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Der Name Fühnen bedeutet fein,
Damit wir daraus schauen,
Daß Fühnen ist ein Garten fein,
Unter allen dänischen Gauen.
Die Nacktheit, die sich uns bei dem letzten Blicke auf Seeland darbietet, bewirkt, daß man von der Fülle und Ueppigkeit, mit welcher Fühnen hervortritt, doppelt ergriffen wird. Grüne Wälder wechseln mit reichen Kornfeldern, und wohin die Blicke schweifen, treffen sie auf stattliche Edelhöfe und Kirchen. Nyborg selbst macht gegen das stille traurige Korsör den Eindruck einer lebhaften Hauptstadt. Hier erblickt man Leute auf der großen Schiffsbrücke, Lustwandelnde auf dem Walle und breite Straßen mit hohen Häusern. Hier marschiren Soldaten, man hört Musik, und was auf einer Reise am meisten geschätzt wird, man kommt in ein ausgezeichnetes Wirthshaus. Die Ausfahrt durch das gewölbte Thor ist überraschend; es übertrifft an Länge und Größe jedes der Thore Kopenhagens. Dörfer und Bauernhäuser zeichnen sich durch ein wohlhabenderes Aussehen aus, als ihnen in Seeland eigen zu sein pflegt, wo man die unmittelbar an der Landstraße liegenden Wohnhäuser oft für einen Düngerhaufen hält, der zwischen vier Pfählen aufgeschichtet ist. Von der Landstraße in Fühnen aus gewahrt man nur reinliche Häuser. Die Fensterrahmen sind angestrichen, vor der Thüre befindet sich ein wohlgepflegtes Blumengärtchen, und wo man Blumen liebt, ist nach einer treffenden Bemerkung Bulwers bei dem Bauer stets eine größere Cultur vorhanden, da er dadurch beweist, daß der Sinn für das Schöne schon in ihm erwacht ist. An den Gräben längs des Weges finden wir weiß und lila blühenden Flieder. Die Natur selbst hat hier zum Schmucke mit einer Menge wilder Mohnblumen beigetragen, welche sich an Farbenpracht mit den schönsten Blumen messen können, welche in irgend einem botanischen Garten gezogen werden. Namentlich in der Nähe von Nyborg wachsen sie in seltener Fülle.
»Was für eine blendende Farbe!« rief Otto, als die Freunde an den schönen rothen Blumen vorüberrollten. »Das ist ein stolzer Farbenschmuck!« versetzte der Kammerjunker, der auf seinem Braunen dicht neben dem Wagen ritt; »ein stolzer Farbenschmuck; dafür ist dieser Boden aber auch mit andalusischem Hengstblute gedüngt. Gerade in dieser Gegend fand die Schlacht zwischen den Bestien statt. Wie Sie wissen, lagen die Spanier im Jahre 1808 hier auf Fühnen. Da die englischen Schiffe im Belte kreuzten, flüchtete sich Romana mit dem ganzen Heere an Bord, ohne die Pferde mitnehmen zu können. Es waren die prächtigsten andalusischen Pferde, die das Auge nur sehen konnte. Man nahm ihnen die Zügel ab und ließ sie hier auf dem Felde wild umherlaufen. Nun grasten hier aber auch die Nyborger Pferde, und als die Andalusier die unsrigen entdeckten, stellten sie sich in einer Reihe auf und überfielen die dänischen Pferde. Ein entsetzlicher Kampf begann! Schließlich griffen sie sich selbst unter einander an und kämpften, bis sie blutend niedersanken. Als Junge habe ich noch den Schädel einer dieser Bestien gesehen. Dies ist das letzte Abenteuer, welches sich an den Besuch der Spanier in Dänemark knüpft. In dem nächsten Dorfe, durch welches wir bald kommen werden, haben sich noch andere Erinnerungen erhalten. Betrachten Sie sich nur die jungen Burschen und Mädchen! Sie haben etwas dunklere Hautfarbe, als die Bauern der anderen fühnischen Dörfer. Das rührt vom spanischen Blute her, wie man sagt. Hier soll sich die Geschichte mit der Magd des Pfarrers zugetragen haben, welche über den Aufbruch der Spanier weinte und ganz untröstlich war. Sie trauerte aber nicht über den Verlust ihres Liebsten, jammerte nicht um des Zustandes willen, in welchem sie sich befand, denn auf dergleichen legen die Landleute in Fühnen wenig Werth. Ein Mädchen kann dann sogar einen höheren Lohn verlangen; es sagt, ohne sich im Geringsten zu genieren: »Ich muß einige Thaler mehr erhalten, weil ich ein Kind habe!« Was ich nun aber erzählen wollte, jene Magd weinte, wie das unglückseligste Menschenkind. Der Pfarrer suchte sie zu trösten; und nun gestand sie, ihre Thränen flössen nur deshalb, weil das unschuldige Kind, falls es seinem Vater ähneln sollte, ja spanisch sprechen würde, was doch keine Seele verstehen könnte. »Ja, solche Geschichten passiren hier auf Fühnen!« sagte er lachend zu Otto.
Mit ähnlichen Erzählungen und einigen landwirthschaftlichen Bemerkungen, je nachdem die Oertlichkeit dazu Veranlassung darbot, unterhielt unser vortrefflicher Gutsbesitzer die jungen Herren. Sie hatten Nyborg bereits einige Meilen hinter sich, als er mitten in einem höchst interessanten Gespräche über die Eigentümlichkeiten des echten Fühnen, welcher stets unwillkürlich den Mund wie zum Kauen in Bewegung setzt, so oft er an einem Buchweizenacker vorüberkomme, plötzlich abbrach und Wilhelm auf einen Wienerwagen aufmerksam machte, der von einem der Nebenwege aus auf die große Landstraße einlenkte. Dem Kutscher und den Pferden nach zu urtheilen, mußte es die Familie des Gutes sein, nach welchem sie fuhren.
Und so war es wirklich; sie kehrte von einem Besuche heim. Wo sich die Wege kreuzten, begegneten sie einander. Otto erkannte augenblicklich Fräulein Sophie, neben welcher eine ältliche Dame mit einem sanften gutmüthigen Gesichte saß. Es war ihre Mutter. Große Ueberraschung und Freude! Sophie erröthete; das Zusammentreffen mit dem Bruder konnte sicherlich die Ursache nicht sein. Hatte es vielleicht der Anblick des Kammerjunkers hervorgerufen? Das schien unmöglich. So mußte es denn also wol Otto gelten! Die Mutter reichte ihm die Hand, hieß ihn willkommen und lud darauf den Kammerjunker ein, das Mittagbrod bei ihnen einzunehmen. Es lag so viel Aufmerksamkeit und Verbindlichkeit in der Art und Weise, in welcher sie ihre Bitte aussprach, daß Otto herausfühlte, hier stände der Mann in höherem Ansehen, würde anders geschätzt, als er sich während ihrer kurzen Bekanntschaft hatte vorstellen können.
Sophie fügte lächelnd hinzu: »Sie müssen bleiben!« Trotz dieser wiederholten Einladung entschuldigte sich der Kammerjunker mit dem Hinweis auf seinen Reitanzug.
»Wir sind einander ja nicht fremd!« entgegnete die Mutter. »Auch ist es nur ein einfaches Familienmahl. Sie finden den gewöhnlichen Kreis. Sie, Herr Zostrup,« setzte sie verbindlich hinzu, »glaube ich aus Wilhelm's Briefen schon so gut zu kennen, daß Sie uns ebenfalls nicht mehr fremd sind. Die Herren kennen aber einander bereits!«
»So nehme ich denn die Einladung an!« versetzte der Kammerjunker, »und nun will ich Ihnen zeigen, in was für einen Galopp ich meinen Braunen zu setzen vermag. Wie Sie sehen, mein Fräulein, ist es Karl Rise,Der Name eines der Haupthelden in Ingemann's bekanntem Roman: »Waldemar der Sieger.« der so glücklich war, von Ihnen selbst den Namen zu erhalten.«
»Gut, reiten Sie voraus!« sagte Sophie lächelnd. »Sie werden meine Schwester dadurch in hohem Grade verbinden. Sie könnte sonst erschrecken, wenn sie sich eine so große Karavane auf den Hof zu bewegen sähe und den Mittagstisch nicht nach Gebühr geordnet hätte.«
»Wie das gnädige Fräulein befehlen!« versetzte der Reiter und sprengte fort.
Die Gegend wurde nun mit jedem Augenblicke waldreicher. Der Weg führte an mehreren kleinen Landseen vorüber, die mit Wasserlilien fast zugewachsen schienen und von prachtvollen alten Bäumen beschattet waren. Jetzt schimmerten die altväterischen gezackten Giebel des Edelsitzes hervor. Auf dem Steinpflaster in der von wilden Kastanienbäumen gebildeten Allee, durch welche man nun fuhr, drohten die Wagenachsen zu brechen. Rechter Hand lag die Schmiede, durch deren offenstehende Thür die Funken heraussprühten. Ein kleines barfüßiges Mädchen öffnete die Pforte, und nun gelangte man auf einen großen Platz vor den rothangestrichenen Außengebäuden. Die Erde war mit Stroh belegt und alle Rinder des Gutes hier zum Melken zusammen getrieben. Man mußte Schritt für Schritt fahren, bis man durch das Thor in den eigentlichen Hof gelangte, der von den Scheunen und dem Hauptgebäude umgeben wurde. Um letzteres zogen sich breite Gräben, die fast mit Schilf zugewachsen waren. Ueber eine solide, auf steinernen Pfeilern ruhende Brücke kam man endlich durch den Hauptflügel, an welchem über dem Portale das Wappen und der Namenszug des alten Besitzers angebracht waren, in den innersten Hof, der von drei Flügeln, dem schon erwähnten altfränkischen und zwei neueren eingeschlossen wurde; auf der vierten Seite trennte ein niederes Gitter den Hof von dem Garten, in welchem einige Canäle in einen Teich führten.
»Das ist ein interessantes altes Gut!« rief Otto.
»Und doch wird es von dem des Kammerjunkers in jeder Beziehung übertroffen!« entgegnete Wilhelm; »das sollen Sie erst sehen!«
»Ja, Sie müssen mich schon in den nächsten Tagen besuchen!« sagte der Kammerjunker. »Ruhig, Fingal! Ruhig, Waldine!« rief er den freudig bellenden Hunden zu. Einige Truthähne schlugen ein Rad und kollerten aus allen Kräften. Diener und Mägde standen an der Thür. So verlief der Empfang.
»Zostrup wird wol die rothe Stube angewiesen werden?« fragte Wilhelm, und die Freunde stiegen die Treppe empor.
Ein junges bleiches Mädchen, das zwar einige Sommersprossen, aber dafür auch ein seelenvolles Auge hatte, lief ihnen entgegen. Es war Wilhelm's jüngste Schwester. Sie drückte den Bruder ans Herz und reichte Otto vertraulich die Hand. »Sie ist nicht schön!« mußte er sich bei dieser ersten Begegnung gestehen. Das Zimmer, in welches er geführt wurde, war gewölbt; die Tapeten glichen alten Gobelins; sie stellten den ganzen Olymp dar. Links stand ein alter Kamin mit Verzierungen und vergoldeter Inschrift; fast die ganze erste Wand nahm ein altmodisches Himmelbett mit rothdamastenen Vorhängen ein. Die Aussicht beschränkte sich auf den Burggraben und den inneren Hof. Schon nach wenigen Augenblicken wurden Otto und Wilhelm zu Tische gerufen. Ein langer Gang, dessen eine Seite die Aussicht ins Freie darbot und auf der andern viele Thüren zu den einzelnen Zimmern zeigte, führte durch zwei Schloßflügel nach dem Speisesaal. Der ganze Gang bildete eine einzige große Bildergalerie; hier hingen die lebensgroßen Portraits hochadeliger Ritter und Damen, die stolz unter rothgepuderten Perrücken hervorblickten, so wie die Bildnisse von Kindern, die wie die Alten geputzt waren und Tulpen in den Händen trugen, während große Jagdhunde neben ihnen lagen. Außerdem schmückten auch historische Stücke die Wände.
»Haben wir keinen Kranz auf dem Tische?« fragte Sophie, als sie mit den Andern in den Speisesaal trat.
»Nur einen schwachen Versuch, meinem Schwesterlein nachzuahmen!« sagte Louise lächelnd.
»Aber der Kranz enthält ja keine einzige Blume! Welche Oekonomie! Und doch ist er niedlich!«
»Wie geschmackvoll!« rief Otto, indem er den von Louisen gelegten Kranz betrachtete.
Alle Arten von Grün, in unzähligen Uebergängen, so wie einige Lindenblätter nebst wenigen Blättern der Blutbuche bildeten auf dem weißen Tischtuche durch ihre verschiedenen Farben und Formen einen geschmackvollen Kranz.
»Sie erhalten eine Distel und ein welkes Blatt!« flüsterte Wilhelm seinem Freunde zu, als derselbe sich setzte.
»Aber gleichwohl das Schönste!« erwiderte dieser. »Die Blutbuche bringt neben der weißgrünen Distel und dem gelben Blatte eine wunderbare Wirkung hervor.«
»Meine Schwester Sophie,« sagte Louise, »legt uns jeden Tag einen verschiedenen Kranz, was dem Tische einen allerliebsten Schmuck gewährt. Ist sie einmal abwesend, so bekommen wir keinen. Dies würde auch heute der Fall gewesen sein, wenn ich nicht, sobald ich vernahm, daß Wilhelm käme, und wir,« fügte sie mit einem freundlichen Blicke hinzu, »noch zwei Gäste bekämen, in größter Eile den Versuch gemacht hätte ...«
»Und du mir nicht gleichzeitig hättest den Beweis liefern wollen, wie niedlich man es machen könnte, ohne dich deiner Blumen zu berauben!« unterbrach sie Sophie lachend. »Im Grunde genommen, bin ich auch wirklich grausam! Ich reiße allen ihren Lieblingen die Köpfe ab. Morgen werde ich aber, um dein heutiges Meisterstück zu parodieren, einen Kranz von Grünkohl und Artischocken legen!«
»Madeira oder Portwein?« fragte der Kammerjunker und lenkte damit das Gespräch von Blumen auf Getränke und Speisen. »Sie sehen, Herr Zostrup, daß man sich hier auf dem Gute sehr wohl befindet! Fräulein Louise sorgt für den Körper und Fräulein Sophie für den Geist!«
»Und Mama schenkt eine Tasse guten Kaffee ein,« sagte die Mutter. »Sie müssen mir doch auch ein wenig Lob spenden!«
»Wenn ich dann nach Tische noch Musik mache,« setzte Wilhelm hinzu, »so hat die ganze Familie das Feld ihrer Thätigkeit entfaltet.
»Nur keine Phantasien!« bat der Kammerjunker, »keine Phantasien, liebster, bester Freund! Geben Sie uns lieber ein munteres Stück zum Besten, dem man es doch anhören kann, was es sein soll! Nur keins von den künstlichen!« Ein kräftiger Schlag auf die Schulter sollte seine Ausdrücke mildern.