Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXII.

Jordan und Meyring waren am diesem Abend die ersten Gäste im Restaurant ›Kolorado‹. Sie saßen unweit von der Bühne etwas seitwärts an einem kleinen Tischchen und hatten sich nur Whisky mit Soda bestellt. Der große Saal war noch halbdunkel, und die Kellner, lauter eindrucksvolle, riesige Neger, standen laut schwatzend in den Ecken herum. Der Saal war sauber gefegt, die einfachen Tische und Stühle blankgescheuert, überall hingen Blumengewinde und viele kleine Fähnchen herum, die aber nicht vermochten, den trostlosen Eindruck dieses großen leeren Raumes zu verwischen. Jordan rauchte eine Zigarre nach der anderen. Sein Gesicht war hart und verschlossen, und sogar Meyring hütete sich, ihn durch etwas zu ärgern. Er saß mit der Miene eines unschuldigen Dulders neben seinem Herrn und blätterte in Zeitschriften.

»Ist der Direktor noch nicht da?« fragte Jordan ungeduldig, nun schon zum dritten Mal.

Meyring winkte zum dritten Mal den Kellner herbei und erhielt zum dritten Mal die Auskunft, der Direktor sei noch nicht da.

»Haben Sie die herrlichen weißen Zähne dieses Negers gesehen?« fragte Meyring, bestrebt, ein Gespräch in Gang zu bringen.

»Machen Sie nicht solche blödsinnige Bemerkungen!« fuhr ihn Jordan an.

»Blödsinnig, blödsinnig!« murrte Meyring gekränkt. »Alles, was ich sage, ist heute blödsinnig. Und wenn ich gar nichts sage, ist mein Schweigen ebenfalls blödsinnig.«

»Wir müssen unter allen Umständen erreichen, daß sie nicht hier auftritt«, sagte Jordan böse.

»Nur daran denke ich.«

»Nichts leichter als das«, antwortete Meyring.

»Ein netter kleiner Scheck, und der Direktor ...«

»Das kann ich nicht tun«, widersprach Jordan stirnrunzelnd. »Sie würde es mir nie verzeihen.« Meyring hob die Schultern.

»Anders ist es aber nicht zu machen. Dieser Direktor weiß genau, was er will. Nachdem er diese Sensation für sein Lokal entdeckte, hat er die Dame drei Tage lang versteckt gehalten, bis alle Vorbereitungen getroffen waren. Heute nun erst, am Tage ihres Auftretens, überschwemmt er die Stadt mit Plakaten. Folglich weiß der Mann, daß jemand versuchen wird, dieses Auftreten zu verhindern, und er will es erzwingen, um nachher den Preis für die Lösung des Vertrages entsprechend höher zu schrauben. Es muß ein tüchtiger Mann sein. Ich sage Ihnen: Entweder ein Scheck, oder sie wird auftreten.«

»Als was wird sie auftreten?« rief Jordan verzweifelt. »Vielleicht Tanzen oder Singen ...«

»Jedenfalls eins von beiden«, erwiderte Meyring. »Im übrigen ist es meines Wissens in solchen Lokalen ziemlich gleichgültig, als was man auftritt. Es kommt nur darauf an, daß die Frauen gut aussehen ...«

»Schweigen Sie!« befahl Jordan.

Langsam füllte sich der Saal. Laut redend und lachend kamen sie herein – eine bunte Gesellschaft, bunt nicht nur in der Hautfarbe. Die Mehrzahl der Gäste waren einfache Leute – Matrosen, Arbeiter mit ihren Schönen, Neger, Indianer. Aber hier und dort, etwas abseits, sah man auch Offiziere mit feingekleideten Damen, die sicherlich zur guten Gesellschaft gehörten, und man sah auch Herren in ausgezeichnet sitzenden dunklen Anzügen. Alles das schob sich herein, verteilte sich im riesigen Saal, schwatzte, schrie nach dem Kellner und lachte ungezwungen. Meyring gefiel dieses bunte Bild, aber Jordan dachte nur an Halja und fürchtete für sie.

Ein Kellner trat an ihren Tisch und wies auf einen kleinen, fetten Herrn im Frack, der unweit von ihnen vorüberging.

»Das ist der Direktor«, sagte er und verzog den Mund zu einem freundlichen Grinsen.

Meyring stand sofort auf und holte den Direktor ein. Er sprach mit ihm ein paar Worte, worauf der Direktor an den Tisch Jordans trat. Meyring stellte vor. Beim Hören des Namens Jordans huschte über das dicke Gesicht des Direktors ein Schein von Freude.

»Ach, Mr. Jordan!« sagte er eifrig. »Sie gestatten?« Und er setzte sich ebenfalls an den Tisch. »Womit kann ich dienen?«

»Es handelt sich um die Dame, die heute zum ersten Mal bei Ihnen auftreten soll«, begann Jordan heiser.

»Um Mrs. Halja Hornung. Verstehe. Ja, bitte?« »Ich ... Die Sache ist die ... Die Dame darf unter gar keinen Umständen hier auftreten. Sie hat sicherlich keine Ahnung, um was für eine Art Lokal es sich handelt ...«

»Bitte, bitte, bitte!« sagte der Direktor und hob die ringgeschmückte Hand. »Dieses Lokal zählt zu den besten und angesehensten der Stadt, und ich ...«

»Ich will mich nicht mit Ihnen streiten. Mag dieses Lokal aber noch so angesehen sein, es eignet sich dennoch nicht für die junge Dame.«

»Verstehe ich recht?« fragte der Direktor. »Sie wollen mir Schadenersatz bieten, falls ich auf meine vertraglichen Rechte Halja Hornung gegenüber verzichte?«

»Nein«, sagte Jordan ernst. »Ich bitte Sie, ganz zu vergessen, daß ich ein reicher Mann bin ...«

»Ja, aber ... Entschuldigen Sie, Mr. Jordan!« rief der Direktor überrascht. »Wenn ich das vergesse, wozu sprechen wir dann noch«'

»Ich möchte Sie davon überzeugen, daß diese Dame unmöglich hier auftreten kann ...«

»Wissen Sie, Mr. Jordan, wenn ich alle Leute anhören wollte, die mich von diesem oder jenem zu überzeugen versuchen, ich hätte – weiß der Himmel – viel zu tun! Also Sie wollen oder können nicht Schadenersatz bieten?«

»Nein, aber ...«

»Dann gestatten Sie, daß ich mich wieder meinen Pflichten zuwende«, sagte der Direktor kühl und verabschiedete sich mit einer knappen Verbeugung.

»Dürfen wir bitten«, mischte sich Meyring ein, »Mrs. Halja Hornung, sobald sie hier erscheint, an unseren Tisch einzuladen?«

Der Direktor streifte mit einem mißtrauischen Blick den Whisky-Soda.

»Ja, gern«, sagte er dann noch und ging eilig davon.

»Das ist fürchterlich« stöhnte Jordan. »Jetzt bleibt uns nur noch übrig, sie, sie selbst zu überreden, ihr törichtes Vorhaben aufzugeben.«

»Das ist auf alle Fälle aussichtsreicher als der letzte Versuch«, sagte Meyring trocken. Er begriff Jordan nicht. Ein Mensch, der bisher alles und jedes durch die Macht seines Geldes erreicht hatte, wollte plötzlich ohne Geld Dinge erzwingen, die eben nur mit Geld zu machen waren. Dieses ganze Gespräch mit dem Direktor war von vornherein aussichtslos gewesen.

Die Musik, eine gar nicht schlechte Kapelle, setzte mit einem munteren Marsch ein.

Meyring beugte sich vor.

»Darf ich noch einen Whisky-Soda bestellen?« fragte er vorsichtig.

»Nein.«

»Wir wollen also sparen?«

»Ja.«

Meyring zog es vor, jetzt die teuren Zimmer nicht zu erwähnen.

»Darf ich Sie auf meine Kosten zu einer Flasche Wein einladen?« fuhr er ruhig fort.

»Auf Ihre Kosten?« Jordan lächelte ein wenig.

»Ich will Sie nicht kränken: einen Whisky-Soda will ich mittrinken – auf Ihre Kosten.«

Der Marsch war zu Ende, und der Vorhang der Bühne rauschte beiseite. Der Direktor kündigte händereibend einen Ringkampf zwischen Tallatapulo, Champion von Griechenland, und Hondur, Champion von Argentinien, an. Gleich darauf betraten die beiden dunkelhäutigen Champions unter brausendem Beifall die Bühne, und der Schiedsrichter gab das Zeichen zum Beginn des Kampfes. Jordan sah zu. Es war ihm sehr gleichgültig, was da auf der Bühne vorging und was das übrige Publikum in Spannung hielt. Er sah nur zu, weil er eben irgendwohin sehen mußte.

Plötzlich spürte er eine Hand auf seinem Arm. Es war Meyring, der ihn berührte. Jordan sah ihn fragend an, folgte dem nach oben gerichteten Blick Meyrings, und dann war ihm, als wiche alles Blut aus seinem Gesicht: neben ihm stand Halja.


 << zurück weiter >>