Hans Christian Andersen
O. Z.
Hans Christian Andersen

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46.

Où peut-on être mieux
Qu'au sein de sa famille?
Vieil air.

Du bist Herr in deiner Welt,
Hast du dich, so hast du Alles!
Mahlmann.

Im Sommer 1833 hatten die Freunde zwei Jahre auf Reisen zugebracht. Seit einem Jahre hatten violette Levkojen ein Grab auf dem kleinen Dorfkirchhofe geschmückt.

»Ein Herz voll inn'ger Lieb' und Treu'
Ging ein zur Liebe und zu Gott!«

las man auf dem Steine.

Einen verwelkten Levkojenstrauß hatte Louise neben Eva's Taufschein und Gesangbuch aufbewahrt gefunden. Es waren die Blumen, welche ihr Wilhelm an jenem bedeutungsvollen Abend in Roeskilde geschenkt hatte. Zwischen den welken Blumen befand sich ein Papierstreifen, auf dem von ihrer eigenen Hand geschrieben stand: »Wie diese Blumen welken, so laß auch in meiner Seele das Gefühl hinsterben, welches diese Blumen mich gelehrt haben!«

Ueber dem Grabe dufteten jetzt Levkojen, die Blumen ihrer Liebe.

Es war Sonntag, die Sonne schien warm; die Gemeinde, Alt und Jung, versammelte sich allmählich unter der großen Linde, die nicht weit von Eva's Grab stand. Man erwartete den jungen Pfarrer, der heut' zum dritten Male predigen sollte.

Die Herrschaft würde gewiß auch erscheinen, war die allgemeine Meinung, denn der junge Baron wäre ja vom Auslande zurückgekehrt. Mit ihm wäre auch wieder der andere Herr angekommen, der bestimmt Fräulein Louise heirathen würde.

»Unser neuer Pfarrer verdient, daß man seine Predigten anhört!« sagte eine der Bauerfrauen. »So jung er noch ist, predigt er doch nur den wahren alten Glauben! Im Gespräch ist er so mild und sanft, als wäre er einer unseres Gleichen, aber auf der Kanzel –! Gott bewahre! Es fuhr mir neulich ordentlich in die Beine, als er vom jüngsten Gerichte sprach!«

»Da ist der Vater!« rief die Menge, die Köpfe der Jungen und Alten entblößten sich, und die Frauenzimmer verneigten sich tief, als ein junger Mann in priesterlichem Ornate auf die Kirchthüre zuschritt. Seine Augen leuchteten, und um seine Lippen spielte ein frommes Lächeln. Glatt legte sich das Haar über die blasse Stirn. »Guten Tag, Kinder!« sagte er.

Es war Hans Peter. Er hatte ja das beste Prädikat erhalten und aus diesem Grunde die einträgliche Pfarre bekommen. Seine Predigten drehten sich stets um den Teufel und alle seine Werke.

Der Gesang der Gemeinde tönte über die Gräber hinaus, die die Sonne so warm beschien und auf denen Levkojen dufteten, tönten zu Eva's Grabe hinüber, deren letzter Wunsch gewesen war, zu leben.

»Nicht Luft, nicht Licht ist in der Gruft,
Da kann ich nicht erwarmen!«

Während des zweiten Liedes hielt ein herrschaftlicher Wagen vor dem Kirchhofe. Die beiden Freunde, die vor Kurzem in die Heimat zurückgekehrt waren, gingen mit der Besitzerin des Rittergutes und mit Louisen in die Kirche. Die letzten beiden, auf steten Reisen zugebrachten Jahre hatten Wilhelms Aussehen etwas älter gemacht; ein gewisser Schatten von Ernst ruhte auf dem sonst offenen lebensfrohen Gesichte. Otto schien noch schöner geworden zu sein; sein Aeußeres hatte einen weniger düstren Ausdruck als sonst. Klug und gedankenvoll blickte er vor sich hin, und ein Lächeln schwebte um seine Lippen, so oft er mit Louisen sprach.

Die Predigt enthielt viele Anspielungen auf die Heimgekehrten; übrigens zeichnete sie sich durch eine blühende Sprache und eine Fülle von Bibelstellen aus. Die Gemeinde war zu Thränen gerührt; den guten ehrlichen Leuten war es aus der Seele gesprochen, wenn dankend hervorgehoben wurde, daß ihr junger Baron aus allen Gefahren, welche Reisenden in fremden Ländern so vielfach drohen, unversehrt heimgekehrt wäre.

Zu Mittag war der Pfarrer auf das Gut eingeladen. Der Kammerjunker und Sophie trafen ebenfalls ein; allein es währte sieben Längen und sieben Breiten, wie sich Fräulein Jakoba auszudrücken pflegte, ehe sie mit dem Auspacken fertig wurden und in die Stube treten konnten, denn sie hatten ihren kleinen Sohn, Fergus, mitgebracht, der seinen Namen nach dem starken Schotten in Walter Scott's Waverley erhalten hatte. Es war Sophiens Wunsch gewesen. Der Kammerjunker verwandelte den Namen Fergus in Gussemann, was nach Jakoba's Behauptung nur ein Hundenamen wäre.

»Nun sollt ihr meinen dicken Schlingel bewundern!« sagte der Kammerjunker und trug selbst den vierschrötigen Jungen mit rothen Pausbacken und runden Armen, der sich munter umblickte, umher. »Der hat Mark in den Knochen! Den darf man anfassen! Tralla – ralla – ralla!« und nun begann er mit ihm in der Stube umher zu tanzen.

Sophie lachte und reichte Otto die Hand.

Wilhelm näherte sich der Hausmamsell. »Ich habe eine Kleinigkeit für Sie mitgebracht, etwas, von dem ich hoffe, daß es einen Platz in Ihrem Nähkästchen erhalten wird. Es ist ein Mann von ganz kleinen Muscheln, den ich in Venedig für Sie gekauft habe!«

»Gott, von dort drüben her!« sagte sie und verneigte sich.

Nach Tische lustwandelte man im Garten.

Wilhelm sprach schon davon, daß er nächstes Jahr wieder nach Paris zu reisen gedenke.

»Was der Teufel!« schrie der Kammerjunker. »Nein, da lasse ich mir den Herrn Zostrup gefallen! Der ist doch patriotisch und legt sein Geld in einem Gute an. Sie haben einen vortrefflichen Kauf gemacht; bei Veile, wo Ihr neues Gut liegt, ist es schön. Da gibt es Berge und Thäler!«

»Da soll meine alte Rosalie bei mir wohnen!« erklärte Otto. »Dort wird sie sich in die Schweiz versetzt wähnen! Die Kühe sollen abgestimmte Glocken um den Hals tragen!«

»Mein Himmel!« rief Jakoba, »sollen denn die nun auch schon zu Narren gemacht werden! Sie werden es gerade so treiben wie Sophie!«

Sie gingen durch die Allee, in welcher Otto vor zwei Jahren Louisen unter Thränen seinen Kummer gebeichtet hatte. Er erinnerte sich dessen; ein leichter Seufzer glitt über seine Lippen, allein sein Auge lächelte Louisen freundlich zu.

»Nun fühlen Sie sich doch hoffentlich froh in der Heimat?« fragte sie. »Einen schöneren Sommertag als diesen haben Sie in der Fremde doch gewiß nicht erlebt.«

»Jedes Land hat seine besonderen Schönheiten!« erwiderte Otto. »Die Natur hat unser Dänemark nicht als Stiefkind behandelt. Die Menschen der Heimat sind mir die liebsten; sie kenne ich auch am besten. Die Menschen und nicht die Natur machen ein Land heimisch. Dänemark ist ein gutes Land! Hier hoffe ich auch mein Glück zu finden!« Er ergriff hierbei Louisens Hand; sie erröthete und schwieg.

Frohe Stunden folgten.

Jeden Sonntag versammelte sich derselbe Kreis; aber das dritte Mal war die Freude größer, war sie festlicher.

Die Natur prangte noch immer in ihrem Festtagsgewand. Der Abend war so schön, der Vollmond schien. Jenseits des Beltes erhoben sich bergartig prächtige dunkelblaue Wolken. In weiter Ferne segelten Schiffe, alle Segel waren aufgezogen, um jeden Lufthauch aufzufangen. Unter den Mond flog eine kohlschwarze Wolke hin, die Windstöße zu bringen drohte.

Eine kleine Jacht glitt ruhig über die See. Am Steuer saß ein Knabe, der den Eindruck eines halben Kindes machte. Es war Jonas, der kleine Singvogel, wie ihn Wilhelm einmal genannt hatte. Seit seiner Einsegnung, die am letzten Pfingstfeste stattgefunden hatte, war es mit seinem Sängertraume vorbei. Das hatte ihm nun keinen sonderlichen Kummer bereitet, wol aber hatte es ihm das Herz schwer gemacht, daß er nicht hatte Pfeifer werden dürfen. Sein ehrgeizigster Wunsch hatte sich darauf erstreckt, sich als Regimentspfeifer zu sehen, weil er dann bei der Confirmation in rother Uniform, mit umgeschnalltem Säbel und mit einer Feder auf dem Tzako, die halb so lang wie er selbst war, hätte erscheinen können. In diesem Staate hätte er dann mit den Mädchen in den Königsgarten und auf den runden Thurm gehen können, welches die gewöhnliche Promenade der armen Kopenhagener Kinder am Tage der Einsegnung war. Dann besteigen sie den hohen Thurm, recht als ob sie einen freien Blick auf die Welt gewinnen wollten. Der kleine Jonas wurde dagegen als Schiffsjunge eingesegnet und saß jetzt bereits am Steuer in der stillen Nacht.

Auf dem Verdecke lagen zwei Männer und schliefen; ein Dritter ging ruhig auf und ab. Plötzlich rüttelte er einen der Schläfer und stürzte darauf schnell zu den Segeln. Ein Windstoß erhob sich mit einer solchen Schnelligkeit und Kraft, daß sich das Schiff augenblicklich auf die eine Seite legte. Mastbaum und Segel tauchten in das Wasser. Der kleine Jonas stieß einen Schrei aus. Kein Schiff war in der Nähe zu sehen. Die beiden Schläfer fuhren gerade zeitig genug auf, um sich an den Mast klammern zu können. Kräftig griffen sie in die Taue; allein vergebens, die Segel hingen wie Blei im Wasser; das Schiff richtete sich nicht wieder in die Höhe.

»Joseph Maria!« rief der Eine, ein Mann mit grauem Haar und häßlichen Zügen. »Wir sinken! Das Wasser dringt in den Raum!«

Alle drei kletterten schnell nach dem Hintertheile des Schiffes, an dem ein kleines im Wasser nachgezogenes Boot befestigt war. Der eine sprang hinein.

»Meine Tochter!« rief plötzlich der ältere und bückte sich zu dem schmalen Eingange hinab, der in die Kajüte hinunterführte. »Sidsel, rette dein Leben!« Nun erst sprang er selbst in das Boot. »Wir müssen meine Tochter herausbekommen!« rief er. Das eine Kajütenfenster des Schiffes stand bereits unter Wasser. Schnell trat er das andere ein. »Wir sinken!« schrie er herein, und von innen antwortete ein gräßlicher Schrei.

Der Alte war der deutsche Heinrich, der mit diesem Schiffe von Kopenhagen nach dem südlichen Theile Jütlands übersetzen wollte. Sidsel war Heinrichs Tochter; deshalb bemühte er sich, sie zum zweiten Male zu retten.

Das Wasser drang mehr und mehr in das Schiff. Heinrich streckte seinen Arm durch das Kajütenfenster und griff in das Wasser hinein. Plötzlich stieß er auf ein Kleidungsstück; schnell griff er zu, zog es an sich, und es gelang ihm, wirklich es in die Höhe zu bringen, aber es war nur des Schiffers Jacke, nicht die Tochter, wie er gehofft hatte.

»Das Schiff sinkt!« schrie der andere und griff wild in das Tau, welches das Boot festhielt. Vergebens mühte er sich ab, es mit seinem Taschenmesser zu zerschneiden. Das Schiff drehte sich mit Boot und allem um sich selbst, Luft und Wellen kämpften in demselben mit einander, und dann schoß das Ganze wie in einem Mahlstrome in die Tiefe. Gewaltig brandete die See über die Stelle fort und wurde allmählich wieder still. Ruhig wie vorher schien der Mond auf die Meeresfläche hinab; man sah kein Wrack, sah Niemanden mit dem Tode kämpfen.

Die Uhr zeigte drei Viertel auf Eins. In demselben Augenblicke erlosch das letzte Licht auf dem Rittergute der Baronin. Alle waren zur Ruhe.

»Nach Paris eile ich zurück!« sagte Wilhelm, »nach meiner herrlichen Schweiz! Hier in der Heimat werde ich schwermüthig. Die Levkojen auf dem Grabe hauchen einen Duft voll wehmüthiger Erinnerungen für mich aus! Bergesluft muß ich athmen, muß mich im Menschengewühle umhertummeln, dann ergreift mich wieder der Taumel der Lust, und Heiterkeit und ein Leben voller Lust ist das Beste in dieser Welt!«

Otto schloß die Augen, seine Hände falteten sich. »Louise liebt mich! Ich fühle mich so glücklich, daß ich fast besorge, es steht mir wieder ein neuer großer Kummer bevor, wie es bei mir ja immer zu geschehen pflegt. Wäre doch der deutsche Heinrich todt! Erst wenn er nicht mehr hienieden weilt, kann ich vollkommen ruhig, vollkommen glücklich werden!«

Ende.


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