein Speer ihm sein wird.
39
Ich kannte noch keinen im Kostgewähren
Sehr gastlichen Mann
so gebegütig,
Daß er nicht auch geneigt war, Gabe zu
nehmen,
Noch so wenig geizig mit seinem Gelde,
Daß erlangbarer Lohn ihm leidig geschienen.
40
Wenn du Gut und Geld dir erworben, – mißgönne
Dir nicht den Genuß. Die zärtlichsten Neffen
Sind die schlechtesten oft, so schlau sie schleichen,
Und du spartest dir ab für spottende Erben.
41
Befreundete sollen einander erfreuen
Mit nach eigener Schätzung schönsten Geschenken,
Mit feinem Gewand und wertvollen Waffen;
Denn Gunstbeweise und Gegengaben
Erhalten und nähren die herzliche Neigung,
Wo sich beide gepaart zu passendem Bunde.
42
Bewähre dich treu dem vertrauten Manne
Und erwidere würdig wertvolle Gabe;
Doch dem Spötter diene mit spitzer Antwort,
Mit launigem Schwindel dem Lügenschwätzer.
43
Als wackerer Freund bewähre dich Freunden
Und ihren Genossen; niemand aber
Finde Gefallen am Feinde des Freundes.
44
Wen du treu dir geneigt und vertrauenswert kennst,
So daß du Wohltat von ihm erwartest,
Den halte dir warm mit Wechselgaben,
Den besuche nicht selten, daß eure Gesinnung
Zu stetem Verständnis stimmend bleibe.
45
Wenn du meinst, von Menschen, denen du mißtraust,
Dir Vorteilhaftes fordern zu sollen,
So
denke gering von ihm, doch die Rede
Schmücke weislich mit Schmeichelworten;
So erlangst du den Dienst von seinem Dünkel
Mit verlockender Lüge.
46
Wo du mißtraust und des Mannes freundliche Miene
Dir verdächtig dünkt, da rat' ich dir dennoch,
Wie gläubig zu lächeln und glimpflich zu reden,
Was du selbst nicht glaubst. Mit gleicher Münze
Heißt das geziemend den Heuchler bezahlen.
47
Weiland als Jüngling wandelt' ich einsam;
Da führt' ich mein Leben falsche Pfade;
Doch fand ich Begleiter, so fühlt' ich mich glücklich;
Denn den Menschen erfreut am meisten der Mensch.
48
Wer freigebig ist mit frohem Gemüte,
Hat lauterste Lust an seinem Leben
Und trägt sich selten mit trüber Sorge.
Der ängstliche Knauser knurrt über alles;
Selbst wenn ein Geschenk ihm von andern beschert wird,
Ist mürrisch sein Geiz, es vergelten zu müssen.
49
Zu 49. Diese dunkle Strophe finde ich nirgends erklärt, muß auch selbst bekennen, eine befriedigende Antwort nicht zu wissen auf die Frage, wie sie mit dem Thema der vorhergehenden Sprüche zusammenhänge. Deshalb sei nur nochmals erinnert an die Vorbemerkung, daß hier Odin die Regeln der Lebensklugheit vorträgt, die er gewonnen auf seiner Erdenfahrt in Menschengestalt. So berührt er gelegentlich auch Erlebnisse, aber immer nur kurz andeutend und uns oft unverständlich, weil wir die Erzählungen nicht mehr besitzen, welche er als bekannt voraussetzt. Z. B. 13 seinen Rausch im Hause der Gunlad, wenn auch in dem weiter unten eingeschalteten Fragment 105–111 erwähnt wird, bei welchem Anlaß er sich denselben angetrunken. Hier nun knüpft sich ihm an das Lob der Freigebigkeit in 48 die Erinnerung, daß er einst sogar seine Kleider fortgegeben; wobei es natürlich stille Voraussetzung des Dichters ist, daß der Gott das tun gekonnt, ohne durch Entblößung selbst in Verlegenheit zu kommen. Damit – das ist der Notbehelf, mit dem man sich begnügen muß – verbindet er zuerst ein Beispiel für den Spruch: »Kleider machen Leute«, dann in der letzten Halbzeile eine Sentenz, welche denselben Gedanken umgekehrt ausdrückt. – Daß mit tré-mönnom, wörtlich Baum-Menschen, nicht etwa Holzfäller, die doch auch gekleidet gehen, sondern Nackte gemeint sind, macht das Folgende unzweifelhaft. Wilde, fabelhafte Waldmenschen, wie sie auch in den Märchen zuweilen vorkommen, scheinen vorzuschweben. So würde sich das Wort nahezu decken mit Oranutan.
Auf der Wanderschaft gab ich einst meine Gewande
Zween Waldmenschen hin. Gewaltige Recken
Dünkten sich die, nachdem sie bedecken
Ihre Leiber gedurft; denn zur Lumpendemut
Erniedrigt Geneck dem Nackten den Sinn.
50
Der Baum verdorrt auf dürrem Bühel;
Nicht schattendes Laub noch Rinde schirmt ihn.
So geht es dem Mann, dem der Menschen Gunst fehlt;
Wozu noch verlängern sein leidiges Leben?
51
Die Huld der Falschen ist heißer als Feuer
Der Tage fünf; doch folgt der sechste,
Dann ist die Freundschaft bereits erfroren
Und längst erloschen die ganze Liebe.
52
Nicht ratsam, ja schädlich sind reiche Geschenke.
Wenig mit Liebe erwirbt dir Lob schon,
Brüderlich gleich gebrochener Brotleib
Und die Neige des Trunks einen treuen Genossen.
53
So kläglich klein ist die Klugheit der Menschen
Mit kümmerlichen Seelen wie Körnchen Sandes.
Ungleich ausgeteilt ist die Einsicht;
In zwei gänzlich verschiedene Gattungen scheiden
Der Sterblichen Stamm Verstand und Stumpfsinn.
54
Zu 54 und 55. [Letztere Strophe ist nur Variante ihrer Vorgängerin, zu welcher ihre Verse 5 und 6 auch gehören.]
Jedem Mann ist bekommlich
sein Maß von Kenntnis;
Gefahr bringt's, nicht Vorteil, zu viel zu wissen.
Das schönste Leben ist dem beschieden,
Der nur, was ihm nützt, aber dieses genau weiß.
55
Wer zu vieles lernt und allzu gelehrt ist,
Der behält nur selten ein heiteres Herz.
56
Jedem Mann ist bekommlich
sein Maß von Wissen;
Gefahr bringt's, nicht Vorteil, zu viel zu wissen.
Wer vorherzuschauen sein Schicksal wüßte,
Dem wäre die Seele mit Sorge belastet.
57
Die Fackel entfacht sich an anderer Fackel,
Das Feuer an Feuer. So wird zum Fortsatz
Des Mannes der Mann durch Muster und Lehre,
Zu weisem Wandel durch würdiges Beispiel,
Zu täppischem Taumel durch törichten Rat.