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Nachwort

Am gleichen Tage, Mittwoch, ließ sich Frau Schratt ein wenig nach elf Uhr vormittags bei der Kaiserin, die sie erwartete, melden. Katharina Schratt war lebhaft und heiter wie stets. Die Kaiserin empfing sie in ihrem Schlafgemach, und die gewohnte ungezwungene Unterhaltung war bald zwischen diesen beiden grundverschiedenen Frauen im Gang. Frau Schratt verstand die Kunst, die Kaiserin zu unterhalten.

Ihr Gespräch wurde unterbrochen, denn die Tür zum Empfangssalon öffnete sich, und eine der Hofdamen, Frau von Ferenczi, die der Kaiserin von allen am nächsten stand, trat ein. Trotzdem sie darin geübt war, sich zu beherrschen, waren ihre Züge jetzt verstört. Die Kaiserin machte Frau Schratt lachend darauf aufmerksam:

»Sehen Sie sich doch einmal meine gute Ferenczi an; sie hat die Gewohnheit, alles tragisch zu nehmen. Jetzt will sie mir wahrscheinlich eröffnen, daß einer meiner Pelze von den Motten zerfressen ist.«

Dieser Scherz verfehlte seine Wirkung; die bleichen Züge von Frau Ferenczi blieben verzerrt. Mit einem Brief in der Hand näherte sie sich der Kaiserin. Elisabeth sah sie prüfend an, bekam plötzlich Angst und erhob sich.

»Was gibt es?«

Frau von Ferenczi machte vergebliche Anstrengungen, ein Wort hervorzubringen. Schreckerfüllt ergriff die Kaiserin sie bei den Schultern. Wortlos stand sie vor ihr, nur ihre entsetzten Augen fragten … Die Hofdame, die umzusinken drohte und wie Espenlaub zitterte, brachte endlich stammelnde Worte hervor:

»Graf Hoyos … aus Mayerling …« Sie stockte, aber unter den Blicken der Kaiserin, die sich in ihre Augen bohrten, fuhr sie nach kurzem Atemholen mit kaum hörbarer Stimme fort: »Ein fürchterliches Unglück! … Der Kronprinz … ist tot …«

Die Kaiserin, die stets so gefaßt war, schwankte unter diesem Schlag. Frau Schratt beeilte sich, sie in ihren Armen aufzufangen. Sie und Frau von Ferenczi brachten sie wieder zu sich. Die Kaiserin besaß eine starke Seele; noch tränenüberströmt, mit gebrochener Stimme, fragte sie schon nach Einzelheiten. Ein Selbstmord! … Sie mußte daran denken, wieviele ihrer Angehörigen so geendet hatten; ein Schauer überlief sie. Der Kronprinz hatte die junge Baronesse Vetsera mit in den Tod genommen … Elisabeth nahm aus den Händen ihrer Hofdame den Brief entgegen und begann zu lesen: »Geliebte Mutter, ich habe kein Recht mehr zu leben, ich habe getötet …« Sie konnte nicht fortfahren. Wortlos, das Gesicht in den Händen vergraben, weinte sie.

Doch schon einen Augenblick später raffte sie sich auf.

»Der Kaiser … Er muß es augenblicklich erfahren. …« Und sich an Frau Schratt wendend, sagte sie: »Wer von uns sagt es ihm?«

Die beiden Frauen blickten einander unentschlossen an. Wer von ihnen würde es wagen, mit solcher Schreckenskunde in das Zimmer einzudringen, in dem der Monarch arbeitete?

Noch standen sie zögernd, angstvoll da, als die Holztreppe, die die Zimmer des Kaisers mit den Gemächern seiner Frau verband, unter seinem bekannten Schritt knarrte.

»Er kommt«, flüsterte die Kaiserin und wich einen Schritt zurück.

Die Tür ging auf, der Kaiser trat ein. Über seinen runzligen Zügen lag der Ausdruck eines Schuljungen, der glücklich ist, für einige Augenblicke dem Unterricht entschlüpft zu sein.

Die Kaiserin ging entschlossen auf ihn zu und teilte ihm mit Tränen in der Stimme, aber ohne nach beschönigenden Worten zu suchen, die fürchterliche Nachricht mit.

Es schien einen Augenblick, als hätte der Kaiser nicht verstanden. Seine Augen schweiften von Elisabeth zu Frau Schratt, ihr ausdrucksloser Blick irrte über die Gesichter der beiden Frauen. Dann fiel Franz Josef, niedergeschmettert, schwer auf ein Sofa …

Lange saß er schweigend zwischen seiner Frau und Katharina Schratt, die jede eine seiner Hände hielten. Er gab sich keine Mühe, den Schmerz zu bekämpfen, der ihn niederdrückte. Zu schwer war der Schlag, der ihn als Vater, als gläubigen Christen und als Kaiser traf. Die Worte, die Rudolf am Sonnabend gesprochen hatte, klangen in seinem Ohr: »Aus all den Schwierigkeiten, die du mir in den Weg legst, gibt es noch einen andern Ausweg …« Franz Josef hatte an diese Drohung Rudolfs nicht geglaubt. Und doch hätte er ihren Ernst aus seinen bleichen verzerrten Zügen, aus dem sonderbaren Glanz seiner Augen erkennen müssen … Ja, er hatte gehandelt, wie es ihm richtig schien, aber die Folge gab ihm unrecht. Ein Selbstmord! Sein einziger Sohn, seine ganze Hoffnung, hatte sich getötet! Es war ungeheuerlich, unfaßbar … Der Gedanke allein erregte Schwindel … Und die Kirche! Wie würde sich die Kirche dazu stellen? Sollte sein Sohn vor den höchsten Richter treten, ohne durch die Segnungen eines Priesters dafür bereit zu sein? Sollte er für die Verirrung eines Augenblicks in aller Ewigkeit büßen? Und die Monarchie, das Werk jahrhundertelanger geduldiger Arbeit seines Hauses, würde sie diesen unerwarteten Schlag überleben? – Wohin seine Gedanken irrten, sah er nur Entsetzliches. Minuten vergingen, ohne daß er sich regte. Kostbare Minuten. Entscheidungen waren zu treffen. Graf Hoyos wartete auf Befehle … Rudolfs entseelter Körper lag da draußen, noch vereint mit der Leiche des jungen Mädchens … Franz Josef trocknete die Spuren der Tränen von seinen eingefallenen Wangen, er umarmte Elisabeth und Frau Schratt und ging gebückt, schwerfällig in sein Arbeitszimmer.

 

Befehle stören die Hofburg aus ihrer gewohnten feierlichen Stille auf.

Der Vertrauensmann des Kaisers, Ministerpräsident Graf Taaffe, aus dem Parlament geholt, eilt herbei. Der Obersthofmeister, der Polizeipräsident werden zum Kaiser befohlen. In der Erregung und im Entsetzen der ersten Stunde werden überstürzte Maßnahmen getroffen.

Graf Szecsen von Temerin, ein hoher Polizeibeamter, einer der Leibärzte des Kaisers, Professor Wiederhofer, der Hofreisemarschall Alexander Ritter von Klaudy und andere Hoffunktionäre haben unverzüglich nach Mayerling zu fahren, um die Überführung der Leiche des Kronprinzen zu veranlassen. Bezüglich Mary Vetseras Überreste erfließen grausamste Weisungen …

Um zwei Uhr morgens empfängt der Kaiser am Fuße der Botschafterstiege im Schweizerhof die Leiche seines Sohnes. Man hatte sie von Mayerling in einem Hofleichenwagen nach Baden überführt und in den dahin beorderten Hofzug verladen. Um ein Uhr nachts hatte sich dann der stille Zug vor dem Wiener Südbahnhof formiert und war durch die Heugasse, über den Ring und durch das äußere Burgtor in die Hofburg eingezogen. –

Jetzt liegt Rudolf in seinem Schlafzimmer aufgebahrt.

Über seinen letzten Wunsch, den er im Brief an die Kaiserin ausgedrückt hatte, gemeinsam mit Mary auf dem ländlichen Friedhof in Alland beerdigt zu werden, setzt man sich einfach hinweg. Für die Hofburg gibt es keine Mary Vetsera, hat es niemals eine gegeben. In seinem blumengefüllten Zimmer ruht der Kronprinz auf einem Feldbett. Eine rote Seidendecke ist bis an den Hals über seinen Körper gebreitet; um den Kopf liegt ein weißes Tuch, das die schreckliche Wunde seines Schädels verdeckt.

Auf der Straße und im Hof drängen sich die Menschen. Seit mittags, als sich die ersten Gerüchte in Wien verbreiteten, umstehen sie dichtgedrängt, Kopf an Kopf, als eine stumme erregte Masse alle Zugänge der Hofburg. Die Burghöfe, der Burgring, die Löwelstraße, Ballhaus- und Michaelerplatz, Josefsplatz und Augustinerstraße sind dichtgefüllt, und immer mehr Menschen strömen herbei. Die Erregung ist unbeschreiblich, die Menge schwillt so an, daß es zu Zwischenfällen kommt. Die Polizei erweist sich als ohnmächtig, man muß Militärassistenz anfordern. Es gibt Schwerverletzte, sogar einen Toten. Das Verhängnis will es, daß jedes bedeutsame Ereignis, Todesfall oder Geburt der Großen der Welt, Opfer an Menschenleben kostet. Wieder einmal bestätigt sich dieses seltsam dunkle, aber unbestreitbare Gesetz; ein Mensch wird getötet, weil der Kronprinz gestorben ist.

 

Die offizielle Kundmachung spricht zunächst von einem Jagdunfall, dann von einem Herzschlag.

Aber nach der Obduktion, die noch während der Nacht vom Vorstand des Anatomisch-pathologischen Institutes, Professor Dr. Hans Kundrath, vorgenommen wird, läßt sich der Selbstmord, trotz aller getroffenen Vorsichtsmaßnahmen, nicht mehr verheimlichen. Das ärztliche Protokoll erscheint Freitag, den ersten Februar. Es kommt zu dem Schlüsse, daß ein Selbstmord infolge momentaner Sinnesverwirrung vorliegt.

Gestützt auf dieses Protokoll sendet der Kaiser ein zweitausend Worte umfassendes Telegramm an den Papst, in dem er für seinen Sohn um die kirchliche Beisetzung ersucht. Es ist eine Herzenssache für ihn; sein Sohn hat die kirchlichen Gebete nötiger als jeder andere. Der Vatikan zögert, die Bitte des Kaisers zu erfüllen. Darf er einen offenkundigen Selbstmord gutheißen? Neuerliches Telegramm des Kaisers: Wenn die Kirche ihm diesen letzten Trost verweigert, ist er entschlossen, abzudanken. Papst Leo XIII. läßt sich endlich, entgegen dem Widerstand des Staatssekretärs Kardinal Rampolla, bewegen, der kirchlichen Beisetzung zuzustimmen. Franz Josef war über den Widerstand Rampollas genau unterrichtet. Dreizehn Jahre später, im Konklave, das dem Tode Leo XIII. folgte, mußte der Kardinal sein starres Festhalten an den Geboten und Regeln der Kirche teuer bezahlen. Österreich machte von einem uralten Privilegium Gebrauch und schloß den Kardinal von der ihm sicheren Papstwahl aus. – Franz Josef hatte nicht vergessen!

Die Überführung der Leiche erfolgte Dienstag, den 5. Februar, um vier Uhr nachmittags, mit großem Gepränge zu den Kapuzinern, um dort, in der Familiengruft der Habsburger, beigesetzt zu werden.

Rudolf auf dem Totenbett

Rudolf auf dem Totenbett

Der von sechs Schimmeln gezogene Leichenwagen war von acht Edelknaben mit Wachsfackeln, von sechs Arcierenleibgarden, sechs ungarischen Leibgarden, acht Trabantenleibgarden und acht Leibgardereitern flankiert. Ihm zunächst folgten in zwei sechsspännigen Hofwagen der Obersthofmeister des Kronprinzen, dann sein Flügeladjutant mit seinem Ordonnanzoffizier. Der Zug bewegte sich, begleitet von dem dumpfen Läuten aller Kirchenglocken, durch das gedrängte Spalier der Neugierigen vom Schweizerhof über den Franzensplatz, Michaelerplatz, durch die Augustinerstraße, Tegetthoffstraße zur Kapuzinerkirche am Neuen Markt. Hier hatte sich indessen die große Trauerversammlung der Adeligen, Diplomaten, Hofwürdenträger, Minister und Abgeordneten eingefunden. Durch drei dumpfe Stöße mit seinem Stab meldete der Oberzeremonienmeister das Nahen des Trauerzuges. Darauf betrat durch die kleine Seitentüre neben dem Altar der Kaiser, gefolgt von sämtlichen Erzherzogen und den auswärtigen Fürstlichkeiten, mit dem König der Belgier an ihrer Spitze, das Kirchenschiff.

Die Kaiserin, die Kronprinzessin Stephanie und die Erzherzoginnen nahmen an den Beisetzungsfeierlichkeiten in der Kapuzinerkirche nicht teil. Sie wohnten einer Seelenmesse bei, die zur selben Stunde in der Hofburgpfarrkirche abgehalten wurde. Der Kaiser machte einen sehr gefaßten Eindruck. Als er die Kapuzinerkirche betrat, warf er einen prüfenden Blick auf die Versammelten, als wollte er sich davon überzeugen, daß alles nach dem gebührenden Zeremoniell vonstatten ging. Während der Messe, die der Kardinal Fürsterzbischof zelebrierte, starrte er unbeweglich auf den Sarg, der hart vor ihm auf dem Katafalk ruhte. Als dann der Sarg aufgehoben wurde, um, unter Vorantritt der Kapuziner, die brennende Fackeln trugen und ihre Litaneien murmelten, die Treppe zur Gruft hinabgetragen zu werden, geschah etwas Unvorhergesehenes. Während das Hofzeremoniell vorschreibt, daß nur der erste Obersthofmeister des Kaisers mit dem Obersthofmeister, dem Flügeladjutanten und dem Ordonnanzoffizier des Verstorbenen dem Sarg in die Gruft zu folgen haben, um dort die formelle Übergabe an den Pater Guardian zu vollziehen, schloß sich, zur Bestürzung der Hofbeamten, auch Franz Josef an, und ihm folgten fast alle Erzherzoge. Erst hier, in der Krypta, verlor er seine Selbstbeherrschung, als der Sarg nach altem Herkommen geöffnet werden mußte, um vom ersten Obersthofmeister den Patres Kapuzinern übergeben zu werden. Die traditionellen Worte wurden gewechselt. Der erste Obersthofmeister, Prinz Hohenlohe, trat vor und fragte:

»Erkennt Ihr in diesem Leichnam, den ich eurer väterlichen Obhut übergebe, die sterbliche Hülle des verewigten Erzherzog Rudolf, zu Lebzeiten Kronprinzen von Österreich?«

Der Pater Guardian erwiderte darauf mit der herkömmlichen Phrase:

»Ja, ich erkenne ihn, und in Zukunft werden wir ehrfürchtig über ihn wachen.«

Die beiden Schlösser des Sarges wurden versperrt, den einen Schlüssel übernahm der Pater Guardian, den zweiten behielt Prinz Hohenlohe, um ihn im Obersthofmarschallamt zu hinterlegen. Jetzt sank der Kaiser schluchzend in die Knie und unter Tränen küßte er den Sargdeckel.

Bei dieser Feier erschien Erzherzog Johann Salvator zum letztenmal in offizieller Eigenschaft in der Öffentlichkeit. Einige Monate später legte er alle Würden und Titel ab, nahm den Namen Johann Orth an, heiratete Milli Stubel und verließ Österreich. Das Segelschiff Santa Maria, das er gekauft hatte und mit dem er der Südsee zusteuerte, ging im Juli 1890 mit allen seinen Insassen in der Nähe des Kap Tres-Puntes unter.

 

Verlassen wir jetzt die Krypta und das Grab eines Prinzen, den die Liebe bis in den Tod getrieben hatte; verlassen wir dieses unterirdische Gewölbe, dessen kalte Wände das kaiserliche Wappen schmückt; verlassen wir die abgeschiedenen Seelen dieser Gruft, die ergriffen das beklagenswerte Opfer grüßten, das, noch ganz von seinem jungen Blut bedeckt, unter ihnen erschien. Kehren wir zu Mary Vetsera zurück, dorthin, wo sie getötet wurde. Nichts läßt sich der Grausamkeit zur Seite stellen, mit der die sterblichen Überreste dieses Mädchens behandelt wurden.

 

Montag, den achtundzwanzigsten Januar, als Mary Wien für immer verließ, kehrte die Gräfin Larisch-Wallersee allein in die Salesianergasse zurück. Sie gebärdete sich verzweifelt. Mary, erzählte sie, wäre aus ihrem Wagen entflohen, während sie selbst einige Augenblicke in einen Laden eingetreten sei. In ein paar zurückgelassenen Zeilen hätte sie angekündigt, daß sie in der Donau den Tod suchen wolle.

Man kann sich die Verblüffung, das Entsetzen, den Schmerz der Baronin Vetsera ausmalen, als sie eine solche Nachricht erhielt, auf die sie durch nichts vorbereitet war. Die erbärmliche Gräfin beruhigte ihre Freundin nur, um ihr neue Qualen zu bereiten, indem sie ihr ganz brutal sagte, Mary wäre gewiß nicht geflüchtet, um sich zu töten, sondern um den Kronprinzen, in den sie toll verliebt sei, zu treffen. Auf den Einwurf der Baronin, daß Mary den Kronprinzen ja gar nicht kenne, erzählte ihr die Gräfin – ohne natürlich ein einziges Wort darüber zu verlieren, welche Rolle sie selbst bei dieser Intrige, deren Seele sie gewesen war, gespielt hatte – die ganze Geschichte von Rudolf und Mary.

Die Baronin Vetsera meinte, ihren Ohren nicht trauen zu dürfen. Ihre Tochter, die sie nie von ihrer Seite gelassen hatte, die noch ein Kind war, sollte die Geliebte des Kronprinzen sein! – Sie mußte der Flüchtigen sofort nach! Sie wollte unverzüglich zum Ministerpräsidenten Grafen Taaffe eilen, den sie persönlich kannte. Die Gräfin wußte sie davon abzuhalten; Graf Taaffe hätte zu viele gesellschaftliche Beziehungen, die Sache würde publik werden. Sie erbot sich, selbst den Polizeipräsidenten aufzusuchen. Sie wiederholte immer wieder: »Ich bin es, die Mary verloren hat, ich muß sie auch wiederbringen.«

Sie begab sich auch tatsächlich zum Polizeipräsidenten, der ihr erwiderte, daß er nicht eingreifen könne, ohne eine Anzeige über die Flucht der Baronesse aus dem Elternhaus erhalten zu haben, und daß nur die Mutter berechtigt sei, eine solche Anzeige zu erstatten. Wenn übrigens seine Leute bei Verfolgung der Angelegenheit auf die Spur des Kronprinzen stoßen würden, müßten sie alle weiteren Schritte einstellen, da sie in diesem Falle kein Recht zu Recherchen hätten.

Die Baronin sandte ihren Bruder Alexander Baltazzi mit der Gräfin nochmals zum Polizeipräsidenten. Auch dieser neue Schritt hatte keinen bessern Erfolg. Die Baronin, die den Skandal fürchtete und von Stunde zu Stunde hoffte, Mary würde von selber nach Hause zurückkehren, konnte sich nicht dazu entschließen, eine formelle Anzeige zu erstatten. Sie forschte nach, wo der Kronprinz sich aufhielt, indem sie beim Grafen Hoyos Erkundigungen einholen ließ; sie erhielt die Auskunft, daß der Graf nicht in Wien wäre und daß man nicht wisse, wo er zur Jagd sei.

Die Gräfin schlug vor, in der Hofburg selbst nach Rudolf zu forschen. Abends kam sie mit dem Bericht zurück, daß Rudolf mit seinen Freunden in Mayerling zur Jagd sei und für den nächsten Tag zu einem Familiendiner bei Hof erwartet werde.

Die Nacht verging, von Mary kam kein Lebenszeichen. Am nächsten Morgen hielt es die Gräfin Larisch für klüger, Wien zu verlassen und auf ihr Schloß in Böhmen zurückzukehren. Die bejammernswerte Baronin Vetsera eilte jetzt selbst zum Polizeipräsidenten. Der war gegenüber der Darstellung, die die Gräfin Larisch von der Flucht Marys gegeben hatte, sehr skeptisch. Er kannte seine Leute und fragte die Baronin unvermittelt:

»Sind Sie der Gräfin so sicher?«

Die Baronin übergab ihm eine Anzeige wegen Entführung ihrer Tochter; auch ihr gegenüber wiederholte der Polizeipräsident, daß er seine Recherchen nicht weiter verfolgen könnte, wenn er auf die Spur des Kronprinzen stoßen sollte.

In den folgenden Stunden erreichte die Erregung der Baronin ihren Höhepunkt. Sie wollte sich dem Kaiser zu Füßen werfen, da sie aber nicht bis zu ihm gelangen konnte, ließ sie sich beim Grafen Taaffe melden.

Der war indessen durch den Polizeipräsidenten unterrichtet worden. Er empfahl der Baronin, sich noch einige Zeit zu gedulden. Er war nicht davon überzeugt, daß die Baronesse zum Kronprinzen geflohen sei. Da auch er abends an dem Familiendiner teilnehmen sollte, würde er ja den Kronprinzen sehen, und es wäre dann leichter, die Nachforschungen fortzusetzen.

Die Baronin konnte durchaus nicht einsehen, warum bis abends gewartet werden sollte. Sie flehte den Ministerpräsidenten an, er möge doch selbst mit dem Kronprinzen über Mary sprechen.

Dieser entgegnete, daß seine Beziehungen zum Kronprinzen durchaus nicht derartige wären, daß er sich die leiseste Einmengung in persönliche Angelegenheiten gestatten dürfe. Er fügte hinzu, daß – vorausgesetzt, die Vermutungen der Baronin wären begründet – die Kaiserin die einzige Person wäre, die mit dem Kronprinzen sprechen könnte und die auch einen gewissen Einfluß auf ihn hätte.

»Wenn er heute abend an dem Diner in der Hofburg teilnimmt, wird ihm mein Detektivchef beim Verlassen der Burg folgen, obzwar es mir außerordentlich peinlich ist, mich in die Privatangelegenheiten des Kronprinzen zu mischen.«

Eine zweite Nacht verging, in der die Baronin kein Auge schloß. Trotz aller Zweifel des Grafen Taaffe und des Polizeipräsidenten war sie sicher, daß Mary sich beim Kronprinzen aufhielt. Vom Ministerpräsidenten hatte die Baronin keinerlei Nachricht erhalten. War Rudolf abends nicht in der Hofburg gewesen? Warum hüllte sich der Graf in Schweigen? In ihrer Verzweiflung eilte sie gegen Mittag in die Hofburg und verlangte Frau von Ferenczi zu sprechen, die sie flüchtig kannte.

Die Hofdame empfing sie, nachdem sie lange genug hatte warten müssen. Graf Taaffe, so begrüßte sie die Baronin, hätte sie unterrichtet, und sie wüßte, warum sich die Baronin an sie wende. Sie verschwieg, daß sie eben erst den tragischen Ausgang dieser Flucht erfahren hatte. Als die Baronin sie anflehte, ihr eine Audienz bei der Kaiserin zu verschaffen, um endlich zu erfahren, wo der Kronprinz und Mary sich aufhielten, und um ihr Möglichstes tun zu können, den Eklat abzuwehren, erwiderte Frau von Ferenczi ausweichend, daß es zwar schon zu spät sei, daß der Skandal schon unvermeidlich wäre, aber daß Ihre Majestät Frau von Vetsera trotzdem empfangen werde.

Mit diesen Worten, die wie eine dunkle Drohung klangen, entfernte sie sich und ließ die bestürzte Baronin allein.

Einige Minuten später trat die Kaiserin mit versteinten, bleichen Zügen ein. Sie trat auf die Baronin zu, die ihre ehrfürchtige Reverenz machte, nahm ihre Hand und sagte:

»Unsere Kinder weilen nicht mehr unter den Lebenden.«

Trotz der Verzweiflung, die über sie hereinbrach, griff der Baronin der menschliche Ton in Elisabeths Worten ans Herz. Nur zwei Mütter, vom gleichen Schicksal getroffen, standen sich in diesem Augenblick in jenem Saal der Hofburg gegenüber.

Als wollte sie ihren eigenen Schmerz betäuben, sprach Elisabeth noch einige Worte über den fürchterlichen Schlag, der den Kaiser mit diesem tragischen Ereignis betroffen habe.

Die Baronin war während dieser Audienz so ergriffen, daß es ihr erst zu Hause zum Bewußtsein kam, keinerlei Einzelheiten über die Umstände, unter denen Mary und der Kronprinz tot aufgefunden worden waren, erfahren zu haben.

Der Leidensweg der Baronin Vetsera sollte aber erst beginnen.

 

Nachmittags, während sie von Minute zu Minute auf eine Nachricht aus der Hofburg wartete, wo und wann sie die Leiche ihrer Tochter übernehmen könnte, ließ sich ein hoher Hofwürdenträger bei ihr melden. In unverschämtem Ton und mit versteckten Drohungen gab er ihr zu verstehen, daß es klug von ihr wäre, Wien unverzüglich zu verlassen; die Umstände, unter denen der Kronprinz seinen Tod gefunden hätte, könnten nicht geheimgehalten werden, und es stünde zu befürchten, daß die Wiener, die den Kronprinzen vergöttert hatten, sich in ihrer Empörung zu einem unüberlegten Schritt hinreißen lassen könnten.

Die Baronin blickte ihn verständnislos an. Darauf erklärte er ihr, daß die Baronesse den Kronprinzen vergiftet und sich selbst danach entleibt hätte. Ein Abteil in dem Venediger Nachtschnellzug sei für die Baronin reserviert.

Von Schreck erstarrt, durch diesen letzten und feigsten Schlag niedergebrochen, fügte sich die Baronin. Ja, sie würde abends abreisen, ohne die Rückkehr ihres Schwagers, des Grafen Stockau abzuwarten, der nach Tisch nach Mayerling gefahren war. Doch die arme Frau hatte ihre Kräfte überschätzt; erkrankt mußte sie in Reifling den Zug verlassen und verbrachte dort die Nacht, kehrte morgens wieder nach Wien zurück. Am gleichen Donnerstag, den einunddreißigsten Januar, kehrte auch Graf Stockau nach Wien zurück und berichtete ihr, was er in Mayerling erfahren hatte: daß der Kronprinz und Mary durch zwei Revolverkugeln den Tod gefunden hätten; daß nichts darauf hindeute, daß Mary den Kronprinzen ermordet hätte; daß im Gegenteil alle Anzeichen dafür sprächen, daß Rudolf Mary erschossen hätte, ehe er Selbstmord beging. Man hatte dem Grafen den Eintritt in das Jagdschloß verwehrt und sich geweigert, ihm die Leiche seiner Nichte auszufolgen.

Erst später erfuhr er die Hintergründe jener seltsamen Vorsprache des Hof beamten bei seiner Schwägerin. Man hatte in der Hofburg gefürchtet, daß die Baronin Vetsera selbst nach Mayerling eilen und die Herausgabe der Leiche ihrer Tochter verlangen könnte, die man der Mutter nicht hätte verweigern dürfen. Deshalb hatte man beschlossen, die Baronin schleunigst aus Wien zu entfernen. Auf welche Weise jener Hofwürdenträger seine verächtliche Mission ausführte, haben wir gesehen. Man kann nur hoffen, daß er allein die Verantwortung für die Mittel trägt, die er angewendet hat, um die Baronin zur Abreise zu bewegen.

Baronin Vetsera wartete indes immer noch auf Weisungen aus der Hofburg über die Bestattung ihrer Tochter. Gleich dem Kaiser war auch sie fromm, wie er für seinen Sohn, wünschte auch sie für ihre Tochter den Segen der Kirche an geheiligter Stätte. Was hatte man mit ihrem armen Kinde getan? Wessen Hände hatten sie in das Totenhemd gekleidet? Wer wachte in jenem verlassenen Schloß bei ihrer Leiche? Diese Fragen, auf die sie keine Antwort wußte, zerrissen das Herz der armen Mutter.

Am frühen Nachmittag kam ihr Schwager, Graf Stockau, mit einem Auftrage des Kaisers. Franz Josef besaß einen Brief des Kronprinzen an die Baronin; er sollte ihr nur unter der Bedingung ausgefolgt werden, daß sie sich ehrenwörtlich verpflichte, ihn sofort, nachdem sie ihn gelesen hätte, durch den Grafen Stockau dem Kaiser zurückzugeben.

Sie gab das Versprechen, der Brief wurde ihr gebracht. Bloß die Adresse war von der Hand des Kronprinzen geschrieben; im Umschlag befanden sich drei Briefe Marys vom neunundzwanzigsten Januar, einer an die Mutter, die beiden andern an Schwester und Bruder gerichtet. Der erste Brief lautete:

»Liebe Mutter! Verzeiht mir, was ich getan; ich konnte der Liebe nicht widerstehen. In Übereinstimmung mit ihm will ich neben ihm am Friedhofe von Alland begraben sein. Ich bin glücklicher im Tode als im Leben.«

An ihre Schwester schrieb sie:

 

»Wir gehen beide selig in das ungewisse Jenseits. Denke manchmal an mich. Sei glücklich und heirate nur aus Liebe. Mir war dies nicht vergönnt, und da ich der Liebe nicht entsagen konnte, so gehe ich mit ihm.« Als Nachschrift fanden sich noch folgende Zeilen: »Du sollst nicht weinen, denn auch ich bin fröhlich. Alles ist hier wundervoll und erinnert mich an Schwarzau. Denke an die Lebenslinie in meiner Hand. Nochmals Lebewohl. Am dreizehnten Januar jedes Jahres sollst du Blumen auf mein Grab legen.«

Der dreizehnte Januar war, wie wir wissen, der Tag ihrer ersten Hingabe.

Von ihrem Bruder nahm sie mit diesen Zeilen Abschied:

»Liebster Bruder, lebe wohl. Ich werde aus dem Jenseits über dich wachen, denn ich liebe dich sehr.

Deine treue Schwester.«

 

Nachdem sie diese letzten Briefe ihrer Tochter gelesen hatte, legte die Baronin sie wieder in den Umschlag und sandte sie an den Kaiser zurück. Eine Stunde später brachte ihr Graf Stockau die drei Briefe zum zweitenmal; sie durfte sie behalten. Die Kaiserin sandte ihr gleichzeitig ein Lichtbild von Mayerling; die Fenster des Zimmers, in dem man die beiden aufgefunden hatte, waren durch ein Tintenkreuz bezeichnet. Schließlich teilte ihr der Graf noch mit, daß er den Auftrag erhalten hätte, unverzüglich nach Mayerling aufzubrechen und Mary auf dem in der Nähe befindlichen Friedhof von Heiligenkreuz, der zu dem Stift gleichen Namens gehörte, zu beerdigen. Er sollte sich zu diesem Zweck mit allen Vollmachten der Mutter der Verstorbenen versehen. Die nötigen Weisungen für die Beerdigung wären bereits an das Stift ergangen. Die Anwesenheit der Baronin bei der Bestattung, die des Nachts und in strengster Verschwiegenheit stattfinden sollte, sei ausdrücklich untersagt. Die unbeugsamen Weisungen der Hofburg hätten dem Grafen verboten, einen Sarg und ein Leichentuch nach Mayerling mitzunehmen; auch dürfe er zu der Fahrt von Mayerling nach Heiligenkreuz nur den gleichen Mietwagen benützen, mit dem er von Wien nach Mayerling fahre. Kein Geistlicher dürfe ihn begleiten, Sarg und Sterbehemd würde er in der Totenkammer des Friedhofes von Heiligenkreuz vorfinden; ein höherer Polizeibeamter werde ihn dort erwarten.

Die überflüssige Grausamkeit solcher Befehle warf die Baronin vollkommen nieder. Wäre sie denn den Strapazen und dem Grauen einer solchen Fahrt überhaupt gewachsen gewesen? Sie gab dem Grafen Stockau die verlangten Vollmachten und dieser fuhr Donnerstag, den einunddreißigsten Januar, gegen fünf Uhr abends, mit seinem Schwager Alexander Baltazzi im Wagen nach Mayerling.

Es war schon tiefe Nacht, als sie beim Jagdschloß anlangten. Sie klingelten am Tor, doch niemand erschien. Nachdem sie länger als eine halbe Stunde gewartet hatten, traf ein zweiter Wagen aus Wien ein. Hofrat Slatin als Vertreter des Obersthofmarschalls und ein kaiserlicher Leibarzt, Professor Auchenthaler, entstiegen ihm. Endlich wurden sie in das Schloß eingelassen.

Sie erbrachen die Siegel, die an der Tür des Zimmers angebracht worden waren, in dem Marys Leiche lag.

Was für ein Anblick bot sich ihnen! Der Körper Marys lag fast unbekleidet auf einem Bett. Es war unverkennbar, mit welcher Hast man ihn aus dem Schlafgemach des Kronprinzen in dieses Zimmer gebracht und wie wahllos man Kleidungsstücke über ihn geworfen hatte, um ihn notdürftig zu verdecken. Im übrigen hatte sich niemand Zeit genommen, Mary in diesen vierzig Stunden, die seit der Auffindung der Leichen vergangen waren, den letzten Liebesdienst zu erweisen; ihre Augen standen noch offen, das Blut war nicht fortgewaschen, das aus ihrem Mund geströmt war. Ausgestreckt lag sie in der Totenstarre, mit verdrehtem Kopf. Niemand hatte an dieser Leiche gebetet.

Ein Protokoll wurde aufgenommen, in dem als Todesursache Selbstmord angegeben wurde, obzwar es nach der Einschußöffnung hinter dem linken Ohr zweifellos feststand, daß Mary getötet worden war. Die beiden Onkel Marys wurden mit der Drohung zur Unterfertigung gezwungen, daß die Beerdigung sonst nicht stattfinden könnte und eine Untersuchung unvermeidlich wäre, durch die der Skandal nur noch größer würde. Professor Auchenthaler und ein Diener begannen endlich die Leiche zu waschen. Grauenvoll ist die Tatsache, daß diesem entseelten Körper das gleiche, enganliegende olivengrüne Stadtkleid und der Sealmantel angezogen wurden, in denen Mary, das Bild jugendlichen Lebens, in Mayerling eingetroffen war. Nachdem die starre Leiche fertig angekleidet, frisiert und ihr der grüne, mit schwarzen Straußenfedern besteckte Filzhut aufgesetzt war, nahmen sie nach Einbruch der Nacht Graf Stockau und Baron Baltazzi jeder unter einen Arm und trugen sie die Stiege hinunter; man hätte meinen sollen, eine Lebende stützte sich auf die beiden. Die Hofburg hielt dumm und grausam daran fest, daß es außer dem toten Kronprinzen in Mayerling keinen Leichnam gegeben hatte. Die Baronin Vetsera richtete sechs Monate später ein Bittgesuch an Franz Josef, in dem sie um die Bewilligung bat, bloß für ihre vertrauten Freunde die Dokumente veröffentlichen zu dürfen, deren ich mich bei der Abfassung dieses Buches bedient habe und die beweisen, auf welche Weise Mary den Tod fand.
Die Antwort des Kaisers, die der Baronin am 19. Juli 1889 zukam und die vom Generaladjudanten Graf Eduard Paar aufgesetzt war, beweist, daß er nachträglich die in seinem Namen verfügten Maßnahmen mißbilligte:
»Wie lebhaft seine Majestät auch die Kränkungen bedauern mag, die dem Herzen einer verzweifelten Mutter durch die Anordnungen bezüglich der Bestattung ihrer unglücklichen Tochter zugefügt wurden, muß man doch der namenlosen Bestürzung Rechnung tragen, die an der Unglücksstätte geherrscht hat, sowie der Dringlichkeit, mit der es notwendig war, sofortige Maßnahmen zu treffen …«

Die beiden Männer – Baron Baltazzi und Graf Stockau – nahmen auf dem Rücksitz des Landauers Platz, betteten Marys Leiche in halbsitzender Stellung in den Fond, und der Wagen erklomm in stockdunkler Nacht die steile Straße nach dem sechs Kilometer entfernten Heiligenkreuz. Der Weg war schlecht, die Unebenheiten der Straße erschütterten den Wagen, und die Leiche fiel als steife Masse bald nach links, bald nach rechts.

Einen Aufenthalt verursachte noch das stürmische Wetter. Wegen des Glatteises mußten die ausgleitenden Pferdehufe unterwegs mit Eisstollen versehen werden.

Vor der Einfahrt in Heiligenkreuz hielt ein hoher Polizeibeamter, Baron Gorup, den Wagen auf, stieg neben den Kutscher auf den Bock und gab ihm den Befehl, geradeswegs auf den Friedhof zu fahren, der sich etwas abseits der Straße, am Ende einer langen Pappelallee, befindet. Vor mir liegt das Protokoll des damaligen Polizeikommissärs Habrda, in dem er über die Bestattung der Mary Vetsera berichtet. Dieses Protokoll, das sich im Nachlaß des Grafen Taaffe vorfand, und das am 11. Oktober 1922 in der Neuen Freien Presse veröffentlicht wurde, enthält alle schauerlichen Einzelheiten der Überführung von Mayerling nach Heiligenkreuz und der Bestattung auf dem dortigen Friedhof.

Die Turmuhr des Klosters schlug eben die Mitternachtstunde, als in der Totenkammer des Friedhofes von Heiligenkreuz die Leiche eingekleidet und in den Sarg gelegt wurde, den der Tischler des Stiftes hastig zurechtgezimmert hatte. Die weitere Nacht verging noch mit der Ausfertigung und der Unterschrift der vorgeschriebenen Protokolle, was im Stift selbst geschah. Der Sturm und der Regen hatten die Arbeit der Totengräber in dem vereisten Boden verzögert. Gegen Morgen mußten zwei Polizeikommissäre und Marys Onkel selbst noch Hand anlegen, um die Beisetzung zu ermöglichen. Der Prior des Stiftes sprach ein Gebet über dem Grab und segnete die Leiche ein.

Viel später erst bekam die Baronin Vetsera die Erlaubnis, den Leichnam ihrer Tochter nach Wien zu überführen. Sie machte keinen Gebrauch davon. Mary blieb auf dem stillen Landfriedhof, wo sie endlich ihre Ruhe gefunden hatte. Ihre Mutter ließ dort zur Erinnerung an ihr Kind eine kleine Kapelle errichten. Über ihren Eingang hätte sie die schönen Worte eines alten Liedes setzen können:

»Nur Liebe kann Euch freudenreich
Diese Wallfahrt machen,
Sie nur führet lächelnd Euch
Zu dem schwarzen Nachen.«

 

Anmerkungen des Autors als Fußnoten eingepflegt. Re. Für Gutenberg

 


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