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VIII.

In einem stillen Leben schiebt der eine Tag sich in den anderen, ein Monat nach dem anderen verstreicht bald; Peter war schon im zweiten Jahre seines Aufenthalts bei Herrn Gabriel, welcher mit strengem Ernst und mit Bestimmtheit, die Madame nannte es Besonnenheit, darauf hielt, daß er nicht öfter die Bühne betrat.

Auch der Singmeister, welcher monatlich das Honorar für seinen Unterricht und Unterhalt auszahlte, hatte ihm ernstlich ins Gedächtniß gerufen, daß er nicht an Comödienspiel denken dürfe, so lange er bei Herrn Gabriel sei; und er gehorchte, aber seine Gedanken wanderten um so öfter nach dem Theater der Hauptstadt; sie gaukelten über die Bühne hin, auf welcher er als großer Sänger hätte auftreten sollen; jetzt war die Stimme fort, sie kam nicht wieder; hierüber war er oft innig betrübt. Wer vermochte ihn zu trösten? Weder Herr Gabriel noch Madame, aber der liebe Gott that es. Trost ist auf manche Weise zu finden, Peter fand ihn schlafend, er war ja der Glücks-Peter.

Eine Nacht träumte ihm, es sei Pfingsten und er sei im herrlichen grünen Wald, wo die Sonne durch die Baumzweige strahlte und der ganze Waldboden voll Anemonen und Schlüsselblumen stehe. Dann beginnt der Guckuck sein »guckuck!« Wie viele Jahre habe ich zu leben? frägt Peter, denn die Frage stellt man stets dem Guckuck, wenn man ihn zum ersten Male im Jahre schreien hört, – und der Guckuck antwortete: »guckuck!« aber auch nichts mehr, und so schwieg er.

»Werde ich nur noch ein Jahr leben!« sagte Peter, »das ist wirklich gar zu wenig. Sei so gut, und guckucke mehr!« Und der Vogel begann auch von Neuem: »guckuck! guckuck!« – ja das wollte gar kein Ende nehmen; er fuhr fort, so daß Peter zuletzt mit guckuckte und das so leibhaftig, als wäre er selbst ein Guckuck, allein sein Guck wurde immer stärker und voller, alle Singvögel zwitscherten mit, Peter sang ihnen nach, aber viel schöner; er hatte seine ganze helle Kinderstimme und jubelte im Gesang. Wie war er herzensfroh; er erwachte dabei, erfreut darüber, daß der Klangboden noch in ihm sei, daß die Stimme noch rein in der Brust liege und ein neuer Pfingstmorgen schon in all seiner Frische erscheinen werde; und darauf schlief er erfreut ob dieser Vergewisserung.

Aber weder am nächsten Tage, noch nach Wochen oder Monaten spürte er etwas davon, daß die Stimme wiederkehre.

Jede Nachricht, die er vom Theater in der Hauptstadt erhaschen konnte, war ihm eine wahre Seelenspeise, war sein geistiges Brod. Krumen sind auch Brod, und er nahm vorlieb mit Krumen, mit der unbedeutendsten Nachricht.

Der Eisenwaarenhändler war der Nachbar Gabriels; die Madame desselben, eine sehr ehrenwerthe Hausfrau, lebhaft und lachend, aber ohne alle Kenntniß vom Theater, war zum ersten Male in der Hauptstadt gewesen und war entzückt über Alles dort, selbst über die Menschen; die hatten über Alles, was sie gesagt, gelacht, versicherte sie, und das war gar nicht unglaublich.

»Waren Sie auch im Theater?« fragte Peter.

»Ja, das war ich!« antwortete die Frau. »Wie ich dampfte! Sie hätten mich sehen sollen, wie ich da in der Hitze saß und dampfte!«

»Aber was sahen Sie? Welches Stück?«

»Das werde ich Ihnen erzählen,« sagte sie, »ich werde Ihnen die ganze Comödie erzählen. – Ich war da zwei Mal. Den ersten Abend war es ein Redestück. Da kam sie, die Prinzeß: »»abe, dabe! äbe, däbe!«« Wie die reden konnte! Darauf kam die Mannsperson: »»abe, dabe! äbe, däbe!«« und so plumpste die Madame! Aber dann fingen sie wieder an; der Prinz: »»abe, dabe! äbe, däbe!«« Und so plumpste die Madame! Sie plumpste fünf Mal an dem Abend. Das zweite Mal ging die ganze Geschichte auf Gesang: »»abe, dabe! äbe, däbe!«« und so plumpste die Madame. Nun saß neben mir eine sehr nette Frau vom Lande; sie war noch nie im Theater gewesen und glaubte, es sei nun vorbei; aber ich, die ich das nun kannte, sagte: als ich das vorige Mal hier war, plumpste die Madame fünf Mal. An dem Gesang-Abend plumpste sie nur drei Mal. – Ja, da haben Sie die beiden Comödien, so leibhaftig wie ich sie sah!«

War das eine Tragödie, die sie gesehen hatte? immer plumpste die Madame. Endlich ging ihm ein Licht auf: Im großen Theater war an dem Vorhang, welcher in den Zwischenacten herabgelassen wurde, eine große weibliche Figur, eine Muse mit der komischen und tragischen Maske gemalt. Das war die Madame, die plumpste; das war die eigentliche Comödie gewesen, was gesprochen und gesungen wurde, war der Frau des Eisenkrämers »abe, dabe, äbe, däbe« gewesen, aber ein großes Vergnügen sei es gewesen, und das war es auch dem Peter und nicht weniger Madame Gabriel, welche diese Art und Weise den Inhalt der Stücke wiederzugeben mit anhörte; sie saß dabei mit dem Ausdruck des Erstaunens und dem Gefühl geistiger Überlegenheit; hatte sie doch als Amme Shakespeares »Romeo und Julia« getragen, wie der Apotheker sagte.

»Die Madame plumpst« wurde später, nachdem Peter den Ausdruck erklärt hatte, ein Witzwort im Hause Gabriel und stets angewendet, wenn ein Kind, eine Tasse oder sonst Etwas zu Boden fiel.

»Ja auf diese Weise entstehen Sprichwörter und Redensarten!« sagte Herr Gabriel, welcher Alles auf die Wissenschaft bezog.

Am Neujahrsabend, Punkt Zwölf, standen die Familie Gabriel und die Pensionäre, jedes Individuum mit einem Glas Punsch in der Hand, was den Hausherrn betraf, das einzige, welches er im ganzen Jahre trank, denn Punsch ist vom Uebel für einen schwachen Magen. Sie stießen an und ließen das neue Jahr leben und zählten die Glockenschläge: eins, zwei, drei bis zum zwölften Schlage! »Da plumpst die Madame!« sagten sie.

Das neue Jahr rollte auf und rollte dahin; zu Pfingsten würde Peter zwei Jahr im Hause Gabriel gewesen sein.


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