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Bärzeit

Nun ist abermals Wonnemond, der Ölglanzhauch der ausgetriebenen Schwarzerle hat das Balzlied des alten Prahlhans', des Urhahnes, abgemeldet, der herbe und doch süß beglückende Duft des Maienbaumes das brutwarme Gelege der Henne angesagt. Blütendolden, Trauben, Rispen, Köpfe, Ähren in buntem Farbenschmelz haben ihr bräutliches Blumengeständnis nicht mehr zu verschweigen, und Rotkehlchens inniges Dämmerlied in der Maiabendstunde, wenn der blaue Mondhauch über das Waldmoor spinnt, ist mehr als ein letzter Tagesreim zur Rüste neigenden Vogelsangs.

Bekennen ist alles, Bekennen zu sich selbst, zu Farbe und Ton, Bekennen zu Wald oder Wiese, zu Licht oder Schatten, zu Tag oder Nacht, Bekennen in Zuneigung und Abneigung zu Liebe und Haß.

Rauhbautz und Bruder Mutz erleben es, daß Mutter unter dem verschwiegenen Lispeln fröhlichen Blätternickens, in der Hochhalle der Urfichten, als die Nachtschwalbe durch die Domsäulen hinter Motten geistert und die glühäugige Eule gespenstisch nach Kleinvögeln räubert, sich von ihrem eigenen Blut gleichgültig abkehrt und sich zu jenem hochmütigen Samtpelz bekennt, jenem Stolzen ihrer Sippe, der im Vorjahr um diese Zeit gerade hier in diesem selben Wald die Jungen in Schrecken und Mutter in deutlichen Unwillen versetzt hatte. Die Zeiten sind gekommen, da aus ruhendem Trieb das heiße Sehnen erwacht und diesem Sehnen die Wahl folgt, die Wahl gerade jenes, den die Mutterpflicht bisher verschmäht, abgelehnt, abgewehrt hatte.

Jener aber ist nicht mehr hochmütig, nicht mehr stolz. Wimmernd und schmachtend hängt er Gang für Gang hinter Mutter her und tut ihr von allen Seiten schön und ergeben; und Mutter hat zwar zum erstenmal wie beleidigt gebrummt, nun aber drängelt sie sich oft genug selbst an den Schwerenöter heran, der mit den Vorderbranten an ihr emporturnt, als wollte er auf einen Fels klettern, und dies oft genug bei Tag und Nacht. Rauhbautz und Mutz können dies Treiben nicht begreifen. Sie selber scheinen in diesem Bunde höchst überflüssig und müssen sich schwer gedemütigt zur Seite schlagen. Denn einmal ist es der Eindringling, der sie ärgerlich anknurrt, ein andermal bleckt Mutter selbst sie böslich an. So bleibt ihnen nichts anders übrig, als Böses für gut zu nehmen und unter einem Baum schnurrend an der Brante zu saugen. Schon dauert dies liederliche Verhältnis in den Schafsauftrieb hinein und darüber hinaus, und sie müssen zusehen, wie sie sich mit Gras und Gekräut nähren, denn Mutter und der unnütze Fremde zeigen jetzt keinen Sinn für zuträglichen Fraß, für einen leckeren Bissen. Dabei prallen den beiden Brüdern ständig zwei eigentümliche Düfte wie schwere Wolken an die Köpfe, der eine, der von dem Fremden, stickig, unerträglich, eklig, der andere, der von der Mutter, merkwürdig reizend, schwül erregend, so daß Rauhbautz wiederholt im Rückgrat einknickt und sich unwillkürlich unter dem Bann dieses Reizes an Mutter heranschnüffelt; doch schon erwischt er vom Freier einen Hieb und fliegt im Bogen in die Büsche. Mutz wälzt sich unter dem Eindruck des Duftes in einer Wurzelbucht und spielt mit der Pranke an seiner jugendlichen Rute. So wird Alt und Jung mit unerhörter Zauberkraft an diesem Duftfaden gegängelt. Nicht genug damit: Duft fliegt weit in alle Winde, Duft ist verräterisch, Duft stößt ab, Duft lockt; und da erscheint auch mit einem blauschattigen Abend, angeködert wie ein Fuchs durch die Schleppe, ein grober Braunpelz im Rahmen eines hochgereckten, mondumrieselten Säulentores, verhofft, zieht den Duft der Wollust begehrend ein, verdreht die Seher, schnaubt prustend den andern gegnerischen Ruch am Boden von sich, tatzelt schwer erregt mit den Branten in der Luft herum, um sich überlegen einzuführen, und schwankt, hoch in Liebe und Haß flammend, brünstig heran. Drüben fünf Gänge lange Verlegenheitspause, Aufstaunen ihrerseits, Wutausbruch seinerseits, schon springen die Gegner aufröhrend mit mächtigen Sätzen aufeinander ein. Pranken schwingen eisenschwer aus, wuchten dumpf dröhnend auf dämpfenden Pelz. Hoch aneinander hinauf wachsen die beiden Riesenleiber, schwarzglühend im Spiegel der Mondstrahlen. Wegwerfend spucken sie sich an. Aufgerissen fletschen die Fänge, weißglimmend im tastenden Silberlicht. Geifer fließt. Wutknurren, giftspeiender Hauch, fieberrotes Aufblitzen der Seher. Der Platzbär lastet beide Pranken auf des Gegners breite Schultern. Langsam krallen sich die scharfen Waffen in das braune Fell. Da wagt der Erniedrigte den Untergriff, um in plötzlichem Umarmen den Korb des Überraschten zu umschlingen. Aber schon hat der die Blöße erkannt. Mit mächtigem Ankerzug reißt er dem Feind Wolle und Fetzen von beiden Schultern. Sein gähnender Rachen klafft noch ungenützt. Am Ausschwung der Branten Kraft holend, gräbt er sich aufgrölend an den Lefzen vorbei in das Nackenfleisch des Braunpelzes. Jetzt sinkt der Fremde stöhnend in sich ein, der Überlegene gibt ihm noch einen schweren Gnadenschlag aufs Kreuz – und überläßt den Gezüchtigten großmütig seinem beschämenden Schicksal.

Betäubt und blutend drückt sich der Überwundene in eine Ecke, dann stellt er sich in eine Reihe mit Rauhbautz und Mutz, befreundet sich mit der Schwäche und folgt immer noch im Bann der Duftsüße, auf eine günstige Gelegenheit lauernd, der Führung der beiden Feiernden in die Ungewißheit der rauschenden Waldtiefe hinein! Ein ausgeschlafener Kuckuck höhnt mit lautem Ruf unter hohem Vollmond lange noch nach.

Merkwürdig, wie doch Umstände und Geschehen wechseln und Gefühl und Stimmung in Laune umschlagen! Nicht Bär und Bärin, nicht Rauhbautz und Mutz hätten das noch vor ein paar Tagen gedacht: Langsam, fast unauffällig, vergrößert sich der Zwischenraum zwischen Bärin und Schwarzpelz; drängend, sichtbarlich verkürzt sich der Abstand zwischen ihr und Braunpelz. Wenn Schwarzpelz anfänglich betört und berauscht kaum jemals weiter als auf Fang- bis Körperlänge hinter ihr wie an der Kette schmachtete, weich summte, gleich Bienen über dem Honig, und an der geschwollenen Schnalle schnüffelte und schleckte, aufstieg, zum erstenmal hing und dann immer häufiger, läßt er jetzt die Größe des Triebes immer niederer verschwelen, ähnlich dem Feuer, das ohne Nahrung seine Wärme verraucht. Sie wird gleichgültiger müd; und schon kommt es vor, daß er sich abseits hintut, unbekümmert um Hintergehung und Betrug. Da schiebt sich heimlich Braunpelz in die Lücke, wimmert und stöhnt zum erstenmal an ihrem Feuchtblatt herum und empfängt dafür bleckenden Fang; aber noch steigt die Lustwelle in der Ebbe einmal auf, als der Frühschauer verwölkt; und als es geschehen, da hängt er auch schon an ihr und nachher noch einmal. Siehe da, der schwere Haß zwischen den beiden Pelzen erschlafft, die Liebe zwischen Vater und Mutter erkaltet, die Bande zwischen ihr und den Söhnen festigen sich wieder, und um all dies veränderte Geschehen wehen mit veränderten Düften die Schicksalswinde. Eines feierlichen Abendrots, da alles urmächtigen Hunger in sich spürt, gewinnt der Magen die Oberhand über das Herz, Schwarzpelz wird wieder der Hochmütige, Stolze; und ebenso wie damals, als er sie verächtlich umschrieb, kracht er gewichtig, alle Erniedrigung abschüttelnd, nach kurzer Liebschaft von kaum Mondesdauer, prahlerisch, ohne Abschied zu nehmen, von dannen. Braunpelz spürt sich bald nach der andern Seite davon, und die Bärin bleibt mit ihrer halbwüchsigen Stube zurück. Sie ist deshalb dem Geschick nicht gram, denn sie hat ja Ersatz und ist übrigens gewohnt, gegenüber den eigenen leiblichen Bedürfnissen und Tagesmühen unfaßbare Sinnesbegaukelung und faulen Feiertag auf ein Vierundzwanzigstel zweier Jahre zurückzustellen.


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