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XVIII.

Selbst den Text und die Musik zu einer Oper schreiben und selbst der Träger derselben auf der Bühne sein, das sei ein großes, ein glückseliges Ziel. Ein Talent hatte unser junger Freund gemeinsam mit Wagner, das nämlich, daß er selbst die dramatische Dichtung aufbauen konnte; allein hatte er wohl die Fülle von musikalischer Stimmung, wie dieser sie hat, um ein Tonwerk von Bedeutung zu schaffen?

Muth und Mißmuth wechselten ab. Er konnte jenen, seinen immerwährenden Gedanken nicht wieder los werden. Vor Jahr und Tag schoß derselbe leuchtend wie ein Phantasiebild hervor; jetzt war er eine Möglichkeit, ein Lebensziel geworden. Manche freie Phantasie auf dem Clavier war als ein Zugvogel von dieser Küste der Möglichkeit begrüßt worden. Die kleinen Romanzen, das charakteristische Frühlingslied prophezeihten das noch nicht sich erhebende Land der Töne; die Baronin erblickte hierin das Zeichen der Verkündigung, wie Columbus in den frischen Baumzweigen, welche die Meeresströmungen trugen, es sah, bevor er noch das Land selbst am Horizont erspähte.

Das Land war da! Das Kind des Glückes sollte es erreichen. Ein hingeworfenes Wort wurde der Gedankensame; sie, das junge, unschuldige Mädchen sprach das Wort: Aladdin.

Ein Glückskind wie Aladdin war unser lieber junger Freund! es strahlte in ihn hinein. Mit Verständniß und Lust las und las er wiederholt die schöne orientalische Dichtung; bald gestaltete sie sich in dramatischer Form, Scene auf Scene entstand in Wort und Musik, und je nachdem sie wuchsen, flossen die musikalischen Gedanken reicher; am Schluß der Dichtung war es, als sei nun erst der Tonbrunnen gebohrt, und der ganze reiche Schwall strömte hervor; aufs Neue durchcomponirte er seine Arbeit, und in kräftiger Gestalt entstand nun nach Monaten die Oper Aladdin.

Niemand wußte um dieses Werk, Niemand hatte so viel als einen Ton aus demselben vernommen, nicht einmal der theilnehmendste von allen Freunden, der Singemeister. Niemand im Theater fiel es ein, daß der junge Mann, der Abends durch seine Stimme und sein vortreffliches Spiel das Publikum hinriß, und den man so ganz in seiner Rolle leben und athmen sah, einige Stunden später noch inniger lebte, ja sich in ein mächtiges Werk von Tönen vertiefte, welches seine eigene Seele ausströmte.

Der Singemeister hatte keinen einzigen Tact aus der Oper Aladdin gehört, bevor sie fertig in Noten und Text auf seinen Tisch zur Durchsicht hingelegt wurde. Welches Urtheil würde er sprechen? Gewiß ein strenges und gerechtes. Der junge Componist schwebte zwischen der besten Hoffnung und dem Gedanken, das Ganze könne auch eine Selbsttäuschung sein.

Zwei Tage verstrichen, kein Wort wurde von dieser wichtigen Angelegenheit gewechselt. Endlich stand der Singemeister ihm gegenüber, die Partitur, die er jetzt kannte, in der Hand. Ein eigenthümlicher Ernst ruhte auf seinem Antlitz; wie sei derselbe zu deuten?

»Das hatte ich nicht erwartet!« sagte er; »das hatte ich dir nicht zugetraut. Ja, noch habe ich mir kein so klares Urtheil bilden können, daß ich es auszusprechen wage. Hin und wieder kommen Fehler in der Instrumentation vor – Fehler, die sich berichtigen lassen. Es ist Einzelnes dreist und neu, man muß es hören unter den berechtigten Bedingungen. Wie man bei Wagner Beeinflussung von Carl Maria von Weber spürt, so empfindet man bei dir einen Hauch von Haydn. Das Neue in dem, was du gegeben hast, steht mir noch etwas fern, du selbst stehst mir zu nahe, als daß ich der rechte Richter sein könnte. Ich will auch nicht richten; umarmen will ich dich!« rief er mit überströmender Freude. »Wie hast du dieses bewältigen können!« und er drückte ihn an sein Herz: »Glücklicher Mensch!«

Es dauerte nicht lange, so lief ein Gemurmel durch die Stadt, durch Zeitungen, durch »loses Gerede« von der neuen Oper von dem jungen gefeierten Sänger der Bühne.

»Das ist ein schlechter Schneider, der aus dem Abfall vom Schneidertische nicht eine Kinderjacke zusammenzuflicken vermöchte!« sagte Dieser und Jener.

»Text schreiben, ihn componiren und ihn selbst singen!« hieß es auch, »das ist ja ein Genie von drei Etagen! Aber er ist ja noch höher geboren – auf dem Dache!«

»Sie sind ihrer zwei dazu, er und der Singemeister!« sagten die Leute. »Jetzt geht die Trommel der Compagnie zur gegenseitigen Bewunderung!«

Die Oper gelangte zur Einstudirung. Die Mitwirkenden wollten keine Meinung aussprechen: »Es soll nicht heißen, das Urtheil sei vom Theater ausgegangen!« sagten sie, und fast alle machten ein ernstes Gesicht, welches keine Hoffnung strahlte.

»Es sind viele Hörner in dem Stücke!« sagte ein junger Hornist, welcher selbst componirte. »Wenn er sich nur nicht ein Horn in den Leib rennt!«

»Es ist genial, glänzend, voll Melodie und Charakter!« – Ja, das wurde auch gesagt.

»Morgen um diese Zeit wird also das Schaffot errichtet sein!« sagte Peter. »Das Urtheil ist vielleicht jetzt schon gesprochen!«

»Einige sagen, deine Oper sei ein Meisterwerk!« sagte der Singemeister; »Andere, sie sei ein Machwerk!«

»Und wo liegt die Wahrheit?«

»Die Wahrheit!« sagte der Singemeister; »ja, sage mir die Wahrheit! Blicke den Stern dort oben an! Sage mir, wo ist dort genau sein Platz. Schließe dein eines Auge! Du siehst ihn? Betrachte ihn nun mit dem andern Auge allein! Der Stern hat einen andern Platz eingenommen. Jedes Auge desselben Menschen sieht gar verschieden, wie verschieden muß nun die große Menschenmenge sehen!«

»Geschehe, was da geschehen muß!« sprach unser junger Freund; »ich muß meinen Platz in der Welt kennen, muß wissen, was ich kann und soll ausrichten oder aufgeben.«

Der Abend der Entscheidung war da.

Ein gefeierter Künstler sollte höher gehoben oder sollte in seinem gigantischen eitlen Streben gedemüthigt werden: Knall oder Fall! Es war ein ganzes Stadtereigniß. Die Leute standen die Nacht durch vor dem Billet-Comptoir, um Plätze zu bekommen. Das Haus war überfüllt. Die Damen kamen mit großen Blumensträußen an, sollten diese wieder nach Hause getragen werden, oder sollten sie dem Siegenden zu Füßen fallen?

Die verwitwete Frau Baronin und ihre junge, schöne Tochter saßen in einer Loge über dem Orchester. Es war im Publikum eine Beweglichkeit, ein Gemurmel, welches plötzlich verstummte, indem der Capellmeister seinen Platz einnahm und die Ouvertüre begann.

Wer entsinnt sich nicht Henselt's Musikstück: » si l'oiseau j'étais«, welches gleichsam ein jubelndes Vogelgezwitscher giebt. Hier war etwas mit dem Verwandtes: jubelnde, spielende Kinder, fröhliche Kinderstimmen, Mund in Mund; der Guckuck guckuckte mit hinein, die Drossel sang. Es war das Jubeln und Gespiel des unschuldigen Kindesgemüths, des Aladdingemüths; da rollte in dieses Alles hinein ein Gewitter, Noureddin zeigte seine Macht, der Blitz schlug ein, zersprengte den Fels; weiche, lockende Töne wogten Klänge aus der Zaubergrotte, wo die Lampe leuchtete in der versteinerten Höhle, umbraust von den Flügelschlägen mächtiger Geister. Jetzt erklang Psalmengesang in Waldhorntönen, so sanft und weich, als entströme er eines Kindes Mund; ein einzelnes Horn wurde hörbar, und wieder eins, mehrere und immer mehrere schmolzen in dieselben Töne und erhoben sich darauf zu einer Fülle und Kraft, als sei es die Posaune des jüngsten Tages. Die Lampe sei in der Hand Aladdins! und es quoll ein Meer von Melodie und Erhabenheit, wie der Beherrscher der Geister und der Meister der Töne es zu bewältigen weiß.

Der Vorhang rollte unter einem Beifallsjubel empor, welcher gleich Fanfaren unter dem Taktstock des Capellmeisters tönte. Ein schöner, emporgeschossener Knabe spielte umher, so groß und doch so unschuldig. Aladdin sprang zwischen anderen Knaben umher. Großmutter hätte gleich gesagt: »Ja, das ist Peter, wie er spielte und sprang zwischen dem Ofen und der Commode zu Hause in der Dachwohnung; sein Gemüth ist um kein Jahr älter geworden!«

Mit welchem Glauben und Innigkeit sang er das Gebet, welches Noureddin ihm zu sprechen gebot, bevor er in das Felsgrab niederstieg, um die Lampe heraufzuholen. War es die rein fromme Melodie, war es die Unschuld, mit welcher sie gesungen wurde, die alle Zuhörer mit hinriß? Der Jubel wollte nicht enden.

Es würde den Eindruck profaniren geheißen haben, wäre dieses Lied wiederholt worden; man verlangte es da capo, aber bekam es nicht; der Vorhang fiel, der erste Act war zu Ende.

Alle Kritik war verstummt! Man war von Freude erfüllt, nur dazu gestimmt, in Dankbarkeit zu genießen.

Vom Orchester ertönten ein paar Accorde, der Vorhang ging wieder in die Höhe. Tonströmungen, wie aus Gluck's »Armida« und Mozart's »Zauberflöte« ergriffen und erfüllten Jeden, indem die Scene sich wieder öffnete, in welcher Aladdin in dem Wundergarten steht. Eine reiche, gedämpfte Musik erklang aus Blumen und Gestein, aus Quellen und tiefen Schluchten, verschiedene Melodien verschmolzen in eine große Harmonie. Ein Hauch von dem Hinbrausen der Geister klang im Chorgesang; es war, als ertöne derselbe bald ferne, bald wieder nahe, schwellend in Kraft und bald wieder verschwindend. Getragen von diesem Zusammenklingen erhob sich Aladdin's Gesang-Monolog; allerdings was man eine große Arie heißt, aber in Charakter und Situation der Art, daß sie ein nothwendiger dramatischer Theil des Ganzen wurde. Die klangvolle, sympathische Stimme, diese innigen Töne des Herzens, durchflammten Alle, und rissen zu einer Begeisterung hin, die sich nicht höher zu steigern vermochte, als er die Glückslampe ergriff, umbraust von dem Gesang der Geister.

Bouquets regneten von allen Seiten herab, ein Teppich von lebenden Blumen breitete sich vor seinen Füßen.

Welcher Lebensaugenblick für den jungen Künstler, der höchste, der größte! Ein mächtigerer würde ihm niemals vergönnt werden können, das fühlte er. Ein Lorbeerkranz berührte seine Brust und fiel vor ihm nieder; er hatte es gesehen, aus welcher Hand derselbe kam. Er sah das junge Mädchen in der Loge zunächst der Bühne, sah sie, die junge Baroneß, aufrecht stehend wie ein Schönheits-Genius, hoch jubelnd bei seinem Triumph.

Ein Feuer durchflammte ihn, sein Herz schwoll ihm wie noch niemals, er beugte sich nieder, erfaßte den Kranz, hob ihn gegen sein Herz und sank in derselben Secunde zurück. – Ohnmächtig? Todt? – Was war es? – – Der Vorhang fiel.

*

»Todt!« wiederhallte es. Todt in der Siegesfreude, wie Sophokles bei den olympischen Spielen, wie Thorwaldsen im Theater während Beethoven's Symphonie. Eine Ader des Herzens war gesprungen, und wie durch einen Blitz waren seine Tage hienieden zu Ende, geendet ohne Schmerz, geendet in irdischem Jubel, im Beruf seiner irdischen Mission. Der vor Millionen Glückliche!

*

 

Druck von A. Th. Engelhardt in Leipzig.

 


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