Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXVII.

In einem recht unwesentlichen Punkt hatte Jordan recht gehabt. Er hatte es ausgesprochen, ohne sich viel dabei zu denken: Hornung war sein neuer Posten zu Kopf gestiegen. Dieser Mann, seit fast einem Jahrzehnt ein kleiner Untersuchungsrichter, der es bei aller Genauigkeit und bei allem Fleiß nicht weiterbrachte, war über Nacht Direktor in einem Riesenunternehmen geworden und dazu ein wohlhabender Mann. Er war es nicht durch Genauigkeit und nicht durch Fleiß geworden, und das eben war es, was einen unheilvollen Einfluß auf sein bis dahin durchaus nüchternes Denkvermögen ausübte. Er war nicht mehr in der Lage, sich über die Zusammenhänge, soweit sie ihn betrafen, Rechenschaft zu geben. In seinem jähen Aufstieg sah er nicht das Zufällige, das Glück und seine eigene Gewissenlosigkeit; er beurteilte ihn als Folge seiner bis jetzt ungeahnten und nun plötzlich entdeckten Geschäftstüchtigkeit. Diese Fähigkeit überschätzte er maßlos. Er glaubte so sehr daran, daß er blind war für alles, was ihm als ehemaligem Gerichtsbeamten sonst aufgefallen wäre.

Er spielte bei Gromow eine große Rolle – das war seine feste Ueberzeugung. Wenn er die Artikel ansagte, die gegen die Jordanwerke gerichtet waren, saßen alle so still um ihn herum und lauschten so aufmerksam seinen Worten, daß er gar nicht anders konnte, als zu dieser Ueberzeugung kommen. Er merkte nicht, wie der Ton ihm gegenüber sich im Laufe der Tage änderte. Je weniger Neues er gegen Jordan vorbringen konnte, umso weniger Zwang legte man sich ihm gegenüber an. Er gab Befehle, und sie wurden aufmerksam angehört, aber nicht befolgt; er stellte Fragen, und sie wurden beantwortet, aber unwahr. Er wußte das ganz genau, aber er wußte es auch wieder nicht. Er wollte es nicht wissen und schob alle diese ihm unangenehmen Beobachtungen in irgendeine Rumpelkammer seines Bewußtseins, wo sie, nicht vergessen zwar, aber unverwertet liegen blieben. Er wollte das alles nicht wissen, denn der Traum, den er träumte, war zu schön.

Auf diese Weise war es möglich, daß Hornung in einem Augenblick eine private Unterredung mit Gromow selbst verlangte, wo er längst hätte wissen müssen, daß für ihn hier nichts mehr zu hoffen war.

»Sie wünschen?« fragte Gromow kurz und unfreundlich. Er war Russe und beherrschte die englische Sprache mangelhaft. Dafür hatte er andere unschätzbare Fähigkeiten. Man sagte ihm nach, er habe sich dem Teufel verschrieben, jedenfalls aber konnte sich kein Mensch rühmen, je gefühlt zu haben, daß da am Schreibtisch ein Wesen aus Fleisch und Blut saß und nicht eine vorzüglich gearbeitete Maschine aus Stahl und Eisen. »Die Sache ist die«, begann Hornung zuversichtlich. Was er sagen wollte, hatte er sich fünf Tage lang – seit Jordans letztem Besuch bei ihm – überlegt. »Sie wissen, daß es mir unangenehm ist, wenn meine Privatangelegenheiten so an die Oeffentlichkeit gezerrt werden

»Was Ihnen gefällig?« erkundigte sich Gromow ungeduldig. »Bitte, reden kurz.«

»Ich möchte, daß in den Zeitungen nicht mehr über meine Frau geschrieben wird«, sagte Hornung. »Ich wünsche, daß endlich ...«

»Warten Sie!« unterbrach ihn Gromow böse und klingelte.

»Plimouth und Burry sollen kommen«, rief er dem jungen Mann zu, der seinen Kopf zur Tür hereinsteckte.

Plimouth und Burry waren ebenfalls Direktoren des Betriebes, zwei aalglatte Burschen mit verschmitzten Gesichtern. Sie kamen, grüßten und blieben erwartungsvoll an der Tür stehen.

»Setzen!« befahl Gromow, und sie setzten sich. »Direktor Hornung«, fuhr Gromow fort, und sein Gesicht hatte plötzlich den Ausdruck des Lachens, obwohl er dabei seine Lippen nicht verzog, »nicht wünscht, daß wir schreiben mehr über seine Frau.«

Plimouth lächelte höflich, und Burry lächelte auch höflich.

»Erklären Sie Direktor Hornung, daß wir werden schreiben mehr, und warum!« ordnete Gromow an.

»Lieber Kollege«, sagte Plimouth ölig. »Was glauben Sie denn, warum wir Ihnen diesen schönen Posten gaben?«

»Und den schönen Scheck«, fügte Burry dazu.

»Dafür habe ich gute Arbeit geleistet«, erklärte Hornung sehr selbstbewußt.

»Gestatten Sie«, meinte Plimouth liebenswürdig.

»Gestatten Sie, daß wir auf diese Arbeit pfeifen!«

»Daß wir dazu die Achseln zucken«, ergänzte Burry.

Hornung wollte noch immer nicht aus seinem schönen Traum erwachen.

»Ich hin nicht hierher gekommen, um mich beleidigen zu lassen«, sagte er verärgert. »Ich wünsche nicht, daß noch weiter über meine Frau geschrieben wird. Es genügt, wenn wir Jordan wegen des verschwundenen Arbeiters angreifen.«

»Lieber Kollege«, sagte Plimouth schnell. »Die Sache mit dem verschwundenen Arbeiter hätten wir nicht einmal erwähnt, wäre nicht die schöne Geschichte mit Ihrer Gattin dazugekommen. Ein verschwundener Arbeiter – ich muß lächeln – was sagt das schon?«

»Wo ist da der praktische Wert?« fügte Burry hinzu.

»Aber ich wünsche einfach nicht ...« beharrte Hornung.

»Wer wünscht hier?« brüllte Gromow auf und hieb mit der Faust auf den Tisch.

»Sie werden die Freundlichkeit haben«, fuhr Plimouth unbeirrt fort, »uns bis morgen einen Artikel zu schreiben, in dem zum Ausdruck gebracht wird, daß Ihre Gattin in Ihrer Abwesenheit Jordan in Ihrem Hause empfängt ...«

»Täglich empfängt«, verbesserte Burry.

»Das ist nicht wahr!« rief Hornung empört. »Ich werde doch nicht Lügen über meine eigene Frau verbreiten ...«

»Umso schlimmer, falls es nicht wahr ist«, sagte Plimouth kalt. »Dann richten Sie es so ein, daß es wahr wird.«

Diesmal antwortete Hornung so schnell, daß Burry nicht dazu kam, seine Meinung zu äußern. »Fällt mir nicht ein!« rief er heftig. Dann aber fügte er um vieles ruhiger hinzu: »Ich sehe, man plant hier etwas gegen mich ... Nun, ich werde mir also Mr. Jordans Vorschlag überlegen.«

»Welchen Vorschlag?« donnerte Gromow.

»Er wollte mich zum Teilhaber machen«, sagte Hornung gefaßt. »Und ich werde diesen Vorschlag annehmen, es sei denn, mir wird hier dasselbe geboten ...«

Hornung wunderte sich selbst. Das war ein hohes Spiel, aber er fühlte in sich die Fähigkeiten, es zu gewinnen. War es nicht meisterhaft, wie er diesen Leuten zusetzte? Oh, sie verstanden ihn! Sie wußten: Wie er Jordan geschadet hatte, so würde er nun ihnen schaden, wenn nicht eben ... »Sie sind ein bißchen krank, was?« fragte Plimouth leise.

»Im Kopf, nicht wahr?« fragte Burry, und es war nur ein Flüstern.

»Ich glaube«, sagte Hornung, innerlich zitternd, doch nach außen tatsächlich ruhig, »ich glaube, Mr. Jordan würde sich freuen, wenn ich ihm sagte, daß ich die Sache mit dem verschwundenen Arbeiter seit einiger Zeit mit etwas anderen Augen betrachte und ...«

»Aber mein lieber Kollege«, unterbrach ihn Plimouth eilig. »Sie scheinen uns sehr falsch verstanden zu haben. Als Teilhaber unserer Firma würden Sie doch nur sich selbst schaden ...«

»Steine in den eigenen Garten werfen«, äußerte Burry, blaß vor Erregung.

»Als Teilhaber?« rief Hornung, und seine Stimme schwankte.

»In drei Tagen Teilhaber«, bestimmte Gromow ruhig. »Unterredung beendet. Fertig. Auf Wiedersehen, Mr. Hornung.«

Hornung ging. Er hörte durch die sorgsam verschlossene Tür Gromow brüllen, und er lächelte befriedigt. Es war ein vollständiger Sieg! Wie sie alle erschrocken waren, als er über den Arbeiter sprach! Jetzt würden sie vor ihm kriechen, und sogar Gromow selbst würde einen anderen Ton anschlagen ...

Im halbdunklen Gang stieß Hornung mit einem Mann zusammen, der, einen Stoß Akten unter dem Arm, zu Gromows Arbeitszimmer strebte.

»Entschuldigung«, murmelte Hornung.

»Verzeihung«, sagte der Mann.

Sie sahen einander an und wichen überrascht zurück.

»Mr. Meyring!« rief Hornung aus.

»Ah, Mr. Hornung«, sagte Meyring tonlos.

»Wie kommen denn Sie hierher?« fragte Hornung gedehnt.

»Ich habe mich verkauft«, antwortete Meyring ruhig. »Genau so wie Sie.«

Diese Worte schmerzten Hornung. So etwas hörte er nicht gern.

»Was für Ausdrücke!« tadelte er. »Sie sind hier angestellt!«

»Ja«, sagte Meyring. »Was man so ›angestellt‹ nennt. Ich bekomme Stücklohn. Ich habe Material gegen Jordan für acht Artikel. Sind die gedruckt, wird man mich rausschmeißen – genau wie auch Sie!«

»Sie irren sich, junger Mann«, sagte Hornung spöttisch. »Ich werde in drei Tagen Teilhaber dieser Firma sein. Teilhaber!«

»Gestatten Sie, daß ich daran zweifle«, antwortete Meyring. »Judas wurde auch nicht Teilhaber der Hohepriester-A.G. Für Verrat gibts Silberlinge und manchmal einen schönen Strick dazu.«

»Verrat!« zürnte Hornung. »Ich habe niemanden verraten ...«

»Der Herr segne Ihren Glauben an alles Gute in Ihnen«, sagte Meyring, lachte auf und ging schnell weiter.

Hornung war sehr verstimmt.


 << zurück weiter >>