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Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maulthier sucht im Nebel seinen Weg.
Goethe.
Der Brief war von Wilhelm; jede Zeile athmete Lebenslust und Freude.
»Mia cara sorella!«
»Klingt das nicht hübsch? Es ist italienisch! So bin ich denn endlich in dem so oft besungenen Paradiese, aber von der so hoch gepriesenen blauen Luft habe ich noch nicht viel gesehen. Hier ist es grau, grau, wie in Dänemark. Otto meint zwar, es sei schön, daß uns der heimatliche Himmel begleitet habe, aber für dergleichen poetische Anschauungen fehlt es mir an Verständniß. Mit dem Essen ist es schlecht bestellt, und die hier herrschende Unreinlichkeit wird durch den Contrast mit der übertriebenen Reinlichkeit in der Schweiz, der bezaubernden Schweiz, nur um so widerlicher! Welche großartige Natur hat die Schweiz aufzuweisen! Wir haben sie auch, wie du dir leicht denken kannst, nach allen Richtungen hin durchkreuzt. Allein du sollst für heute nur von der Abreise aus ihr und von unserm Einzug in la bella Italia hören, welches bis jetzt noch keine meiner Erwartungen erfüllt hat. Mir kann nun einmal dieses kraftlose Volk nicht gefallen, ich kann diesen Mönchsdunst und diese Unwissenheit nicht ausstehen, was nicht zu verwundern ist, da wir unmittelbar aus der Schweizer Natur, von Wolken und Gletschern, von Größe und Kraft hierher gekommen sind. Wir reisten etwas schnell durch das Rhonethal und noch dazu bei trüber Witterung, wodurch jedoch die ganze Gegend einen eigenthümlichen Charakter gewann. Die Wälder auf den hohen Felsenwänden nahmen sich wie Haidebüschel aus; das Thal selbst glich einem einzigen Garten; wohin das Auge schaute, fiel es auf Blumen, Weinstöcke und grüne Wiesen. Die Wolken segelten über und unter einander, während die mit Schnee bedeckten Berge seltsam aus ihnen hervorragten. Eine zerrissene Wolkenwelt zog an uns vorüber, die wilde Jagd, die bei Tagesgrauen wieder ihre Wolkenhülle über sich geworfen hatte. Sie hatte noch Zeit, auf ihrer Flucht die Pissevache zu küssen. Dieser Wasserfall ist durchaus nicht zu verachten. In Brieg hielten wir uns einige Stunden auf, aber schon zwei Stunden nach Mitternacht begann wieder die Reise auf der Straße, die über den Simplon führt. Diese Reise will ich euch wenigstens zu veranschaulichen suchen. Otto und ich saßen im Coupé; denkt euch uns in weißen Staubmänteln, mit Shawlmützen auf dem Kopfe und in grünen Saffianpantoffeln, denn der Teufel mag in Stiefeln reisen, die peinigen nur die Füße. Wir haben uns Beide einen Schnurrbart zugelegt! Es ist mir gelungen, Otto zu verführen. Sie stehen uns verteufelt gut und verleihen uns etwas Imponirendes, was sehr gut ist, da wir jetzt in dem Banditenlande leben, wo man sich Mühe geben muß, den Räubern Respect einzuflößen. Wir fuhren also. Es war dunkle Nacht und todtenstill, wie in dem Moment, in welchem die Ouvertüre zu einer Oper beginnt. Bald sollte ja auch der große Simplonvorhang in die Höhe gehen und uns einen Einblick in das Land der Töne gewähren. Schon unmittelbar vor der Stadt begann der Weg zu steigen. Wir konnten keine Hand vor Augen sehen; ringsum plätscherten und brausten Wasserfälle; es war, als belauschten wir den Pulsschlag der Natur. Dicht über dem Wagen zogen weiße Wolken hin; es machte den Eindruck, als würden durchsichtige Marmorplatten über uns hingeschoben. Während bei uns schon der Tag zu grauen anfing, ruhte über dem Thale tief unter uns noch dunkle Nacht. Erst nach Verlauf einer Stunde trat dort unten zwischen den hölzernen Häuschen die Dämmerung ein.«
»Der steil aufwärts führende Weg ist durch die Felsen gehauen. Der Gigant Napoleon hat ihn durch das Rückgrat der Erde gefurcht. Der Adler, Napoleons Vogel, flog als ein lebendiges Wappenbild über des Meisters Riesenwerk hin. Hier war es kalt und grau, Wolken über uns, Wolken unter uns, und im Mittelgrunde scharfe Felsenwände.«
»In bestimmter Entfernung von einander findet man besondere für die Reisenden aufgeführte Häuser (Relais); in einem solchen tranken wir unsern Kaffee. Die Passagiere saßen auf Bänken und Tischen rings um das große Kaminfeuer, welches mit knisterndem Fichtenholze unterhalten wurde. Tausende von Namen und Inschriften bedeckten die Wände. Ich habe mir den Scherz erlaubt, deinen, Mama's, Sophiens und Eva's Namen hinzuzufügen. Nun stehen sie da, und die Leute, welche sie lesen, werden denken, ihr wäret ebenfalls auf dem Simplon gewesen. Draußen auf dem Flur ritzte ich auch noch den Namen der Mamsell ein und fügte hinzu: »ohne Nähkasten«. Otto weilte in Gedanken bei euch. Wir unterhielten uns in unserer, den Andern unverständlichen Sprache, als ich mit einem Male ausrief: »Heut' ist ja Eva's Geburtstag!« Ich entsann mich dessen zuerst. Wir nahmen uns vor, in der Stadt Simplon auf ihr Wohl zu trinken. Nun ging es wieder weiter. Wo etwa die Gletscher herabrutschen und den Weg zerstören könnten, sind die Felsen gesprengt und bilden große Galerien, durch welche man, gegen jede Gefahr gesichert, hinrollt. Ein Wasserfall folgte dem andern. Nirgends findet sich ein Geländer am Wege; unmittelbar neben demselben gähnt der schwarze tiefe Abgrund, in welchem sich die Tannen bis zu einer ungeheueren Höhe emporheben, obgleich sie nur wie Sparren aus der mächtigen Felsenwand hervorragten. Bald erreichten wir eine Höhe, in welcher kein Baum mehr fortkommt. Das große Hospiz lag in Schnee und Wolken. Wir gelangten in ein Thal. Welche Einsamkeit! Welche Oede! Nichts als kahle Felsen. Sie schienen von Metall und hatten alle einen grünlichen Glanz. Die verschiedensten Moosarten wechselten ab. Vor uns lag in voller Pracht ein mächtiger Gletscher; er sah aus wie grünes Glas, über welches Schnee gestreut ist. Es herrschte hier oben Hundekälte, aber in Simplon war eingeheizt. Hier tranken wir Eva zu Ehren eine Flasche Champagner, und denke dir, in demselben Augenblicke, wo wir auf ihre Gesundheit anstießen, war eine Lawine so galant hinabzustürzen. Es war eine förmliche Kanonade, ein unaufhörliches Rollen zwischen den Bergen. Es müssen Eva die Ohren geklungen haben. Frage sie nur! Ich glaube zu sehen, wie sie lächelt.«
»Nun ging die Reise auf Italien zu; aber kalt war es und kalt blieb es. Die Natur nahm an Wildheit zu, wir fuhren fortwährend zwischen steilen Felsen. Denke dir auf beiden Seiten einen Riesenstein, eine halbe Meile lang, und mindestens halb so hoch, dazu einen Weg, nicht breiter, als daß sich zur Noth zwei Wagen ausweichen konnten, und du wirst dir ein ungefähres Bild von unserer Straße machen können. Wollte man den Himmel schauen, so mußte man den Kopf aus dem Wagen stecken und gerade emporblicken, und dann kam es Einem gerade so vor, als sähe man vom Grunde des tiefsten Brunnens hinauf, dunkel und enge. Jeden Augenblick dachte ich: »Wenn diese Wände gegen einander stießen! Es wäre uns dann nebst Wagen und Pferden wie Ameisen auf einem Denksteine gegangen. Wir fuhren durch eine Rippe der Erde! Das Wasser brauste, die Wolken hingen wie Flocken an den grauen Felsenwänden. In einem kleinen Thale gingen Knaben und Mädchen, in Schaffelle eingehüllt, roh, wie sie den Thieren abgezogen waren.
Mit einem Male wurde die Luft wunderbar mild. Wir bemerkten den ersten Feigenbaum am Wege und Kastanien hingen über unsern Köpfen. Wir befanden uns bei Isella, dem Grenzdorfe Italiens. Otto sang und wurde förmlich ausgelassen; ich meinerseits studirte die ersten italienischen Wirthshausschilde: »Tabacco e vino.« Welche üppige Natur! Maisfelder und Weinranken! Hier wurde der Wein nicht künstlich an Pfählen und Staketen gezogen, wie in Deutschland! Nein, hier hing er in üppigen Guirlanden, überall große Weinlauben bildend! Schöne Kinder tummelten sich auf dem Wege umher, aber der Himmel war grau – und das hatte ich in Italien nicht erwartet. Von Domo d'Ossola aus blickte ich auf meine liebe Schweiz zurück. Sie kehrt Italien allerdings auch ihre schönste Seite zu. Leider durfte ich ihr nur einen kurzen Blick zuwerfen, denn in schneller Fahrt eilten wir weiter. Im Wagen saß eine alte Signorina, sie recitirte Verse und machte Augen »che bella cosa!«
»Um zehn Uhr langten wir in Baveno an, tranken Thee und schliefen, während der Lago maggiore unter unsern Fenstern plätscherte. Am Tage zeigte sich uns der See mit den borromäischen Inseln. »Lieber Gott!« dachte ich, »ist dies das Ganze? So still und lächelnd haben wir es auch daheim. In Zukunft soll Fühnen Isola bella heißen, und die Ostsee wird wol groß genug sein, um den Namen Lago maggiore erhalten zu können. Auf der Fahrt nach Sesto di Calende kamen wir mit dem Dampfschiffe dicht an der am Ufer stehenden Statue des heiligen Borromäus vorbei. Wir hatten einen Geistlichen an Bord, der sich nicht genug wundern konnte, daß wir so weit her wären. Ich zeigte ihm meine große Reisekarte, auf welcher der Lago maggiore den südlichsten und Hamburg den nördlichsten Punkt bildete. »Noch weiter her!« sagte ich, »noch immer höher hinauf!« und er schlug die Hände zusammen, als er hörte, daß unsere Heimat jenseits der großen Landkarte läge. Er erkundigte sich, ob wir Calvinisten wären.«
»Liebliche Landschaften durchflogen wir. Die Alpen nahmen sich wie die Glasberge in dem bekannten Märchen aus; wir hatten sie jetzt im Rücken. Die Luft war sommerwarm, aber leicht, wie auf hohen Bergen. Die Frauenzimmer warfen uns Küsse zu, aber sie waren durchaus nicht schön, die guten Damen.«
»Erzähle doch dem Kammerjunker, daß die italienischen Ferkel keine Borsten haben, sondern eine kohlschwarze Haut, die wie die der Mohren ordentlich glänzt!«
»In der Nacht langten wir in Mailand an, wo wir bei Reichmann wohnen und gutes Essen und prächtige Betten haben, worauf ich namentlich sehe! Lange wird diese Glückseligkeit leider nicht dauern. Auf der andern Seite der Apenninen soll man bis über die Ohren in Schmutz waten und sich auf Oliven angewiesen sehen, die in Oel eingemacht sind. Nun, meinetwegen. Otto mausert sich zu seinem Vortheile heraus und beginnt lustig zu werden; es war auch hohe Zeit. In mir ist ebenfalls eine Art Umschwung eingetreten; ich habe mich mit der italienischen Musik ausgesöhnt; es ist freilich ein Unterschied, sie an Ort und Stelle selbst zu hören. Es liegt mehr als blos Melodie, es liegt Charakter in ihr. Das Ueppige in der Natur und in den weiblichen Formen, das leichte Hinflattern des Volks, bei dem sich selbst der Schmerz in Melodien ausspricht, hat mein Herz und meinen Verstand gewonnen. Ja, Reisen verändert ein Menschenkind!«
»Küsse Mama von mir! Eva erzähle von der Gesundheit auf dem Simplon und von der Lawine, die in demselben Augenblicke herabstürzte; vergiß das nicht! Darin liegt gerade die Pointe meines ganzen Briefes. Schreibe mir dann, wie Eva darüber erröthete, lächelte und sagte: »O, er dachte an mich!« Im Grunde ist es auch wirklich nobel von mir. Meiner süßen Sophie und ihrem Kammerjunker, Jakoba und der Mamsell sende ich einen ganzen Strauß Grüße, deren richtige Vertheilung ich dir überlasse. Könntet ihr nur Otto und mich mit unsern Schnurrbärten sehen! Wir machen Eindruck, und das ist höchst angenehm. Gingen die Tage nur nicht so schnell dahin! Eilte des Lebens Strom nur nicht so geschwind vorüber!«
Chesta vita mortale
Che par si bella, e quasi piuma al vento
Che la porta e la perde in un momento!Guarini
sagen wir Italiener. Das kannst du doch wol entziffern? Dein liebenswürdiger Bruder Wilhelm.«
Otto hatte den Rand des Briefes zu dem Ergusse benutzt: »Italien ist ein Paradies! Hier ist der Himmel dreimal so hoch, wie bei uns zu Hause. Ich liebe die stolzen Pinien und die dunkelblauen Berge. Möchten alle Menschen diese Herrlichkeiten sehen können!«
Wilhelm hatte hinzugefügt: »Was er vom italienischen Himmel schreibt, ist eitel Gewäsch. Ueber uns daheim wölbt er sich eben so schön. Er ist und bleibt einmal Sonderling, wie du wol weißt! Addio! A revederci!«