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Herbstfreuden

Ährenschaukelnde Welkzeit ist geworden, Quendel und Karpathenheidekraut knirren steif, totes Herbstlaub quirlt zu Boden. Buchfinkenschwärme rauschen durch die Fichten, Geschwader von Kranawetvögeln vollenden ihren Schwirrflug aus dem Norden im Zwergwacholder der Alm. Flug auf Flug saugt sich nach. Die Herbstfeuer des Waldes flammen auf. Hie und da tränt noch ein verlassenes Blumenauge zwischen tauschillernden Spinnweben der bleichenden Heide. Sie liegt jetzt still da im seidigen Gespinst, das Glockenlispeln hat auserzählt, die rote und weiße Farbenbuntheit von Rindern und Schafen ist gewichen – eine einsame Heringsmöwe schwingt ihren silberglastenden Flug über die Alm nach südlichen Gefilden. Klagend harft die Luft an den Brandsäulen des Windwurfs und erzittert an dem kaltgelben Morgen schmerzvoll vom dröhnenden Schrei des Platzhirsches bis hoch hinauf zu dem Bärentrupp auf der Almmatte.

Der Fleischhandel zwischen Schafhirt und Bärin hat aufgehört, nun gilt der Früchtemarkt. Blaues und rotes Perlengeschmeide schmückt die Heidel- und Preiselbeerhochmatten. Und am sonnigen Mittag mümmelt die Alte mit ihren beiden Sprossen hoch ob dem Waldrand auf freiem, tief einsinkendem Beerenteppich vertraut die Blau- und Rotkügelchen, ohne der Umwelt überflüssige Beachtung zu widmen. Ihr lockeres Sommergehäre wächst sich schon dicht und lang zum Herbstpelz aus. Wohlgerundet und strotzend vor Feist, blickt sie auf ein gutes Volljahr zurück. Heller als je leuchten aus schwarzem Samtgrund die beiden weißen Kragenflecken hervor. Der Kamm weht schon wie samenreife Grasbülte über den Widerrist hinweg, und Schulter, Hals und Kopf blähen sich bis zu den buschigen Gehören zu fülliger Walze auf. Schwer ausgepolstert ist der Frühjahrssattel, die Rüstung an Flämen und Dünnung eng und knapp gestellt, die Hose spannend angezogen. Rauhbautzens und Mutzens erste Wolle verdichtet sich recht ausgiebig dem Winter zu. Sie selbst sind nun größer wie der größte Schäferhund, prallgerundet wie Jungschweine in der Eichelmast. Es ist ihnen gut gegangen in der freigebigen Zeit, und Mutters weise Fürsorge, Leitung, Erziehung zu Wille, Mut und Tat, zur Selbstbescheidung, Entbehrung, Verzicht, zur Friedlichkeit, wenn es sein konnte, zur Feindlichkeit, wenn es sein mußte, hat sich bei ihnen als reiche Spargabe wie in einem Schatzkästlein angelegt.

Wenn sie so zu dreien in den federnden Polstern von Moos, Alpenrose und Beerengekräut beschaulich pflückend einhertapsen, Mutter hüben fünfzig Gänge fern, Brüderchen drüben hundert Sprünge weit, wenn das sich so, wie mit unsichtbaren Fäden ungezwungen verbunden, ohne einander zu äugen, immer nur nach Gehör und Nase sachte und selbstverständlich hin und her verschiebt auf einem Felde, das kaum länger ist als der Abendschatten der Fichtenreihen, dann kann der Jäger, der dem Treiben schon den ganzen Nachmittag von erhöhtem Stande zusieht, nur meinen, daß kein böses Gewissen die drei in ihrer Ruhe peinigt.

Rauhbautz, der schwarze mit dem weißen Kragen, und Mutz, der buchengraue, sind so liebe, nette Kerlchen, und Mutter ist so gut und nachgiebig dem Eigensinn der vielversprechenden Sprossen gegenüber, daß der harte Bärenjäger sich vor der Trautheit und dem Glück dieses engen Familienlebens ergriffen beugt und, als die Abendschatten aus den Gründen hervortreten und ineinanderfließen, sich ruhig und still, wie er gekommen, durch den Tannenbärlapp zurückzieht, um das Wild ja nicht zu belästigen und zu vergrämen.

Übers Jahr ...

 

Nebelung stöhnt heran, harter Wind aus Eisnord zaust den Gamswachler des Brunstbockes auf der Felsnadel, und im Alpensee hellt sich glitzernd kalt der Grundkies vor dem Ufer unter dem Flossenschlag der laichenden Bachforelle. Pfundige Fische drängen sich, mit dem halben Rücken über dem Wasser schwimmend, in die Quellbächlein zur Eiablage und Befruchtung; denn in den niederen Wässerchen ist die Brut am sichersten vor Hochwasser und dem Kannibalismus der eigenen raubwütigen Angehörigen. Über die grünen Äderchen gebeugt, harrt Bärinmutter mit Rauhbautz und Mutz. Unter platschendem Zuschlag der Branten spritzt das Seichtwasser auf, und schon zappelt die Forelle im murksenden Fang. Ketten von Rebhühnern burren geschlossen auf und fallen klirrend in den nahen Schutz von Latsche und Wacholder ein. Der plumpe, klobige Dreiertrott ist nicht gefährlich, aber gegenüber den kleinen Raubsehern von Marder und Wiesel, Habicht und Falke muß man die eigenen kleinen Seher immer scharf halten, und das erfordert hier, wo man jedes Grassämlein, jedes grüne Hälmchen aus dem Schnee scharren muß, doppelt viel Bedacht und Vorsicht.

Sturm und Gestöber treibt die Bäche voll, überbrückt jede Tiefung, Schneewehe füllt Loch und begräbt Stein, weiches Laken deckt Schlangenföhre und Wacholder zu. Die Bärinmutter mit ihren Jungen muß tiefer zu Tal, sie letzt sich, solange der regenschwere Herbstwald sich nicht in weiße Dunen hüllt, an dem Spätgrummet bei den Sennhütten, um, wenn auch nicht mehr Feist anzusetzen, so wenigstens das aufgesparte nicht vor der Zeit abzutragen. So wie im Frühjahr zeichnen breite schwarzverbrannte Teller die tiefen Eindrücke ihrer schweren Tritte, und zahlreiche grüne Losung vermeldet, daß sie wieder platzbeständig da sind, die so lange in fernen Bereichen kundschafteten und schatzten.

Das letzte Jahresblühen verstummt unter der fallenden Schneedecke, und die drei senken sich aus der Knappheit von Alm und Senne über Laubstreu, durch kupfergeschuppte Farnwedel in das Brombeergeschlinge des wurf- und brandgelichteten Steilhanges. Manch ein Reh bricht laut schallend davon. Tannenhäher knarksen. Fuchs und Marder zieht es eigentümlich in die Nähe der Großen, deren Spur immer so nach Viel duftet, denn wo viel ist, da fällt auch ihnen etwas ab. Aber der Fleischgang ist vorüber, mit den Krumen ist es aus. Es ist die Zeit, da kein Schatten mehr unter den Buchen, keine Sonne mehr unter den Fichten ist. Dumpf bricht der Wind, weinender Herbstnebel hängt sich in die Graskaupen. Die fleischigen Brombeeren, vollhangend und süßgereift, sind das letzte Gericht für Bärinmutter und ihre Jungen; mit dem niedrigsten Tag der Sonne, der Winterwende, fällt auch über dieses Häufchen Nahrung der erste Schnee. Bärinmutter fühlt die Not kommen, führt hinauf in die Quellschlucht oberhalb der Sennhütte, erklimmt den Wechsel zwischen Felswand und Splitterstein und steht vor der Feste, in der sie die Brut in die Welt gesetzt hat. Sie karrt Moos in die Höhle, und bald liegen sie eng aneinandergekuschelt im schützenden, vergessenden Winterschlaf, bis wieder der Föhnsturm an den Schließen rüttelt und ein neues Lebensjahr beginnt voll Freude und Sorge, voll Hoffnung, Erfüllung, Enttäuschung.


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