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I.

In der vornehmsten Straße lag ein prächtiges, altmodisches Haus; das ganze Mauerwerk desselben war mit Glasstücken bespickt und es strahlte im Sonnen- und Mondenschein, als sei es mit Diamanten belegt. Das war ein Zeichen des Reichthums und der Reichthum war im Hause; man sagte, der Handelsherr, der in demselben wohnte, sei ein Mann von zwei Tonnen Goldes und könne leicht als Sparbüchse für die Zukunft eine Vierteltonne vor die Thür des Zimmers stellen, in welchem sein Söhnchen geboren wurde.

Denn ein Söhnchen war dem reichen Mann geboren worden und es herrschte große Freude vom Keller bis unter das Dach hinauf, und unterm Dach wurde einige Stunden später die Freude noch größer: dort oben wohnten der Lagerhausknecht und seine Frau, und bei ihnen kam gerade auch ein Söhnchen an, das der liebe Gott geschenkt, der Storch gebracht hatte und die Mutter vorzeigte. Hier oben stand in der That zufälligerweise eine Vierteltonne vor der Thüre, aber es war keine Tonne Goldes, es war eine Kehrichttonne.

Der reiche Handelsherr war ein sehr gutgesinnter und braver Mann; seine Frau, immer stramm und vornehm gekleidet, war gottesfürchtig, sanft und gut gegen arme Leute. Alle gönnten den Beiden die Freude, ein Söhnchen erhalten zu haben, welches brav und reich werden würde, wie der Vater.

Der Kleine wurde in der Taufe Felix genannt, was im Lateinischen so viel wie glücklich heißt, und das war er, und die Eltern waren es noch mehr.

Der Lagerhausknecht, ein richtig kernguter Kerl, und seine Frau, honnet und arbeitsam, waren von Allen, die sie kannten, wohl gelitten, und glücklich waren sie, daß sie den kleinen Knaben bekommen hatten; er wurde Peter getauft.

Der Knabe in der Bel-Etage und der Knabe im Dachstübchen bekamen je gleich viele Küsse von ihren Eltern und gleich viel Sonnenschein vom lieben Gott; aber sie waren doch immerhin verschieden gestellt, der Eine unten, der Andere oben. Peter saß ganz oben im Dachstübchen und er behielt als Amme seine eigene Mutter; der kleine Felix hatte eine fremde Person als Amme, aber gut und brav, das stand im Dienstbuch zu lesen. Das reiche Kind bekam einen schönen Kinderwagen, den die geputzte Amme zog, das Kind im Dachstübchen wurde von seiner eigenen Mutter auf dem Arm getragen, mochte sie nun im Sonntagsstaat oder im Wochenkleide sein, und das war eben so vergnüglich.

Beide wuchsen heran, konnten mit der Hand zeigen wie groß sie waren und auch einzelne Wörter in der Muttersprache sagen. Gleich süß und gleich näschig waren sie, Beide wurden auch sehr verhätschelt. Als sie größer wurden, hatten sie die gleiche Freude an dem Fuhrwerk des Handelsherrn. Felix saß auf dem Schoß der Amme neben dem Kutscher und sah sich die Pferde an, er bildete sich ein, er lenke die Pferde; Peter setzte sich ins Fenster des Dachstübchens und sah in den Hof hinab wenn der herrschaftliche Wagen vorfuhr, und wenn dann die Herrschaft abgefahren war, stellte er in dem Stübchen zwei Stühle zusammen, und nun fuhr er selbst aus; er war der wirkliche Kutscher, was ein wenig mehr war, als nur sich einzubilden Kutscher zu sein. Sie lebten ganz ausgezeichnet gut, die Beiden, aber sie waren schon ein paar Jahre alt, bevor sie zum ersten Male mit einander sprachen. Felix war hübsch gekleidet und ging in Sammet und Seide mit nackten Knien, auf englische Manier, umher. Das arme Kind müsse ja frieren, sagte die Familie im Dachstübchen. Peter trug Hosen, die ihm bis an die Knöchel reichten, aber eines Tages waren sie gerade über den Knien geplatzt, so, daß er eben so guten Luftzug hatte und ebenso nackt einherging, wie der kleine feine Sohn des reichen Handelsherrn; er kam mit seiner Mutter gegangen und wollte aus dem Thorweg, Peter kam mit seiner Mutter und wollte hineingehen.

»Gieb dem Peter die Hand!« sagte die Frau des Handelsherrn. »Ihr Beide könnt einmal zusammen sprechen.«

Und so sagte der Eine »Peter!« und der Andere »Felix!« Ja, mehr sagten sie diesmal nicht.

Die reiche Frau verhätschelte ihren Knaben, Peter wurde aber auch verhätschelt und namentlich von seiner Großmutter. Sie war zwar schwachsichtig, aber sie sah doch bei dem Peterchen viel mehr, als Vater und Mutter zu sehen vermochten, ja mehr, als irgend ein anderer Mensch herausfinden konnte.

»Das süße Kind,« sagte sie, »wird schon in der Welt fortkommen; der Knabe ist mit einem Goldapfel in der Hand geboren, das sehe ich mit meinem schwachen Gesicht. Da liegt ja der Apfel und glänzt!« Und sie küßte den kleinen Peter mitten in die Hand.

Seine Eltern konnten Nichts sehen und Peter selbst auch Nichts, aber, wie er heranwuchs und zu denken begann, mochte er doch gar zu gern daran glauben.

»Das ist so eine Geschichte, ein Märchen von der Großmutter!« sagten die Eltern.

Ja, die Großmutter, die wußte zu erzählen und Peter ermüdete nie, sie anzuhören, wenn sie auch immer dieselben Geschichten erzählte. Sie lehrte ihm auch einen Psalm und das Vaterunser und er lernte dieses nicht blos auswendig, sondern als Worte, bei welchen zu denken ist; sie erklärte ihm jedes einzelne Gebet, so sagte sie z. B. bei dem vierten »Gieb uns unser tägliches Brod heute«, daß dieselben so zu verstehen seien, daß es Einem nothwendig sei, Weißbrod, einem Andern Schwarzbrod zu bekommen, Einer müsse ein großes Haus besitzen, wenn er viele Leute um sich habe, ein Anderer in kleinen Verhältnissen könne ebensogut in einem Dachstübchen wohnen, das sei so einem Jeden das, was er »tägliches Brod« nenne.

Peter hatte freilich sein gutes tägliches Brod und die prächtigsten Tage, aber sie halten nicht immer vor. Die schweren Kriegsjahre begannen; die junge Mannschaft mußte fort, auch die alte; der Vater Peters befand sich unter den Einberufenen und die Nachricht ging bald ein, daß er einer der Ersten gewesen, die im Kampfe gegen den überlegenen Feind gefallen.

Das brachte bittern Kummer in das Dachstübchen. Die Mutter weinte, die Großmutter und der kleine Peter weinten, und jedesmal, wenn irgend ein Nachbar bei ihnen vorsprach, wurde vom »Vater« gesprochen, und da weinten sie alle. Der Handelsherr ließ indeß der Witwe die Dachwohnung das erste Jahr ganz miethfrei und später sollte sie nur eine geringe Miethe zahlen. Die Großmutter zog zur Mutter hin, die sich dadurch ernährte, daß sie die Wäsche mehrerer, wie sie sagte, einzelner galanter Herren besorgte. Peter hatte weder Kummer noch Noth, Essen und Trinken bekam er vollauf und Großmutter erzählte ihm dermaßen seltsame und wunderbare Geschichten von der weiten Welt, daß er ihr eines Tages den Vorschlag machte, sie möchte mit ihm auf den Sonntag in fremde Länder ziehen, so könnten sie als Prinz und Prinzessin mit goldenen Kronen zurückkehren. Aber Großmutter antwortete: »Dazu bin ich zu alt und du mußt erst sehr, sehr viel lernen, groß und stark werden und dabei doch immer ein gutes liebes Kind bleiben, wie du es jetzt bist.«

Peter ritt in dem Stübchen auf einem Steckenpferd umher, er hatte gar zwei solche Pferde; aber Felix hatte ein lebendiges, wirkliches Pferd und das war so klein, daß es ganz gut ein Pferdekind hätte genannt werden können und so nannte es auch Peter, und größer konnte es nicht werden. Felix ritt im Hofe herum auf seinem Pferdchen, ja er ritt mit seinem Vater und einem königlichen Bereiter zum Thore hinaus. In der ersten halben Stunde, nachdem das geschehen war, mochte Peter nun seine Pferdchen gar nicht und ritt nicht auf ihnen, sie seien nicht wirklich, und er fragte seine Mutter, warum er nicht, wie Felix, ein wirkliches Pferd habe, und die Mutter sagte: »Felix wohnt unten im Hofe, wo der Stall ist, aber du wohnst hier hoch oben unter dem Dache; man kann keine anderen Pferde auf dem Boden haben, als solche, wie du hast; reite du nur auf ihnen!«

Und darauf ritt Peter wieder; erst ritt er auf die Commode zu, den großen Berg mit den vielen Schätzen: Peter's Sonntagskleidern und denen der Mutter und den blanken Thalerstücken, welche die Mutter zur Miethe für die Wohnung hinlegte. Er ritt auf den Ofen zu, welchen er den schwarzen Bären nannte; der schlief die ganze Sommerzeit, aber wenn der Winter kam, mußte er heran und die Stube wärmen und das Essen kochen.

Peter hatte einen Pathen, der im Winter oft Sonntags ins Dachstübchen kam und eine Mahlzeit warmes Essen genoß. Er sei zurückgekommen, sagten Mutter und Großmutter. Er sei Kutscher gewesen, habe aber geschnappst und auf dem Bock geschlafen; weder der Soldat noch der Kutscher dürfe aber auf seinem Posten schlafen; darauf sei er Fuhrmannsknecht geworden und hatte oft die galantesten Leute in Kutsche oder Droschke gefahren; jetzt fuhr er den Kehrichtwagen von Thür zu Thür und schwang die Schnarre, daß aus allen Häusern Mädchen und Frauen mit ihren gefüllten Kehrichtfässern kamen und sie auf seinen Wagen ausschütteten, daß derselbe voll allerlei Unrath, Asche und Kehricht wurde.

Eines Tages war Peter aus der Dachwohnung hinunter gestiegen, die Mutter war in die Stadt gegangen; er stand in dem offenen Thorwege, draußen vor demselben hielt sein Pathe mit seinem Wagen. »Willst du mitfahren?« fragte er; ja, Peter wollte schon mitfahren, blos bis an die Straßenecke.

Seine Augen strahlten, als er auf dem Sitze bei seinem Pathen saß und dieser ihm die Peitsche in die Hand gab. Und Peter fuhr mit lebendigen wirklichen Pferden, fuhr ganz bis an die Ecke. Dort kam seine Mutter ihm entgegen; sie machte ein bedenkliches Gesicht: grade 'was Feines war es ja nicht, ihren eigenen kleinen Sohn auf dem Kehrichtkarren zu erblicken. Peter mußte auch sogleich vom Wagen steigen, doch bedankte sich die Mutter bei dem Pathen; als sie aber mit Peter nach Hause kam, verbot sie ihm, die Tour zu wiederholen.

Eines Tages stand er wieder im Thorwege; es war zwar der Pathe nicht da, der ihn zu einer Spazierfahrt hätte verlocken können, aber es waren andere Verlockungen da; drei bis vier kleinere Straßenjungen lagen und wühlten in dem Rinnsteine, um aufzufinden, was darin verloren oder sich festgesetzt haben möchte; oft hatten sie einen Knopf oder eine Kupfermünze gefunden, aber oft sich auch an Glasscherben geschnitten oder an einer Stecknadel gestochen, welches letztere an dem Tage gerade der Fall war. Aber Peter mußte mit dabei sein, und kaum hatte er die Hand in den Rinnstein gesteckt, so fand er eine Silbermünze.

Eines anderen Tages lag er wieder mit den anderen Knaben zusammen und wühlte in dem Rinnstein; sie trugen nur schmutzige Hände davon, er fand einen goldenen Ring und zeigte mit strahlenden Augen den Anderen seinen Fund; die aber prügelten ihn durch und hießen ihn Glücks-Peter und er durfte nicht mehr dabei sein, wo die Anderen wühlten.

Hinter dem Hause des Handelsherrn befand sich ein seichter Grund, der aufgefüllt werden sollte, um als Bauplatz zu dienen; es wurde Kies und Kehricht dahin gefahren, es lag da in großen Haufen. Peter's Pathe fuhr es dahin, aber Peter durfte ja nicht mit ihm fahren. Die Straßenjungen wühlten in den Haufen umher, sie wühlten mit Stöcken und mit den bloßen Händen, und sie fanden auch immer Dieses, oder Jenes, was aufzuheben werth schien.

Peter kam auch hierher. Als aber die Straßenjungen ihn sahen, riefen sie ihm zu: »Glücks-Peter, mach' daß du weg kommst!« und als er doch näher kam, warfen sie nach ihm mit Erdklumpen; einer dieser Klumpen schlug gegen seine hölzernen Pantoffeln an und zerbröckelte; es rollte dabei ein blanker Gegenstand heraus; Peter hob denselben auf, es war ein kleines Herz von Bernstein. Er lief nach Hause mit dem Herzchen; die Anderen bemerkten nicht, daß er, selbst wenn sie ihn mit Schmutz und Erde bewarfen, ein Glückskind war.

Die silberne Münze, die er gefunden hatte, wurde in seine Sparbüchse gesteckt; der Ring und das Bernsteinherz wurde unten bei der Frau des Handelsherrn vorgezeigt, denn die Mutter wollte wissen, ob es solche gefundene Sachen seien, die »bei der Polizei angemeldet werden müßten«.

Wie strahlten die Blicke der Frau des Handelsherrn; als sie den Ring sah, erkannte sie ihren eigenen Verlobungsring, den sie vor drei Jahren verloren hatte; so lange hatte derselbe im Rinnstein gelegen.

Peter bekam ein gutes Finderlohn, das in seiner Sparbüchse rasselte; das Bernsteinherz sei eine Kleinigkeit von geringem Werth, das könne Peter schon behalten.

Die Nacht über lag das Bernsteinherz auf der Commode und die Großmutter lag im Bette.

»Ei, was ist doch das, was dort brennt?« sagte sie, »es ist ja als stünde da ein angezündetes Licht!« Sie erhob sich und sah nach; es war das kleine Bernsteinherz. Ja, die Großmutter mit ihrem schwachen Gesicht sah oft weit mehr als alle Anderen sehen konnten. Sie hatte nun so ihre eigenen Gedanken dabei. Am Morgen holte sie ein schmales starkes Band hervor, zog dasselbe durch die Oeffnung, die oben im Bernsteinherz war, und hing nun dieses ihrem kleinen Enkel um den Hals.

»Das darfst du niemals länger ablegen, als wenn du ein neues Band hineinziehst. Du darfst auch anderen Knaben nicht zeigen, daß du es hast, sonst nehmen sie es dir ab, und dann kriegst du Leibschmerzen!« Diese waren nämlich die einzige Krankheit, die Peter bis dahin kannte.

Es war aber auch eine sonderbare Kraft an dem Herz. Die Großmutter zeigte ihm, indem sie es mit der Hand rieb und einen kleinen Strohhalm in dessen Nähe legte, wie der Strohhalm gleichsam lebendig wurde und auf das Bernsteinherz zusprang, und es nicht lassen wollte.


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